Erst jetzt, nach all der Hektik eben und der furchtbaren
Angst, dem Tode knapp entgangen zu sein, erinnerte sie sich,
warum sie
hingefallen war. Die Hitze über ihrem Kopf bestätigte ihre Befürchtung noch,
und langsam – mit einer vagen Vorahnung – erhob sie ihren Kopf gen Himmel: Jane
erschrak als sie die aus den Fenstern des vierten Stocks schießenden Flammen
sah. Der vierte Stock war der, wo Glenn auf der einen und Jane auf der anderen
Seite wohnten. Ihre Pupillen weiteten sich schlagartig und ihr wurde plötzlich
bewusst, was das für sie hieß. Glenn war noch oben und wer sollte das anders
gewesen sein, als dieser Koreaner von eben, der auf sie geschossen hatte. Ihr
Verstand schaltete sich völlig ab: schnell stand sie auf, rannte den Weg
zurück, den sie gekommen war und rannte schnellstmöglich um die nächste Ecke in
ihren Hausflur. Einige Leute standen schon unten auf der Straße und gaben sich
als plappernde Schaulustige sehr nervend. Sie könnten ja auch mal die Feuerwehr
rufen, dachte Jane im Bruchteil einer Sekunde, in der sie die erste Treppe
erklomm und ihr ein Passant hinterher rief, sie solle doch zurückbleiben. Sie
war sich der Einsturzgefahr des Hauses nicht bewusst. Das war wohl der Schock,
doch auch die ihr entgegenkommenden Hausbewohner die ihr unmittelbar ins Ohr
brüllten, konnten sie nicht zu Verstand, geschweige denn zur Vernunft bringen.
Im dritten Stock kam sie nun dem stickigen Geruch näher und langsam bauschten
sich auch die für so einen Brand typischen schwarzen Wolken vor ihr auf. So kam
sie auf keinen Fall an ihre Wohnung oder Glenn heran, zumal sie eher ersticken
würde, als dass sie irgendetwas finden würde.
Seit sie vom Hof gerannt war, schwirrte ihr nur Glenn im
Kopf herum. Was war mit ihm geschehen? Was war überhaupt passiert?
Den Tränen und der Verzweifelung nahe rief sie Glenns Namen
laut nach oben. Ein mal. Zwei mal. Ihr wurde bewusst, dass ein Mensch so einen
Brand kaum überleben könnte. Aber das Schlimme daran war, dass nicht nur der
Brand ihn ums Leben bringen konnte, sondern viel eher die Explosion, so viel
stand für Jane mittlerweile fest. In ihre Verzweifelung mischte sich Wut. Wut
auf sich selber: Warum hatte sie nur dieses absurde Geschäft ihres Bruders
angenommen. Sie hätte sich doch schon vorher denken können, dass diese
überheblichen Koreaner sich mit allen Mitteln wehren würden. Doch zu jenen
armen Tagen der Konfrontationen und Auseinandersetzungen – auch mit ihren
Eltern - , die meist sowieso nur mit Türknallen beendet wurden, hatte sie nicht
an die Gefahr gedacht. Und nun musste ein anderer Mensch – ein Mensch, den sie
in den letzten Wochen sehr gut zu schätzen gelernt hatte – ihren Mist ausbaden.
Sie schrie die vor ihr nicht enden wollenden Rauchwolken an. Sie weinte und
brach auf der Treppe zusammen. Da war nichts, was sie machen konnte.
„Jane, bitte hol’ Hilfe! Ich stecke fest...“.
Sie war sich erst nicht sicher, ob sie aus dem brennenden
Knistern die Stimme Glenns wirklich wahr genommen hatte, doch nachdem sie ihn
wiederholt schreien hörte, drehte sie sich auf ihrem Absatz um und rannte Jay
direkt in die Arme.
„Glenn ist noch in seiner Wohnung und steckt fest.“ Sagte
sie ihm hektisch.
Sein Händedruck auf ihrem Arm gab ihr neue Zuversicht, doch,
und das war in diesem Moment viel wichtiger, auch Liebe. Jane sah ihren Bruder
glücklich an und dachte einen kurzen Moment, dass sich nun alles wieder zum
guten wenden würde, doch anstatt sie nach unten zu schicken, drückte Jay ihr
ein Stofftuch in die Hand und drängte sie die Treppe hoch. Sie wollte sich erst
aus seinem Griff befreien – aus Panik vor dem Rauch. Dann fiel ihr jedoch
wieder ein,
wieso Glenn da fest hing: wegen ihr.
Jay zerrte sie regelrecht hoch. Nachdem Jane die ersten Stufen
aufwärts fast gestolpert wäre, war sie nun oben angelangt und lauschte
angespannt dem angestrengten Stöhnen Jays, der wahrscheinlich gerade versuchte,
Glenns Wohnung zu betreten. Die raue Stimme hinter ihr warnte sie vor der
Rauchvergiftung, die fast 94% der Brandopfer hinraffte. Auf den Hinweis des
Feuerwehrmanns hin hörte auch Jay und begann sofort den Weg frei zu machen und
mit Jane das Treppenhaus runter zu gehen, während die zwei Feuerwehrmänner sich
ans Werk machten, Glenn da raus zu holen. Jane stand immer noch unter Schock.
Sie merkte gar nicht mehr, was mit ihr geschah; dass sie gerade noch
aufgefangen wurde, als der Tunnelblick einsetzte und ihre Beine
zusammensackten, spürte sie schon gar nicht mehr. Sie war schon vorher
Bewusstlos geworden.