Dieter Jürgen Ehmann

Jack und der Weihnachstmann

         Jack Driscoll ging tief in seinen Gedanken versunken die kleine Einkaufsstrasse von Glenn Mills entlang, als der Weihnachtsmann zum ersten Mal zu ihm sprach. Es war der dritte Dezember, Weihnachten schien noch so endlos weit entfernt zu sein, aber dennoch wusste er sehr genau, dass es bis dahin nicht sehr viel besser werden würde. Sein Konto zeigte nun mal ein tiefrot gefärbtes Minus, der Mantel, den sich seine Frau so sehnlich wünschte, und der ihr auch ohne Zweifel ganz wunderbar stehen würde, kostete im Verhältnis zu seinem bescheidenen Buchhaltergehalt ein wahres Vermögen, und er war Realist, das heißt, er glaubte auch nicht unbedingt daran, dass ihm in den nächsten drei Wochen noch eine gute Fee erscheinen würde, die ihm drei - oder wenigstens einen - Wunsch erfüllen würde.
 
         Und dann kam der Weihnachtsmann.
 
         Nicht, dass es jemals im Interesse des Weihnachtsmannes gelegen hätte, Jack Driscoll in seiner Misere zu helfen, ihm Geld zu geben oder gar Wünsche zu erfüllen, nein, Jack Driscolls Weihnachtsmann zeigte von Anfang an seine sadistische mitleidslose und so gar nicht hilfsbereite Ader.
 
         Sie betrügt dich.
 
         Driscoll Gedankenfluss wurde so abrupt durch diese fremde Stimme unterbrochen, dass er für einige Augenblicke an rein gar nichts denken konnte. So sanft und so lieblich wie die schmeichelnde Stimme einer Geliebten nach einem vollkommenen Liebesakt, und doch brachte sie eine Botschaft, die so grausam war, dass Driscolls Herz eine Schlag überspringen musste.
 
         Natürlich glaubte er schon im nächsten Augenblick nicht mehr daran, dass es eine fremde Stimme gewesen war, die sich da heimlich in sein Gehirn geschlichen hatte. Natürlich, es gab Menschen, die Stimmen hörten, aber Driscoll war Realist genug, um zu wissen, dass es sich dabei um bemitleidenswerte – kranke - Menschen handelte. Er war zwar restlos überarbeitet, das mochte stimmen, machte Woche für Woche endlos viele Überstunden, um mit dem kargen Lohn, der daraus resultierte, den Moloch Bank zu füttern, damit ihn dieser nicht endgültig verschlang. Aber er war nicht krank, war nicht plemplem, und so konnte sein Verstand zu keiner anderen logischen Schlussfolgerung kommen, als dass es seine eigene Stimme war, die gehört hatte, sein eigener Verstand, der eine Pause nach all den finanziellen Wenn-dann-Kalkulationen brauchte, mit denen er gequält wurde, seit er vor etwa einer halben Stunde - natürlich als letzter, was denn sonst - sein schubladengroßes Büro in der Firma verlassen hatte.
 
         Die wesentlich wichtigere Frage war allerdings: wie kam er darauf? Ja, natürlich, er hatte an Sarah gedacht, Sarah, seine wunderschöne Frau, Sarah, der Grund, warum er sich Tag für Tag den Arsch in der Firma aufriss und wie ein Tier schuftete, damit sich sein Chef endlich auch das dritte Haus in Kalifornien kaufen konnte. Sarah, der Grund, warum er sich nicht eine große, große Schrottflinte kaufte und der großen fröhlichen liebevollen Familie von Campten & Co seine ganz spezielle Liebe bewies….
 
         Sarah wusste doch, wie sehr er sie liebte, wusste, dass er alles für sie tun würde. Noch mehr Überstunden im Dezember, während alle anderen durch die schneebedeckten Gassen von Glenn Mills spazierten und die Vorweihnachtszeit genossen, oder zur nahe gelegenen Walton Mall - wer auch immer auf die Idee gekommen war, ein derartig großes Einkaufszentrum mitten in den Bergen zu bauen, verdiente sich mittlerweile wohl ebenfalls eine goldene Nase - wo man wirklich alles bekommen konnte, was das Herz begehrte. Aber er tat es ja für sie, und für den Lichtschimmer am Horizont, der es ihm vielleicht doch noch möglich machen würde, ihr den Mantel zu kaufen, den sie sich so sehr wünschte, dass es ihm fast das Herz brach, sie davon schwärmen zu hören.
 
         Nein, sie würde ihn doch niemals betrügen. Sie sagte ihm doch immer, wie sehr auch sie ihn liebte, am Morgen, noch halb im Schlaf versunken, wenn er sich schon mit Ringen unter den Augen und einer schnell geschlürften Tasse Kaffee auf den Weg in die Arbeit machte. Und in der Nacht, wenn sie nach dem Liebesspiel eng umschlungen nebeneinander im Bett lagen und die Sterne am klaren Nachthimmel betrachteten, während irgendwo weit draußen in den Wäldern ein einsamer Wolf heulte.
 
         Träum weiter, Jack.
 
         Wieder so sanft wie ein Brise im Mai, so schmeichelnd wie der Duft von Rosenblüten.
 
         Driscoll schüttelte seinen schmerzenden Kopf, als könnte er damit den Gedanken so einfach loswerden, der so leuchtend wie ein Neonreklameschild inmitten seines Verstandes thronte.
 
         “Vorsicht, Mister.” Die Stimme des kleinen Jungen ließ Jack zusammenzucken, so, als hätte jemand eine ganz Wagenladung voll eiskalten Schnee in seinen Nacken gekippt. Er blickte nach unten, sah in das strahlende runde Gesicht von Will Denborn, dem fünf Jahre alten Sohn des Apothekers. “Wollt se´ nich erschrecken”, warf der Kleine ihm weiterhin grinsend wie ein Honigkuchenpferd noch zu, während er sich schon wieder wegdrehte, um weiter die Strasse entlang zu laufen. Natürlich tat es ihm nicht leid, Driscoll konnte die kindliche Schadenfreude in seinen Augen sehen, allerdings so sehr ohne die Spur von Bösartigkeit, dass es doch noch ein kleines Lächeln für den Jungen zustande brachte. “Sei vorsichtig, Junge, der Gehweg ist heute besonders glatt.” Keine altväterische Weisheit, die er da von sich gab, sondern die simple Wahrheit, denn vorhin, als er um die Ecke bog, hatte er selbst künsteln müssen wie ein Eiskunstläufer, um nicht der Länge nach hinzuschlagen.
 
         Ein zweiter Junge rannte an Driscoll vorbei, weit genug auf der Seite, sodass diesmal keine Gefahr bestand, gerammt zu werden, aber er hatte ihn nicht erkennen können, der Kleine bestand eigentlich nur aus Winterklamotten, einer dicken, weißen Parka-Jacke, die ihn wie einen Schneeball aussehen ließ und einer rot-weiß gestreiften Zipfelmütze, die fröhlich hinter ihm her schlingerte. Driscoll vermutete aber sofort, dass es sich um Eric Beardon handeln müsse, den besten Freund und ständigen Begleiter des kleinen Denborn.
 
         Als jetzt auch der zweite Junge um die Ecke bog und verschwand, war das Lächeln aus Jack Driscolls Gesicht verschwunden und hatte der besorgten Miene von zuvor Platz gemacht.
 
         Jackie-Boy… du wirst mich doch nicht gleich wieder vergessen wollen….
 
         Das war die Stimme wieder, aber die Freundlichkeit und die Schmeichelei waren aus ihr gewichen, hatten einem ungeduldigen, fast verärgerten Ton angenommen. Niemand hatte ihn mehr Jackie-Boy genannt, sein Vater war der einzige, der es überhaupt jemals getan hatte, und er war seit fast acht Jahren tot. Und trotzdem, irgendetwas an dieser Stimme machte Driscoll nervös, es klang so überhaupt nicht nach ihm. Und auch nach niemanden, den er kannte, zumindest niemand, der ihm jetzt so auf Anhieb einfiel. Trotzdem…. es ist spät und du bist vollkommen überarbeitet, glaub mir, es ist nur dein Verstand, der dich hier zum Ausgleich ein wenig an der Nase herumführt.
 
         Oh, Jackie-Boy…. nicht doch…. du enttäuscht mich…..
 
         Unangenehm, das war das richtige Wort. Die Stimme klang unangenehm, wie das Kratzen von Kreide an einer Tafel, wenn man sie im falschen Winkel hielt. Oder das stetige Tropfen eines undichten Wasserhahns in ein Aluminiumbecken. Störend und unangenehm. Und sie schien so wenig ihm zu gehören wie der Rockefeller-Tower.
 
         Driscoll sah die Strasse entlang. Es war fast sieben Uhr, die wolkenverhangene Dämmerung was schon lange in eine vollkommene Dunkelheit übergegangen, und der sanfte Wind wehte zunehmend mehr Schneeflocken von den nahen Berghängen herab. Die Geschäfte hatten bereits geschlossen, und außer ihm waren kaum noch Menschen unterwegs, er nahm an, dass die meisten bereits zu Hause im Warmen bei Kaffee und Tee und Kuchen und Abendessen saßen. Und genau dort würde er ihn knapp einer Viertelstunde auch sein, wenn er sich beeilte, er würde mit Sarah zu Abend essen, und dann konnten sie es sich auf der Couch gemütlich machen und irgendeinen schnulzigen alten Film ansehen, und wenn Sarah dann …
 
         Jack. Mr. Driscoll. Verdammt, ich REDE mit dir.
 
         Laut, befehlend, bedrohlich. Und Driscoll zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag bekommen. Dies war nie und nimmer sein Verstand. Er blieb stehen, blickte nach links, dann nach rechts. Dann drehte er sich langsam um, erwartete, dass dieser jemand, der ihn gerade so angeschrieen hatte, direkt hinter ihm stand.
 
         Aber da war natürlich niemand. Nur die bereist weihnachtlich geschmückten und hell und fröhlich beleuchteten Schaufenster der vielen kleinen Läden. Und die roten Rücklichter eines Wagens, der am Ende der Straße eben nach links abbog.
 
         Ich bin hier, Jackie-Boy, warum siehst du mich denn nicht an, wenn ich mit dir spreche.
 
         Sanfter, und auch leiser, jetzt wo ihr die vollkommen Aufmerksamkeit von Jack Driscoll zuteil geworden war.
 
         Und dann tat Driscoll den ersten Schritt in die Richtung, die sein Schicksal besiegeln sollte.
 
         “Wo” fragte er so leise, dass es höchstens die dichter werdenden Schneeflocken vor seinem Gesicht hören konnten.
 

 

 

 
         Es war bereits zehn Minuten nach acht, als Jack Driscoll an demselben Abend das hüfthohe Gartentor hinter sich schloss und die wenigen Stufen zum Eingang seines kleinen Häuschens nach oben stieg. Wie gut, dass er immer penibel darauf achtete, frisch gefallenen Schnee sofort wegzuschaufeln, denn sollen diese Stufen wirklich einmal vereisen, konnten sie trotz ihrer geringen Höhe sehr schnell zu gemeinen Fallen werden, dass wusste er (hatte es selbst schon schmerzlich am eigenen Leib erfahren können).
 
         Warmes Licht fiel durch das Küchenfenster nach draußen und zeichnete vier symmetrische Quadrate auf den noch jungfräulichen Schnee neben den Stufen. Er konnte Sarah sehen, vielmehr sah er ihren Schatten, der sich gerade über das Spülbecken beugte. Und er nahm den Duft wahr, der ihn sofort an Sarahs Nudelauflauf denken und ihm das Wasser Munde zusammen rinnen lies.
 
         Der Weihnachtsmann konnte einfach nicht recht gehabt haben. Diese Frau liebte ihn, sie würde ihn nie betrügen….
 
         Und verdammt noch mal, er war sechsunddreißig Jahre alt, warum, zum Teufel glaubte er an den Weihnachtsmann. An einen Weihnachtsmann, der in Joeys Süßwarenladen stand, kaum fünfundzwanzig Zentimeter groß war, durch und durch aus farbigem Plastik bestand.
 
         Aber er hatte mit ihm gesprochen.
 
         Sie hatten sich sogar UNTERHALTEN.
 
         In diesem Moment hatte Jack Driscoll zwei Theorien.
 
         Die erste war: Er war einfach derartig gestresst und übermüdet und urlaubsreif, dass er eine simple kleine Halluzination gehabt hatte.
 
         Die zweite ließ ihn unvermittelt an Mrs. Rosen denken, eine Nachbarin, als er noch ein Kind war und mit seinen Eltern in Maine gewohnt hatte. Sie steht jeden Abend im Keller und wartet auf die U-Bahn, hatte Mr. Rosen seinem Vater einmal im Flüsterton verraten, als sie der Meinung waren, der elfjährige Jackie-Boy (nur sein Vater nannte ihn so, und auch das nur wenn sie allein waren) würde viel zu sehr mit seinem neuen Fahrrad beschäftigt sein, um ihrem Gespräch zu lauschen. Es waren keine drei Wochen vergangen, bis die Männer in den weißen Kitteln kamen und die arme Mrs. Rosen endlich von ihrem hoffnungsvollen, aber doch ergebnislosen Warten erlöst hatten.
 
         Auch wenn Driscoll schon seit Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen war, betete er in diesem Moment zu Gott, dass seine erste Theorie die richtige war.
 

 

 
         Driscoll trat durch die Tür in das warme Licht, dass die Küche erfüllte. Sein Geruchssinn hatte ihn nicht getäuscht, im beleuchteten Backrohr konnte er seinen geliebten Auflauf sehen, eine Spezialität aus Nudeln, Käse und Fleisch, die nur seine Sarah so zaubern konnte, dass es wirklich schmeckte. Und es hatte den Anschein, als würde er auch bald fertig sein.
 
         Sarah, die gerade dabei war, den Salat zuzubereiten, drehte sich um und warf ihm ein Lächeln zu. “Hallo, Jack. Gut, dass du da bist, das Essen müsste jeden Moment fertig sein.” Und wieder einmal war Jack Driscoll fast sprachlos von der Schönheit seiner Frau, glaubte, sein Glück kaum fassen zu können. Wusste wieder, woher die Energie kam, sich Tag für Tag durch den Stress der Arbeit zu kämpfen. Es war eine wundervolle, natürliche Schönheit, die kein Make-up und keine stundenlangen Sitzungen im Schönheitssalon oder beim Friseur (davon abgesehen, dass sie es sich bei seinem kargen Gehalt sowieso nicht hätten leisten können) bedurfte. Eine Schönheit, die auch jetzt in der alten, karierten Arbeitsschürze und mit der Spur von Soße auf ihrer Wange ungetrübt strahlte. Die wundervoll geschwungenen Linien ihrer Gesichtszüge, ihre strahlenden großen blauen Augen, die vollen, leidenschaftlichen Lippen, umstrahlt von der flammenden Corona ihrer blonden Haare, die sie wie einen Engel aussehen ließen. Und auch wenn ihr Körper an der einen oder anderen Stelle bereits ein paar Pfunde zuviel hatte, konnte ihr Anblick doch noch immer jederzeit einem Mann die Sprache verschlagen. Oder noch viel mehr.
 
         Driscoll durchquerte die Küche mit einem Lächeln auf den Lippen, legte seiner Frau, die sich wieder dem Salat zugewandt hatte, einen Arm um die Taille und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf den Hals. “Du bist die beste Ehefrau der Welt”, sagte er in sanftem Ton, und der Ärger des ganzen Tages schien wie weggeblasen. “Etwas Besseres kann einem Mann nicht passieren.”
 
         Driscoll spürte, wie der Weihnachtsmann versuchte, sich in sein Gehirn zu drängen, um ihn wieder mit seinem Stachel des Zweifels zu quälen, ihm eine weitere Litanei böser Gedanken vorzusingen, sein verschwörerische Gespräch von vorhin fortzusetzen, aber diesmal hatte Driscoll keine Schwierigkeiten, ihn zu verdrängen. Seine Liebe in diesem Moment war so groß, dass sie seinen Verstand einte.
 

 

 

 
         Wenn jemand den Mann mit den blonden Haaren und der tief in die Stirn gezogenen Mütze vor dem Süßwarenladen stehen gesehen hätte - und bestimmt hatte das auch irgend jemand an diesem Abend getan - wäre er sicher davon überzeugt gewesen, dieser Mann würde lediglich auf jemanden warten und sich dabei eine Zigarette gönnen. Gut, seine Gesichtszüge wirkten angespannt, aber das lag sicherlich an dem eisigen Wind, der in der letzten halben Stunde merklich aufgefrischt hatte, und sich in der Nacht vermutlich noch zu einem richtigen Sturm entwickeln würde, und es lag an den winzigen Eiskristallen, die er mit sich trug und damit das ungeschützte Gesicht des Mannes bombardierte. Und manchmal bewegte er auch die Lippen, aber man hätte schon sehr nahe stehen müssen, um es zu bemerken, und selbst dann wäre die Versuchung groß gewesen, es einfach als eine weitere Folge der eisigen Kälte abzutun, welche die Lippen des Mannes zittern lies. Und auch der gehetzte Blick in den Augen, der vielleicht Schuldigkeit, Angst und Verzweiflung in einem ausdrückte, wäre wohl niemandem wirklich aufgefallen, da die winterliche Dunkelheit die kleine Stadt schon lange in Besitz genommen hatte.
 
         Aber wir wissen, dass Jack Driscoll auf niemanden wartete, als er vor dem Süßwarenladen stand. Und auch als er den kleinen Stummel der Zigarette nach einem letzten müden Aufglühen in einen sich hüfthoch neben ihm auftürmenden Schneehaufen geschnippt hatte, ging er nicht weg.
 

 

 
         Du hattest unrecht. Sarah KANN mich nicht betrügen. Sie liebt mich.
 
         Ach Jackie-Boy… ich dachte, wir hätten diese Diskussion lange genug geführt…. ich dachte, wir wären weiter….
 
         Nein. Wir sind nicht weiter. Und wir werden auch nicht weiter kommen, da du mich belügst.
 
         Oh ja… und für alles gibt es rationale Erklärung, alles ist genau so, wie es auch scheint, nicht wahr? (Nach einer Pause) Und genau deshalb stehst du auch hier in der Kälte und sprichst mit dem Weihnachtsmann. Wirklich sehr rational, Jack.
 
         Du bist nicht wirklich, ich bin überarbeitet, und viel zu müde, um den Stress noch allzu lange zu ertragen. Und deshalb spinne ich vielleicht ein bisschen, das ist alles, aber du bist nicht real. Du bist meine Einbildung.
 
         Wenn ich ein Teil von dir wäre, Jackie-Boy, was hätte ich dann davon, dir das Leben noch schwerer zu machen, als es schon ist?
 
         Hmm…
 
         Siehst du… genau so ist es. Die Antwort lautet: Nichts. Jack, jetzt mal im ernst, ich kann dir nur immer wieder sagen, das ich es gut mit dir meine. Ich bin dein Freund. Vielleicht dein EINZIGER Freund. Ist Weihnachten denn nicht die Zeit, zu der man erkennt, wer seine wirklichen Freunde sind? Und ich will dir helfen?
 
         Helfen wobei? Zahlst du vielleicht meine Schulden auf der Bank? Oder schaffst du mir meinen ach so lieben Kollegen  Bill Meyers vom Hals?
 
         (Hier zögerte der Weihnachtsmann kurz mit seiner Antwort, so als würde er dies tatsächlich kurz in Erwägung ziehen)
 
         Nein, Jackie-Boy. Diese Probleme wirst du wohl weiterhin selbst lösen müssen. Aber ich werde dir helfen, helfen, deine kleine SCHLAMPE zum Teufel zu jagen. Du bist mein Freund Jack. Das bist du doch oder? (Und ohne eine Antwort abzuwarten) Natürlich bist du das. Und ich kann einfach nicht zulassen, dass einem Freund so schlimme Dinge angetan werden.
 
         Sie ist keine Schlampe. Und sie liebt mich.
 
         Stur und trotzig wie ein kleines Kind.
 
         Ich gehe jetzt. Diese Unterhaltung führt doch zu nichts. Außer dass ich mir zu all meinen Problemen auch noch eine Gratis-Erkältung einfange.
 
         Wie du meinst, Jackie-Boy. Ich kann dich natürlich nicht aufhalten. Aber ich gebe dir noch einen kleinen Tipp mit auf den Weg. Beobachte die kleine SCHLAMPE mal, wenn du wieder mit ihr schläfst…
 
         (Und obwohl Driscoll in diesem Moment liebend gern gefragt hätte, wie zum Teufel der Weihnachtsmann nun das wieder meinte, ging er weiter und drehte sich nicht noch einmal um)
 
         Und eins noch, Jackie-Boy. Du könntest deinen Freund doch wirklich mal aus dieser verdammten SCHEISS--Geschäftsauslage befreien….
 

 

 
         An diesem Abend war es noch weit vor Mitternacht (was wirklich SEHR selten vorkam), als Driscoll den Computer abdrehte und nach oben ging. Es hatte versucht, noch ein wenig Arbeit zu erledigen, aber er war nicht sehr weit gekommen. Die Buchstaben waren immer wieder vor seinen Augen verschwommen, zwischendurch hatten seine Augen sogar zu tränen begonnen, und er musste sie mit einem Taschentuch trocknen. Seine Konzentrationsfähigkeit war sowieso auf ihrem Dauernullpunkt, und ihm war klar, dass zwei, drei Stunde mehr an Schlaf ihm wesentlich mehr nutzen würden, als sich noch weiter mit den Kalkulationen zu quälen.
 
         Im Schlafzimmer war es bereits dunkel, aber die Tür zum Bad stand noch offen, und durch einen schmalen fiel Licht nach draußen. Er ging einen Schritt auf die Tür zu, und da er nur dünne Hausslipper trug, dämpfte der weiche Teppich jegliche Geräusche. Durch den veränderten Winkel konnte er Sarah sehen. Sie saß auf dem Rand der Badewanne und hatte das rote Nachthemd an, das an sich schon sündhaft kurz war. Jetzt hatte sie es über die Hüften hoch geschoben, ihre Schenkel waren gespreizt, und ihre flache Hand hatte den Platz eingenommen, an dem eigentlich der dazu passende rote Slip hätte sein sollen. Diesen konnte Jack vor ihr auf dem Badezimmerboden liegen sehen. Ihre rechte Hand beschrieb kleine, kreisende Bewegungen, die zwischendurch immer wieder ihr engelsblondes Schamhaar sehen ließen, während sie mit der anderen fest ihre linke Brust umschlossen hielt.
 
         Driscoll hätten nicht sagen können, was genau es jetzt war, dass sein Glied in den Bruchteilen einer Sekunde steinhart werden ließ. Vielleicht die geschlossenen Augen, der leicht geöffnete Mund und die hemmungslose Nacktheit und Erregung seiner Frau. Vielleicht die unerwartete Freude darüber, dass sie noch nicht schlief und der heutige Abend noch einen viel erfreulicheren Abschluss finden würde, als er gedacht hatte. Vielleicht aber auch die Überraschung dieser heimlichen Beobachtung. Vermutlich aber spielten all diese Faktoren zusammen, um sämtliche schlechte Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben und sein Glied hart gegen seine Jeans drücken zu lassen.
 
         Er beobachtet Sarah noch eine Weile, kostete den Anblick aus. Zu sehen wie sie immer erregter wurde, wie sich ihr Atem kontinuierlich beschleunigte, während sie so gut wie möglich versuchte, leise zu sein. Wie sich ihr Becken gegen ihre Hand drücke und sie ihren Po rhythmisch anspannte. Driscoll merkte, wie seine Hand unbemerkt an die Vorderseite seiner Jeans gewandert war, um die Härte zu fühlen, die dort danach drängte, endlich befreit zu werden.
 
         Er hielt es nicht länger aus, wollte zu ihre. Er räusperte sich leise, wollte sie nicht erschrecken, um so vielleicht den Abend noch zu verderben.
 
         Sarah öffnete die Augen und sah in seine Richtung. Ein breites, geiles Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie langsam ihre Zunge über ihre Lippen gleiten ließ. Ihre Hände blieben dort, wo sie waren, und Driscoll ahnte jetzt, dass sie ihn schon längst bemerkt haben musste und trotzdem weitergemacht hatte.
 
         “Hallo, Baby. Fertig…. mit der Arbeit.” Leise, erregt, außer Atem.
 
         “Ja” Das Zittern in der Stimme stammte nicht von der Kälte draußen.
 
         “Dann komm zu mir”
 
         Und das tat Driscoll auch, drei Schritte brachten ihn zur Badzimmertür, die er hastig aufschob, ein weiterer war nötig, um dann direkt vor seiner Frau zu stehen.
 
         “Lass uns spielen” Sie sah mit ihren wunderschönen großen Augen zu ihm hinauf, während ihre Hände in traumwandlerischer Sicherheit, seine Jeans öffneten und nach unten zogen. Und als sich nur Augenblicke danach ihre vollen Lippen um sein drängendes Glied schlossen, glaubt er, im Himmel  zu sein.
 

 

 
         Jack Driscoll lag am Rücken, die Hände im Genick verschränkt und starrte in dem dunklen Raum an die Decke. Der Mond, so schmal seine Sichel im Moment auch war, hatte sich hinter einer dicken Wolkenschicht versteckt und erhellte das Land nur in seltenen kurzen Augenblicken mit seinem fahlen Schein. Er wusste nicht, wie lange er schon so da lag, irgendwie verlor er in der Dunkelheit der Nacht immer sehr schnell sein Gefühl für Zeit. Und um einen Blick auf den Radiowecker werfen zu können, hätte er aufstehen müssen. Er hatte ihn absichtlich so hingestellt, dass er die rot leuchtenden Digitalzahlen nicht sehen konnte, als er bemerkte, dass das Wissen um die Zeit ihn in den vielen halbdurchwachten Nächten der letzten Monate nur noch zusätzlich unter Stress versetzte.
 
         Sarah lag neben ihm im Bett, ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie hatten seitlich gelegen, als er sich am Ende ihres Liebesaktes mit einen lauten Seufzer in sie ergossen hatte, und genau in dieser Stellung war sie dann auch liegen geblieben. Jack war noch kurz ins Bad gegangen, um seine Blase zu erleichtern, und als er zurückkam, hatte Sarah bereits geschlafen, ohne ihre Stellung verändert zu haben. Ein zarter Kuss auf die Wange, ein leise gehauchtes “Ich liebe Dich”, dann hatte er ihr die Decke über den nackten Körper gezogen und versucht, auch selbst Schlaf zu finden.
 
         Als dies nach längerer Zeit noch immer nicht gelingen wollte, verwunderte es ihn auch nicht, als der Weihnachtsmann zu Besuch kam. Oder  vielmehr die Erinnerung an seine Worte, denn wenn er hier zu Hause war, klang die Stimme des kleinen roten Quälgeistes - das hatte er am Vorabend schon feststellen müssen - bei weitem nicht so intensiv und eindringlich, nicht so, als ob er eine eigene Person wäre, wie das vor dem Süßwarenladen der Fall war. Aber auf eine gewisse Weise war es in diesen Momenten auch umso erschreckender, da sie dann viel mehr mit seiner eigenen bekannten Gedankenwelt verschmolz.
 
         Es solle sie dabei beobachten, wenn sie sich liebten, und jetzt, wo Driscoll darüber nachdachte, vermeinte er, auch genau das getan zu haben. Unbewusst, sicherlich, und auch immer wieder von seinem eigenen sexuellen Trieb und ihrer leidenschaftlichen Hingabe durchbrochen. Aber er hatte es getan.
 
         Und so paranoid es ihm auch erschien, die Zweifel, die der Weihnachtsmann in seinem Verstand gesät hatte, schienen nun ihre ersten Früchte zu tragen. War es Einbildung, dass sie ihn nie wirklich richtig in die Augen gesehen hatte? Den tiefen verführerischen Blick, als sie deine Hose aufgeknöpft hat, warf der Driscoll-Teil seines Verstandes ein. Ja, aber das war dann auch schon das einzige Mal, und es war nicht Liebe, sondern nur ihre pure Geilheit, die sie das tun lies, widersprach augenblicklich der Weihnachtsmann-Teil ohne eine gewisse Schadenfreude wirklich verbergen zu können.
 
         Driscoll ließ ihren Liebesakt vor seinem inneren Auge ein zweites Mal Revue passieren, allerdings ohne die übliche Erregung zu verspüren, die er sonst bei solchen Gedanken empfand. Er hatte sie auf die weiche Badematte ziehen wollen, aber sie hatte ihn in das dunkle Schlafzimmer gezogen. Und sie hatte sich vor ihm auf das Bett gekniet, während er sich seiner restlichen Kleider entledigt hatte, ihm war also gar nicht viel anderes übrig geblieben, als sie von hinten zu nehmen. Aber das er ihr dabei nicht in die Augen sehen konnte, war doch noch nie ein Problem für ihn - oder irgendeinen anderen Mann in diesem weiten Universum – dargestellt, oder? Er glaubte, in seiner heißen Erregung irgendwann auch geflüstert zu haben, dass sie sich auf den Rücken legen sollte. Aber sie hatte es nicht getan, stattdessen hatte sie sich auf die Seite gelegt, und er war bereitwillig auf die Stellung eingegangen, in der sie dann auch beide gekommen waren.
 
         Also gut, zugegeben, offensichtlich hatte Sarah in letzter Zeit eine gewisse Vorliebe für derartige Stellungen, aber daraus ein Problem zu machen grenzte dann doch an Paranoia, oder? Und außerdem, er wusste, wie es sich anfühlte, wenn sie kam.
 
         Das mag sein, aber wer sagt denn, dass sie dabei an DICH gedacht hat? Jackie-Boy hasste diese knallharte Direktheit des Weihnachtsmann-Teils seines Verstandes. Vor allem wenn es um Aussagen ging, die sich so überhaupt nicht widerlegen ließen.
 
         Und wann hat sie dir das letzte Mal gesagt, dass sie dich liebt?
 
         Ein weiterer Treffer ganz tief unter der Gürtellinie, denn Driscoll musste zugeben, dass er auch darauf keine Antwort wusste.
 
         Genug jetzt, schrie er seinen Verstand an, das ist absurd. Paranoid. Ich will schlafen.
 
         Aber der Schlaf ließ noch lange auf sich warten, und als er ihn schließlich doch übermannte, war  nicht Sarah, sondern das grinsende Gesicht des Plastik-Weihnachtsmannes das letzte, was er sah.
 

 
        
 
         Als Jack Driscoll am nächsten Tag von seiner Mittagspause in sein kleines Büro zurückkam, stand Bill Meyers vor dem Fenster und betrachtete den verschneiten kleinen Park, der sich hinter dem Firmengebäude sanft zum Fluss, der bereits seit Wochen von eine dicken, schneebedeckten Eisschicht zugedeckt wurde, hin abfallend erstreckte.
 
         “Jack.”
 
         “Hallo Bill” Er stellte die kleine Tasche neben den Schreibtisch und hängte die kalte Winterjacke an einen Hacken gleich neben der Tür. Er konnte beides erledigen, ohne sich allzu viel bewegen zu müssen. Sein Büro war wirklich nur so groß wie ein Schuhkarton. Dann ließ er sich mit einem übertrieben müden Seufzen auf seine Sessel hinter dem Schreibtisch fallen. “Was kann ich für dich tun?”
 
         Bill wandte sich vom Fenster ab und nahm mit einem breiten, einnehmenden Lächeln auf dem Stuhl vor Jacks Schreibtisch Platz. Mit den langen, dunklen Haaren, die ihm kaum gebändigt tief in die Stirn fielen, den markanten Gesichtszügen und den dunkelbraunen Augen sah Bill Meyers wirklich verdammt gut aus, das musste Driscoll bei all der Abneigung, die er gegen seinen Arbeitskollegen empfand, eingestehen. Kein Wunder, dass sämtliche Sekretärinnen und Kolleginnen für ihn schwärmten und sich auf der Damentoilette gegenseitig erzählten was sie am liebsten mit ihm machen würden, wenn sie ihn einmal in die Finger kriegen würden. Und obwohl Meyers ganze sechs Jahre jünger war als Driscoll, hatte er bereits wesentlich weiter gebracht. Er war ein Karriere- und Siegertyp wie er im Bilderbuch steht, und Driscoll wusste sehr wohl, dass ein guter Teil seiner Abneigung gegen Meyers von Eifersucht auf den Erfolg seinen Jüngeren Kollegen herrührte.
 
         “Danson hat gemeint, ich soll mal kurz bei dir vorbeikommen und dich fragen, wie weit du mit den Raleigh-Unterlagen bist. Du weißt ja, wie beschäftigt er ist.” Natürlich, Driscoll hätte es sich doch gleich denken können. Der Lieblingsschosshund des Abteilungsleiters auf Spitzeltour.
 
         “Ich bin fast durch. Nächsten Mittwoch sollte alles fertig sein.”
 
         Meyers sah ihn fast ein wenig mitleidig an. “Mhm. Obwohl “, er zögerte kurz, so als müsste er nach den richtigen Worten suchen, “es wäre besser, wenn du es vielleicht bis Dienstag schaffen kannst.”
 
         “Hat Danson das gesagt?” Driscoll war auf hundertachtzig, aber er würde es sich Meyers gegenüber niemals anmerken lassen.
 
         “Nicht direkt. Du kennst ihn ja.” Das tat Jack sehr gut. Nicht umsonst war Meyers innerhalb kürzester Zeit sein Lieblingsschleimer geworden. “Er geht solche Dinge nie direkt an, aber er hat schon einige Male fallen gelassen, wie wichtig die gesamte Raleigh-Sache für die Firma ist. Und deine Kalkulationen sind ein wichtiger Teil davon…”
 
         “Ich werde sehen, was ich tun kann.”
 
         Eine Sonntagsschicht, das war genau das, worauf es hinauslaufen würde. Er würde - wieder einmal - den gesamten Sonntag-Nachmittag hier in seiner Sardinenbüchse sitzen müssen, um bis Dienstag fertig zu werden. Und er wusste, dass so gut wie keine Chance bestand, die Stunden als Überstunden angerechnet zu bekommen.
 
         Meyers stand auf, nachdem er seine Hiobsbotschaft überbracht hatte. Schleimig und zufrieden. “Ich lass dich dann mal besser weiterarbeiten.” Er schenkte ihm ein Lächeln, das vermutlich aufheiternd hätte sein sollen, in Wirklichkeit aber seine Schadenfreude kein bisschen verdecken konnte.
 
         Aber bevor Driscoll wirklich ausrasten konnte, war Meyers bereits aus dem kleinen Büro geschlüpft und hatte die Tür hinter sich ins Schloss gezogen.
 
         Gut für ihn.
 
         Jack konnte noch hören, wie Meyers´ lockere Schritte am Gang draußen langsam leiser wurden. Dann blieb er stehen und begann, leise zu sprechen. Vermutlich unterhielt er sich mit Maggie, einer der beiden Sekretärinnen von Danson, seinem Boss, und Driscoll war überzeugt davon, dass auch sie sofort ihre ständig durch lange Röcke verdeckten Beine für ihn breitgemacht hätte.
 
         Lass mich raus Jackie-Boy. Leise, freundlich, aber bestimmt und fordernd, die Art, wie der Weihnachtsmann nun einmal am liebsten zu seinem bevorzugten Schützling sprach.
 
         Und da Jack Driscoll auf jeden Fall ein braver Junge sein wollte, bückte er sich nach der Tasche, die er von seinem Mittagsausflug mitgebracht hatte. Darin befand sich neben einem ziemlich großen, weichen, sehr professionell in Geschenkspapier mit Christbäumen eingewickeltem Paket (natürlich war es der Mantel, er würde höllisch aufpassen müssen, wenn er heute nach Hause kam, um Sarah damit nicht direkt in die Arme zu laufen) der Weihnachtsmann. Und dort wollte er natürlich nicht bleiben, neben dem verhassten Geschenk für die verhasste SCHLAMPE.
 
         Also tat Driscoll ihm den Gefallen und stellte seine gerade mal fünfundzwanzig Zentimeter hohe körperliche Manifestation aus Hartplastik vor sich auf den Schreibtisch. Was soll´s, dachte er, die Wahrscheinlichkeit, heute noch einmal Besuch in seinem Schubladenbüro zu bekommen, war gleich null.
 
         „Mach´s dir recht gemütlich, mein Freund“ sagte Driscoll heiter und vergnügt. Er hatte den Mantel gekauft, er dachte an Sarahs strahlende Augen, wenn sie ihn am Weihnachtsabend auspacken würde, und in diesem Moment hätte auch kein noch so bösartiger oder sarkastischer oder anklagender Satz des Weihnachtsmannes etwas daran ändern können. Selbst Meyers und die bevorstehende Sonntagarbeit waren verflogen, sein Gemüt war eine einziger, sonnenbestrahlter, palmenumrandeter Südseestrand.
 
         Und auch der Weihnachtsmann schien dass zu merken, denn für den Rest des Nachmittages verhielt er sich still.
 

 

 
         Nicht so auf dem Weg nach Hause. Driscoll hatte sich dazu entschlossen, den Mantel bis kurz vor dem Fest im Büro zu lassen. Er kannte sein Glück. Sarah würde ihn hundertprozentig finden, wenn nicht gleich heute oder morgen, aber sicher dann im Laufe der Weihnachtsvorbereitungen. Diese Tatsache bescherte dem Weihnachtsmann einen exklusiven Logenplatz in der Einkaufstasche, und so als ob der magische Bann des Mantels durch sein Zurücklassen gebrochen worden wäre, begann er wie eine verbitterte alte Ente zu quaken.
 
         Hauptsächlich wollte er Erklärungen.
 
         Eine Erklärung, warum er den Mantel für die SCHLAMPE gekauft hatte.
 
         Eine Erklärung, warum er diesem Arsch nicht zu Brei geschlagen habe, der ihm in seinem eigenen Büro blöd gekommen war.
 
         Eine Erklärung, warum er nicht die SCHLAMPE zu Brei schlug, wo sie es doch so sehr verdiente.
 
         Und obwohl es Driscoll anfangs noch recht gut gelang, den kleinen roten Quälgeist aus seinem Kopf halbwegs fern zu halten – in der Tat dachte er einmal sogar kurz, als der Weg ihn am Fluss entlangführe, daran, was wohl passieren würde, wenn er die Tasche mitsamt ihrem unglücksseligen Inhalt einfach in weitem Bogen über die Böschung und mit viel Glück sogar in den schmalen Streifen offenen Wassers werfen würde, obwohl er sich sehr gut vorstellen konnte, dass der Weihnachtsmann wohl sehr schnell wieder einen Weg zu ihm zurück finden würde – schien das Glücksgefühl, dass ihn fast den gesamten Nachmittag und frühen Abend hindurch mit einem wohligen Grinsen hatte arbeiten lassen, mit jedem Meter, den er sich weiter vom Büro entfernte, nachzulassen und den gewohnten grauen Wolken Platz zu machen.
 
         Der rote Kerl machte sich in seinem Kopf breit, in großen Wellen schien seine Macht aus der Tasche direkt in seinen Kopf zu diffundieren, und auch wenn Driscoll der Meinung war, dass es nichts daran geändert hatte, wenn er dem Lockruf (Kauf mich, Jackie-Boy, KAUF MICH! Ich will bei DIR sein) noch länger hätte ignorieren können, schien sich der Vorgang durch diese physische Nähe noch deutlich zu verstärken.
 
         Und so führten sie wieder die alte Diskussion, Schlampe oder nicht, Betrügen oder nicht, Liebe oder nicht, und Driscoll stellte fest, das er langsam begann, dem Weihnachtsmann zu GLAUBEN.
 

 

 
         Die Nacht, die darauf folgte, verbrachte der Weihnachtsmann in Driscolls Arbeitszimmer im Keller. Natürlich hatte er darauf bestanden, mit ins Schlafzimmer genommen zu werden (Ich will sehen, wie du die SCHLAMPE fickst) aber er hatte es nicht geschafft, Driscoll von diesem voyeuristischen Wunsch (und für nichts anderes hielt es Jack, zumindest zu diesem Zeitpunkt) zu überzeugen.
 
         Es wäre allerdings nicht notwendig gewesen, denn an diesem Abend sollte Driscoll ohnehin keinen Erfolg mit seinem Werben nach sexueller Nähe haben. Sarah war den ganzen Abend über schon reichlich mürrisch gewesen, und als er dann versuchte, unter der Decke seine Hand in die Nähe einer ihrer Brüste wandern zu lassen, drehte sie sich mit einem mürrischen Knurren auf die andere Seite. Weg von ihm, und damit betrachtete sie die Angelegenheit als erledigt.
 

 

 
         Von dieser Nacht an wohnte der Weihnachtsmann im Haus der Driscolls. Er hatte nicht darauf bestanden, wieder ins Büro mitgenommen zu werden, und obwohl er es nicht explizit erwähnte, schien der Mantel – als Symbol für Jacks etwas angeknackste aber noch lange nicht gebrochene Liebe? – ihn wirklich zu stören (nicht nur einmal hatte er darauf bestanden, den SCHEISS-MANTEL für die SCHLAMPE doch einfach in den nächsten Mülleimer zu werfen), aber in dieser Angelegenheit biss er bei Jack auf pures Granit. Zu schwer musste er für das Geld schuften.
 
         Sarah schenkte der Weihnachtsmann-Puppe so gut wie überhaupt keine Aufmerksamkeit. Tatsächlich schien sie sie sogar nicht einmal richtig WAHRZUNEHMEN. Das erste Mal sah sie ihn, als sie ihm sein Abendessen – mehrere Schinkenbrote mit Gurken und Mozarella – in den Keller herunterbrachte. Das heißt, sie hätte ihn sehen müssen, aber falls sie das wirklich tat, würdigte sie ihn weder eines Blickes noch eines Wortes. Na gut, warum auch? Schließlich handelte es sich ja nur um eine Spielzeugfigur mit roter Mütze, aufgemalten, kugelrunden blauen Augen und einem weißen Bart, der im bis in den Schritt reichte. Und voll gezeichneten Lippen, die er in Wirklichkeit aber noch nie bewegt hatte.
 
         Das nächste Mal hatte er ihn mit nach oben in die Küche genommen und auf die Anrichte neben das Obst gestellt. Dort hatte sie ihn einfach sehen MÜSSEN. Aber auch diesmal – wenn sie ihn bemerkt hatte, behielt sie das stillschweigend für sich. Ein weiteres Experiment folgte, Driscoll stellt ihn neben sich auf den Tisch, während sie zu Abend aßen. Dasselbe Ergebnis. Nicht die geringste Reaktion. Nicht einmal ein richtiger Blick.
 
         „Kann sie dich sehen?“
 
         Natürlich SIEHT sie mich. Ich bin real, Jackie-Boy. Nicht nur eine Einbildung, kein Gespenst, keine Fata Morgana. Nur… es interessiert die SCHLAMPE nicht. Genau so wenig, wie sie sich für dich interessiert…
 
         Und diesmal schaffte es der Weihnachtsmann zum ersten Mal, das sich seine Worte wie die Dornen einer Rose in Driscolls Herz bohrten.
 

 

 

 
         „Ich glaube, Jack ahnt etwas.“
 
         Sie spürte, wie seine Lippen kurz innehielten, dann aber wieder ihren Weg entlang ihres Halses fortsetzten.   
 
         „Ich weiß nicht…es ist die Art, wie er mich in letzter Zeit ansieht.“
 
         Ein resignierendes Ausatmen, weiter unten, am Ansatz ihrer Brüste.
 
         „Du siehst Gespenster, Süße.“ Ein zarter Kuss. Kurz aber fordernd. „Du weißt, dass er dich abgöttisch liebt.“
 
         „Ja.“
 
         Seine Lippen umschlossen ihre linke Brustwarze, ließen sie steinhart werden. Und als sie seine Zunge spürte, breitete sich das wohlig warm erregende Gefühl bis in ihrem Schoss aus, dass sie so bald alle Probleme vergessen lassen würde.
 
         „Und er arbeitet zuviel, das überfordert ihn.“
 
         „Ich weiß nicht.“ Sein Mund, der immer weiter nach unten wanderte. Seine zarten Lippen auf ihrer heißen Haut. Ihre Gedanken begannen bereits in Erregung zu verschwimmen. „Irgendetwas ist da noch….ich weiß nur nicht was…“
 
         Er antwortete nicht, stattdessen konnte sie spüren, wie er ihre Schenkel auseinander drückte, fordernd und unnachgiebig.
 
         „Wir müssen vorsichtig sein“ Ihre Stimme war nicht mehr viel mehr als ein leiser Hauch, der in ihrem heftigen Atem unterging.       
 
         „Das sind wir doch immer, Süße.“ Und als seine Zunge wenige Augenblicke später endlich ihr Ziel fand, hatte sie bereits vollkommen vergessen, worüber sie sich überhaupt Sorgen gemacht hatte.
 

 

 

 
         Die enge Beziehung zwischen Driscoll und dem Weihnachtsmann schweißte die beiden in den darauf folgenden Tagen immer fester zusammen. Sie betrügt dich, war für Jack zwar nach wie vor ein theoretisches Konzept, für das es keinerlei Beweise gab, aber der Samen des Zweifels war zu einer ordentlichen jungen Pflanze geworden, mit starken Trieben und Knospen, die sich zu wunderbaren Blüten entwickeln würden. Bald.
 
         Und der Weihnachtsmann genoss es. Es machte ihm Freude zu beobachten, wie sein Werk allmählich Gestalt annahm. Driscoll war sein Freund und sein Meisterwerk. Er wollte keinen Fehler machen, aber was er bis jetzt sah, gefiel ihm vorzüglich. Auch wenn es länger dauerte, als er anfangs gedacht hatte, aber die SCHLAMPE würde ihre Abreibung bekommen.
 

 

 

 
         Es war der fünfzehnte Dezember. Driscoll saß mit vor das Gesicht geschlagenen Händen hinter seinem Schreibtisch. Es war fünfzehn Uhr, draußen hatte bereits eine Dämmerung eingesetzt, die sich über eine Stunde hinziehen und dann in eine wolkenverhangene Dunkelheit übergehen würde. Sein Kopf war kurz davor, wie eine zu Boden fallende Tasse in hunderttausend Teile zu zerspringen, obwohl es sich bereits unzählige Aspirin eingeworfen hatte und nur sein bereits zehnter? Kaffee ihn daran hinderte, nach vorne auf die Tischplatte zu fallen und einzuschlafen. Er war am Ende, auch wenn Danson ihn gelobt hatte – mit dem schiefen Lächeln hatte es dennoch wie eine Verarschung geklungen –, und er wusste, dass er mittlerweile tagtäglich am Rande des Abgrundes dahinmarschierte. Der endgültige Zusammenbruch schlich um das kleine Häuschen seines Körpers und rüttelte wie wild mit seinen Stahlklauen daran.
 
         Und so wie es aussah, würde er in seiner Agonie heute noch zumindest fünf bis sechs weitere Stunden im Büro verbringen müssen.
 
         Verdammt, Jackie-Boy. Wir müssen etwas tun. Die SCHLAMPE tötet dich.
 
         Der Weihnachtsmann war da, obwohl Driscoll sich nicht daran erinnern konnte, ihn mitgenommen zu haben. Saß direkt vor ihm auf dem Schreibtisch und sah ihn mit seinen großen, kugelrunden, ausdruckslosen Augen an.
 
         Ich kann nicht.
 
         Du musst.
 
         Ich KANN nicht.
 
         Du MUSST es tun.
 
         Und dann verriet der Weihnachtsmann ihm seinen sehr einfachen Plan.
 

 

 

 
         Der Wagen gehörte nicht ihm, er hatte ihn sich von seinem Freund – nun ja, von seinem Bekannten, denn Freund hatte er nur einen wirklich WAHREN – ausgeliehen. Schon vor zwei Tagen, er wollte ja keinen Verdacht erregen (Du musst sehr vorsichtig sein!) Aber Benny Carver war nun mal Gebrauchtwagenhändler, und somit auf ganzer Linie darauf bedacht, potentielle zukünftige Kunden bei Laune zu halten. Und so hatte er Driscoll auch keine Fragen gestellt. „Bring das Baby heil zurück, dann passt das schon.“ Und schon waren die Schlüssel in seinen Besitz übergegangen.
 
         Der Tag war nicht ganz so kalt wie die letzte Woche, aber die Welt war eine einzige fade graue Suppe, in der hier und da ein paar dunkle Schatten und noch viel weniger bunte Lichter schwebten.
 
         Sarahs Wagen – ja, sie besaß im Gegensatz zu ihm einen Wagen auch wenn es nur ein alter Honda Civic war, der bei jeder Fahrt vermutlich Todesängste ausstand, das es die letzte vor der endgültigen ewigen Ruhe auf dem Schrottplatz war – hatte vor dem Motel gehalten. Driscoll vermeinte das Motel entfernt zu kennen, sie waren von Glenn Mills etwas zwanzig Meilen nach Süden gefahren, und dank der getönten Scheiben und des schlechten Wetters brauchte er sich keine Sorgen zu machen, dass sie ihn vielleicht entdecken würde.
 
         Schließlich ging sie ja auch davon aus, dass er im Büro sitzen würde. Wie auch jeder andere, der nicht gerade zufällig IN sein Büro kam.
 
         Halt an. Die SCHLAMPE steigt aus.
 
         Der Weihnachtsmann lag quer über den Beifahrersitz, er hätte eigentlich überhaupt nichts sehen können, aber mit solchen nebensächlichen Kleinigkeiten hielt sich Driscoll in diesem Moment nicht auf.
 
         An diesem Tag waren gleich mehrer Welten für ihn zusammen gebrochen. Was machte es da schon, wenn der Kleine Rote mehr sah, als physikalisch eigentlich möglich war. Vor allem, wenn man davon absah, dass er nicht einmal richtige Augen besaß…
 
         „Das seh´ ich“ Kaum hörbar zwischen den aufeinander gepressten Lippen, die nicht viel mehr als ein Strich waren. Driscoll ließ den Wagen an den Straßenrand rollen und hielt dort, so dass er den Parkplatz vor dem Motel gut einsehen konnte. Vor ihm stand ein großer Kastenwagen, er würde also nicht auffallen.
 
         Er wusste nicht, was er denken sollte. Sarah hatte ihm beim Frühstück verraten, dass sie den ganzen Tag über mit Hausarbeit beschäftigt sein würde. Oh wie sehr anstrengend diese Weihnachtsputzerei doch jedes Jahr war.
 
         Er hatte nicht daran gezweifelt.
 
         Sie hatte ihm das Frühstück serviert, Toast und Ei, und hatte ihm verraten, wie sehr sie sich schon auf Weihnachten freue.
 
         Er hatte nicht daran gezweifelt.
 
         Zum Abschied hatte sie ihn umarmt und zärtlich geküsst. Ich liebe dich.
 
         Er hatte nicht daran gezweifelt. Nicht wirklich.
 
         Und jetzt stand er hier, vor einem Motel und beobachtete, wie seine Frau (seine geliebte Frau, die SCHLAMPE) zielstrebig über den Parkplatz des Motels ging und hinter der vorletzten Tür verschwand, nachdem diese sehr kurz geöffnet worden war. Zwanglos. Abgesprochen. Geplant.
 
         Siehst du es jetzt, Jackie-Boy? Siehst du jetzt, wer deine wahren Freunde sind?
 
         Halts Maul.
 

 

 

 

 
         Jack Driscoll schlich an der Mauer des Motels entlang, er versuchte, so wenig Geräusche zu machen wie möglich, auch wenn dass nicht mehr nötig war. Ein Wind war aufgekommen und übertönte mit seinem Pfeifen alle Geräusche.
 
         Zwei Fenster waren dunkel. Hinter dem dritten hatte man den Vorhang vorgezogen, aber durch einen etwa zehn Zentimeter breiten Spalt viel warmes, buttergelbes Licht nach draußen. Wenn Jack Driscoll geglaubt hatte, dass dieser Tag nicht noch schlimmer werden könne, dann hatte er sich geirrt. Und als er in eben dieses warme Licht sah, ließ es seinen Verstand endgültig schmelzen.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
         Heilig Abend.
 
         Sarah lag auf dem zerwühlten Bett, in der Luft lag noch der Geruch der vergangenen Begierde, an der Innenseite ihrer Schenkel konnte sie fühlen, wie sein Saft allmählich zu einer harten Kruste wurde. Sie sollte duschen gehen, aber wie immer nach einem heißen Liebesakt fühlte sie sich so schläfrig, hatte es gerade einmal geschafft, das Laken halbherzig über ihren nackten Körper zu ziehen.
 
         Nicht, dass jemand sie hätte sehen können. Die Vorhänge waren zugezogen, und er sowieso schon sehr düstere Tag draußen würde bald in die spätnachmittägliche Dämmerung übergehen.
 
         Sie dachte an Jack.
 
         Und wie er jetzt gerade im Büro saß.
 
         Sie war nicht schlecht. Sie war nicht böse. Sie liebte ihren Mann. Als Menschen. Und tief in ihrem Herzen fühlte sie Schmerz, wenn sie sich mit Bill vergnügte.
 
         Sie liebte Jack, ja, aber Bill war da, wenn sie einen MANN brauchte. Jack tat alles für sie, schuftete sich vermutlich deswegen noch zu Tode. Aber bei Bill fühlte sie sich wieder wie ein Teenager, wie damals, als Franklin Turner ihr mit vierzehn Jahren auf dem Parkplatz hinter der Schule so plötzlich und so hart und so erregt seine Hand unter den Rock geschoben hatte, dass sie außer einem kurzen Oh nichts hatte herausbringen können.
 
         Es war Bill, an den sie dachte, wenn sie heiß wurde.
 
         Und sie wurde heiß, wenn sie an Bill dachte.
 
         Bill war nach unten gegangen. Jack würde frühestens in drei Stunden nach Hause kommen. Sie entschied, dass noch genügend Zeit blieb, um Bills hervorragende Qualitäten noch ein zweites Mal auszukosten, bevor sie das Bett machen und sich duschen würde, um dann später einen entspannten Weihnachtsabend mit ihrem Mann zu verbringen.
 

 

 

 
         Der Weihnachtsmann stand im Schatten eines Baumes und beobachtete das Haus der Driscolls.
 
         Siehst du. Wie ich es dir gesagt habe. Die verfickte SCHLAMPE betrügt dich nicht nur, sie treiben es sogar in DEINEM HAUS.
 
         Ein Grinsen formte sich unter dem langen weißen Bart des Weihnachtsmannes. Er hatte den Sack mit den Geschenken an einer Schnur über die Schulter gehängt. Nur ein spezielles Geschenk hatte er gleich in der Hand behalten.
 
         Die großen schwarzen Stiefel knirschten im frischen Schnee der letzten Tage, als der Weihnachtsmann mit großen Schritten auf das Haus der Driscolls zuging.
 

 

 

 
         Bill Meyers musste den Kühlschrank nicht lange suchen, er wusste genau, wo er war, denn schließlich war dies ja nicht sein erster Besuch im Hause Driscoll. Die kleine Sarah war schon wirklich ein geiles Stück. Und wenn er ihn nicht für einen solch tödlich langweiligen – und erfolglosen, wie er seinen Freunden gegenüber niemals müde wurde zu betonten – Streber gehalten hätte, wäre in seinem Herzen vielleicht sogar Platz für eine Spur Mitleid gewesen.
 
         Aber so? Eine Frau wie Sarah verdiente der Langeweiler doch gar nicht. Zu hübsch und zu geil, die brauchte einen richtigen Mann. Auf der Weihnachtsfeier der Firma hatte Jack sie ihm vorgestellt, ihr erstes Treffen zu zweit hatte an einem Nachmittag keine zwei Wochen später in einem kleine Kaffee im Nachbarort stattgefunden. Und mit einem schnellen Fick im Damenklo geendet.
 
         Seitdem war die süße Sarah ihm hörig. Die Kleine wusste halt, was richtige Qualität war. Ein volles Grinsen erschien auf Meyers Gesicht, als er an seinem nackten Körper nach unten sah.
 
         Nach kurzer Suche fand er im Kühlschrank genau das, was er gesucht hatte. Im untersten Fach hatte eine ganze Armee von Budweiser-Dosen Aufstellung genommen.
 
         „Für die Ehre des Vaterlandes“. In der selbstverliebten Meinung, eben eine wirklich witzige Bemerkung gemacht zu haben, bückte sich Bill Meyers, nahm die Dose ganz rechts und öffnete sie. Dann stand er auf, nahm einen tiefen Schluck und schlug die Kühlschranktür zu.
 
         Bill Meyers drehte sich um, und blickte in die eiskalten Augen des Weihnachtsmannes. Er erschrak so sehr, dass ihm die Dose aus der Hand fiel und seine Blase ohne Zutun ihre Pforten öffnete.
 
Kein Schrei, nur ein kurzes Röcheln.
 
Nur ein einziges Geschenk hatte der Weihnachtsmann für Bill Meyers gebracht.
 
Eine kurzstielige Axt.
 
Und mit gefährlich blitzender Schneide versprach sie zuckersüß den Tod.
 

 

 

 
Sarah hatte tatsächlich eingedöst, während sie auf ihren Geliebten wartete. Wie viel Zeit war inzwischen vergangen? Irgendwo musste ein Fenster offen sein, sie fühlte einen kalten Luftzug und bekam sofort eine leichte Gänsehaut. Die Vorhänge waren noch immer zugezogen, aber die Dämmerung dürfte gerade eingesetzt haben, in dem Zimmer war es viel dunkler als zuvor.
 
Jemand stand in der offenen Tür. Von unten strahlte kaum Licht durch das schmale Stiegenhaus nach oben. Trotzdem erkannte sie den Weihnachtsmann, auch an den Umrissen seines weiten roten Mantels und der Mütze. Und dem sanften Schimmern des wallenden weißen Bartes.
 
Deshalb also hatte sich Bill so lange Zeit gelassen.
 
Die Kälte war vergessen, als sie vom Bett aufstand und mit absichtlich weit wogenden Hüften auf die Gestalt zuging.
 
„Hallo, Bill….ähhh….Santa….. Kommst du, um dein braves Mädchen zu beschenken?“
 
Ihre Stimme bebte leicht vor Erregung, ihre Hände strichen über ihren nackten Körper, während sie langsam näher kam.
 
„Gibst du mir nun mein Geschenk…“ Sie hatte den Weihnachtsmann erreicht. „Oder soll ich es mir holen?“
 
Sarah war gerade dabei, vor dem Weihnachtsmann auf die Knie zu gehen, um ihn von den absolut himmlischen Vorzügen der Lippen einer Erdenfrau zu überzeugen, als draußen der Wagen eines Nachbarn in die Einfahrt einbog und der Strahl der Scheinwerfer für einen Moment durch die Fenster fiel und den Raum erhellte.
 
Als sie nach oben sah, waren es nicht die samtweichen dunklen Augen von Bill Meyers, in die sie Blicke, sondern die ihres Mannes. Jack Driscoll war der Weihnachtsmann und aus seinen Augen blitzte der pure Wahnsinn.
 
Im nächsten Augenblick stieß sie einen gellenden Schrei aus.
 

 

 

 

 

 
„Sagen Sie, Merrows, warum müssen diese Idioten immer gerade an Weihnachten durchdrehen und einem das schönste Familienfest kaputt machen?“
 
Deputy Merrows zuckte etwas hilflos mit den Schultern. Er war noch jung, höchstens fünfundzwanzig, und Inspektor Pullman konnte in seinem bleichen Gesicht sehr deutlich sehen, wie sehr ihn die Geschichte mitgenommen hatte.
 
Er selbst hatte sich die Szene gerade erst angesehen, und auch sein Magen war nicht weit davon entfernt, zu rebellieren und dem vor nicht einmal zwei Stunden genossenen Truthahn wieder die Freiheit zu gewähren.
 
Zwei Leichen. Ein Mann, nackt, in der Küche. Und die Frau, ebenfalls nackt, oben im Schlafzimmer. Beide waren mit einer kurzen Axt grausam zugerichtet worden. Die Frau hatte noch Schreien können, eine Nachbarin hatte sie gehört und sofort die Polizei gerufen. „Sie müssen wissen, Inspektor, ihr Mann, also Mr. Driscoll, hat sich in letzter Zeit schon immer so seltsam benommen. Es schien, als würde er Selbstgespräche führen. Außerdem war er so gut wie nie zu Hause.“
 
Über das Motiv bestand kein Zweifel.
 
Und sie hatten den Täter. Das war etwas Gutes.
 
Wenn es in so einem Fall überhaupt etwas Gutes gab.
 

 

 

 
Sie hatten Jack Driscoll vor dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum sitzend gefunden. Er hatte bist jetzt kein Wort gesagt. Ein paar unverständliche Laute, das war alles. Er hatte sich widerstandslos die Handschellen anlegen und zum Polizeiwagen führen lassen.
 
„Hey, er zittert ja wie Espenlaub. Bringt ihm Mal ´ne Decke.“
 
Deputy Merrows kam aus dem Haus geeilt, in den Händen hielt er zwar keine Decke, dafür aber einen sehr warm und sehr neu aussehenden Damenmantel.
 
„Ja, o.k. Der tut es sicher auch.“
 
Und als sie dem zitternden Jack Driscoll den Mantel über die Beine legten, begann dieser endlich hemmungslos zu weinen.
 

 

 

 
Inspektor Pullman dreht noch eine letzte Runde durch das Haus der Driscolls. Er wollte sich noch ein Bild vom Tatort machen, bevor er den anderen aufs Revier folgte.
 
Draußen war es mittlerweile vollkommen dunkel. Seit langem hatten sich die Wolken an diesem Abend erstmals wieder verzogen und einem großen fahlen Vollmond Platz gemacht.
 
Es würde eine verdammt lange Nacht werden, dachte Pullman, als er durch das Wohnzimmer in Richtung Tür schritt. Verdammt lang.
 
Als er an der Anrichte vorbei kam, fiel ihm eine kleine rote Figur auf. Ein Weihnachtsmann, mit großen runden Augen und einem langen weißen Bart.
 
Ach, was soll´s. Den vermisst schon keiner, und die Spurensicherung hat ihm auch keine Beachtung geschenkt, dachte er. Dann nahm er den Weihnachtsmann von der Anrichte. Seine Kinder würden morgen sicher weniger sauer auf ihn sein, wenn er ihnen ein Geschenk mitbrachte…..
 

 

 

 

 

 
Wien, 17.12. – 29.12.2005

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Alle Haiku-Gedichte in "Den Wind jagen" von Heike Gewi sind im Zeitraum von Januar 2008 bis 2012 entstanden und, bis auf einige Ausnahmen, als Beiträge zur World Kigo Database zu verstehen. Betreiberin dieser ungewöhnlichen Datenbank ist Frau Gabi Greve. Mit ihrer Anleitung konnte das Jemen-Saijiki (Yemen-Saijiki) systematisch nach Jahreszeitworten für Bildungszwecke erstellt werden. Dieses Jahr, 2013, hat die Autorin die Beiträge ins Deutsche übersetzt, zusammengefasst und in Buchform gebracht. Bei den Übersetzungsarbeiten hat die Autorin Einheimische befragt und dabei kuriose Antworten wie "Blaue Blume – Gelber Vogel." erhalten. "Den Wind jagen" heißt auch, Dinge zu entdecken, die sich hoffentlich nie ändern. Ein fast unmögliches Unterfangen und doch gelingt es diesen Haikus Momente und zeitlose Gedanken in wenigen Worten einzufangen und nun in dieser Übersetzung auch für deutschsprachige Leser zugänglich zu machen.

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