Sarit Schreiber

Von Ansichten und Konflikten

Besorgt schaute er sie an und auf seiner Stirn befand sich wieder einmal, diese längliche Falte, die Marie so sehr hasste.

„Bitte begleite mich doch!“, bat ihr Onkel mit flehende Stimme. „Ich bin sicher, dir wird es auch gefallen. Da gibt es auch noch andere sechzehn-jährige!“

„Ist mir klar!“, entgegnete sie kühl. „Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich auch daran Interesse habe. Geh alleine hin.“

Verständnislos schüttelte er seinen kahlen Kopf und kratzte sich an diesem. „Ich kann dich wirklich nicht verstehen, Marie. Andere Menschen wären froh, wenn sie mit zu einem Gottesdienst genommen werden würden.“

„Ja, Onkel. Andere Menschen!

 

Verärgert drehte sie sich weg und starrte aus dem Fenster. Sie hörte die Vögel zwitschern, und sah die Sonne hinein scheinen. Ein so herrlicher Morgen, mit dem man viel anstellen konnte.

Zum Beispiel Eis essen, baden oder sich einfach draußen im Garten sonnen.

Aber nein, Onkel Erhardt hatte es sich unbedingt zur Aufgabe machen müssen, sie zu missionieren.

Er würde es nie verstehen.

 

Na gut, dann... gehe ich ohne dich.“, seufzte er nun. „Falls du es dir doch noch anders überlegst, du kennst ja den Weg.“

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Stöhnend ließ sich Marie auf einen Sessel sinken. Warum mussten manche Dinge im Leben so kompliziert sein? Sie hatte doch nicht vorgehabt ihren Onkel zu kränken.

Kaum einen anderen Menschen hatte sie so gern, wie ihn.Doch nun war es zu spät.

Hoffentlich würde es nicht den ganzen Aufenthalt hier kaputt machen!

 

Plötzlich hörte sie ein lautes Schrillen. Das Telefon! „Marie gehst du mal ran?!“, rief Onkel Erhardt ihr zu. „Ich bin gerade verhindert.“

Hoffnungsvoll eilte sie in den Flur und riss sich den Hörer ans Ohr. „Marie Eckstein hier?“

Hey, Marie! Ich bin es.“

Nun hatte sie Mühe ein lautes Jammern zu unterdrücken. Ihr Vater war es, und nicht, wie erwartet, Moritz, den sie sich so sehr herbeisehnte.

 

Hallo Papa, wie geht’s dir?“, zwang sie sich zu fragen.

Na, du klingst aber nicht sehr begeistert. Nerven dich meine Anrufe etwa?“

Nein, das nicht.“, log sie. „Ich dachte nur, es wäre jemand anderes. Tut mir Leid.“

Verstehe, verstehe. Das Übliche eben. Deine Mutter ist gerade einkaufen, sie möchte später aber auch nochmal mit dir sprechen.“

Klar, gerne! Ich rufe sie an.“, versprach Marie.

Die nächsten Minuten verbrachte sie damit all die Fragen ihres Vaters zu beantworten. Ob sie denn auch genug von der Landschaft sah, ob sie Onkel Erhardt ordentlich im Haushalt half und noch vieles mehr.

Sie hasste sie, diese ständigen Kontrollanrufe. Als wäre sie ein kleines Kind, bei dem man nie sicher sein könnte, dass es auch keine Dummheiten anstellte. Lächerlich!

 

Als sie sich endlich verabschiedeten, hörte sie ihn noch eindringlich ins Telefon raunen :

Und bitte, nimm die Missionierungsversuche meines Bruders nicht so ernst. Du kennst ihn ja.

Ist halt stets um alles und jeden besorgt. Und ganz besonders um seine kleine Nichte.“

Klein!“, rief Marie empört aus und verdrehte die Augen.

Papa, es ist lieb von dir gemeint, das weiß ich. Aber trotzdem, lass das mal meine Sorge sein.

Ich weiß schon, was ich ernst nehme und was nicht.“

 

Erleichtert war sie, als das Gespräch beendet war und setzte sich mit einem Buch auf den Balkon.

Sommerferien waren doch etwas schönes, fand sie. Das galt besonders für welche, die sich bei ihrem Onkel abspielten.

Es hatte Tradition, dass sie jeden Sommer für zwei Wochen zu ihm reiste, nach Irland, dem Land ihrer Träume. Das Paradies! Vierzehn Tage lang in einem großen, Villa ähnlichem Haus mitten im Grünen leben. Sie konnte sich nichts besseres vorstellen.

Lediglich seine Art, die er in Bezug auf seinem Glauben an den Tag legte, missfiel ihr sehr.

Er war gläubiger Christ, saß jeden Sonntag in der Kirche und war nicht von der Überzeugung abzubringen, dass nur jene, die an Jesus glaubten erettet werden würden.

 

Marie fand das traurig. Sie hatte nichts gegen Christen, nein nicht im Geringsten!

Doch konnte sie sich mit einigen Dingen, die nahezu jede Religion betrafen nicht anfreunden.

Ihr war der Gedanke, alle Ungläubigen würde nach dem Tode ein großes Nichts erwarten nicht geheuer.

Doch das war Glaubenssache und jeder durfte glauben, was er wollte.

 

Und was glaubst du? Hörte sie eine innere Stimme in sich fragen.

Ja, was glaubte sie eigentlich?

Lange Zeit hatte sie sich darüber den Kopf zerbrochen und war zu keinem Ergebnis gekommen.

Sie glaubte an einen Gott, soviel war sicher. Doch an welchen? Konnte man überhaupt benennen an welchen Gott man glaubte?

Oder konnte man so etwas womöglich gar nicht definieren?

Eins aber wusste sie: Sie würde es nie fertig bringen ihr Leben nach einer bestimmten Religion auszurichten. Zu groß war die Angst, einem Irrtum Glauben zu schenken. Denn was wusste ein Mensch schon über die Wahrheit, die sich hinter dieser Welt verbirgte? Rein gar nichts.

Leider. Oder zum Glück?

Sie schlug ihren Roman auf und vertiefte sich in die Worte. Es tat gut, sich auf andere Gedanken zu bringen.

 

Um halb zwölf erschien Onkel Erhardt. Strahlend betrat er Maries Zimmer und fuchtelte mit einer Broschüre vor ihren Augen herum. „Das habe ich dir mitgebracht!“, verkündete er stolz.

Für Jugendliche, die sich mit dem Christentum auseinandersetzen wollen. Jeden Montag, Dienstag und Donnerstag in unserer Kirche. Also wenn du möchtest...“

Ich überlege es mir!“, meinte sie schmunzelnd. Sie wollte nicht weiterhin so forsch reagieren.

Gut, kommst du in den Garten? Ich habe Kuchen vom Bäcker mitgebracht.“

Ja, da komme ich sofort!“, lachte Marie fröhlich und folgte ihm nach draußen.

 

Kuchen essen auf einem wunderschönem Grundstück, geprägt von dem berühmten, irischen Grün.

Herrlich! Sie konnte sich kaum satt sehen an der schönen Aussicht.

Herzhaft ließ sie ein Stück ihres Apfelkuchens auf der Zunge zergehen und seufzte genüsslich, während ihr Onkel sie gut gelaunt anlächelte.

Marie nahm sich vor, von nun an nicht mehr so sehr auf seinem Glauben herum zu nörgeln.

Dazu hatte sie schließlich nicht das Recht. Zumal, sie nicht ausschließen konnte, das er richtig lag. Das konnte niemand je wissen, also brachte es auch nichts sich darüber zu streiten oder andere aufgrund ihrer Glaubensrichtung anders zu behandeln.

Onkel?“,fragte sie zaghaft.

Ja?“

Können wir heute vielleicht zusammen sitzen und essen, ohne dass wir uns über Religion unterhalten? Einfach mal ein Thema auf den Tisch hauen, bei dem wir beide mit reden können?“

Einen Moment lang blickte er sie überrascht an. Dann lächelte er.

Also schön!“, willigte er gutmütig ein und zwinkerte. „Du hast Recht, reden wir zur Abwechslung auch mal über was anderes!“

Damit hatte sie nicht unbedingt gerechnet, doch es erfreute sie sehr.

Danke, Onkel! Und wenn du möchtest, begleite ich dich nächsten Sonntag auch. Warum sollte ich es mir eigentlich nicht mal anschauen? Muss ja nicht gleich alle meine Überzeugungen aufgeben und mich bekehren lassen.“

 

Ja, ich nehme dich zu gerne mit! Aber jetzt iss erst mal deinen Kuchen auf und erzähl mir wer Moritz ist!“

Irritiert starrte sie ihn an und hätte beinahe die Gabel fallen lassen.. Was wusste er denn von ihm? „Wie...“, brachte sie hervor.

Onkel Erhardt lachte schallend. „Nun ja, gestern Abend hat ein junger Mann mit diesem Namen angerufen und wollte dich sprechen. Du warst aber noch unterwegs, deswegen meinte er er würde es heute Nachmittag noch einmal versuchen.“

Maries Grinsen wurde von Wort zu Wort breiter und ihre Augen leuchteten.

Hatte er sie also nicht vergessen! „Ich habe ihm deine Nummer gegeben, damit wir in Kontakt bleiben können über die zwei Wochen ist das schlimm?“

Er schmunzelte. „Nein, durchaus nicht! Aber jetzt berichte mir mal wer das ist und woher du ihn kennst!“

Ihr wurde wieder einmal bewusst, wie lieb sie ihn hatte.

Voller Energie futterte sie die letzten Reste ihres Stück Kuchens und genoss es einfach, ohne jede Meinungsverschiedenheit mit ihrem Onkel an einem Tisch zu sitzen und zu plaudern.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Sarit Schreiber).
Der Beitrag wurde von Sarit Schreiber auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Sarit Schreiber als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Septemberstrand: Gedichte Taschenbuch von Andreas Vierk



Andreas Vierk schreibt seit seinem zehnten Lebensjahr Prosa und Lyrik. Er verfasste die meisten der Gedichte des „Septemberstrands“ in den Jahren 2013 und 2014.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Zwischenmenschliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Sarit Schreiber

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Schreckensnacht von Sarit Schreiber (Spannende Geschichten)
Die Nachrichtensprecherin von Norbert Wittke (Zwischenmenschliches)
Mordlust 1956 von Paul Rudolf Uhl (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen