F. N.

Credo der Angst

Ich sehe ihn, vor einer Vision aus Unglück. Untergehen in Erinnerungen aus Pastell, während die Nacht über ihn hereinfällt.
Träume erscheinen plötzlich wie Fragmente einer Illusion, die zum Teil der Realität wurde. Seine Lider werden schwächer, halten nur noch schwer dem Willen zu sehen stand und sein Brustkorb hebt sich angestrengt, als ob auf ihm gigantische Steine liegen würden.
Seine Hände sind nass vor Schweiss und eiskalt, kein Zittern mehr, sie fühlen nichts mehr, sie halten nur noch mechanisch meine Hände fest.
Der Signalverlauf der Maschine wird langsamer und ich versuche unbewußt meinen Herzschlag seinem anzupassen, verzweifelt und aussichtslos.
`Es gibt keine Eile, die Zeit beugt sich mit dem Leben, im Augenblick des Todes wirst du sehen, welche Einbildung hinter der Vergänglichkeit steht. Das Ticken der Uhr wird zu einem unrythmischen Beiklang der Welt, welche in ihrer Entwicklungsfrequenz nicht zu dem Puls deiner Seele passt und du wirst erkennen, daß du nicht lebst, um zu sterben, sondern stirbst, um zu leben.´
Wieder und wieder denke ich an seine Worte und mit jedem Mal wird mir meine Angst bewußter.
Angst, daß ich meine Seele in seinem schwächer werdenen Puls verliere. Angst, daß ich das Ticken der Uhr aus meinem Gehör verliere und mit ihm gehe.
Ich würde mit ihm gehen, jeden Weg, doch vor diesem fürchte ich mich.
`Du darfst nicht gehen, du darfst es nicht!´ sage ich bestimmend zu ihm. Er hebt leicht seinen Blick und sieht mich an. Seine blauen Augen schauen mich schuldig an. `Wenn du gehst, dann geht alles! Bleib hier, gib nicht einfach auf!´ rufe ich ihm zu und habe das Gefühl er würde Ozeane entfernt von mir stehen, obwohl er vor mir liegt.
`Kämpf nicht an meiner Stelle...´ spricht er leise und seine Stimme klingt trocken.
`Schattenamazone´, so hat er mich immer genannt. `Du verlierst irgendwann noch den Grund deiner Kämpfe aus den Augen, weil du zuviel Willen hast. Manche Kämpfe sind dazu da, daß man sie verliert, sonst würde man nichts mehr lernen.´
Er mag Recht gehabt haben mit diesen Worten, aber er sollte seinen Kampf nicht verlieren, damit ich lerne. Ich würde nicht lernen, ich würde einfach mit ihm vergehen. Niemand würde daraus etwas lernen, die Welt würde an uns vorübergehen und von der Existenz dieses Kampfes nichts erfahren.
Seine hellen Haare wirken blass und ohne den schimmernden Glanz. Das Lebendige scheint aus seinen Fingern wie ein unsichtbares Rinnsal zu fliessen und die Leere füllt langsam sein Antlitz.
Und wieder fürchte ich mich, vor seinem Körper, der mir eigentlich so bekannt, plötzlich wie eine Hülle aus Fremde erscheint. Ich fürchte um mein Leben und fühle mich schuldig, weil ich nicht an seines denke. Ich möchte ihn nicht verlieren, weil ich mich verlieren würde und meine Angst erhebt zaghaft die Stimme.
`Wenn du gehst, was wird aus mir. Du wirst mich mit dir nehmen, du wirst weg sein und ich auch. Tu mir das nicht an, hörst du, du darfst mir das nicht antun!´
Er lächelte schwach und streicht mir dann sanft über die Hand. `Kleine ängstliche Elfe. Du bist gerade dabei etwas zu lernen und gibst mir dadurch Recht. Trauer ist kein selbstloser Akt... aber es ist..´ und bevor er den Satz zu Ende bringen kann, wandelt sich das Piepen in einen schmerzhaften langen Ton. Seine Hände lassen in ihrem Griff nach und ich versuche sie dennoch zum Festhalten zu zwingen, während der Arzt hereinkommt und mich bittet, das Zimmer zu verlassen.
Ich sehe nichts mehr, nur noch Schatten, die an mir vorbeihuschen. Ich nehme mich selber nicht mehr wahr und höre nichts, außer dem Ticken der Uhr. Ich fühle, wie hämmernd der Rythmus ist und wie schnell, im Vergleich zu dem Pochen in mir und ich empfinde eine Diskrepanz zwischen diesen beiden Frequenzen. Und krampfhaft versuche ich das Pochen dem Ticken der Uhr anzugleichen.
Meine Knie geben nach und reflexartig suche ich Halt an einer Wand. Umfasse mechanisch den Rahmen einer Tür und empfinde weder Kälte noch Wärme.
Es gibt keine Gedanken, es gibt keine Worte, es gibt nur noch Leere. Und dann plötzlich beginne ich zu weinen, endlos, sich wiederholend, weil mir meine Einsamkeit bewußt wird.
Eine Schwester kommt zu mir und legt ihre Hand auf meine Schulter. `Es mag für sie vielleicht nicht wirklich tröstend sein, aber leider ist es die Wahrheit. Manchmal ist der Tod das einzige Glück, welches Qualen beenden kann und er hat sich die letzten Tage nur noch gequält. Jetzt hat er seinen Frieden.´
Ich höre ihre Worte und plötzlich beginne ich wieder zu denken. Aus dem Nichts kommt die Einsicht und die Erkenntnis, was er mit seinen letzten Worten meinte.
Trauer ist kein selbstloser Akt, aber es ist der menschlichste, weil er auf Angst beruht. Auf der egoistischen, doch nicht verwerflichen Angst etwas zu verlieren. Und dadurch entstehen Schmerzen, die er so nicht wahrnehmen konnte. Was für mich wie Einsamkeit und Verlust erschien, war für ihn Erlösung aus den Qualen.
Er hatte keine Angst, denn er glaubte daran, daß er stirbt, um zu leben und ich hatte nicht die Stärke daran zu glauben.
Doch ich habe gelernt daran zu glauben, weil ich ein Mensch bin, weil ich in mir Angst trage und sie nur dadurch überwinden kann, indem ich sie lebe, indem ich dennoch auf ein danach hoffe.
Er hat seinen Kampf verloren und ich habe gefürchtet, doch gewonnen haben wir beide, weil nichts davon sinnlos war.

In Erinnerung an C.H.P.

Fordra din sjel de lyset syntes ha pluss for ringene din ane hvile.
Odin brann bør innover din grav lyser pluss mørket den andre opplyse.
For elsker, Farwah.
F. N., Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Wie herbstlich wird die Dämmerung,
wie gläsern ihrer Lüfte Kühle,
die Schatten liegen auf dem ›Grün‹
und rufen leis’ »Auf Wiederseh’n!«

Der Sommer sagt: »Adieu, macht’s gut,
ich komme wieder nächstes Jahr!«
Entflammt noch einmal mit aller Macht
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