Gherkin

Der Sprecher der Beerbten


Ein dünnes Männlein mit schwarzer Hornbrille, im blütenweißen Hemd, steht, mit strahlend guter Laune vor mir, hüpft vor lauter Enthusiasmus, Schaffensdrang, Willensstärke und Leidenschaft, ist der lebendige Inbegriff von Verve, Temperament, Elan und Begeisterung, hüpft mit jedem Beginn eines Satzes ansatzweise, kann sich vor lauter freudiger Erregung kaum selbst im Zaum halten, und spricht nun zu mir, so zahnend, so glatzköpfig und so krekel (Dieser Typ da, vor mir, ist sicher der lebhafteste, munterste und gesündeste Mensch, der mir je begegnet ist, ein Ausbund an Freude und Work-Life-Balance-Inbrunst, vielleicht knapp über 60 Jahre alt):

 

„Ich künde dir meiner Weisheit Worte nun, heute, jetzt, denn nur im Hier und Jetzt lebe, du arme Wesenheit, lausche und werde meiner grenzenlosen Weisheit teilhaftig, damit du künftig ein sehr viel besseres Leben, welches diesen Namen auch verdient, wirst fristen dürfen!“

 

Der Mann ist voller Energie, er sprüht beinahe Funken vor lauter Tatendrang. Und er scheint mir etwas sehr Wichtiges mitteilen zu müssen. Er fragt nachdrücklich:

 

„Sehnst du dich auch manchmal nach einem Leben, in dem du jeden Morgen aufwachst, und voller Tatendrang und Lebensfreude in den Tag startest, statt im Alltagsstress zu funktionieren oder gar unterzugehen? Möchtest du deine Wünsche und Träume endlich realisieren statt nur zu hoffen, dass sich bald daran etwas verändert? Als ehemaliger Nationalspieler sowie aus der Zusammenarbeit als Coach und Speaker verhalf ich mittlerweile über 1 Million Menschen zur Zufriedenheit, zu Glück und zum Wohlstand…“

 

Ich musste zugeben: Auch ich sehnte mich nach einem Leben, in dem ich jeden Morgen aufwache. Doch, auch ich möchte gerne Speaker werden. Der Sprecher der Beerbten. Aber den Traum, endlich Nationalspieler zu werden, den habe ich längst abgehakt. Diese hüpfende Bowlingkugel hatte mein Interesse geweckt. Was für eine Art Nationalspieler er wohl gewesen sein mochte? Wasserball? Karate? Gummistiefelweitwurf? Vielleicht Schachboxen? Oder Buzkashi? Melonenkern-Weitspucken? Oder Surströmming-Wettessen? Ich sah ihn mir lange an. Welche Sportart könnte der Zappelphilipp betrieben haben? Ich entschied mich dann für Unterwasserhockey. Stromlinienförmig, wie er nun einmal war, könnte das die ideale Sportart für ihn gewesen sein.

 

Plötzlich, unablässig hüpfend, in weißer Hose, mit schwarzem Gürtel, und seinem weißen Hemd, beginnt das Männlein, glatzköpfig und im wahrsten Sinne des Wortes springlebendig, Englisch zu sprechen. Warum? Das ist mir unbekannt. Ich bin froh, ein wenig Englisch verstehen zu können:

 

"Don't you sometimes wish for it to already be here - the successs? Your personal success? Yes??"

 

Der Glatzkopf wendet sich, nur ganz kurz, ab, um seiner inneren Erregung Herr werden zu können.

 

Dann verfällt er erneut in seinen nasalen, deutschen Hüpf-Spring-Begeisterungs-Wortschwall:

„Ah, bist du bereit, die Challenge des Lebens anzupacken und dein volles Potenzial zu entfalten? Ja? Ich bin dein Game Changer, dein extra-erfolgreicher, nimmermüder Mentaltrainer und Life Coach, und sicher einer der angesehensten und kompetentesten Persönlichkeits-
und Managementtrainer im deutschsprachigen Raum!
O ja! Wisse nun: Wir entwickeln zusammen ein so starkes Mindset für deinen ganzheitlichen Lebenserfolg (!), dass du später, im Rückblick, zu sagen gezwungen sein wirst: Ach Gottchen, hätte ich Jörg Löhr doch schon 1995 kennengelernt! Doch, doch, glaube es nur! Die von mir entwickelte Methodik sowie die mir eigene Motivation und Begeisterung ist mir zum Lebensmotto geworden! Und ich bin so voller Tatendrang, dass ich meine Begeisterung mit ALLEN teilen möchte (hüpft weiterhin stetig bei jedem Satzbeginn), die an eine Veränderung in ihrem Leben glauben, und sei sie auch nur marginal, von Regalauffüllung zur Warenverräumung.“

 

Nun, ich bin Bürokaufmann, aber was soll‘s? Werde ich eben Regalauffüller respektive eben dann, die Steigerung dessen, ein Warenverräumungs-Chief Super Intendent. Auch gut. Jetzt weiß ich ja wenigstens den Namen des Männleins, es ist ein gewisser Jörg Löhr, hüpfend sympathisch, mit all seinem ultra-weißen, perlend-weißen, schneeweißen Lächeln. Nein, einen Jörg Löhr kenne ich gar nicht. Ein alter Schulkamerad? Nein. Ein Ex-Vorgesetzter? Nein. Richter beim Berufungsgericht? Eher nicht. Vielleicht ein früherer Nachbar. Oder einer, mit dem ich in meiner Jugend in Augsburg Handball gespielt hatte. Womöglich. Löhr strahlt mich so an, dass ich mir eine Sonnenbrille, just in diesem Augenblick, wünschte:

 

„Mein Coaching ist souverän und kompetent! Ich darf nun von mir behaupten, den Deven Schuller in Sachen Charisma, Wucht der Präsenz und Rhetorik, in den Bereichen Kompetenz und vor allem Wortschatz bei weitem zu übertreffen! Deven Schuller ist Aussteiger und Anleger, ich aber bin ein Einsteiger und Ableger – und zwar des berühmten Rich Litvin oder auch eines Steve Chandler. Ich behaupte, eines Tages, von Augsburg aus, diese beiden Männer noch zu übertreffen! Jawohl. Höre mir aufmerksam zu, lausche geflissentlich: Zu übertreffen! Zu übertreffen.. Zu übertre.. Zu über.. hööööörst du? Zu üüüübeee….“

 

Die nasale Stimme wurde immer leiser und leiser. Schließlich verschwamm sie ganz. In Schweiß gebadet erwachte ich. Was für eine Horror-Nacht. Welch entsetzlicher Albtraum! Wie kann man denn nur solch einen unfassbaren Unsinn träumen? Ob es diesen Jörg Löhr wirklich gibt? Luzide Träume sind keine Schäume. Ich muss das gleich einmal im Internet überprüfen. Jörg Löhr, was für‘n Name. Ich ließ mich, extrem verschwitzt, in die Kissen zurück gleiten. Albträume hatte ich, dem Himmel sei Dank, nur sehr selten. Dieser war aber einer der heftigsten, die ich je hatte. Bald fiel ich in einen unruhigen, wenig erquickenden Schlaf zurück. Als ich erwachte, hatte ich wirklich alles vergessen. Wer war gleich jenes hüpfende Männlein? Jens Stör? Keine Ahnung. Wird wohl auch nicht so wichtig gewesen sein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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