In den Köpfen derer, die sich in den Bereich vor dem Tempel
wagten hallte sofort seine Stimme. Komm.
Komm zu mir.
In letzter Sekunde hatte der Hohepriester eine Nachricht
nach draußen geschickt. Der Bote war jedoch nicht weit gekommen. Jetzt lag er
tot wie die anderen im Wald. Seine Nachricht war davor in die richtigen Hände
geraten und hatte ihr Ziel erreicht.
In einer dunklen Ecke in einer Taverne saß ein etwas
heruntergekommener Krieger bei seinem Bier. Inzwischen war das Getränk warm und
der Tabak in seiner Pfeife kalt geworden. Konzentriert starrte er vor sich in
die Leere.
Als der Bote neben ihm Platz nahm warf er ihm einen kurzen
Blick zu und starrte dann weiter. Der Bote pfiff durch die Nase und legte die
Schriftrolle neben den Bierkrug des Kriegers. „Die Kirche von Bhelfa erklärt
sich bereit Ihnen jeden Preis zu bezahlen wenn Sie innerhalb von fünf Tagen den
geweihten Boden unseres Tempels im Zentrum des Schattenwaldes vom Einfluss
einer dunklen Kreatur befreien. Wir übernehmen zusätzlich dazu alle Kosten die
anfallen um die Ausrüstung auf Vordermann zu bringen.“
„Kein Interesse. Hab schon zu viel gesehen. Fast alles.
Dämonen, Werwölfe, Hexer. Wegen einem Unbekannten steh ich nicht mal auf“,
knurrte der Krieger und zog an der Pfeife. Enttäuscht klopfte er sie aus. „Hast
du vielleicht?“
Der Bote nickte und reichte dem Krieger einen Beutel.
„Apfeltabak aus dem Süden. Aber kommen wir zum Geschäft. Wir haben uns nicht
freiwillig an Sie gewandt. Der Hohepriester unseres Tempels im Schattenwald hat
ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Er glaubt das Wesen, dass sie belagert ist
ein Vampir.“
Der Krieger ließ die Pfeife sinken. „Ein Blutsauger?“
„Steht alles in dieser Schriftrolle“, antwortete der Bote.
Schnell entrollte der Krieger den Brief und überflog ihn.
„Ich brauche 5000 für ein neues Schwert. Zusätzlich will ich
weitere 10.000 nach erledigter Arbeit. Und ich will den Vampir behalten.
Zumindest seine Zähne.“
„Ausgezeichnet. Wir treffen uns morgen früh vor der
Taverne.“
„Ich soll mitkommen, als Zeuge. Ich werde auch für die
Bezahlung sorgen.“
„Dann morgen früh. Bei Sonnenaufgang.“
Am Morgen erwartete der Krieger den Boten bereits am stall.
Jetzt trug er seine Rüstung die aus den Trophäen seiner Jagd bestand. Der Helm
bestand aus dem Kopf eines Feuerdämons, der Brustpanzer aus Drachenschuppen.
Die Armschienen waren aus Werwolfklauen geformt worden, die Beinschienen hatte
der Söldner mit Bärenfell überzogen. Sein Umhang bestand aus Wolfsfellen, die
Stiefel aus schwerem Leder mit Stahl beschlagen.
Dagegen kam sich der Bote in seinem roten Umhang mit der
aufgestickten Flamme und seinen Wildlederstiefeln wie ein kleiner Bauer vor.
Der Söldner trug jetzt ein riesiges, federleichtes Schwert an seiner Seite, der
Kampfstab der Boten wirkte dagegen wie ein Zahnstocher.
Wortlos ritten sie in Richtung Schattenwald.
Der Ritt war lange und beschwerlich, die beiden Rappen
liefen jedoch als hätten sie Flügel. Als sich die ersten schwarzen, knotigen
Bäume des Schattenwaldes vor ihnen erhoben stiegen sie ab und ließen die Pferde
laufen. Sie kannten den Weg nach Hause.
Sie warteten erneut bis zum Morgen da die Nacht bereits
heraufgezogen war. Am Morgen erreichte sie ein anderer Söldner und überreichte
ihnen eine weitere Waffe. Eine schwere Armbrust mit seltsamen Messern am Schaft
und einem Beutel Bolzen.
„Bist du nicht langsam zu alt dafür, Niclas?“
„Ich habe den Magog besiegt und andere starke Gegner. Meine
Taten sprechen für mich. Ein Vampir wird mich dann nicht aufhalten.“ Zum ersten
Mal hörte der Bote den Namen des Söldners der so viel Geld wegen eines einzigen
Monsters erhielt. Niclas. Ein bekannter Söldner und besuchter Verbrecher in
mehreren Provinzen. Ein Mann, der für Geld alles tat. Warum wandte sich die
Kirche von Bhelfa ausgerechnet an ihn.
„Glaubst du der Vampir kommt zu uns? Los!“ befahl Niclas und
winkte hektisch. Mit seiner neuen Waffe zerteilte er das Unterholz und schlug
einen Korridor in den Wald hinein. Bald war es dunkel.
„Der Weg führt uns über einen Friedhof. Den ersten“, sagte Niclas,
„ich rate dir nie stehen zu bleiben. Diese Erde ist seltsam, bis behält die
Toten nicht bei sich.“ Wie ein Berserker brach er durch die letzte Wand aus
Zweigen und Efeu. Vor ihnen lag ein felsiges Feld mit knöcheltiefem Nebel
überzogen. Es stank wie in einem Sumpf, totenstill lagen die Gräber der Verdammten
vor ihnen. Auf einigen lagen Gaben, Münzen, Waffen, kleine Gegenstände. Viele
Steine waren nicht einmal beschriftet, grobe Felsen die man nur aufgestellt
hatte. Niclas ging zügig weiter und schien bedacht zu sein einige Stellen nicht
zu betreten. Schnell schloss der Bote auf.
„Mein Name ist übrigens Seraph.“
„Leise. Schnell“, antwortete Niclas knapp und sprang über
einen Felsen. Seraph tat es ihm gleich, rutschte über seinen Grabstein und
landete direkt auf der frischen Erde. Sofort schloss sich eine kalte Hand um
sein Bein. Die Erde brach auf und das bleiche, verzerrte Gesicht einer Leiche
kam zu Tage. Seraph vergaß auf den Rat von Niclas und schrie. Er schlug mit dem
Stab ins Gesicht des Toten und zertrümmerte die Nase. Inzwischen hatte dieser
den zweiten Arm befreit und fegte ihn von den Beinen. Niclas sprang herbei und
schlug dem Angreifer den Kopf ab. Jetzt regte es sich überall.
„Da hast du uns eine schöne Suppe eingebrockt. Schnell!“ Er
zerrte Seraph mit sich und machte sich mit der Schwerthand Platz. Ein weiterer
Toter, bereits bis auf das Skelett abgenagt versuchte ihnen den Weg zu
verstellten. Seraph konnte den Schlägen gar nicht folgen, so schnell erfolgten
sie. Der Kopf rollte über den Boden und kam zu seinen Füßen zu liegen, der
restliche Körper lag verteilt zu den Füßen des Söldners.
„Weiter. Sie werden uns nicht folgen. Die Erde hält sie im
Bann“, rief Niclas. Sie kehrten zurück in den Wald. Hier war er nicht mehr so
dicht. Seraph blieb stehen um zu verschnaufen. „Ich habe meinen Stab verloren.
Das Zeichen meiner Wehrkraft.“
„Du hättest mehr verlieren können. Das da war nur ein
Bruchteil des Grauens, das hier möglich ist. Warum ausgerechnet hier ein Tempel
errichtet ist verstehe ich bis heute nicht.“
„Du warst schon einmal hier?“
Niclas deutete mit der Schwertspitze auf seine Stiefel. Dann
ging er wortlos weiter. Seraph atmete tief durch und rannte ihm dann nach. „Was
hat das zu bedeuten?“
„Still. Du willst doch nicht was Schlimmeres als diese
Zombies aufwecken. Hier gibt es Kreaturen die sehr böse werden wenn du ihren
Schlaf störst.“
Wie auf Befehl löste sich der Wald auf und vor ihnen lag
eine Lichtung. Ein ganzes Rudel riesiger Fleischberge lag dort und döste im
Schatten der Bäume. Kein Sonnenstrahl konnte hier das Dickicht durchdringen,
die Lichtung war jedoch nicht natürlich entstanden. Diese Monster hatten sie
geformt.
Die Wahnsinnigen, die es gewagt hatten, sie anzugreifen,
waren als Futter auf ihrem Speiseplan gelandet. Einzig verbogene und verrostete
Metallteile erinnerten an sie.
„Willst du dir Stiefel wie die meinen verdienen?“ fragte
Niclas spöttisch und zog den Helm tiefer ins Gesicht, „leise jetzt. Wenn diese
Kerle aufwachen kann uns keine Klinge der Welt retten.“
„Können wir sie nicht umgehen?“
„Das würde uns auf einen weiteren Friedhof führen. Vorhin
hast du bewiesen dass wir diese Stätten meiden sollten, Kleiner.“
Seraph schluckte seinen Kommentar hinunter und folgte Niclas
vorsichtig. Der Krieger ging zielsicher und leise wie ein Engel zwischen den
schlafenden Giganten hindurch. Diese schnaubten gelegentlich im Schlaf oder
rollten sich zur Seite.
Mitten auf der Lichtung lag der verfetzte Körper eines Kriegers
in einer ähnlichen Rüstung wie die von Niclas. Sein Kopf fehlte.
Stumm schlug Niclas ein Kreuz über dem Toten und löste dann
das Schwert aus der starren Hand des Clanbruders. Prüfend hielt er es in der
Hand. Dann machte er eine schnelle Bewegung und hielt es Seraph hin. „Besser
als nichts, Kleiner. Ich hoffe du kannst damit umgehen. Es ist zwar schlecht
geschmiedet aber messerscharf“, flüsterte er kaum hörbar. Dann gingen sie
weiter und erreichten das andere Ende der Lichtung. Seraph atmete auf. „Wir
haben es geschafft. Nicht mehr weit…“
Hinter ihnen schnaubte einer der Fleischberge lauter als
sonst. Er schnupperte und kam mühsam auf die Beine. Niclas schob den Boten
hinter sich und stemmte seine Beine in den Boden, das Schwert halbhoch vor
seiner Brust. Der Schattenschläfer sah sich jetzt schnuppernd um und erblickte
die beiden. Leise knurrte er und starrte die beiden Menschen lüstern an.
„Er schätzt uns ein, ob es wert ist den Tod zu riskieren um
uns zu schlagen“, zischte Niclas und schon Seraph langsam zurück ins Dickicht
des Waldes. Der Schattenschläfer hielt sie weiter im Auge bis sie zwischen den
Zweigen verschwanden. Enttäuscht sank der Schattenschläfer wieder auf den Boden
und schnarchte weiter.
„Mach das nie wieder!“ drohte Niclas.
Sie erreichten ohne weitere Zwischenfälle den Tempel. Das
roh gehauene Bauwerk aus Granit und blauem Eisenerz reichte beinahe hundert
Meter in den Himmel während das Hauptschiff knapp zwanzig Meter hoch war. Die
Statuen der Wächter waren eingerissen worden. Keine Menschenseele war zu sehen.
Wortlos lud Niclas die Armbrust mit einem Bolzen und schlich
sich an. Noch immer rührte sich nichts. Dann alles stank nach Hinterhalt.
Dann erblickte er den Feind.
Der Vampir, jetzt war er sich sicher dass es ein solches
Wesen von der anderen Seite war, stand am Rande des Dickichts und starrte ihn
spöttisch an. In den Armen hielt er eine junge Frau von vielleicht zwanzig
Jahren. Sie trug den weißen Kittel der Tempelhelferinnen, der ihr jedoch bis
über die Knie hoch gerutscht war. Ihre dunkelbraunen Haare hingen offen nach
unten, ihr Gesichtsausdruck war leer als stünde sie unter einem Bann. Der
Vampir strich über ihre vollen Brüste und ihre makellose Haut, die wie Alabaster
war.
Du kommst du spät.
Mit diesen Worten bohrte er seine Zähne in ihren Hals. Sie
stöhnte leise, ob vor Schmerz oder Ekstase war nicht ganz einzuordnen, während
ihr weißes Kleid sich rot färbte. Ihre Augen verloren jeden Schein bis der
Vampir sie wie ein gebrauchtes Spielzeug zu Boden gleiten ließ.
Und nun zu dir, großer
Krieger.
„Erschieß ihn!“ rief Seraph. Niclas konnte sie jedoch nicht
bewegen. Er stand wie die Frau zuvor im Bann des Vampirs. Dieser winkte ihn mit
dem Zeigefinger heran. Niclas schien zu schweben als er die Armbrust sinken
ließ und mit unsicheren Schritten auf den Vampir zuging. Einen Meter vor dem
Wesen von der anderen Seite blieb er stehen.
Das ist nah genug,
großer Krieger. So sprich, was führt dich her?
„Ich werde dafür bezahlt dich zu töten“, zischte Niclas. Der
Vampir lachte und entblößte seine Brust. Auffordernd strich er mit seinen
Händen darüber.
Lass dich nicht
aufhalten. Gestatte mir nur eine Frage. Hat man dir gesagt was sie hier machen?
Warum ich gekommen bin?
„Das geht mich nichts an. Ich werde bezahlt…“
Mich zu töten. Das
hast du schon gesagt. Ich werde dich nicht aufhalten. Tu mir davor aber einen
Gefallen, großer Krieger. Wirf einen Blick IN den Tempel und sag mir dann ob du
nicht lieber alle Priester und Tempelwächter töten solltest.
Niclas wusste nicht warum er es tat, was ihn dazu bewegte.
Als er wieder Herr über sich war hätte er dem Vampir den Bolzen einfach in die
Brust jagen können und gehen. Stattdessen marschierte er jetzt jedoch in den
Tempel. Seraph kniete auf den Stufen und war in ein Gebet versunken. Als Niclas
ihn passierte sah er auf und fragte: „Ist der Auftrag erledigt?“
Niclas antwortete nicht und trat die Torflügel zum Tempel
auf. Die Türen schlugen gegen die Wände, der Knall hallte durch das Hauptschiff.
Die Priester und Priesterinnen fuhren herum. Sie vollführten gerade ein Ritual.
Alte Sprüche, die Niclas in Dämonenschreinen bereits gehört hatten, wurden hier
gerufen. Opfergaben lagen auf den drei Altären, meistens junge Frauen mit
starren Blicken. Sie standen also unter Drogen oder waren bereits tot.
Niclas kannte die Rituale genug um herauszuhören dass der
Hohepriester das Ritual gleich beenden würde und damit einen mächtigen Dämon
rufen. Ohne lange zu zögern zielte Niclas und schoss den Silberbolzen, der für
den Vampir gedacht gewesen wäre, in den Hinterkopf des Mannes. Dieser
verstummte einfach um Satz und brach über dem Opfer zusammen. Trotzdem öffnete
sich noch ein Portal. Lila Tentakeln mit riesigen Saugnäpfen schnappten nach
den Opfern, den Priestern und den Wächtern. Nicht alle entkamen und
verschwanden schreiend auf die andere Seite, wahrscheinlich in den Bauch eines
schrecklichen Monsters.
Entschlossen dem Zirkus ein Ende zu machen trat Niclas mit
blankem Schwert vor den Tempel. Priester und Wächter verschwanden ungeordnet in
den Wäldern und versuchten mit Pferden zu fliegen. Niclas streckte einen
Fliehenden mit der Armbrust nieder und holte einen anderen mit dem Schwert vom
Pferd. Dann war es plötzlich still.
Seraph stand zitternd vor ihm, das Schwert halbherzig
erhoben. „Dafür haben wir Euch nicht bezahlt. Ihr mordet meine Ordensbrüder.
Dafür müsst Ihr sterben“, stotterte er. Niclas schlug ihm wortlos das Schwert
aus der Hand. „Verschwinde!“
Seraph folge dem Befehl bereitwillig. Dann kam der Vampir
näher. „Und nun, Krieger?“
„Sobald der Bote berichtet was hier geschah wird man ein
Kopfgeld auf mich aufsetzen. Ich werde nirgends mehr sicher sein bis sie meinen
Kopf auf einem Silbertablett erhalten. Mein Clan wird mich verstoßen und
sollten sie mich erwischen einem viel schlimmeren Tod zuführen als ich mir
vorstellen kann“, antwortete Niclas traurig und nahm den Helm ab. Dann knöpfte
er sein Kettenhemd bis zur Brust auf.
„Ich könnte mich selber töten, allerdings würde mein Körper
geschändet werden. So bleibt mir nur eine Wahl.“
Der Vampir lächelte und entblößte dabei seine spitzen
Eckzähne. Bist du denn schon bereit für
die andere Seite?
Niclas antwortete nicht mehr und schloss die Augen.
Die Zeiten des Helden, Drachentöters und Monsterjägers waren
vorbei. Die andere Seite würde ihm andere Möglichkeiten bringen. Gelegenheiten
sich wieder einen Namen zu machen. Als Monster, Vampir oder vielleicht als
Held. Die Zeit würde die Frage beantworten.