Ente am Haken

Hörfassung: https://youtu.be/BAJrtkMt7gU?si=yIEt1NlTzmBISdoH

Langsam weicht die Dunkelheit der Kraft der Sonne. Lichter Nebel liegt über dem See, an dem ich so gerne sitze und die Stille genieße. Mal nichts hören, freien Geist erleben, einfach gegenwärtig sein. Die Sonne steigt höher, der Nebel flieht vor ihrer Macht. Jetzt zeigt sich dieser kleine, zauberhafte See, in seiner ganzen Schönheit. Der an den Ufern auftauchende Schilfgürtel, scheint mit kleinen Perlchen geschmückt zu sein. Glitzernd präsentiert er sich dem neuen Tag, der jetzt die Vielfalt herrlicher Natur entfaltet. 
Milder Wind streichelte die Oberfläche des Gewässers und lässt kleine Wellen entstehen, die den Weg zum Ufer suchen. Mein Blick fällt auf eine Entenfamilie, die an dem breiten Schilfgürtel entlangpaddelt. Farbenfroh leuchtet ihr samtig erscheinendes Gefieder. In der Mitte des Sees springen Forellen, wollen den neuen Tag begrüßen. Meine Beobachtungen werden plötzlich durch ein Rascheln gestört. Unweit meines Platzes, haben zwei Angler sich niedergelassen. Wie so oft, wollten sie den Fischen den Weg ans Tageslicht zeigen. Der Ältere von ihnen zieht gerade einen Wurm auf den Haken, um damit den Forellen zu Leibe zu rücken. Der andere bestückt seinen Haken mit dem Inneren eines Weißbrotes, welches Karpfen besonders gerne mögen. Dann werden die Köder ins Wasser befördert. Jetzt nur noch warten, ob ein Fisch anbeißt, der diesen Leckerbissen nicht widerstehen kann.
Neugierig nähert sich die Entenfamilie den beiden Posen, die im Licht der Sonne funkeln. Posen sind aus schwimmenden Material angefertigt und dienen den Anglern dazu, den Biss eines Fisches anzuzeigen. Sie sind auf der Angelschnur befestigt und bewegen sich, wenn unten am Haken ein Fisch zupft. Dies sei nur eine Erklärung für diejenigen, die mit der Bezeichnung Pose nichts anfangen können. Nun zurück zu der kleinen Entenfamilie, die mittlerweile die Posen erreicht hat. Mir fällt auf, dass die Angelschnur mit dem mit Brot bestückten Haken, sich beim Einwerfen derart verheddert hat, dass der Köder gar nicht absinken kann, sondern an der Wasseroberfläche schwimmt. Das bemerken auch die Enten. Angezogen von dem auf dem Wasser liegenden Köder, will sich Mutter Ente diesen Leckerbissen nicht entgehen lassen. Sie schnappt danach und schluckt ihn hinunter. Ich wundere mich, dass die Angler von diesem Geschehnis nichts mitbekommen haben. Sie dösen in der Sonne. Als aber die Entenmutter aufflattert, und mit großem Geschnatter versucht sich von dem festsitzenden Angelhaken zu befreien, springen sie auf. Jetzt ist guter Rat teuer. Damit haben sie natürlich nicht gerechnet. Der junge Mann, dem die Angel gehört, an deren Haken die Ente verzweifelt Befreiungsversuche unternimmt, schreit: „Das gibt’s doch nicht, wie konnte das nur passieren?“ Der Ältere versucht ihn zu beruhigen, nimmt ein Messer und schneidet die Angelschnur durch. „ Ich habe schon des Öfteren gehört, dass dem einen oder anderen Angler ein solches Missgeschick passiert ist. Man soll dann einfach die Angelschnur kappen, alles andere würden die Enten dann schon selbst regeln.“ 
Währenddessen hat Mutter Ente mit ihren Jungen das Weite gesucht. Hoffentlich hat der Angler Recht mit dem, was er da gehört hatte. 
Voller Mitgefühl mache ich mich auf den Heimweg. Als ich drei Tage später den See besuche, erinnere ich mich schnell an die Entenfamilie. Mein Blick geht suchend hin und her, dann entdecke ich sie. In einer Entfernung von etwa zehn Metern, paddeln sie fröhlich schnatternd umher. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Sollte der alte Angler, mit dem was er von seinen Angelfreunden gehört hatte, recht haben?

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