Dieter Kamensek

Gwen

Schon während des Kindergarten und auch die ganze Schulzeit hindurch, war Gwen ein kleiner Wirbelwind! Sie war immer voll Energie. Manchmal schien es so, als wolle sie den Wind fangen. Trotz der inneren Unruhe, trotz der Wildheit war sie ausgesprochen nett und ihr Wesen glich einer zarten Kirschblütenknospe. Ihre Eltern waren, wie alle Eltern es normalerweise sind,  immer stolz auf sie. Die Mutter war eine sehr belesene Akademikerin am Kunstsektor, der Vater ein Architekt!

Sie hatten ein schönes Haus, einen großen Garten, gute Autos. Sie waren gesellschaftlich geschätzt und akzeptiert.

 

Von ihrer Mutter hat sie, so sagten die Leute, das Selbstbewusstsein, die Fantasie und den rebellischen Freiheitsdrang geerbt, vom Vater das Durchhaltevermögen, die Liebe zum Sport und die Zähigkeit!

 

Gwen wurde älter, und obwohl sie immer schon gerne mit ihren Freundinnen und Gleichaltrigen Puppenspiele spielte, Stofftiere süß fand und gerne „kochte“ so war es – für jeden klar erkennbar, dass sie auch gerne mit den Buben spielte.

Sie las auch, wie die Mutter, gerne und viel. Greer, Schwarzer, Zürn, Langner und andere Autorinnen der  Frauenbewegung und Frauenliteratur waren ihre Favoriten, aber auch Pearl S. Buck faszinierte sie. Oft fand sie – gewissermaßen als Bestätigung ihrer eigenen Natur – dass die Frauen alles können, mehr als jeder Mann!

Sie fand damit – indirekt - ihre Berufung für ihr weiteres Leben!

Sie bekam ein Geschwisterchen- einem Bruder! Er rief in ihr – obwohl sie noch ein kleines Mädchen war-  mütterliche Instinkte hervor. Sie spielten herzallerliebst.

Je älter sie wurde, desto direkter sie in den Scheinwerferkegel des Lebens trat, desto mehr erkannte sie dass sie einen anderen Weg gehen musste, für sich und alle anderen Mädchen. Man sollte sich an sie erinnern, sie wollte etwas tun das Aufsehen und Anerkennung hervorrief. Sie wollte nicht einfach einen Frauenberuf ergreifen, in der Masse eine von vielen sein; sie wollte kein Klischee verkörpern! Es musste etwas sein, das einzigartig war!

Sie spürte die Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen noch bewusster als die gleichaltrigen Mädchen. Wenn sie Lust hatte auf Tanzen, Unterhaltung wollten die Burschen Sex, wenn sie sich Zärtlichkeiten und Küsse wünschte, fingen die Burschen an ungestüm und tollpatschig an ihr herumzugreifen. Wenn sie sich Sex wünschte kamen sie gleich zur Sache, ohne Umweg, und waren auch gleich wieder fertig. Wenn sie nach diesem kurzen Gastspiel in ihr wenigstens noch kurz gehalten werden wollte, hatte der Junge nichts anderes zu tun als aufzuspringen und umherzulaufen oder er fing irgendein – in dieser Situation – dummes Gespräch an. Die Krönung der Fragen war immer: “Hat es dir auch gefallen?“ Sie lachte schon bei soviel Unverständnis und Arroganz! Merkte er nichts? Musste man das erfragen? Einzig ihren Bruder hielt Gwen immer hoch, und er allein – von ihr aus gesehen - war das einzig normale männliche Geschöpf!

Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften meldete sie sich freiwillig zum Militärdienst. Hier konnte sie den Sport frönen, sie wollte nun etwas Besonderes vollbringen. Und wirklich, die Vorgesetzten erkannten die körperliche Begabung, ihre Zähigkeit und ihre Intelligenz. Sie erkannten auch ihren rebellischen Charakter, der sich seit ihrer frühesten Jugend erhalten und sogar gesteigert hatte, bei ihr. Sie wurde belobigt und gleichzeitig auch weiter gefördert! Sie war das was sie sich gewünscht hatte. Sie hatte es erreicht. Jeder  und besonders jede zollten ihr Anerkennung. Sie war so gut das sie in das beste aller militärischen Eliteteams kam, welches nur die schwierigsten, fast aussichtslos erscheinenden, Kommandoaufträge durchführen musste. Sie war die erste Frau die in diesen Team dabei war. Niemand hätte je gedacht dass es einmal eine weibliche Person schaffen könnte, diesem Team anzugehören.

 

Für sie war es – so schien es – wie die absolute Erfüllung all ihrer Träume. Je härter es wurde, umso mehr dachte sie an ihre Idole und Ideale.  Das Training, die körperliche und geistige Ausbildung waren so hart, dass sie immer wieder und immer öfter an ihre eigenen Grenzen stieß. Doch sie hielt durch.

Endlich - der erste Einsatz kam. Der Einsatz war streng geheim, sehr gefährlich und keiner wusste wer wiederkommen würde. Schwarz gekleidet, mit rußgeschwärzten Gesichtern, voll gepackt mit Waffen und Sonderausrüstung sprangen sie aus einem Flugzeug und glitten im freien Fall – scheinbar lautlos und fast unsichtbar mit einem Fallschirm zu Boden. Ihr Herz schlug gleich einem schnellen Trommelwirbel. Das in ihren Körper ausgeschüttete Adrenalin hatte einen Stand erreicht der selbst ihr unbekannt war. Wie in einen der vielen Trainings ging die Gruppe vor. Das Haus der Zielperson lag direkt vor ihnen, die wenigen Wachen stellten keine wirkliche Gefahr oder Herausforderung dar. Mittels Handzeichen gab nun der Teamleader den Angriff bekannt. Gleich einem lebend gewordenen Schatten  trat sie aus der Dunkelheit, in der Hand ein Kampfmesser, dessen Klinge sich mattschwarz in der Dunkelheit verbarg. Lautlos griff sie nach dem Wachtposten, schloss mit einer gekonnten Bewegung dessen Mund und stach zu. Das Messer prallte jedoch – entgegen allen geübten Situationen - an einer Rippe ab und durchstach nur die Lunge. Der verletzte Wachtposten war geschockt. Er wehrte sich nicht. Sie musste das Messer wieder herausziehen, die Position zu ihm verändern. Da sah sie das erste Mal das Gesicht des Postens. Er war jung, im Alter ihres Bruders. Seine Augen waren weit aufgerissen, er blickte schmerzerfüllend in ihr Gesicht, mit der unausgesprochenen Frage nach dem Warum. Sie spürte sein Zittern, sie spürte seinen Stoßweisen Atem, sah die Schweißperlen auf seinem so jungen Gesicht. Sie fühlte die Nässe auf ihrer Hand und auf ihrem Körper. Sein Blut. Sie stach nochmals zu. Diesmal in sein Herz. Er zuckte nicht, schreckte nicht einmal zusammen. Sie konnte nicht den Blick von seinen Augen lösen. Da sah sie wie sich in seinem Auge eine Träne bildete, eine Träne die nun über seine Wange lief und in der Dunkelheit verschwand. Es war keine Träne des Schmerzes, eher die der traurigen Gewissheit um all die Dinge die er nicht mehr sehen und erleben würde. Er atmete immer noch, flach, stoßweise. Sie konnte es nicht ertragen. Er blickte sie nur an. Ein Gurgeln kam aus ihm, bei jedem Atemzug kam, helles, rotes, schäumendes Blut kam stoßweise aus seinem Mund. Eine weitere Träne lief aus seinem Auge. Unverständnis, Fassungslosigkeit und Trauer lag in seinen Blick. Sein Blut besudelte ihre Kleidung, ihre Haut, ihre Mütze. Da schnitt sie seine Halsschlagader durch, mit einer geübten, schnellen, präzisen Bewegung. Sie wollte dass er aufhört zu leben. Sie konnte es nicht ertragen das er sie weiter einfach so ansieht, noch lebend, von ihr zu Tode verletzt. Das Blut quoll aus all seinen Wunden, doch besonders aus dieser Wunde. Jetzt schloss er die Augen – für immer! Noch zwei Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln und fielen in die Dunkelheit. Der Atem, das Gurgeln verstummte.

Sie wälzte sich auf die Seite und atmete schwer. Sie hielt das Messer in ihrer Hand. Gedanken schossen durch ihren Kopf. Wie ein Blitzgewitter. Ihr Bruder fiel ihr ein. Ihre Kindheit, ihre Hoffnungen und ihre Träume. Ihr fiel ein dass sie eine Frau war. Sie dachte – total unpassend- das auch sie einmal Kinder haben wollte. Jetzt dachte sie daran dass es  irgendwo eine Mutter und einen Vater gibt, die bei der Nachricht, dass ihr Sohn umgekommen sei, weinen werden, vielleicht hatte er schon eine Frau, ganz bestimmt aber eine Freundin. Sie dachte an  die Träume und Hoffnungen des toten Soldaten die sich – wegen ihr - niemals mehr erfüllen sollten. Sie dachte an seine Tränen und seinen Blick. Sie blickte auf die blutüberströmte Leiche neben sich und sah die entsicherte Pistole in seiner Hand. Er hätte nur den Finger krumm zu machen brauchen, dann wäre sie tot gewesen. Hat er es nicht mehr geschafft? Wollte er nicht abdrücken? Vielleicht auch weil sie eine Frau, wie seine Mutter, war? Weil sie eine Frau ist die Leben schenken kann, die eigentlich auch eine Mutter werden könnte. Es fielen ihr ein paar Sätze ihrer Mutter ein, jetzt, wo sie neben einem jungen Mann lag, dem sie das Leben nahm! Sie hatte die Sätze schon lange vergessen! Damals, es war als sie nach Hause kam. Ein paar Jungen und sie hatten den Roller eines anderen Mädchens ein wenig beschädigten. Nur aus Spaß, und um herauszufinden, wo die Grenzen sind! Da sagte ihre Mutter zu ihr: „Etwas kaputt machen ist leicht, dazu braucht es nicht viel! Etwas zu machen, herzustellen und darauf zu achten ist die Kunst!“ Sie erinnerte sich auch, als sie weinte, als sich die Katze verletzte, ach, wie traurig war sie da! Nun aber hatte sie einen Menschen ermordet, er hatte ihr nichts getan, höchstwahrscheinlich, fast sicher sogar, war er eingezogen worden.  Er war zur falschen Zeit an diesem Ort!

Der Teamleader kam zu ihr und gab ihr ein Zeichen, dass sie weiter vorrücken, alle Wachen waren überwältigt!

Sie stand auf und sagte: „NEIN!“ Jetzt wusste sie dass dies der Moment ihres größten und einmaligstens Triumphes war. Dieses Wort zu dieser Zeit war die Weisheit ihres Lebens. Man soll auch NEIN sagen können, überhaupt dann wenn man erkannte, dass man Fehler gemacht hat. Der Preis war aber für dieses NEIN viel zu hoch, es kostete das Leben eines Menschen. Der Teamleader sah sie erstaunt an, machte daraufhin eine kleine, fast unbemerkte Bewegung. Sein Messer bohrte sich in ihr Herz. Geübt, zielgenau.  Er zog es heraus, sagte leise zu ihr: „Tut mir leid, du bist ein Risiko für uns!“  und ging weiter. Während sie noch niederfiel, wurde die Aktion weitergeführt. Ihr Leben erlosch.

 

 

Niemand erfuhr ihre letzten Gedanken, niemand erfuhr die Wahrheit, niemand erfuhr die Geschehnisse und den Hergang ihres Todes. Alle waren sehr stolz auf die Soldatin, auf die Frau, auf das Kind und die Schwester,  sie wurde, besonders bei der Grabrede, überhäuft mit Ehrungen und Lobreden. Sie war das neue Idol der Mädchen und Frauen! Es galt wie sie zu werden!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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