Marius Sebastian

Tage der Verzweiflung


Alles dunkel. Schatten durchströmen die Nacht auf ihrer blutigen
Suche nach Frischfleisch.. Kein Mensch auf der Straße,
außer Ich und ein paar streunende Teenager. Dann noch ein paar
Obdachlose, die nicht wissen wohin, so wie Ich. Ich schlendere langsam
durch die dunklen Straßen und Gassen. Völlig
orientierungslos. Diese Stadt ist tot. Eine grausame Stille geht um,
ein grauenhaftes Geräusch dröhnt in meinen Ohren. Ein
mysteriöses Piepen.

Auf meinem Weg sehe ich Gestalten durch die Straßen taumeln. Ich
spürte sogar ihren Atem in meinem Nacken, wenn sie an mir
vorbeiliefen. Schnell und unbarmherzig wie sie sind. Sie redeten immer
wirres Zeug, das ich nicht verstand. Vielleicht war ich zu dumm
für dieses hochintelligente Gerede. Vielleicht nicht zu dumm,
vielleicht aber auch nicht intelligent genug, um dieses Gelaber zu
verstehen. Das war für mich Fachchinesisch. Kein Wort kapiert. Nur
blöd in der Gegend herumgestanden und nachgedacht. Nachgedacht
über Dinge die ich nicht kapiere, aber vielleicht auch nicht
kapieren soll.


Ich dachte aber auch über andere Dinge nach. Zum Beispiel
über die Zeit, in der ich noch eine Liebe hatte und was wir da
immer so Tolles zusammen gemacht haben, doch diese Zeiten sind vorbei.
Diese Zeit, der beste Abschnitt meines Lebens, ist aber jetzt
Geschichte. Nur noch eine Erinnerung im Wind.

Vor zwei Jahren wurde das Leben eines
Vierzehnjährigen von grausamen Terroristen rar zerstört. Noch
heute, zwei Jahre nach diesen Geschehnissen und dem Tod meiner
Freundin, besuche ich meine Freundin an ihrem Grab und lege Blumen
nieder. Obwohl ich nun sechzehn bin, mir rinnen immer wieder
Tränen über die Wangen und diese Tränen prasseln in
Strömen auf den kalten, großen Grabstein. Noch heute hasse
ich die Leute, die mein Leben versaut haben. Meine Freundin haben sie
getötet, meine Eltern und meinen Bruder ins Koma gebracht und mich
daraufhin zu meinem alkoholabhängigen Onkel und seiner
merkwürdigen Geliebten gebracht. Diese interessiert sich doch nur
für das Geld, das mein Onkel als Ex-Anwalt noch hat. Ich bin nur
noch selten zu Hause. Nur zum Essen und Schlafen bin ich da. Sonst
hänge ich immer mit den wenigen Freunden ab, die noch leben oder
hier geblieben sind. Die Meisten von ihnen wollen aber auch weg. Weg
aus dieser zerbombten, von Ruinen übersäten Stadt. Mit diesen
wenigen Freunden wandere ich dann immer durch die Straßen.
Für mich sind diese Straßen der Erinnerung. Mit der
Straßenbahn können wir ja nicht mehr fahren. Diese
Terroristen haben ja die Verwaltung der Verkehrsbetriebe zerstört.
Es fahren nur selten Busse und von deren Fahrzeiten gibt es keinen
Fahrplan, da die Papierfabrik nahe unserer Stadt ebenfalls
zerstört wurde. Auch mit dem Fahrrad kann ich nicht fahren, es
wurde bei der Explosion unseres Hauses vernichtet.


Wieso mussten nur die verdammten Präsidenten
unseres Landes Beihilfe leisten, als irgend so eine
Sehenswürdigkeit auf einem anderen Kontinent vernichtet wurde? Die
Präsidenten dieses Kontinentes fanden später heraus, dass
Terroristen diesen Anschlag verursacht haben. Meine Stadt half dann
diesem Kontinent und versorgte ihn mit Waffen und Kämpfern aus
unserer Armee. Dann griff dieser bestimmte Kontinent den Sitz der
Terroristen an und eins führte zum Anderen. Dieser Kontinent
befand sich von heute auf morgen im Krieg mit einem anderen Kontinent.
Auf diesem anderen Kontinent lebten die Terroristen. Irgendwie haben
die dann herausgefunden, dass wir dem Kontinent halfen, der den Krieg
begann . Und schon griffen die Terroristen auch uns an. Obwohl meine
Stadt sich diesem Krieg nicht anschloss, trotzdem wurden auch wir ein
Teil dieses Krieges. Das war der Auftakt zum dritten Weltkrieg!


Überall wo wir jetzt langgehen, sehen wir
Ruinen. Ruinen von den einst so prahlvollen Brunnen, Restaurants und
Kneipen. Zerfallende Erinnerungen an eine alte und bessere Zeit.

Jetzt, in diesem Moment, gehen wir durch die Straße, in der sich
das Kino befand. Dieses lockte mit niedrigen Preisen und wunderbaren
Filmangeboten. Von Romanze, über Komödie bis hin zum
Horrorfilm, für jeden Geschmack wurde etwas geboten. Jetzt ist es
nur noch ein Schutthaufen und überall liegen Glasscherben herum.
Die Bruchstücke sind total verstaubt. Wieso nur? Wieso geschah das
alles?

In diesem Moment kommt mir in den Sinn, dass ich das bestimmt alles
eines Tages vergessen werde. Ich werde nicht mehr wissen, was hier vor
zwei Jahren geschah. Ich werde den Grund nicht mehr kennen, warum die
Menschen aus der Welt verschwanden. Auch werde ich nicht mehr wissen,
was mir die Terroristen genommen haben, was sie mir angetan haben. All
das wird sich aus meinem Gedächtnis streichen und entfernen. Dann
bin ich wie ein Zombie. Ohne Intelligenz und ohne Gefühl. Ich
werde nicht mehr wissen, wie es war, als meine Freundin in meinen Armen
starb und meine Eltern und mein Bruder ins Koma fielen.


In dem jetzigen Moment sind wir soweit gewandert, dass wir vor dem Haus
eines alten Mannes stehen. Den kannten wir alle sehr gut. Früher
war er unser Lehrer in Physik und Geschichte. Doch seit seine Frau und
sein Sohn bei einem Autounfall ihr Leben verloren haben, hatte er
seinen Posten als Lehrer verlassen. Er wurde alkoholabhängig und
nahm sich wenig später das Leben. Der Tod ereilte ihn durch eine
Überdosis Schlaftabletten. Der Mann hatte nämlich einen sehr
schlechten Schlaf und war womöglich auch von diesen Tabletten
abhängig. Kurz vor dem Ende seines Lebens war der Mann so fertig,
dass er nicht einmal die Entzugsklinik durchhielt in die er geschickt
wurde und Halluzinationen hatte. Die Psychologen wussten selbst nichts
mit diesem Mann anzufangen. Selbst die Medikamente, mit denen sie ihn
voll pumpten, zeigten nur mäßige Wirkung. Dieser Mann war
total heruntergekommen. Er war immer so freundlich, doch so eine
Wendung seines Lebens könnte ja keiner verkraften. Er wollte bei
ihnen sein, bei seiner Familie. Wer weiß? Wenn ich nicht eine
Allergie auf Alkohol hätte, vielleicht wäre ich dann auch so
geworden. Wir laufen weiter.


Nach einer dreieinhalbstündigen Wanderung durch
die Nacht sind wir nun am Ziel unserer Reise angekommen. Am Ziel meiner
Reise! Das Krankenhaus der Stadt. Das musste man wieder aufbauen,
nachdem man erkannt hatte, dass die Notzelte für die Verletzten
nicht ausreichend versorgt waren und zusätzlich waren sie weit
überfüllt.

Wir betreten es. Inzwischen sind wir nur noch zwei. Wir gehen den Gang
entlang. Der Gestank von Leichen steigt in unsere Nasen. Der Gestank
von Tod und Alkohol. Wir wandern bis zum Ende des Ganges und betreten
daraufhin eine große Treppe. Ich gehe sie alleine hoch.

Ich habe meinen Kumpel gebeten zu warten. Er brauch mich auf diesem
letzten Rest der Reise nicht zu begleiten. Er setzte sich auf einen
Stuhl, nahm sich ein zerfleddertes Magazin und begann zu warten.

Ich laufe. Ruhig und gleichzeitig traurig. Angekommen am Ziel. Am Ziel
meiner (Alb-)träume? Betrete die Station. Plötzlich detoniert
eine Bombe. Alle im Krankenhaus werden in den Tod gerissen. Warum?
Warum ausgerechnet jetzt? Und ich erwache aus meinem Albtraum. Eine
Vision?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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