Sarit Schreiber

Der charmante Besucher aus der Zukunft (Teil 2)

 

Stille. Diese furchtbare Stille. Sie würde sie noch wahnsinnig machen. „Bitte sag doch etwas!“, schrie Betty in ihrem Inneren, bewahrte jedoch Fassung, in der Hoffnung ihr auffordernder Blick würde genug aussagen, doch allem Anschein nach war dem nicht so.

Stefan ging noch immer mit angespannter Miene und einem nervösen Zucken um den Mundwinkeln durch das dunkle Zimmer und wartete auf irgendetwas. Offensichtlich auf etwas, das ihm verriet dass alles in Ordnung war und dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte.

„Verrätst du mir jetzt bitte wer oder was mich hier erwartet?“, fragte Betty sachte, doch ihre Stimme zitterte und sie hatte Mühe die Worte in der angemessenen Reihenfolge hervorzubringen.

Es war mittlerweile ein Uhr nachts und bei ihr machten sich bereits die ersten Übermüdungs-symptome bemerkbar.

Abrupt blieb Stefan stehen und starrte Betty aus verwirrten Augen an, als sähe er sie zum ersten Mal.

Es vergingen ein paar Sekunden, sie wollte schon wieder zum Sprechen ansetzen, als er sich wieder fing und verlegen auflachte. Hastig strich er sich über sein kurzes Haar und lächelte sie entschuldigend an. „Es tut mir Leid, dass ich so nervös bin. Wir warten hier auf einen guten Freund von mir.“

Er wollte sich schon wieder abwenden, doch so leicht ließ sie sich nicht zufrieden stellen.

„Herr – ich meine Stefan! Auf welchen Freund? Und warum? Du wolltest mir beweisen, dass du in die Vergangenheit gereist bist, erinnerst du dich?“

„Ja, natürlich erinnere ich mich. Aber ich kann dir noch nichts sagen oder zeigen. Bitte hab noch einen Moment Geduld – er wird bald hier sein, dann erfährst du alles.“

Das durfte doch nicht wahr sein! Schon wieder begann er herumzulaufen und besorgte Blicke auf seine Armbanduhr zu werfen.

Ich bin verrückt, total verrückt, stand sie sich selber ein. Wie konnte man nur so blöd sein, einem Mann, den man seit zwei Stunden kannte und der von sich behauptete ein Zeitreisender zu sein in einer solchen Nacht und Nebel Aktion in eine verlassene Wohnung in einer noch verlasseneren Straße zu folgen?

Wie in Trance war sie ihm zu seinem Auto gefolgt und war gespannt gewesen, wie er ihr beweisen wollte, dass er keinen Spaß machte. Und vor allem wie er vorhatte sie mit in seinen Zeitabschnitt zu nehmen.

Dabei war sie doch diejenige gewesen, die alles für ein abgekartetes Spiel gehalten hatte!

War es der Kuss, der sie dazu gebracht hatte ihm in diesem Moment das Vertrauen zu schenken?

Sie wusste es nicht. Was sie aber wusste war, dass sie seine Lippen noch immer auf die ihren zu spüren schien. Darüber geredet hatten sie nicht, allerdings verspürte Betty auch gar kein Bedürfnis danach. Sie wusste, dass es manchmal besser war keine Fragen zu stellen.

 

Verstohlen blickte sie sich nach allen Seiten um. Das Zimmer sah recht kahl aus und es hatte nicht den Anschein als würde dort wirklich jemand leben. Die Wände waren angekratzt und zum Teil zerrissen, einen einzigen kleinen Tisch gab es auf dem ein Tintenfass stand, eine kleine Couch in der Ecke, auf der sie es sich bequem gemacht hatte und ein paar Stühle standen quer im Raum verteilt. Der mit Schmutz überzogene Parkettboden war eisigkalt, eine Heizung gab es nicht.

Wer hier wohl wohnte? Womöglich der besagte Freund?

Stefan hatte ihr keine Erklärung abgegeben als er sie hier reingeführt hatte, hatte nur gemeint sie würde früh genug alles erfahren.

Warum war er auf einmal so nervös, wo war der entspannte, überlegen scheinende Stefan geblieben?

 

Auf einmal hörte sie wie ein Schlüssel in das Schloss gesteckt wurde und im nächsten Moment, öffnete sich die Tür und jemand trat ein.

Den Schritten nach zu urteilen handelte es sich um einen Mann.

Stefan fuhr mit einem Ruck herum, sein Gesicht wurde heller, schnell stürmte er in den Flur und zog im nächsten Moment einen Mann in den Raum, der ungefähr siebzig sein musste.

„Hallo, Stefan, mein Junge!“, rief dieser euphorisch aus und drückte ihn an sich, als hätte er ihn seit Jahrzehnten nicht gesehen.

„Hallo!“, entgegnete Stefan. „Bin ich erleichtert, dass du gekommen bist!“

Stefan schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Der Unbekannte hatte weißes, hochstehendes Haar und weitaufgerissene grüne Augen, die immerfort zwinkerten.

Betty fand ihn auf Anhieb sympathisch und stellte sich sogleich höflich vor.

Jetzt erst nahm er Notiz von ihr und schüttelte ihre Hand, während er sie eindringlich musterte. Irgendetwas hatte er in seinem Blick, dass ihr plötzlich nicht mehr gefiel, etwas, das sie nicht zu deuten wusste. Ihre Augen hafteten eine Weile an seinen, die alle Freundlichkeit verloren hatten und sie fühlte sich unfähig sich abzuwenden, woran nicht nur der kalte Schauer der sie lähmte schuld war, sondern auch die plötzlich auftretende Angst.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor die verstrichen war, bis er ihre Hand wieder losließ und sie weniger prüfend betrachtete. Nun huschte ein zaghaftes Lächeln über sein Gesicht, das allerdings nur eine Sekunde anhielt. „So, du bist also die Betty. Stefan hat mir schon von dir erzählt. Freut mich außerordentlich deine Bekanntschaft zu machen!“ Mit zarten Bewegungen strich er ihr mit der Hand über die Wange, als wäre sie ein kleines Kind und verfiel in ein albernes, lautes Gekicher, das ihm ein leicht wahnsinniges Aussehen verlieh.

Betty lächelte aus Höflichkeit, hatte jedoch Mühe die Gefühle des Unbehagens zu unterdrücken.

Woher wusste der Mann von ihr? Ihr war eingefallen, dass Stefan gar nicht die Gelegenheit dazu gehabt hatte ihn über sie zu informieren, denn seit dem sie ihn wenige Stunden zuvor kennen gelernt hatte, war sie die ganze Zeit über mit ihm zusammen gewesen. Sie war sich sicher, dass er

währenddessen kein einziges Mal telefoniert hatte oder sonstiges. Wie konnte er also von ihr wissen?

Sie bemerkte wie sie zu zittern begann. Auf einmal kam ihr alles unwirklich und unheimlich vor.

Wer war dieser Mann? Wer war Stefan, der vermeintliche Zeitreisende überhaupt? Beide Männer kannte sie erst seit Heute und trotzdem war sie so sehr davon überzeugt, dass es sich bei Stefan um keinen dummen Lügner handelte, obwohl sie ihn vor ein paar Stunden das erste Mal gesehen hatte.

 

Erst eine sanfte Berührung Stefans holte sie aus ihrer Starre. Erschrocken fuhr sie herum und blickte geradewegs in seine Augen, spürte erst jetzt seinen Arm um ihrer Hüfte.

„Was ist denn los?“, fragte er sie und sein Gesichtsausdruck hatte wieder etwas angenommen, das beruhigend wirkte.

Betty lächelte erschöpft. „Nichts, nichts. Es ist nur... Ich bin ein wenig müde.“

Stefan nickte verständnisvoll. „Sicher, es ist ja auch beinahe halb zwei. Du kannst heute Nacht hier schlafen. Herr Nogorod und ich gehen in das andere Zimmer.“

Sie wollte etwas erwidern, doch ihre Stimme ließ sie im Stich, also nickte sie nur zustimmend.

 

„Und morgen früh da werden wir schon ein Stück weiter sein!“, raunte Herr Nogorods Stimme zu ihr hinüber, doch Betty war zu müde um sich zu erkundigen, was er denn nun schon wieder damit meinte.

Der Rest des Abends ging wie im Flug an ihr vorbei. Die beiden Männer besprachen noch irgendetwas, dann verließen sie das Zimmer.

Betty versuchte es sich auf der Couch so gemütlich wie möglich zu machen und kuschelte sich in eine dünne Decke ein, die fast vollständig von Staub befallen war, doch etwas besseres war in dieser Wohnung nicht vorzufinden.

 

 

Ein Geräusch weckte sie aus ihrem traumlosen Schlaf. Als sie die erste Schlaftrunkenheit einigermaßen überstanden hatte, hatte sie bereits vergessen was es gewesen war.

Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nasenspitze, Vögelstimmen stimmten leise und zärtlich ihr Morgenlied an. Herzhaft gähnend streckte sie sich und wunderte sich, dass sie die Beine auf einmal ausstrecken konnte.

Als sie sich aufsetzte, erkannte sie, dass sie sich nicht auf dem kleinen Sofa befand, auf dem sie sich schlafen gelegt hatte, nein, sie lag auf einem weichen, bequemen und vor allem großem Bett mit einer dicken Decke.

Irritiert schaute sie umher. Das Zimmer. Es sah anders aus als sie es in Erinnerung hatte. Statt dem kleinen Tisch stand dort nun ein großer, geräumiger Schreibtisch. Der ganze Raum war herrlich und vornehm eingerichtet. Lediglich die Größe des Zimmers war dieselbe geblieben.

Betty sprang auf und rieb sich die Augen. Das konnte nicht wahr sein, wahrscheinlich schlief sie noch. Ja, sicher, sie hatte einen ganz realistischen Traum, das musste es sein. Anders war dies nicht erklärbar.

Unsicher drehte sie sich um, Angst davor, was sie erwarten würde. Als ihr Blick aus dem Fenster glitt, blickte sie in einen prächtigen Garten, mit großen Kirschbäumen und vielen Sträuchern und Blumen, wo am Tag zuvor noch alles kahl und trostlos ausgesehen hatte.

Ich träume, ich träume nur“, sagte sie sich selbst in Gedanken, doch sie wusste dass es nicht so war.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Stefan!

Mit einem triumphierenden Lächeln strahlte er sie an. „Na, habe ich zu viel versprochen?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Was ist hier los?“, fragte sie und konnte ihre Verwirrung nicht länger verbergen.

„Weißt du das denn nicht?“ Erstaunt blickte er sie an.

„N-nein. Was hast du getan? Wo bin ich?“

Stefan lachte. „Du bist immer noch an dem selben Ort wie gestern. Lediglich in der Zeit hat sich etwas geändert.“

 

Betty zitterte, sie war kurz davor die Fassung vollends zu verlieren.

„Was soll das? Wo bin ich, was habt ihr mit mir gemacht?“, schrie sie nun außer sich und gab ihr bestes nicht auf dem Boden unter ihr, der nun gar nicht mehr schmutzig war, sondern vor Sauberkeit glänzte, zusammen zu sinken.

 

„Ganz ruhig.“, besänftigte Stefan sie. „Ich – oder besser gesagt Herr Nogorod hat alles unter Kontrolle. Hab keine Angst.“

 

Krampfhaft zwang Betty sich dazu gleichmäßig zu atmen. Es musste dafür eine Erklärung geben, es musste. Sie glaubte nicht an Zeitreisen, falls er ihr nun weiß machen wollte, es hätte damit zu tun. Nein, daran glaubte sie nicht.

Auf einmal drang ein bekanntes Geräusch zu ihr durch und ließ sie zusammenschrecken.

 

„Nein.“, flüsterte sie tonlos.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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