Anna Jansen

Handy-Monolog


(Nach langer, langer Zeit hier eine Kurzgeschichte von mir. Ich denke diese Kategorie "Wie das Leben so spielt" passt am besten dazu. Viel Spaß beim lesen!)


Was ist heute nur falsch gelaufen? Ich weiß einfach nicht, was los ist... Die Welt stand heute absolut Kopf.
Begonnen hat es damit, dass Mary mich schon um 4 Uhr morgens grob aus meiner Ruhe reißt, wobei es schon häufig vorgekommen ist, dass sie um 4 Uhr mit ihrem Freund Oscar heimlich flüsternd unter der Bettdecke telefoniert- Vorstellungen über den Inhalt dieser Gespräche überlasse ich der Fantasie der Leser- ,das ist ja auch nicht, was mich stört. Mich stört schon eher diese nahezu massakrierende Gewaltanwendung auf der Tastatur. „Hallo?! Ich bin empfindlich!“, hätte ich gerne geschrieen, stattdessen brachte ich nur ein armseliges Piepen zustande und wehrte mich verbissen, indem ich- natürlich vollkommen unabsichtlich- die falschen Nummern eingab. Ich glaub, ich hab es beim 20. Versuch aufgegeben, mich zu wehren und ließ diese zeitweilige Misshandlung über mich ergehen.
Vielleicht hatte sie ja heute nur einen schlechten Tag.
Ich weiß gar nicht mehr, seit wann Mary und ich zusammen waren. Ich glaub es waren mittlerweile vier Jahre, in denen sie viel mehr mit mir ging, als ich mit ihr. Auch kann ich wohl behaupten, dass unsere Beziehung auf ihrem Mist gewachsen ist. Schließlich hat sie mich ausgesucht. Obwohl heute ist wohl einer dieser Tage, an denen ich mir wünschte, ich hätte Nein sagen können.
Sie heulte laut, wiedereinmal ohne Rücksicht auf meine empfindlichen Mikrofone. Irgendwo in meinem ‚Kopf’ spürte ich dann dieses vertraute Kribbeln und im nächsten Moment summte die Stimme ihrer Freundin Tina mehr gelangweilt als zuhörend durch den Lautsprecher.
„Wirklich? Aber gestern hat es doch noch gepasst...“
„Das war gestern! Ich sehe aus wie ein Schwein in diesem Fetzen!“
„Als wir einkaufen waren hat es dir gefallen. Du hast sogar gesagt, dass...“
„Ich war angetrunken, okay?! Oh...er wird mich nie mehr ansehen, wenn ich dieses Ding anziehe!“
„Ich dachte, Oscar liebt schweinchenrosa und ‚Miss Piggy’... haha!“
„Ach, halt doch die Klappe!! Du hast ja gar keine Ahnung!!“
Noch immer quietschte Marys Stimme in meinen Mikros, als ich einen starken Luftzug verspürte- oder vielmehr am starken Rauschen erkannte-, der in einem lauten Knall an der Wand und mit einer äußerst ansehnlichen Beule- in meinem Fall wohl Delle- endete. Ich jedenfalls war froh, dass der Aufprall für eine Unterbrechung in meinem Kreislauf sorgte. So waren mir zumindest die Bauchschmerzen erspart geblieben.
Meine innere Uhr zeigte genau 3:24- wenigstens die Zeitanzeige hat nicht unter den Aufprall gelitten, dachte ich noch, als mir das gesamte Datum auffiel: 1. Juli 1859- als es, also ich, klingelte. Am anderen Ende war eine mir unbekannte Stimme- entweder das, oder der Lautsprecher hatte auch was abbekommen. Soweit ich es verstehen konnte war der Name Ji oder Joey, jedenfalls nicht Oscar, was ich dem Inhalt der Unterhaltung nach vermutet hätte. Irgendwas von nem Motel quatschte er- da hätte ich gerne gewusst, was ein Motel ist, wir Handys müssen die Komplexität der menschlichen Sprache nämlich erst lernen, woraufhin ich für meinen Teil auf mein Vokabular sehr stolz bin. Nach ein paar Minuten war das Gespräch vorbei.
Den Rest des Nachmittags stand ich unter Dauerbetrieb, sowie wahrscheinlich auch einige meiner anonymen Kollegen. Und alle Stimmen drehten sich um ein Thema: den Abschlussball. ‚Das Kleid ist zu dies oder braucht mehr das’, ‚Er wird sich krankmelden und ich darf dann wieder mit meinem Schatten tanzen üben’, ‚Was soll ich machen, wenn der Ball vorbei ist?’ und so weiter und so fort.
Dann kam die große Stille. Für ein paar Stunden war ich ganz für mich allein- wenn ich der Zeitanzeige noch trauen konnte- und freute mich schon darauf, dass der Alltag morgen wieder normal sein würde.
Es bleibt wohl bei dem ‚würde’.
Als die Stille zu Ende war, hörte ich Oscars vertraute Stimme, doch etwas war anders.
„Wir können doch noch mal von vorne anfangen. So was passiert doch allen einmal...“
„Einmal?! EINMAL?! Fast ein Jahr hast du dich mit dieser billigen Schlampe getroffen!!“
„Mary, du verstehst das falsch...“
„Oh nein, Freundchen, du bist für mich gestorben! Ich weiß dein kleines Geheimnis seit Monaten und du hattest nie den Mumm gehabt, es mir zu sagen! Hättest du reden wollen, wäre das jetzt anders, aber jetzt bin ich mit Joey zusammen, kapiert?! Tanz ruhig weiter mit deiner kleinen Patricia, oder wie die dämliche Schmolllippe noch heißt, ihr gebt ein richtig schönes Paar ab!!“
Mit noch einem dieser Beinahe-Mordversuche würgte Mary das Gespräch ab. Eine kurze Pause entstand, dann wählte sie eine neue Nummer. Wenn mich nicht alles täuschte, dann war es dieser Joey an der anderen Seite der Leitung.
„Kommst du her und holst mich ab? Ich will nicht nach Hause... den Stress tu ich mir nicht mehr an.“
„Klar, Süße, und hast du ihm gezeigt, wo es langgeht?“
„Ja, ich bin fertig mit ihm.“
„Ich bin in ein paar Minuten da.“
Stille. Ich wunderte mich, warum sie nicht wieder abstellte. Dann hörte ich ein metallisches Klappern und ein leises wanderndes Summen.
Was ist heute nur falsch gelaufen? Ich weiß einfach nicht, was los ist... Die Welt stand heute absolut Kopf.
 
Ein Auto fährt die dunkle Straße hinauf und hält dort, wo eine junge Frau am Straßenrand steht. Sie steigt ein und während das Auto im Dunkel verschwindet erlischt auch das neonartige Licht, das aus dem Mülleimer strahlt. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.07.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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