Er lag im Schatten einer Eiche, als über ihm eines der Blätter starb. In ausladenden Spiralen torkelte es zu seinen Füßen und bettete sich bei seinen Stiefeln zu Grabe.
Heldenlaub,dachte er.
Während er unter dem Baum rastete wurde es Herbst. Die Helden kleideten sich in den Farben ihrer Nation und zogen in die Schlacht. Es war ein Wettstreit untereinander, obwohl der Feind unsichtbar war. Niemand kannte den Grund.
Einer nach dem anderen opferte sein Leben. Anmutig fielen sie.
Es kam Sturm auf, er hätte darin wohl nur ein laues Lüftchen gesehen, doch die Zweige propagierten Orkan. Mutig warf sich das Laub in den Kampf.
Alle verloren ihn.
Sie stammten vom selben Stamm.
Nun war es Winter. Schnee bedeckte seinen Mantel, Schnee war sein Mantel. Er fror nicht, er dachte an die Toten unter dem Eis. Wie alte Generäle reckten sich die Äste in den Himmel. Sie hatten keine Truppen mehr zu befehligen.
Es wurde Frühling. Es kamen neue Zweige und lösten die alten ab. In ihren Knospen rekrutierten sie eine neue Generation.
Sie wuchs im Sommer heran.
Schon verfärbten sich die ersten wieder. Schon war ein neuer Herbst gekommen. Als der Krieg begann erhob er sich. Er schüttelte die faule Last von sich ab.
Ein Gewitter zog auf. Die ersten Tropfen fielen, so wandte er sich ab.
Ein Blitz traf den Baum und spaltete den Stamm. Flammen loderten auf.
Als nur noch Asche übrig war kehrte er zurück. Er pflanzte einen Samen ein.
Viele Herbste passierten das Land, ohne das ein Blatt zu Tode gekommen wäre und er saß zufrieden im Schatten seiner Tanne.
Eines Tages erwachte er im Abendrot, nach einem kurzen Nickerchen. Er fragte sich, was ihn geweckt habe. Er blickte am Stamm hinauf und konnte nichts entdecken. Nichts. Alle Nadeln waren ermordet worden. Er schaute sich um. Von dem Hügel auf dem sein Baum stand konnte er die ganze Welt betrachten.
Während er so schaute ging die Sonne ein letztes Mal unter. Im Osten. Doch sofort erblühten tausend neue Sonnen überall. Jede tausendmal heller als die alte.
Schließlich erloschen auch sie.
Traurig blickte er auf seinen toten Baum. Er setzte seinen Hut auf und ging fort. Es dauerte lange bis er wiederkam, denn er hatte sehr viele Samen zu pflanzen.
Dieses Mal pflanzte er lediglich Tannen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.08.2010.
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