Francois Loeb

ROLLENTAUSCH

Davonfliegen oder kriechen zu lesen in der neuesten Wochengeschichte aus meiner Feder:

ROLLENTAUSCH

„BEWEGEN!" Und nochmals „BEWEGEN“, höre ich ferne Rufe, die langsam näherkommen. Vernehme diese auf meinem Sonntagswaldspaziergang, den ich bei strahlendem Winterwetter unternehme, um Luft in meine Lungen zu bekommen. Das Luftreservoir für die kommende Arbeitswoche muss ich auffüllen, sonst halte ich die fünf stressvollen Bürotage nicht aus.
Weiter höre ich die Rufe. Näher kommen sie. Immer näher. Könnte sich um eine Seniorengruppe handeln, die gemeinsam Altersturnen im Freien ausübt. Doch sehe ich niemanden. Nicht einmal Schatten. Trotz des strahlenden Sonnenscheins, die solche in Vielzahl reproduzieren sollte. Der Spazierweg, der sich in Schlangenlinien hochschraubt, ist übersichtlich. Nur Worte sind zu hören. Keine Gestalten. Übt sich die Seniorenschaft in Unsichtbarbereitschaftsturnen? Eine Vorstufe des Abtretens von dieser Welt? Oder haben sich alle Tarnkappen übergestülpt? Heutzutage ist beinahe alles möglich, sendet meine linke Iris an meine Denkzentrale und äugt krampfhaft weiter. Etwas muss doch zu sehen sein. In Uneinsichtsgruppen können sich Worte nach meiner Logik nicht selbstständig bewegen. Benötigen Resonanzböden. Stimmbänder.
Unheimlich, diese Laute. Ein Geheimnis? Unterweltstimmen? Aus dem Jenseits gar. Aus dem Cyberspace:
„Und eins und zwei, drei. Drehen. Beugen. Pirouette. Keine Müdigkeit vorspielen. Die Trockenheit werdet ihr nur durch Mitturnen überstehen. Los. Los. Hopp! Hopp.“
Da, ich kann es kaum glauben, wälzt sich ein Regenwurm-Klüngel auf mich zu. Den steilen Kurvenweg abwärts. Alle ineinander verschachtelt. Turnen um die Wette. Heben Köpfchen und Schwänze. Greifen ineinander. Spenden sich gegenseitig Feuchtigkeit. Die strahlende Wintersonne hat keinerlei Kraft. Kühlt eher als zu wärmen, was die Wurmschar zu freuen scheint. Und das Gewürme zieht an meinen Füssen vorbei, ohne mich zu beachten. Zieht weiter den Weg ins Tal.
Der Oberwurm-Vorturner schreit seine Befehle. Die Rufe werden leiser. Frage mich, weshalb es möglich ist, dass ich Regenwurm-Idiom verstehen kann. Nicht grübeln, sagt mein Verstand, sonst droht dir ein Regenwurmschicksal. Grübeln und das in-den-Boden-bohren ist deren Sache. Blicke auf den kurvenreichen Weg.

Da erblicke ich einen einsamen braunen Wurm. Er hebt den Kopf in meine Richtung. Hat sich vom abgewanderten Knäuel gelöst. Spricht mich mit säuselnder Stimme und erhobenem Köpfchen an. Bittet mich um Gehör. Kriecht in mein linkes Hosenbein. Sucht den Weg entlang meiner Socke. Bietet mir einen Rollentausch an. Beschreibt diesen in den herrlichsten Farben. Ob ich wisse, dass ein Wurm auseinandergeschnitten weiterleben könne. Dass er keinerlei Sorgen und Ängste mit sich trage. Ich solle doch zumindest probeweise den Tausch eingehen. Er, der Regenwurm, sei höchst gespannt, wie das Leben als Untier, wie ich eins sei, sich anfühlen könne. Ob sich da auch Fressfeinde zeigen würden? Und wie Trockenheit zu bewältigen sein könne. Er sei bereit, den Versuch einzugehen. Wenn ich es mir wünschen würde, auch nur mit halber Kraft voraus. Also hätte ich einzig die Hälfte meines Körpers einzubringen. Und er, sie, es, je nur ein Sechstel. Das sei genial. Er träume davon. Da ein Regenwurm in seinem Schicksal so oder so ein Wesen wie mich anbete. Ich solle mich rasch entscheiden. Bedenken, dass mein Leben sich dadurch verdoppeln könne. Ein Teil des neuen Körpers sei jederzeit abwerfbar. Bei Unzufriedenheit. Bei Depressionen oder Krankheit.

Bin überwältigt. Wie gelähmt und sprachlos, bringe selbst kein Wort der Regenwurmsprache über meine ausgetrockneten Lippen. Sehne mich nach Feuchtigkeit. Nach Regen.

Ohne weiteres Bitten annektiert der Wurm meinen Körper.

Werde zum denkfähigen Regenwurm!

Beginne eilwindig der Turngruppe nachzueilen. Folge den Befehlen des Chefs, der weiter lautstark seine Kommandos herausposaunt.

Jedoch behagt mir die neue wurmhafte Körperform, in die ich verwandelt wurde, flugs nicht mehr. Beginne den mir in Aussicht gestellten Teilvorgang unter meine Saugnapffüsse zu nehmen.

Teile und teile mich. Noch und noch!

Bin endlich glücklich, alle Schwere abzuwerfen. Bis in die einzelnen Atome. Entdecke, dass Leichtigkeit der Weg der Zukunft darstellt. Leichtfüssigkeit es ermöglicht, vor sich selbst davonzulaufen. Oder doch eher zu kriechen ...


Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:

W A R - N - U N G
Um die Wette turnend Warner
Besagen im rosafarbenen Abendlicht
Gegenseitig voll erpicht die Lage ernstlich
Gefährlichst unergötzlich nun mittelbar so sei.

Handeln handeln sich wandeln
Einzig Lösung könne sein
Doch auf Warner hören
Nur Alltagsstörung sei.

Mensch Meier
Ohne jeden Schleier
Dies keine überholte Leier
Erkenne das flugs ein Jeder
Auch die an alte Regeln Kleber.


Herzlichst
François Loeb

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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