Mario Hedemann

Die Insel der Verlorenen - Teil 3

 

Ich hatte immer noch einen Dicken Klos im Hals stecken und musste mich zusammen nehmen, dass ich nicht schon wieder anfing zu heulen, als wir die Haustür hinter uns zuzogen. Loren holte den Wagen aus der Garage, während ich mit meinem Koffer in der rechten Hand vor der Tür stand und auf sie wartete.
 Eine Minute später stellte ich mein Gepäck in den Kofferraum unseres Opels und nahm letztendlich auf dem Beifahrersitz Platz. Ich schlug die Wagentür zu und Loren fuhr los. Sie fuhr die kleine Ausfahrt unseres Grundstücks herunter auf die Straße und ich sah unser Haus im Rückspiegel verschwinden.
 „Las den Kopf nicht so hängen, den sonst wirst du dein Heimweh nie überwinden,“ sagte Loren. „Du wirst schon sehen, das es vier nette Wochen werden, in denen du dich mal richtig erholen kannst. Wir können ja auch, wenn du magst, jeden Tag miteinander Telefonieren, sofern es dort einTelefon gibt.“
 „Das werden wir garantiert tun,“ sagte ich und spürte, wie sich die Feuchtigkeit in meinen Augen wieder meldete.
Loren war völlig auf den Verkehr konzentriert, der für eine Großstadt am Mittag üblich ist und somit bemerkte sie nicht, wie ich mit meinen Hemdsärmel meine Tränen weg wischte. Das war auch gut so, denn es war mir ausgesprochen Peinlich, vor ihr zu heulen.
 „Ich werde dir auch schreiben,“ sagte ich. Meine Stimme hörte sich durch den Kloß im Hals stockend an. Das veranlasste Loren, sich für einen Augenblick von der Straße abzuwenden und sie warf mir einen flüchtigen Blick zu.
 „Schatz, ich habe gesagt, du sollst nicht weinen, denn sonst dreh ich sofort wieder um und dann wirst du es spätestens nächste Woche bereuen, dass du doch nicht gefahren bist. Immerhin warst du  derjenige, der sich dafür entschieden hatte, ein paar Tage heraus zu kommen und Abstand vom Alltagstrott zu bekommen.“
 Ihr Blick wendete sich wieder dem Verkehr zu.
 „Das ist schon richtig, aber ich dachte nie, dass mir der Abschied so schwer fallen würde. Ich glaubte immer, ich würde es schon überstehen.“
 „Du wirst es auch überstehen. Du atmest erst mal richtig auf, wenn du einen Tag alleine bist und dann gefällt es dir, alles alleine fabrizieren zu können, dahin zu gehen wo du willst, ohne mich vorher immer fragen zu müssen.“
 „Ich frag dich sonst auch nicht, wenn ich mal alleine weggehen will, sondern tue es einfach.“ "Solange du mir sagst, wohin du gehst, ist es ja auch in Ordnung und ich will keinerlei Rechenschaft von dir. Du weißt, ich hasse es Rechenschaften zu ablegen zu müssen.“
 Wir bogen rechts ab und auf der Verkehrstafel stand schon zum Hauptbahnhof ausgeschildert. Ich kannte die Straße und wusste, jetzt waren nur noch fünf Minuten zu fahren. Ich versuchte einfach, mich auf die Bilder zu konzentrieren, die ich möglicherweise nachher zu sehen bekommen würde. Sie sollten mir einfach nur den Gedanken vertreiben, dass ich Loren vier ganze Wochen nicht sehen würde . Ich musste einfach auf andere Gedanken kommen, sonst würde ich den ganzen Zug und die Fähre Voll heulen und die Abteilungen im Zug unter Wasser setzen und die Fähre zum sinken bringen.
Dann stellte ich mir die Insel vor. In meinem ganzen Leben war ich noch nie auf einer Insel, daher machte ich mir ein völlig Falsches Bild, wie ich später feststellte. Ich stellte mir einen schönen reinen Sandstrand vor und Wellen schlagendes Wasser. Ich war mit ein paar anderen Leuten im Wasser am schwimmen und stellte fest, dass ich Loren nicht mehr vermisste. Es war ein Sonniger Tag, die Temperaturen stiegen auf achtundzwanzig bis dreißig Grad im Schatten und die Abkühlung des Wassers. Kinder spielten dort oder bauten Sandburgen. Aber nicht nur der Strand war sehr schön, sondern auch die Umgebung, wo ich Urlaub machte. Eine schöne Insel mit einigen Bergen und Wälder, aber auch wundervolle Wiesen und kleine niedliche Häuschen, wie ich sie aus Holland kannte. Ich hatte in eines der Häuschen ein Zimmer mit einer fabelhaften Aussicht auf einer Wiese und ein paar freilaufenden Hühnern, die darauf herum liefen.
Dies alles Verschwamm, als vor meinen Augen, als  der Bahnhof aufkreuzte.
 Hier herrschte viel Betrieb und Loren hatte Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden. Es kam mir vor, als würden wir Stundenlang im Kreis fahren und nie einen Parkplatz finden. Mein Kloß im Hals begann langsam abzuschwellen. Mit dem Gedanken an der Imaginären Insel hatte ich mein Heulen einigermaßen unter Kontrolle. Glaubte ich zumindest.
 Nach einiger Zeit des Herumirrens, fand Loren einen Parkplatz. Bevor wir ausstiegen, sah sie mich noch einmal an.
 „Ist alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie mich.
 Sofort war es wieder da, dass Gefühl heulen zu müssen. Ich nickte und dann stiegen wir aus. Schwermütig ging ich zum Kofferraum unseres Wagens und öffnete ihn. Dann holte ich mein Gepäck heraus und schlug die Haube wieder zu. Loren kam zu mir und nahm mich an der Hand. So spazierten wir also ins Bahnhofsgebäude herein und hielten nach Gleis sieben Ausschau. Eine menge Leute kamen uns entgegen und liefen an uns vorbei. Einige überholten uns, während wir gemütlich Hand in Hand dahin schlichen. Wir kamen nun zu den Gang der zu den Gleisen führte. Zu den Gleisen führten Treppen hinauf. 
 „Sieh mal, da geht es zu Gleis sieben hoch,“ sagte Loren und deutete mit dem Finger auf den dritten Aufstieg. Wir erreichten die Treppe und stiegen hinauf. Als wir oben ankamen, stand mein Zug schon da. Immer schwer fälliger wurden meine Beine und ich musste mich auf einer von diesen Bänken setzen, die in der Mitte der Bahnsteige standen. Loren setzte sich neben mir und legte ihren Arm um mich. Ich tat das gleiche bei ihr und drückte sie an mich.
 „Na, sei doch froh, dass du mich für eine Weile los bist,“ sagte sie.
 Es war viel Betrieb auf den Bahnsteigen und auf dem Gleis hinter uns fuhr gerade ein Zug ein und hielt mit quietschenden Bremsen. Die Durchsage aus dem Lautsprecher, wo der Zug herkam und wo er hin fuhr, war kaum zu verstehen. Kaum war der Zug angehalten, strömten auch schon die Massen aus ihm heraus. Ich sah es daran, weil einige Menschen an uns vorbei liefen.
 „Ich bin aber nicht froh darüber,“ heulte ich fast schon wieder. Wenn ich mir das Recht überlege, dann war es ein bisschen dumm von uns, zu sagen, dass wir uns für einige Wochen aus den Weg gehen.“
 „Sieh es doch mal so, wenn du wieder kommst, dann freuen wir uns doch um so mehr aufeinander,“ meinte Loren.
 Bloß nicht heulen, vor all den Leuten, dachte ich.
 „Ich werde je nach dem wie das Wetter ist, im Garten ein paar Arbeiten erledigen. Und gleich werde ich mich zum Kaffeetrinker bei deiner Mutter einladen und ihr ein Stück Kuchen mitbringen. Ich denke sie freut sich darüber.“
 Mir wurde beinahe schlecht, wie ich daran dachte, dass Loren meine Mutter besuchen würde und ich konnte nicht dabei sein. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man verreist und seine Liebe zurücklassen muss, und vor der Abreise von ihr erzählt bekommt, dass sie gleich die Mutter oder gar Freunde besuchen würde. Nicht das ich was dagegen gehabt hätte, aber mir viel dann gleich wieder ein, als wir das letzte mal gemeinsam die Leute besucht hatten.
 „Ich glaube sie wird sich freuen,“  meinte ich.
 Die Lautsprecher verkündeten nun, dass mein Zug in wenigen Minuten losfahren würde. Schwer fällig lösten wir unsere Umarmung auf und erhoben uns. Es kamen noch einige andere Leute, die in den Zug stiegen. Ich küsste Loren noch mal und drückte sie noch mal kräftig an mich. Dann stieg ich in den Zug.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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