Wolfgang Küssner

Hey, das ist Musik für mich...

Hey, das ist Musik für mich..... Mit diesem Song outete sich die US-amerikanische Sängerin Peggy March 1968. Das Lied schaffte es in den deutschen Single-Charts bis zu Platz 21. Keine Sensation, keine Schande, aber darauf sollte es bei Musik auch nicht ankommen. Weder auf Sensationen, noch auf Platzierungen. Musik sollte gefallen, Spaß machen, etwas geben, unterhalten, anregen. Stimmungen bedienen, vertiefen, auslösen. Emotionen unterstreichen, hervorrufen. Musik ist eine legale Droge, so der schweizer Texter Andreas Marti, für jeden und jeden Geschmack ist etwas dabei.

Mit diesen Zeilen möchte ich mich gegenüber dem Leser mit einer Auswahl von einigen meiner Lieblingsstücke outen. Es muss wohl richtig outen heißen, denn es geht um Musiktitel, die mich ganz persönlich ansprachen, bewegten, inspirierten, faszinierten. Auch nach vielen Jahren haben sie von ihrem Reiz nichts verloren oder eingebüßt. Ja, da gibt man sich schon ein wenig zu erkennen.

Die Musikstücke sind dem einen oder anderen eventuell bereits bekannt, vielleicht sind es aber auch Neuentdeckungen. Meine Auswahl bewegt sich fernab dem sogenannten Mainstream. Große, international bekannte Songs lasse ich bewusst außen vor. Was kein Urteil sein soll. Über das Auge möchte ich das Ohr des Lesers auf Musikstücke lenken, die manchmal etwas berührendes, historisches haben; kleine, emotionale Dokumente einer speziellen Zeit. Es sind einfach gefällige – nicht abwertend gemeint – Melodien dabei; Musiktitel, die in persönlichen Situationen auf fruchtbarem Boden wurzelten, sich bei mir eingruben. Doch genug der einleitenden Worte. Wie formulierte es doch der große tschechische Komponist Bedřich Smetana einst: Musik ist das Unsagbare.

Später Abend. Dunkelheit. Winter. Kälte. Glatte Straßen. Wenig Verkehr. Fahrt mit dem Auto vom Flughafen zur Wohnung. Vorsicht ist angesagt. Konzentration. Das Radio sendet ein Porträt von Arun Ghosh, einem englischen Klarinettisten mit indischen Eltern. Und dann geht auf einmal die Sonne auf; der leicht meditative Titel Bondhu erklingt. Die warmen Klänge lassen die kalte, feindliche Umwelt vergessen. Dieses, mir bis dato unbekannte Stück, begleitet mich seit jenem Tag.

Als der südafrikanische Pianist noch unter dem Namen Dollar Brand (eigentlich als Adolph Johannes Brand geboren) auftrat, veröffentlichte, hat er uns viele wunderschöne Kompositionen geschenkt, darunter das Album African Marketplace. Ein tolles Werk. Das Stück, mit dem gleichnamigen Titel, vermittelt dem Hörer ein lebendiges, quirliges, farbenprächtiges Schwarz-Afrika. Mannenberg, eine andere Komposition von ihm, galt während der Apartheid zeitweise als Hymne der nicht-weißen Bevölkerung. Ende der 60er Jahre konvertierte Dollar Brand zum Islam, nannte sich fortan Abdullah Ibrahim. Ich bin kein Moslem, doch wenn ich von dem Album Good News from Africa seine Interpretation des Rufes zum Gebet Adhan & Allah-O-Akbar höre, kehren Ruhe und Zufriedenheit ein.

Ähnliche Erfahrungen mache ich, wenn aus dem Album Pieces of Africa, 1992 für das Kronos Quartet aus San Francisco von sieben afrikanischen Komponisten geschrieben, der Titel Escalay (The Water wheel) von Hamza El Din erklingt. Ich erlebe die flimmernde Luft der nahen Wüste; Wassertropfen, die zum Rinnsal werden und das Rad langsam in Bewegung setzten, es antreiben; oder ist es der sich über etliche Jahre füllende Nassersee am Assuan-Staudamm, der durch die Überflutung vielen Menschen im Süden Ägyptens die Heimat kostete? In einem dieser Dörfer wohnte einst Hamza El Din. The Water wheel gilt als das Schlüsselwerk der Worldmusic; beeinflusste sogar zeitgenössische Komponisten wie Steve Reich oder Terry Riley.

Zurück in den Süden Afrikas. Die Hymne des African National Congress (ANC) trägt den Titel Nkosi Sikelel᾽ iAfrica. Auf gut Englisch: God Bless Africa. Nach dem ersten Hören hat mich dieses Lied im Kampf gegen die Rassendiskriminierung nicht mehr losgelassen. Es gibt im Internet viele, ausgesprochen beeindruckende, Intertpretationen; mit Nelson Mandela, Paul Simon, Ladysmith Black Mambazo, Miriam Makeba etc.

Apropos Ladysmith Black Mambazo: Dieses herzerwärmende A-cappella-Ensemble muss man ganz einfach gehört haben. Es fällt schwer, eine Empfehlung zu geben, doch ich nenne Homeless, vielleicht als Einstieg. Der Titel würde ins Deutsche übersetzt wohl Heimatlos lauten. Die Sänger sind Schwarze. Jetzt könnte natürlich das Projekt Graceland von Paul Simon und dem A- cappella-Ensemble Erwähnung finden; jedoch sollten international bekannte, erfolgreiche Songs hier außen vor bleiben.

Von Mombaso ist es sprachlich kein großer Schritt nach Mozambique. Dort ist ein sehr quirliger Musikstil populär, der sich Marrabenta nennt. Die Urspünge dieser Tanzmusik liegen in den 1930er und 40er Jahren, entstanden in der Hauptstadt Maputo. Typische Instrumente waren einst Gitarre, Mandoline und Schlagzeug. Längst ist Marrabenta eine recht populäre afrikanische Musik geworden. Ein Zeugnis, ein Beispiel dieser Lebendigkeit bietet der kraftvolle Titel Matilde aus dem Album Marrabenta Mocambique. Unbedingt anhören.

Machen wir einen Sprung nach Portugal, jenem Land, das von 1498 bis 1975 Mozambique als Kolonie ausbeutete. Die Musik Portugals ist der Fado und eine ihrer Interpreten das Ensemble Madredeus. Die Gruppe Madredeus verbindet den Fado teilweise mit traditioneller portugiesischer Musik und modernem Folk. Zu dem Film Lisbon Story von Wim Wenders lieferte Madredeus die Musik. Einer dieser Musikparts ist bei mir besonders haften geblieben: Guitarra. Ein Hörgenuss, der Reisewünsche wecken kann.

Ein anderer Soundtrack, mit wunderschöner Musik zu einem Filmdrama, muss an dieser Stelle Erwähnung finden. Da saß David Lynch 1980 am Set auf dem Regiestuhl und gedreht wurde Der Elefantenmensch / The Elephant Man gedreht. Die leider reale Geschichte eines durch Krankheit entstellten Menschen, der auf Jahrmärkten für Gaffer präsentiert wurde. Als Elefantenmensch sind John Hurt in der Hauptrolle und Anthony Hopkins als Dr. Treves zu erleben. Dazu die geniale Musik von John Morris. Meine Empfehlung der besinnliche, optimistische letzte Part mit dem Titel Recapitulation.

Zur Iberischen Halbinsel gehört neben Portugal auch Spanien. Dieses Land wurde von 1936 bis 1975 vom Faschisten Franco diktatorisch beherrscht. Eine neue Blüte der katalanischen Sprache in den 1930er Jahren wurde vom Diktator zerstört. Der katalanische Liedermacher Lluis Llach leistete Widerstand, erhielt Auftrittsverbot, musste ins französische Exil gehen. 1968 entstand sein Lied L´estaca (Der Pfahl) als Symbollied gegen die Unterdrückung. Und dann gab es 1976 das Barcelona-Konzert. Endlich erklang wieder die katalanische Sprache in Katalonien. Sechs Konzerte hatte die Zensurbehörde, ein Jahr nach dem Tod des Diktators Francos, genehmigt. Das Album Barcelona 1976 ist ein tief beeindruckendes Live-Dokument. Mir gefiel besonders der unter die Haut gehende Titel Silenci, fast ausschließlich vom Auditorium gesungen.

Der Name Griechenland ist nicht nur mit antiken Sagen, der Wiege der Demokratie, dem Olymp, Wohnsitz der Götter, mit Sirtaki, Retsina und Olympia verbunden, sondern auch mit dem Namen Mikis Theodorakis. Der Leser erinnert sich vielleicht an den Film  Alexis Sorbas von 1964 mit dem einmaligen Anthony Quinn; der Musik von Theodorakis. Ich möchte hier allerdings die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine andere Komposition lenken. Titel Mauthausen Trilogy (1966). Das Werk besteht aus dreimal 4 Arien, die jeweils in Griechisch, Hebräisch, Englisch bzw. Deutsch gesungen werden. Mein Gehirn hat aus dem ersten Teil den zweiten Titel – oder, um es kurz zu sagen, Track 2 - mit der Überschrift Song of Songs abgespeichert. Holocaust und schöne Musik? Geht das? Ja. Die Trilogy will berichten, erinnern, aber auch Hoffnung zum Ausdruck bringen. Mikis Theodorakis wurde übrigens 1967 von der damaligen Militärjunta verhaftet, seine Musik im Land verboten.

Beim morgendlichen Frühstück am Strand von Kyllini erklang aus dem Lautsprecher eine leichte, lockere, in den sonnigen Tag weisende Musik. Ja, es war ein Ohrwurm, der sich bei mir eingenistet hatte. Noch vor der Abreise vom Peloponnes lief ich auf der Suche nach diesem Titel durch die Fachgeschäfte von Patras, versuchte unzählige Male die Melodie zu summen. Als erstes wurde der zweite große griechische Komponist Manos Chatzidakis (Hatzidakis) erkannt. Nun hieß es, das Stück zu finden; in diverse Schallplatten (CDs gab es damals noch nicht) hineinzuhören. In der dritten oder vierten Musikalienhandlung waren Album und Titel dann gefunden. Freude. Matomenos Gamos, eine Musik zu Federico Garcia Lorcas Tragödie Bluthochzeit. Jetzt konnte ich unlimited meinen Ohrwurm, den morgendlichen Song genießen. Der Titel: Paramiti xvnis onoma.  Der Tag konnte und kann bis heute kommen.

Jedes Musikstück hat einen Hintergrund, eine Geschichte. Es muss nicht immer von historischer Bedeutung sein. Es kann dem Komponisten, dem Texter, Arrangeur, Instrumentalisten, Sänger, Songwriter ganz einfach um Spaß gehen, anderen eine Freude zu bereiten. Beim Namen Paolo Giovanni Nutini, kurz Paolo Nutini, denkt jeder vermutlich zuerst an einen italienischen Musiker. Doch der Sänger und Liedermacher Nutini ist ein gebürtiger Schotte; mit, das ist sicherlich nicht zu verleugnen,  italienischen Wurzeln. Sein Album Sunny Side Up von 2009 habe ich mir im Auto und auf vielen Bahnfahrten unzählige Male vorgespielt. Besonders beeindruckte mich bis heute der Song Candy. Garant für Freude, gute Stimmung.

Aus dem Nordosten Rumäniens kommt die zwölfköpfige Balkan-Brass-Band Fanfare Ciocarlia. Bei dem Bläser-Ensemble geht die Post richtig ab. Bisschen schräg, aber das macht gerade den Reiz aus. Eigentlich kann ich das komplette Album Baro BiaoWorld Wide Wedding empfehlen, doch ich bleibe bei der bisherigen Praxis und lege dem Leser ganz besonders den Titel Asfalt Tango ans Herz. Wenn die Musik gefällt, woran ich keine Zweifel habe, wird der Wunsch nach mehr kommen.

Etwas ruhiger, aber deshalb nicht weniger gefällig, geht es bei  Fanfarlo zu, einer 2006 vom schwedischen Musiker Simon Balthazar gegründete, jedoch in London beheimatete Band des Indie/Alternativ-Genres. Nie gehört? Der Leser kann und sollte es nachholen. Meine Empfehlung aus dem Album Reservoire trägt den Titel I´am Pilot.

Leben ist, vereinfacht formuliert, die Strecke zwischen Geburt und Tod. Das erste wird gefeiert; die folgende Zeit hoffentlich  genossen; das Ende häufig verdrängt. Doch es wird kommen. Der in Belgien geborene Chansonnier Jaques Brel brachte seine Gedanken 1961 in dem Chanson Le Moribond (Der Sterbende) zu Gehör. Der deutsche Sänger Klaus Hoffmann machte 1976 daraus seinen Song Adieu Emile. Ich will Gesang will Spiel und Tanz, will, dass man sich wie toll vergnügt, ich.... Einfach anhören.

Da gerade vom Ende des Lebens zu lesen war, eine weitere Empfehlung: The Young Olympia Brass Band of New Orleans 1971; und aus diesem Album der Titel  Lead me, Savior. Kann es für die letzte Reise eine schönere Begleitmusik geben?

Was ist mit Südamerika, dem Geburtsort unzähliger Musikstile? Brasilien? Cuba? Berechtigte Fragen. Man könnte nicht nur viele Geschichten verfassen, es wären etliche Bücher zu füllen. Zwei Titel, ohne Anspruch repräsentativ zu sein, habe ich ausgewählt. Da wäre zum einen die chilenische Gruppe Inti Illimani zu nennen, die mit der rauhen, warmen Panflöte, Siku genannt, musizieren. Dieses Instrument wird immer paarweise gespielt, da die Tonleiter sich grundsätzlich auf zwei Flöten verteilt. Hinzu kommt das für die Anden typische Charango, ein kleines Zupfinstrument, dessen Korpus früher aus dem Panzer des Gürteltieres bestand. Der Titel Alturas könnte auf offene Ohren treffen, gefallen, nach mehr verlangen.

Was das Charango für die Anden, ist die Steelband für die Karibik. Die locker, leichten, metallischen Rhythmen versetzen wohl jeden Körper in Bewegung. In der einst britischen Kolonie Trinidad wurden 1884 die drum bands verboten, da man befürchtete, die afrikanischstämmige Bevölkerung würde so unkontrollierbare Nachrichten übermitteln. Kreativität kennt keine Grenzen. Ausgediente Ölfässer dienten als Ersatz, als neues Instrument. Daraus entwickelte sich sehr schnell die Steelband bzw. das Steel Orchestra. Die Entscheidung für einen Titel fällt schwer. Steel Drum, mit einer Interpretation von Harry Belafontes Matilda Dano´s Island Sound, bringt das Stahl gut zum klingen und weckt vielleicht neue Bedürfnisse.

Die oben erwähnten Musikstücke wären um viele weitere zu ergänzen. Ich denke dabei nicht nur an die genannten Musiker, Gruppen, Sänger und die weiteren Alben, die sie eingespielt haben. Hier sollte es bekanntlich nur eine Auswahl sein; man könnte es Appetithappen, Anstoß zu Entdeckungen nennen.

Rock und Pop und all die anderen sogenannten populären Spielarten der Musik mit Zigtausenden von Titeln sind hier total unterbelichtet. Bewusst. Aus einschlägigen Melodien der Operettenwelt wurde einst der Begriff Schlager abgeleitet. Die Welt des Schlagers ist ehrlich gesagt nicht meine. Vielleicht ist diese Lücke dem Leser aufgefallen. Wenn nicht, habe ich es offensichtlich gut mit meinen Favoriten ersetzen, überdecken, kompensieren können.

Über musikalische Empfehlungen zu lesen, ist das eine. Musik zu hören, das wesentlich intensivere. Dem geneigten Leser sei daher ans Herz gelegt, sich im Internet bei YouTube (Titel mit Videos oder Fotos aufbereitet), Apple Music, Amazon oder anderen Diensten auf die Suche zu begeben. Die kursiv gestellten Texte werden dem Entdecker, dem Neugierigen sicherlich eine Hilfe sein.

Zurück zur eingangs erwähnten Peggy March. Die erste Zeile ihres Liedes heißt übrigens Hey, das ist Musik für Dich.... Ob mein Geschmack, meine Empfehlungen den Leser erreichen konnten, Interesse weckten, offene Ohren fanden, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht waren ein paar Entdeckungen dabei. Vielleicht stimmt der eine oder andere fortan mit mir ein und singt: Hey, das ist Musik für mich...

August 2020

© 2020

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