Kathleen
erwachte in einem kargen Kellerraum aus einem traumlosen Schlaf.
Vielleicht war es auch eine Ohnmacht gewesen. Sie wusste beim besten
Willen nicht warum sie sich überhaupt hier unten aufhielt.
Nichts kam ihr bekannt vor.
Eingehüllt
in das kalte Licht einer nackten Glühbirne begutachtete sie die
Regale und den restlichen Plunder, der überall verstreut auf dem
Boden lag. Gehörte dieser Kram ihr? Oder befand sie sich in
einem fremden Keller?
Alles,
woran sie sich erinnern konnte, war Schmerz.
Ein
grauenvoller, brennender Schmerz. Ihre klaffende Wunde am Bauch hatte
stark geblutet und von der zerrissenen Schulter hing der klägliche
Rest ihres linken Arms in Fetzen herab.
Irgend
etwas war passiert, aber sie konnte sich einfach nicht mehr daran
erinnern was das gewesen sein könnte. Nun fühlte sie gar
nichts. Alles war taub, obwohl es nicht richtig sein konnte. Im
Grunde müsste sie vor Qualen schreien, sich winden und jammern.
Schmerzen verschwanden nicht einfach so, wenn man solche Wunden
davongetragen hatte.
Was
waren Schmerzen
eigentlich?
Wie
in Trance richtete sie sich langsam auf und ging zu der großen
Eisentür, dem einzigen Ausgang aus diesem Raum. Kathleen
streckte ihre noch vorhandene Hand nach dem schwarzen Griff aus und
drückte ihn nach unten. Der Rest einer Erinnerung sagte ihr,
dass man es so machte, wollte man eine Tür öffnen. Doch
dieses Wissen begann allmählich zu verblassen und wich einem
Instinkt.
Was
waren Türen und
was bedeutete öffnen?
Alles
war still in dem langen Korridor, der vor ihr lag. Keine Menschen,
soweit sie sich an so etwas wie menschliche Wesen erinnern konnte.
Sie wusste nicht einmal, was sie selbst war.
Einem
merkwürdigen Geruch folgend ging sie einfach weiter. Ein Aroma,
das ihren Appetit anregte. In Kathleen wuchs die Gier nach dem, was
da so verlockend roch. Sie wollte es haben, musste es finden und
essen.
Mit
jedem Schritt verschwanden mehr Informationen aus ihrem Gehirn. Ihr
Name, ihr Leben. Einfach alles. Übrig blieb nur dieses
Hungergefühl, das sie antrieb. Und je mehr sie den Geruch
wahrnahm, umso quälender wurde der Hunger. Etwas sagte ihr, dass
sie Nahrung finden finden musste um sich wieder erinnern zu können.
Vor
Kathleen führte bald eine Treppe nach oben. Grelles Tageslicht
drang in den düsteren Korridor. Und wo es Tageslicht gab, da gab
es auch Essen.
Ihre
Ohren vernahmen Schlurfen und Stöhnen - darunter einige Schreie
und hin und wieder knallte es. Aufgeregte Stimmen, hasserfüllte
Stimmen, ängstliche Stimmen. Stimmen, die warnten und solche,
die fluchten. Stimmen, die nach Hilfe riefen.
Schritte
wurden oben laut.
Kathleen
zog sich in die Schatten zurück und wartete. Ein letzter Rest
menschlicher Angst überkam sie, denn die junge Frau ahnte, dass
etwas Bedrohliches jeden Augenblick die Treppe herunter kommen würde.
Und sie sollte Recht behalten. Ein junger Mann stürzte wild
gestikulierend die Stufen hinab und schaute sich panisch um. Einen
Augenblick hielt er inne um Luft schnappen zu können. Zeit genug
für Kathleen, den herrlichen Geruch von lebendigem Fleisch und
pulsierendem Blut in sich aufzunehmen.
Ihr
Appetit verwandelte sich zu einer fauchenden Flamme des Verlangens.
Sie musste essen.
Lautlos
trat sie aus den Schatten. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und
bemerkte sie nicht, bis sich ihre Zähne tief in seinen Hals
bohrten und ein großes Stück Fleisch heraus rissen. Der
Mann schrie auf und schlug er sie zur Seite. Eine Hand presste er
kreischend auf die tiefe Halswunde und rannte blindlings weiter.
Dorthin, woher Kathleen gekommen war - in eine Sackgasse.
Kauend
folgte sie ihm. Es schmeckte so gut, gab ihr neue Kraft. Jeder
Bissen, den sie hinunterschluckte verstärkte das Gefühl,
noch mehr haben zu müssen. Viel mehr.
Nichts
war mehr von Bedeutung, nur noch das saftige Fleisch zählte, die
köstlich dampfenden Eingeweide, wenn sie aus dem Körper
genommen wurden.
Kathleens
letzter bewusster Gedanke galt dem “Warum?”.
Sie
spürte, dass sie tot war. Und doch verfolgte sie einen
unbekannten Mann und wollte ihn töten. Kein Hass, kein Gewissen
– nur unbändiger Hunger nach menschlicher Nahrung.
Dann
leerte sich ihr Geist vollkommen und nur ein einziger Befehl blieb:
Wenn du verstehen willst, suche Menschenfleisch und iss es!
Bald
schon kamen immer mehr Leute die Treppe hinab. Alle waren wie sie.
Jeder von ihnen lebte nicht mehr, befand sich aber auf der Suche nach
Nahrung. Viele von ihnen grauenvoll verstümmelt, andere einfach
nur bleich. Es gab sogar welche, bei denen der Verwesungsprozess
schon eingesetzt hatte.
Jeden
Tag würden mehr von ihnen auf Erden wandeln. Immer mehr und
mehr, bis es kein lebendiges Fleisch mehr geben würde.
Und
was kam dann?
Gegenseitig
würden sie sich niemals essen.
Was
kam danach?