Romain Armand

EIN INTERESSANTER MANN

Ausgerechnet bei Wolfgang Petry’s Lied „Augen zu und durch“ haben sich ihre Blicke auf der Tanzfläche zum ersten Mal gekreuzt. Sie hat ihm zugelächelt und er hat ihren Blick erwidert. Drei Bacardi Rigo später hat er gefragt, ob sie am Mittwoch mit ihm essen gehen will.

Nein, hat sie geantwortet, mir ist es in den meisten Restaurants zu verraucht, aber ich kann was für uns bei mir daheim kochen, wenn Du Lust hast.

Und nun sitzt er in ihrer Wohnung, die mit viel Liebe zum Detail eingerichtet ist, auf der mattschwarzen Ledercouch. Sie hat sich über die mitgebrachte Flasche Weißwein, an die er eine langstielige rote Rose gebunden hat, gefreut, ihm zur Begrüßung einen Cocktail gemixt und dann eine CD ausgesucht. Mit den Worten, bin gleich wieder da, ist sie in der Küche und die CD auf dem Schlitten im CD-Player verschwunden.

Als eine vielköpfige Bläser-Section anhebt, den Raum mit Klängen zu erfüllen, öffnet sich die Küchentür auch schon wieder. Ihr Lächeln fordert ihn wortlos auf, sich an den mit nachtblauen Kerzen, dazu passenden Servietten und Kristallweingläsern gedeckten Tisch zu setzen. Auf den beiden Tellern, die sie hinstellt, ist jeweils eine Artischocke angerichtet. In der Mitte des Tischs steht auf einem Stövchen die Sauciere mit einer hellbraunen Vinaigrettesauce.

Eine bluesige Gitarre und eine leicht kratzige Gesangsstimme werden im nächsten Augenblick zu treuen Verbündeten, die sich Beide zwischendurch gern in den wärmenden Mantel der Bläsersätze hineinkuscheln.

Er öffnet eine Flasche Weißwein, die sie in einem zweiten Gang zur Küche mitgebracht hat. Eine Andere als die, die er mitgebracht hat, denn die steht noch nicht lang genug im Kühlschrank, um optimal zu schmecken. Als er die Gläser vollgeschenkt hat, haucht sie ein leises Danke!


Ihre Essenseinladung gleicht einer wahrhaften Inszenierung.

Und als sie eine silberne Schüssel, randvoll gefüllt mit Pommes dauphines und dazu einen Salat in der Mitte des gemütlichen, kleinen Esstischs platziert, übernimmt neuerlich ein sentimentaler Bluestitel die musikalische Führung.

Die Stimme des singenden Erzählers und die Saiten der Gitarre harmonieren auf der CD im Zusammenspiel wie ein Liebespaar, das sich in seiner Sinnlichkeit in- und auswendig kennt. Einem unendlich leidenschaftlichen Solo auf der Gitarre folgt ein zweites, gefühlvoll wie die zarten Hände, die er so gern einsetzt, wenn es darum geht, Schultern und Rücken unendlich langsam zu streicheln und dem Körper des geliebten Menschen wohlige Laute zu entlocken.

Auf vorgewärmten Tellern bringt sie Kalbschnitzel in Weißweinsauce aus der Küche, die butterweich sind. Er macht ihr ein Kompliment. Die Kochkünste der 44-jährigen sind äußerst überzeugend. Und eher rar. Das hat er in der Vergangenheit zum Leidwesen seines Gaumens oft genug feststellen müssen.

Er hat sein Besteck just auf dem Teller platziert und hebt sein Glas, um sich für die Mühe, die sie sich gemacht hat, mit wohlgewählten Worten zu bedanken, als sie einen Freudenjuchzer hören läßt. Er gilt nicht dem noch in den Anfängen steckenden Kompliment, sondern den ersten Tönen von „Parisienne Walkways“. Er kann ihre Euphorie gut verstehen, denn auch er empfindet diesen Titel als musikalisches Kronjuwel. Die nicht enden wollenden Sololäufe auf der Gitarre, zusätzlich das 27-sekündige Halten eines der hohen Töne, wirken kostbar wie exquisiter Goldsschmuck am Hals einer Frau.

Sie sehen sich während des Songs immer wieder an. Er bemerkt, daß sie einen sehr schönen Hals hat, makellos gebräunt wie ihr Gesicht.
Als die Aufnahme ausklingt hilft er ihr dabei, den Tisch abzuräumen und das Geschirr in einer geräumigen Spülmaschine verschwinden zu lassen.

Sie fragt ihn, ob er einen Espresso trinken möchte, er nickt. Der Schlußapplaus für den Bluessänger und das Zischen der Espressomaschine vermischen sich miteinander.


Ein wunderbares Essen, sagt er.

Ein interessanter Mann, antwortet sie.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Romain Armand).
Der Beitrag wurde von Romain Armand auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Romain Armand als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Jüngst: Nichtige Gedichte von Bernd-Peter Liegener



Es sind die kleinen Nichtigkeiten des täglichen Lebens, die hier zum Anlass genommen werden, Gedanken zu entwickeln, oder einfach nur zu schmunzeln. - Schmunzeln und denken Sie mit!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Romantisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Romain Armand

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

AUSZIEHEN... ALLES ! UND ZWAR SOFORT !!! von Romain Armand (Zwischenmenschliches)
Ein bisschen Liebe von Klaus-D. Heid (Romantisches)
Alte bleiben länger jung von Norbert Wittke (Gedanken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen