Gestern hatte ich einen Gig in einem uralten Club. Der
Besitzer, selbst ein Jazzer mit Leib und Seele, hält seit ewigen Zeiten die
Tradition der Jam-Session am Donnerstag aufrecht. Jam, das bedeutet, jeder darf
sein Instrument mitbringen und in der großen Marmelade mitkochen. Meistens bin
ich dabei, mit Tower, dem Bassisten ( er ist so ein langer Lulatsch und weiß
wahrscheinlich selbst nicht mehr, dass er eigentlich Jochen heißt) und mit Wig,
dem Schlagzeuger. Ich nenne ihn so, da er schon seit je her so eine scheiß
Frisur hat, die wie eine schlecht gemachte Perücke aussieht.
Der Laden war wieder mal gerammelt voll, meistens die
gleichen Gesichter, melancholisch in das Glas vor sich starrend, hungrig an der
Zigarette saugend. Die Bühne, falls man das so nennen kann, ist etwa
briefmarkengroß. Wig mault. Das Klavier hat auch schon mal bessere Tage
gesehen, ist aber ein „Pfeiffer“, und obwohl deine Bar –sorry Karl – echt ein
wenig abgewrackt ist, das Klavier ist immer gestimmt, das muss man dir lassen,
da nimmst du s genau!
Ich habe natürlich
den entscheidenden Vorteil, dass ich nie ein Instrument mit mir rumschleppen
muss. Ein paar Noten unter den Arm geklemmt, das wars. Wig stellt sein
Schlagzeug auf. Er hat sich ein paar neue Sticks gegönnt und probiert stolz
sein Lieblingssolo. Tower stimmt den Bass. Er sieht heute mächtig cool aus, ein
gigantischer Schlapphut verdeckt fast sein ganzes Gesicht.
Ich weiß, dass er auf Susanne wartet. Sie kommt meistens
vorbei, kennt an jedem Tisch mindestens einen, hat ein ansteckendes Lachen –
und interessiert sich leider überhaupt nicht für Tower. Er kriegt es aber auch
nicht gebacken, sie anzusprechen. Lieber kommt er mit einem überdimensionalen
Schlapphut an und versucht – bei seiner Größe kein Problem, haha – nicht
vorhanden zu sein. Wir lassens langsam angehen, spielen uns warm und machen den
Musikern Lust auf die Session. Ich habe einige Instrumentenkoffer gesehen, es
verspricht also abwechslungsreich zu werden. Später kommt auch noch Klaus, ein
begnadeter Posaunist zur Türe herein. Wir begrüßen ihn mit einem Tusch. Die
ersten Instrumente werden ausgepackt und nach kurzer Absprache grooft die Bar!
Klasse Typen sind heute dabei, keiner der sich profilieren will, alle wollen
nur Musik machen, in der Musik leben.
Nach ein paar Stunden, du kannst eigentlich nichts mehr
sehen durch die Rauchschwaden, kämpft sich ein Mädel zu unserer Briefmarke vor.
Mag sein, dass mir die paar Pils schon zu Kopf gestiegen sind, aber sie sieht
klasse aus. Zierlich, braune Wuschelhaare, Jeans und T-shirt und – total
schmutzige Schuhe. Wo sie bloß damit war? Wig macht Stilaugen und ich denke,
dass sie ihm a la Wunschkonzert „……kennet ihr net amal Lotus Blossom für mi ond
mein Freind schbiela?“ ins Ohr lispeln möchte, da steht sie aber schon vor mir
und grinst breit.
Ja, sie hat das breiteste Grinsen, das ich je gesehen habe.
Dabei blitzen ihre Augen, ganz dunkel sind die, und ihre Zähne blitzen auch und
für den Bruchteil einer Sekunde denke ich an meinen Hund, der es gar nicht gut
meint, wenn er SEINE Zähne derart blitzen lässt. „ Kann ich was singen?“ fragt
sie mich.
Meine Akkorde, die meine Hände völlig losgelöst von mir zu
spielen scheinen, werden etwas dissonant. „ Äh – singen?“ frage ich dämlich.
„Ja, singen. Musik machen. Das verstehst du doch, oder?“
gibt sie frech zurück.
Langsam kommt der
Sinn ihrer Worte in meinem Gehirn an. Sie will singen. Ich bin ein mächtiger
Blitzmerker stelle ich stolz fest, und mit dieser frohen Erkenntnis antworte
ich locker: „ Klar. – Was denn?“
Mein Hals kratzt etwas dabei, das liegt aber nur daran, dass
ich vorher eine geraucht habe, obwohl ich es mir schon seit 2 Wochen jeden Tag abgewöhnen will.
„ Habt ihr auch was
von Nina Simone drauf?“ Nun muss ich aber doch fast lachen. NINA SIMON. Eine
schwarze Bluesgöttin. Interpretiert von ner kleinen zierlichen Weißen? Mir tut
sie im voraus Leid. Man kann sich auch echt granatenmäßig blamieren.
Aber sie will es ja
so. „ ja- an was denkst du denn da?“ „
I want a little sugar in my bowl“
Ich rufe das eben schnell zu Tower und Wig rüber, die können
es auch nicht fassen, da ich aber bestimmt mit dem Kopf nicke, fügen sie sich.
Das Mädel nimmt sich ein Mikro. Das macht sie nicht zum
ersten Mal, soviel ist klar. Sie schaut zu mir und senkt den Kopf kaum
merklich. Ich atme ein und spiele das Intro. Dann setzt sie ein.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2006.
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