Ingrid Grote

Der Himmel über Rom, Teil 24 - DER BESTE VATER


Sein rechtes Bein ist viel dünner als das linke, denn die Wunde hat zuviel Muskelgewebe vernichtet. Er kann nicht länger Offizier sein in der römischen Armee. Marcus fühlte sich deswegen nicht unglücklich. Er war nie einer dieser fanatischen Heerführer gewesen, hatte immer die Grausamkeit der römischen Feldzüge verabscheut, hatte immer verhindern wollen, dass seine Soldaten die besiegte Bevölkerung misshandelten, vor allem die Frauen.
Dennoch hatte er einen Traum, aber den mochte er ohne SIE nicht verwirklichen, warum nur musste er immer an SIE denken. Sie hatte ihn immer angesehen, als würde sie ihn zutiefst verabscheuen. Und diesen Eindruck musste er auch bei vielen anderen erweckt haben.
Colonia, seine kleine Tochter saß neben ihm. Sie beide lebten nun allein in diesem Haus, das nie ein richtiges Daheim für ihn gewesen war. Zu schmerzhaft die Erinnerungen. Zu schmerzhaft seine Beziehung zu der Sidonia. Diese Frau hatte sein Leben an sich gerissen und geprägt. Und das über ihren Tod hinaus.
„Mein liebes Kind, es hat sich einiges geändert. Ich kann meinen Dienst nicht mehr erfüllen. Und ich bin froh darüber, denn im Grunde meines Wesens bin ich kein Soldat, sondern eher Bauer. Colonius ... Das heißt Bauer oder Siedler. Und ich gedenke nun, zu meinen Ursprüngen zurückzukehren und ich hoffe, dass du mich dabei begleitest.“
„Das finde ich gut, Vater, wirklich gut! Aber wohin willst du denn?“
„Nicht in Capua und auch nicht in Latium, mir schwebt anderes vor“, sagte Marcus nachdenklich. „Seit ich den Feldzug in Britannien mitgemacht habe, muss ich an dieses Land denken. Die Sonne scheint dort nicht so schroff und gnadenlos wie hier, meistens ist sie verhangen. Auch regnet es dort oft. Die Winter sind denen von Rom ähnlich, aber kälter - und manchmal fällt sogar Schnee. Ich mag Schnee. Auch gibt es dort viele Bäume und viele sanfte Hügel, aber auch Klippen am Meer. Ich weiß nicht, wieso ich dieses Land so liebe, aber es ist eben so. Und ich möchte dort mein weiteres Leben verbringen.“
„Das hört sich wundervoll an, Vater! Wann werden wir dorthin fahren? Und was passiert dann mit diesem Haus und dem Landgut in Capua?“
„Ganz langsam, mein Kind!“ Marcus erhob sich und lief im Zimmer herum. Er wirkte nervös, und die Colonia betrachtete ihn besorgt.
„Du fragst dich bestimmt, warum ich wirklich von Rom weg will? Es ist nicht nur wegen der schönen Landschaft in Britannien. Auch nicht wegen der verhangenen Sonne, nein, es ist wegen der verdammten Politik. Wir sind die Messalina losgeworden, aber ...“ Marcus schüttelte den Kopf, „jetzt haben wir ein neues Problem.“
Die Colonia schwieg und sah ihn aufmerksam an. Die Kleine war so verständig und klug. Er war stolz auf sie, denn er konnte ihr alles sagen und sie würde alles verstehen. Sie war jenseits von Aristokratie und Sklaverei, sie war einfach nur ein wunderbares Menschenkind. So wie die Vanadis ... Ja, auch wenn sie ihn hasste, konnte er ohne sie nicht leben. Er wollte sie so gerne mitnehmen nach Britannien, denn ohne sie hätte alles einen bitteren Beigeschmack. Aber sie war fortgegangen und er hatte Angst um sie. Denn es würde hier in Rom nicht besser werden für die Menschen, neue Pläne wurden geschmiedet, das hatte die Caenis ihm erzählt, eine neue Kaiserin wurde ausgesucht. Er mochte sie nicht, sie war die Nichte des Claudius, die Tochter seines geliebten Bruders Germanicus – und somit die Schwester des Caligula. Agrippina ... Sie gehörte den „schlechten“ Claudiern an, genauso wie ihre Urgroßmutter Livia.
Agrippina war immer noch eine schöne Frau, Gesichtsmassagen mit Ziegenmilch hatten ihr Gesicht jung gehalten.  ihr Körper war straff, denn sie musste sich jahrelang auf einer Insel, wohin ihr Bruder Caligula sie verbannt hatte, vom Fischen und Tauchen ernähren. Die Caenis traute ihr nicht. Sie ähnelte zu sehr der Livia, diese hatte das riesige Reich gut verwaltet, aber sie hatte auch massenhaft Menschen hinrichten oder sie einfach verschwinden lassen. Man munkelte sogar, dass sie ihren Mann Augustus vergiftete. Damals hatte der Kaiser sie schon durchschaut, seine noch überlebenden Enkel hatten ihn aufgeklärt über ihre Untaten. Er aß fast nichts mehr aus Angst vor seiner Frau, nur noch Pflaumen von seinem Lieblingsbaum. Dennoch starb er. Warum? Livia hatte die Pflaumen direkt am Baum mit Gift bestrichen.
Und jetzt sollte ihre Urenkelin Agrippina die neue Kaiserin werden? Das Schlimme daran war ihr Sohn Lucius Domitius Nero, dieser eitle Geck, dieser frisierte Schauspieler, dieser miese Sänger. Erzogen von Seneca, dem die Meinung des Volkes nichts bedeutete. Neros Vater stammte aus der gleichen Familie, aus der auch die Messalina kam. Welch verheerende Kombination aus Domitiern und Claudiern – beide waren gleichermaßen durchsetzt mit grausamen und sadistischen Charakteren. Und der Nero schleimte sich jetzt schon beim Volk ein, genauso wie sein Onkel Caligula damals. Anscheinend war er damit erfolgreich. Welch dummes Volk!
Marcus teilte all seine Bedenken der Colonia mit und sagte am Ende seiner Ausführungen: „Ich glaube, die neue Kaiserin wird schlimmer sein als die Messalina. Sie lässt sich nicht von ihren Leidenschaften leiten, sondern von ihrem Ehrgeiz und ihrer Machtgier. Sie wird versuchen, ihren Sohn Nero als Thronfolger einzusetzen und dafür wird sie alles tun! Ich habe deswegen Angst um den Britannicus, den Sohn des Claudius. Weil er tapfer, gut und vertrauensvoll ist.“ Marcus machte eine lange nachdenkliche Pause, während der seine Tochter ihn gespannt anschaute.
„Es könnte sein, dass der Britannicus eines Tages fliehen muss, weil der Nero ihn bedroht. Und dann werden wir ihm in Britannien eine Zuflucht bieten, das habe ich dem Kaiser versprochen.“
„Ich verstehe den Kaiser nicht, warum lässt er das zu? Was will er?“
„Ich weiß es auch nicht. Seitdem er die Messalina hinrichten ließ,  ist er nicht mehr derselbe. Er hat seinen Glauben an Rom verloren und er denkt vielleicht, dass es mit dem Kaisertum noch viel schlimmer werden muss, bevor das römische Volk die Nase voll hat und zur Republik* zurückkehrt. Und mit dem Domitier Nero wird es auf jeden Fall schlimmer werden.“
Die Colonia überlegte - und nach einer Weile sagte sie: „Du hast recht, Vater. Es kann hier nicht besser werden, also müssen wir fort von Rom. Haben wir Geld genug, um in Britannien ein neues Leben anzufangen?“
Die Kleine war praktisch veranlagt, dachte Marcus, fast musste er darüber lächeln. „Ja, das haben wir. Deine Mutter war das einzige Kind in der Familie, ihre Eltern sind lange schon tot und es gibt keine Erben außer mir und dir. Wir werden die Villa in Capua verkaufen und dieses Stadthaus auch. Und rate mal, wer beides erwerben wird?“
„Ich weiß es“, verkündete die Colonia aufgeregt, „es ist die Caenis!“
„Du hast recht“, in Marcus’ Stimme war der Stolz auf seine Tochter nicht zu überhören, „die Caenis wird unsere Häuser kaufen und auch die Sklaven übernehmen. Vermutlich wird sie diese freilassen, falls sie es wünschen.“
„Bobum möchte bestimmt nicht freigelassen werden, er hat so gar keine Talente. Wir sollten ihn vielleicht mitnehmen, natürlich nur wenn er will.“
„Gut, wenn du meinst ... Es wird sich sowieso einiges ändern, denn wir werden in Britannien keine Sklaven mehr haben. Außer Bobum dann.“ Markus musste lachen.
„Und vielleicht die beiden stummen Brüder, ich weiß, dass sie Rom hassen.“ Die Colonia sann vor sich hin. „Das ist ...“, stammelte sie schließlich, „wunderbar! Und es könnte funktionieren. Dort sind dann alle freie Bürger Roms! Hier nicht, hier kann sich kein Freigelassener in Konkurrenz zu den Bürgern behaupten – es sei denn, er hätte ein Vermögen angehäuft.“
„Meine Tochter, komm her!“, er umarmte sie lange, er brauchte das jetzt, und sie ließ es sich gerne gefallen.
„Ich habe dich sehr sehr lieb, Vater“, sagte sie schließlich.
Die Kleine war wirklich außergewöhnlich. Sie kam mit fast allen Menschen klar. Nein, sie bezauberte sie. Bis auf eine einzige Person, nämlich ihre verstorbene Mutter. Vielleicht sollte er ihr einfach die Wahrheit sagen. Abgemildert natürlich, denn er wollte sie nicht noch mehr verunsichern. Durch den Hass ihrer Mutter war sie schon gestraft genug.
Die Colonia lächelte ihn an, und dann sagte sie zu seinem Erstaunen: „Ich weiß sehr wohl, dass du nicht mein leiblicher Vater bist.“
„Was?“ Es kam ihm vor, als könne sie seine Gedanken lesen und Marcus fühlte sich auf einmal sehr hilflos. „Niemand kann eine Ahnung davon haben. Es war ein Teil der Abmach...“, er verstummte.
„Ich habe meine Mutter oft belauscht, wenn sie sich mit ihren Liebhabern - egal ob männlich oder weiblich - unterhielt und dabei kam einiges heraus. Nichts Schönes ...“
„Zum Jupiter!“, Marcus schüttelte den Kopf, aber dann fing auch er an zu lächeln. „Du hast recht, ich bin nicht dein leiblicher Vater, aber hier in Rom ist das egal. Da werden Kinder adoptiert, um den Fortbestand der Familie zu sichern, das war bei Julius Caesar der Fall, er hat seinen Großneffen Octavius adoptiert, der dann der große Augustus wurde. Und dieser hat den Tiberius adoptiert, weil er keinen eigenen Sohn besaß. Nun ja, seine Enkel hatte die verdammte Livia fast alle beiseite geräumt ... Doch wen interessiert das jetzt noch.“
„Mich interessiert das nicht, lieber Vater. Aber ich möchte gerne Näheres wissen über dein Verhältnis zu meiner Mutter. Was ist damals passiert?“
Marcus wollte sich dazu nicht äußern, denn er war noch nicht bereit dazu. „Ach, das ist schon lange her und hat nichts zu bedeuten“, sagte er schließlich lahm, er strich ihr übers Haar und fing wieder an, im Zimmer hin und herzugehen.
Seine Tochter beobachtete ihn dabei. Er stellte fest, dass ihr Blick zwar zweifelnd war, aber sie wirkte nicht sonderlich beunruhigt. Sie schien zu überlegen und sagte dann: „Ich weiß, dass ich keinen besseren Vater als dich haben könnte. Und es ist mir egal, ob du nun mein leiblicher Vater bist oder nicht. Denn meine leibhaftige Mutter...“, sie brach ab und hielt sich die Hand vor ihre Augen.
„Ich weiß, mein Kind. Sie hat dich schrecklich behandelt. Und niemand hat das verstanden, geschweige denn gebilligt.“
Der Colonia strömten mittlerweile die Tränen übers Gesicht, während sie schluchzte: „Du bist der beste Vater der Welt, und weißt du auch warum? Nein, das weißt du nicht!“
Marcus wartete angespannt. Er hatte keine Ahnung, was ihre Worte bedeuten sollten.
„Es ist deswegen“, sagte die Colonia, und ihre Lippen zitterten dabei, „weil du meine Mutter nie geliebt hast und das ist gut so. Denn ich verabscheue sie! Auch nach ihrem Tode verabscheue ich sie noch!“
Marcus sah sie sprachlos an, er fühlte sich erschüttert. So schlimm war es für die Colonia gewesen? Natürlich hatte er gewusst, dass die Kleine ihre Mutter nicht mochte, er hatte aber immer gedacht, es handele sich um eine kindliche Reaktion auf die Feindseligkeiten der Sidonia. Diese waren schon am ersten Tag nach ihrer Niederkunft zu spüren, doch er hatte gedacht: Das gibt sich schon, eine Mutter liebt ihr Kind doch. Es hatte sich aber nicht gegeben, und er hatte nicht darauf geachtet. Er war ein schlechter Vater! Erst viel später war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass die Sidonia einen tiefen Hass gegen ihr eigenes Kind empfand. Aber da war sie leider schon tot ...
„Sie war eine böse Frau, und sie hat dich nicht verdient!“ Colonia schlang ihre Arme um ihn. „Ich hab dich lieb, sehr sehr lieb, und es gibt nur zwei Menschen außer dir, die ich auch so lieb habe.“
„Mein Kind!“, Marcus war immer noch erschüttert von dem Hass, den seine Tochter auf ihre Mutter empfand, doch dann stutzte er und schob die Colonia sanft von sich. „Und wer sind diese zwei?“, fragte er.
Die Colonia lächelte, und ihr unscheinbares Gesicht verschönte sich dadurch: „Als erstes der Imaginus.“
Marcus schüttelte den Kopf. Nicht das, nicht dieser Imaginus, der ja in Wirklichkeit Thumelicus hieß, oder was auch immer. Warum nur hatte er der Caenis ermöglicht, diesen Mann aus Ravenna zu befreien? Thumelicus befand sich nun in Capua, in einer Villa der Caenis. Und da sollte er verrotten! Er hasste diesen germanischen Störenfried! Aber jetzt war er weg, weg von Rom, weg von Vanadis. Aber vielleicht liebte sie ihn immer noch. War sie ihm so verfallen, diesem verrückten Schönling? War sie deswegen aus diesem Haus geflohen?
„Und natürlich die Vanadis“, sagte seine Tochter gerade.
Bei diesen Worten horchte er auf. „Was weißt du von ihr? Wo lebt sie nun? Sage es mir, ich muss sie finden!“ Nein, es war nicht der Thumelicus, wegen dem sie verschwunden war, sondern etwas anderes. Er hatte sich das Gehirn zermartert, bis er darauf kam: Sie fühlte sich benutzt, fühlte sich wie eine willenlose Sklavin – sie wollte ihm nicht ausgeliefert sein und deswegen war sie gegangen. Wie gut er das verstehen konnte. Und wie er sie vermisste. Vanadis, ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Hingabe, ihre Bewegungen, ihr Lächeln, das ihm nie gegolten hatte, ihre Art ...
„Sie war hier in diesem Haus, aber es ist schon länger her.“
„Was?“, fragte Marcus entgeistert. „Und warum hat mir keiner davon berichtet?“
„Niemand ahnte etwas davon, dass du und sie ...“
„Ich und sie? Was weißt du davon?“
„Ich habe es gehört“, die Colonia grinste bei diesen Worten neckisch. „Es war einfach zu laut, um es zu überhören.“
„Oh verdammt“, ächzte Marcus auf und biss sich auf die Lippen.
„Ich habe schon sehr viel Schlimmeres in diesem Hause erlebt, meine Mutter ...“ Colonia brach ab und sah angeekelt aus. Doch dann fasste sie sich und fuhr fort: „Ich habe mir einfach ein Kissen über den Kopf gezogen – und euch alles Glück der Erde gewünscht.“
„Und wie geht es ihr, was tut sie nun, hat sie nach mir gefragt?“ Marcus fühlte sich aufgelöst wie nie zuvor. Sie war hier im Haus gewesen. In diesem schrecklichen Haus mit all seinen schrecklichen Erinnerungen, aber jetzt wo er wusste, dass sie dagewesen war, fühlte er sich auf einmal getröstet.
„Es ist schon ein Weilchen her, und sie kam mir ein bisschen dicker vor als früher“, die Colonia lächelte ihn hinterhältig lieb an.
„Was, wieso?“
„Mein lieber Vater, manchmal stellst du dich ziemlich dumm an. So etwas passiert manchmal mit Frauen, wenn sie es mit Männern getrieben haben.“
Marcus stand da wie vom Donner gerührt, und sein Gesicht sah so fassungslos aus, dass seine Tochter lachen musste.
„Nein!“, sagte er schließlich.
„Oh doch! Sie hat bald darauf einen Sohn geboren, der seltsamerweise ...“, Colonia machte eine kurze effektvolle Pause, bevor sie weitersprach, „aussieht wie du, was für ein süßer Kerl! Und sie lebt in der Subura und arbeitet als, ich sage mal ausgezeichnete Kopiererin von wichtigen Dokumenten, ich habe nämlich in ihrer Wohnung eine angefangene Schriftrolle gesehen und eine Wachstafel, auf der sich der Entwurf für ein gewisses Schreiben befand. Außerdem verdient sie auch etwas mit dem Brauen von Met. Da waren Rechnungen und Amphoren. Und sie hat natürlich Angst, dass man sie suchen, oder besser gesagt finden könnte ...“
„Verdammt noch mal! Sage mir, wo sie wohnt!“
„Das darf ich nicht, ich habe ihr mein Wort gegeben.“
„Was zum Jupiter! Ich muss das wissen!“ Marcus überlegte, er lief im Zimmer hin und her wie ein wildes Tier im Käfig. „Aber vielleicht hasst sie mich ja“, sagte er dann leise. „Natürlich hasst sie mich.“
„Dummes Zeug, Vater! Das denke ich nicht. Ich meine eher, dass sie Gefühle für dich hat, sie aber nicht benennen kann oder will. Immerhin hat sie dir das Leben gerettet.“
Marcus sah aus, als würden ihm die Augen aus dem Kopf fallen. Er schüttelte den Kopf, als wolle er etwas verscheuchen. „Wie meinst du das jetzt? Was zum Jupiter weißt du noch alles?“, fragte er begierig.
„Ach das?“ Die Colonia lächelte milde. „Als du diese Wunde am Bein hattest und in der Garnison lagst, da habe ich Vanadis besucht und es ihr erzählt. Sie war erschrocken darüber, das konnte ich sehen. Und sie wollte sofort mitkommen, um dir zu helfen.“
„Das wollte sie wirklich?“, murmelte Marcus vor sich hin.
„Ja Vater, sie wollte es. Sie hat wohl bei ihrer Mutter gesehen, was zu tun ist. Und es ist zwar nicht sehr appetitlich, was sie getan hat, aber es hat gewirkt.“ Die Colonia hielt sich betroffen die Hand vor den Mund, aber es wirkte ein wenig gekünstelt. „Nein, nein vergiss das alles! Ich habe mein Versprechen gebrochen, niemand sollte davon wissen, und vor allem nicht du!“
Marcus stand immer noch da wie von Blitz Jupiters getroffen. Er sah aus, als lausche er in sich hinein. „Ich habe ihre Stimme gehört, als ich im Fieber lag und ich dachte, ich träume. Aber sie war es wirklich.“ Er fing an zu lächeln. „Sie war es wirklich!“
„Du hast recht, sie war es. Und weißt du was? Es ist mir egal, dass ich mein Versprechen gebrochen habe!“
„Ich fühlte mich auf einmal ... gerettet, als hätte ich ein neues Leben geschenkt bekommen.“ Marcus sah versonnen vor sich hin. „Und es war kein Traum, es war die Wirklichkeit, sie war da.“
„Du magst sie sehr, nicht wahr?“
Marcus überlegte eine Weile. Dann sagte er leise: „Oh ja, schon als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, es war auf dem Sklavenmarkt vor dem Tempel des Castor und des Pollux. Sie war wunderschön, so jung, so unschuldig – und ich konnte es kaum ertragen, als die Käufer sie ...“, er stöhnte auf und schüttelte unwillig seinen Kopf. „Doch sie blieb unberührt davon, sie hatte sich in eine andere Welt versetzt, das glaube ich jedenfalls, in eine Welt, in der all diese schrecklichen Dinge nicht existierten.“
Die Colonia umarmte ihn wieder. „Ich glaube, das gleiche hat sie erlebt, als du sie bei diesem Bacchus-Ritual gerettet hast. Ihr habt euch also gegenseitig gerettet. Ich finde das wunderbar!“
„So wie du es sagst, hört es sich gut an“, Marcus schaute skeptisch drein. „Aber wird sie mich auch genug mögen, um ...“ Er schwieg und grübelte vor sich hin, bis die Colonia schließlich ungeduldig wurde. „Um was? Was brütest du aus? Was hast du vor?“
„Ich weiß es noch nicht. Aber sage mir endlich, wo die Vanadis wohnt!“
Colonia starrte ihn an. Er konnte förmlich sehen, wie seine Tochter sich wand, sie war wohl hin- und hergerissen zwischen ihrem Versprechen und seinem Wunsch. Gespannt beobachtete er sie im Zwiestreit ihrer Gedanken.
„Hmmm ...“, sagte sie schließlich leise. „Sie lebt in der Subura, das weißt du ja schon. Nun ist die Subura nicht gerade klein. Die Vanadis hat mich nämlich auch in die Irre geführt. Sie wohnt über dem kaiserlichen Bettenbauer, hat sie gesagt. Nun, da wohnte sie nicht ...“
„Jetzt mache es nicht so spannend, Töchterchen!“
Die Colonia musste grinsen. „Ich habe mich dann an ein Forum kurz vor der Subura erinnert, dort kauften wir immer Brot, ganz leckeres Brot“, sie sah, dass der Blick ihres Vater ungeduldig wurde und fuhr schnell fort: „Du musst diesen Händler namens Schemuel finden, sein Laden befindet sich gleich am Eingang zum Forum - er ist wohl ihr Geschäftspartner und weiß, wo sie wohnt. Aber ob er es dir auch sagen wird?“
Das prügele ich notfalls aus ihm heraus, dachte Marcus. Er fühlte sich verwirrt, zuviel war in der letzten Stunde auf ihn eingestürmt und hatte seine Welt verändert. Er hatte einen Sohn und Vanadis lebte nicht weit von hier.
„Ich habe jetzt nur noch eine Frage an dich, Vater“, die Colonia unterbrach seine Gedanken. „Warum hast du meine Mutter geheiratet?“
„Das erzähle ich dir, wenn wir in Britannien sind“, sagte er. „Jetzt habe ich Wichtigeres zu tun.“

*Rom kehrte nie zur Republik zurück und blieb Kaiserreich bis zur Auflösung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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