Horst Radmacher

Lieber ein Spatz in der Hand...

Jochen Wuttke und seine Frau Sabine gehören zu den Menschen, die sich nicht über den Tod eines Verwandten freuen können. Das Ableben ihrer 89-jährigen Tante Klara jedoch, brachte eine gravierende Verbesserung ihrer Wohnsituation. Sie übernahmen das Reihenendhaus der Verstorbenen, das diese ihnen neun Jahre zuvor auf Basis einer Leibrente übereignet hatte. Statt in der achten Etage in einem Hochhaus am Rande einer Großstadt, würden sie künftig auf eigenem Grund und Boden in einer Kleinstadt leben. Haus und Grundstück waren in einem erstklassigen Zustand, sogar die Energieversorgung war auf dem neuesten Stand: Heizung per Wärmepumpe, elektrische Versorgung per Foto-Voltaik. Diese Sonnenkollektoren sind zwar optisch nicht attraktiv, fallen aber in dieser Siedlung nicht weiter auf, da fast alle Nachbarhäuser damit ausgestattet sind. Und hier begann ein erstes Problem der Neubewohner, deren Prämisse es war, auf jeden Fall ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn zu pflegen.

Jochen Wuttke ist seit vielen Jahren Züchter von Brieftauben. Für dieses Hobby hatte er bislang als Miethausbewohner immer einen ziemlich weiten Weg zurücklegen müssen, um sich um seine Tauben zu kümmern. Das würde nun in der Reihenhaussiedlung entfallen. Jochen erhielt vom Bauamt der Gemeinde eine Baugenehmigung für einen Taubenschlag in einem allgemeinen Wohngebiet. Diese Genehmigung galt für vierundzwanzig Brieftauben und acht stationäre Zuchttauben. Die Vorschriften für Lärmimmission und die Zeiten für die nächtliche Stallsperre teilte er seinen Nachbarn schriftlich mit. Es gab keinerlei Einwände seitens der Nachbarn. Im Gegenteil, die meisten Anwohner erfreuten sich bald an den eleganten Flugmanövern des Taubenschwarms. Diese Flüge fanden extrem pünktlich statt, man konnte nach den Trainingsflügen die Uhr stellen.

Dann aber gingen erste Beschwerden ein; denn der Flug der Vögel hatte nicht nur ästhetische Aspekte. Wie bald zu erkennen war, landeten die Ausscheidungsprodukte der Vögel nicht ausschließlich auf dem Grundstück ihres Besitzers; die Tauben kackten im Laufe der Zeit auch flächendeckend auf einige andere, immer die selben Dächer in der Nachbarschaft, was nicht nur beschissen aussah, sondern auch die Solar-Panele auf den Dächern schädigte. Tauben sind nun mal Gewohnheitstiere und halten ihre Regeln nicht nur in Bezug auf Zeit penibel ein. Für die betroffenen Nachbarn der Wuttkes war dieses allerdings nicht akzeptabel. Die natürlichen Bedürfnisse der Vögel zu ändern, das ging nicht. Die altbekannte Redewendung, Lieber ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach, wurde in kurzer Zeit zum geflügelten Wort. Auch wollte selbst ein gutwilliger Bürger, wie Jochen Wuttke es einer ist, nicht ständig Taubendreck von fremden Dächern entfernen. Der Fall landete vor dem Schiedsgericht, wo es dann zu einem Kompromiss kam. Die ständige, sehr aufwändige Arbeit zur Beseitigung der Taubenkacke auf allen betroffenen Dächern, das wäre Jochen nicht zuzumuten. Andererseits, ihm die liebsten Objekte seiner Freizeit zu nehmen, wollte auch niemand. Man einigte sich darauf, dass Herr Wuttke die Taubenhaltung im großen Umfang einstellen sollte und statt dessen ein einziges Paar Haustauben zu seiner seelischen Erbauung in seinem Schlag halten dürfte.

Nach aufwändigen Recherchen fand er eine Taubenrasse, die für ihre Standorttreue bekannt ist, und deren Paare ihr gesamzes Leben  monogam zusammen bleiben. Sie waren nett anzuschauen, alle in der Siedlung mochten sie, das Turteltaubenpaar Angelina & Brad, wie es in der Nachbarschaft genannt wurde. Deren reine Turtelgeräusche wären noch zu ertragen gewesen, aber das permanente, monotone Gurren in den sehr frühen Morgenstunden raubte den meisten Anwohnern den Schlaf. Nach Tagesanbruch hörten die Geräusche nicht einfach auf, nur die Tonart wurde eine andere, von absolut nervtötender Penetranz. Da die beiden Vögel nicht den Regeln für Haustiere unterlagen, konnte auch keine Nachtsperre für sie angeordnet werden. Schweren Herzens stimmte das Ehepaar Wuttke zu, die Vögel zu vertreiben, was aber nicht dauerhaft gelang, denn sie waren nun einmal extrem standorttreu. Eine rabiatere Lösung, die Vögel zu vergiften, das war jedoch für niemanden eine ernsthafte Option.

So kam Jochen über einen befreundeten Züchterkollegen in Kontakt zu einem ausgewiesenen Fachmann für Fragen aller Art zum Thema Haustaube, in Fachkreisen als 'Taubenflüsterer' bekannt - dieser wusste alles zum Thema dieser Vogelart. Jochen suchte ihn auf und war verblüfft über den Lösungsvorschlag. Man müsse einfach nur, so der Rat des Experten, eine Taube fangen und auf deren Kopf vorsichtig den Kronkorken einer Bierflasche fixieren, am besten mit Maler-Abklebeband. Wichtig ist dabei der gezackte Rand eines Kronkorkens. Andere leichte Scheiben, wie Chips für Einkaufswagen oder Alu-Münzen der früheren DDR-Währung zeigen hier keine Wirkung. Die genaue Wirkweise kann niemand erklären, es hat vermutlich mit der Störung der Sensorik für den Orientierungssinn der Vögel zu tun. Auf jeden Fall kehren auf diese Art präparierte Tauben nie wieder an den Ort zurück, an dem ihnen diese Kopfbedeckung verpasst wurde.

Und es funktionierte auch bei Angelina und Brad hervorragend. Die Bewohner der Siedlung am Rande der kleinen Stadt konnten endlich wieder durchschlafen und hatten tagsüber nur noch normale Geräusche einer menschlichen Ansiedlung um sich herum. Aber dieser angenehme Zustand hielt nur einige Monate lang an. Dann war es vorbei mit der Nachtruhe. In der Siedlung wurde eine Mardersippe sesshaft. Das Spektakel dieser possierlichen Tierchen raubte den Menschen dort ihren Schlaf und einigen Anwohnern zusätzlich Kunststoffschläuche im Inneren ihrer Autos. Da half kein Experte, kein Marderflüsterer mit seinen Ratschlägen. Die Häuser mussten umgebaut und anschließend mardersicher versiegelt werden. Beim Ausheben einer der Beutenester dieser Nager unter dem Dach, fanden die Handwerker die halbverwesten Köpfe zweier Haustauben: Die Kronkorken einer regionalen Biermarke, sowie ein Fetzen Klebeband waren noch gut an den tierischen Überresten zu erkennen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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