Karl-Heinz Fricke

Unser Hund Schiefkopf

Nach acht Jahren im riesigen Lande Kanada erfüllten wir uns endlich einen sehnlichen Wunsch. Wir hatten in der Bergwerksstadt Thompson, im nördlichen Manitoba, gerade unser erstes Haus gekauft, das von einem hohen Holzzaun umgeben war. Was fehlte war ein Vierbeiner, und es musste unseren Wünschen gemäss ein Schäferhund sein. Ich sage immer: ein Hund komplementiert die Familie. In Thompson selbst konnte man keinen echten Hund bekommen. Wir fanden einen Züchter in der Provinz Alberta, der reinrassige Schäferhunde mit Papieren anbot. Wir entschieden uns für eine Hündin, denn wir beabsichtigten eine kleine Züchtung für diese Hunderasse zu gründen. Als "Lana von Arc" per Express geliefert wurde, sahen wir auf ein 8- Wochen altes kleines Tier, das uns lieb anschaute und offensichtlich froh war, aus dem Frachtkäfig heraus zu sein. Lana hatte eine dunkelbraune Farbe mit einigen hellbraunen Flecken. Als erstes galt es eine Hundehütte zu zimmern, denn ein Schäferhund gehört nicht ins Haus. Natürlich bildete das Nordland im Winter eine Ausnahme, denn nördlich des 55. Breitengrades wird es für viele Wintermonate, die schon im Oktober beginnen, sehr kalt. Celsius Temperaturen bis zu minus 60 Grad sind keine Seltenheit mit einer Durchschnittskälte zwischen minus 30 und 40 Grad von November bis Ende Februar. In solch extrem kalter Temperatur ist es auch für einen Hund kein Vergnügen draußen zu sein. Nun war es allerdings erst August, als wir Lana in unserer Familie aufnahmen. Sie benahm sich sehr gut, bellte wenig und wuchs nicht nur auf, sondern uns auch ans Herz. Als sie zwei Jahre alt war, zu einem wunderschönen Tier herangewachsen , machte sie die nähere Bekanntschaft eines ebenfalls reinrassigen Rüden der einem Freunde gehörte. Der Rüde hatte hauptsächlich ein helles Fell, dessen Beige ins rötliche überging. Ein wirklich bildhübsches Tier. Die beiden freundeten sich schnell an, und als unsere Lana in Hitze war, kam auch die körperliche Vereinigung der beiden Tiere zustande. Wie wir bald feststellen konnten, hatte dieses Geschehen ihre Wirkung nicht verfehlt und wir freuten uns auf ihren Wurf. Es waren sieben kleine Hunde, die an kleine Bären erinnerten. Sie bildeten einen Kreis um die große Futter-Schüssel und fraßen wie die Scheunendrescher. Ein kleiner Welpe wurde auf erstaunliche Weise immer dicker und wir dachten, dass er als stärkerer mehr frass als die anderen. Es stellte sich jedoch heraus, dass er den Kies vom Boden in sich hineinstopfte, und auch wieder auf natürliche Weise von sich gab. Unsere damals 11 jährige Tochter spielte oft mit den kleinen Hunden, kroch sogar zu ihnen in die Hütte. Mit einem der Hunde verband sie ein besonderes Verhältnis. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt und sie nahm ihn oft zu sich hoch. Unglücklicherweise ließ sie ihn einmal auf den Betonweg fallen und seitdem hielt der Hund seinen Kopf schief. Da bekam er gleich seinen Namen, wir nannten ihn Schiefkopf. Eigentlich hatten wir vor den ganzen Wurf zu verkaufen, und als die Kleinen 8 Monate alt waren und ziemlich erwachsen aussahen, fanden sich auch Käufer, und in kurzer Zeit waren alle verkauft bis eben auf Schiefkopf, den erklärlicherweise niemand haben wollte. Da er sowieso der Favorit unserer Tochter war, beschlossen wir, ihn zu behalten. Nach ein paar weiteren Monaten verlor der Hund die schräge Haltung des Kopfes und entwickelte sich zu einem schönen, starken Hund und wir waren froh, ihn behalten zu haben. Er verstand sich gut mit seiner Mutter und die beiden waren wie Kinder zu uns. In den kalten Monaten waren sie nachts und auch oftmals tagsüber im Hause. Dicht neben der Hintertür hatten wir ihnen ein Lager eingerichtet, und sie wussten, dass sie in der Wohnung nicht herumstöbern durften. Waren wir jedoch einkaufen, fühlte sich Lana sicher, und legte sich aufs Sofa im Wohnzimmer. Wir bemerkten eine Delle, die sich noch warm anfühlte, und später erwischten wir sie dort einmal schlafend.

So schlau Schäferhunde auch sind, es gibt Tiere, die noch klüger sind. Thompson ist bekannt für die großen Raben, die in großer Anzahl die Stadt bevölkern und sich von Abfällen nähren. Wir haben beobachtet, wie die Vögel die Deckel von Abfalltonnen entfernten, die gefüllten Plastiksäcke auseinandernahmen, um sich essbare Abfälle einzuverleiben. Unsere beiden Hunde bekamen von uns oftmals Knochen, die wir kostenlos vom Fleischer holten. Als wir ihnen einmal Knochen auf den Hof geworfen hatten, erschienen plötzlich zwei große Raben, die sich auf dem Dach unserer Garage postiert hatten und nur auf eine Gelegenheit warteten, die Knochen zu stehlen. Natürlich waren die beiden Hunde ein großes Hindernis für sie, das aus dem Weg geräumt werden musste. Einer der beiden Vögel flog vom Dach in die entfernteste Ecke des Hofes und markierte verletzt zu sein . Sofort liefen beide Hunde mit Gebell auf den Raben zu., der sich jedoch kurz vor ihnen majestätisch in die Luft erhob. Das gab dem zweiten Raben die Möglichkeit sich einen der Knochen zu sichern und auf dem Dach zu beknabbern. Dieses wiederholte sich nochmals, sodass auch der zweite Rabe seinen Knochen bekam.

 

Unsere beiden Hunde bellten eigentlich selten, aber wenn ein Volkswagen Käfer vorbeifuhr, oder ein Indianer auf dem nahen Bürgersteig vorbeiging, dann fand ihr Bellen kein Ende. Andere Menschen und Autos störten sie nicht. Nachdem Lana dreimal geworfen hatte, wurde sie plötzlich krank. Da wir leider keinen Tierarzt am Ort hatten, konnten wir ihr nicht helfen. Der nächste größere Ort war 350 Kilometer entfernt. Besonders nachts heulte sie vor Schmerzen, und wir konnten es nicht mehr mit ansehen, wie sie litt. Ich konnte keine Hand an unser liebes Tier legen, doch ein guter Freund erbot sich, sie zu erlösen und zu begraben. Nun war unser Schiefkopf, den wir inzwischen Chico nannten, ganz allein. Wir sahen, wie er unter dem Verlust der Mutter litt. Tagelang rührte er sein Fressen nicht an. Daran konnten wir sehen, dass auch Hunde eine Seele haben. Wir beschlossen eine junge Schäferhündin als Ersatz für Lana zu kaufen. In Winnipeg suchten wir einen Züchter auf, der uns die 1½ -jährige Britta für 300 Dollar verkaufte. Chico jedoch war gar nicht von der Anwesenheit Brittas erbaut. Sie stahl ihm sein Futter, kniff ihn und gutmütig wie er war, ließ er es sich auch noch gefallen. Sie war sehr hellhörig, bellte oft, sodass sich die Nachbarn bei der Stadt beschwerten. Sie zerbiss Schuhe, Schläuche und zerfetzte alles was nicht niet- und nagelfest war. Sie biss das Fernsehkabel und die Leitung zur Waschmaschine durch und stellte sich als Anschaffung heraus, die wir sehr bereut haben, und die damit endete, dass wir Britta nach einigen Monaten verschenkten. Kurz darauf bot uns eine Familie eine junge Golden Retriever Hündin als Geschenk an. Ein sehr liebes und schönes Tier, das allerdings die Angewohnheit hatte zu lecken. Man konnte dem Tier nicht nahe sein, ohne beleckt zu werden. So verschenkten wir es schließlich weiter und beschlossen keinen zweiten Hund mehr haben zu wollen. Chico hatte sich dann auch daran gewöhnt allein mit uns zu sein. Er war nicht aggressiv, aber wehe, wenn sich ein Fremder in ungewohnter Weise seinem Territorium näherte. Einmal hatten wir im Keller einen Brand am Propan- Gasofen, der durch ein schadhaftes elektrisches Kabel ausgelöst worden war. Während wir auf der Arbeit waren, rief unsere Tochter die Feuerwehr an. Mit Gasmaken vor dem Gesicht kamen zwei Feuerwehrmänner durch die Pforte auf den Hof gestürmt, und Chico, der solches nicht gewohnt und sich als unser Beschützer wähnte, biss einen der Männer. Zwei weitere Personen wurden nur gekniffen, ohne das eine blutende Wunde entstand, als sie ihn schlafend überraschten.

 

Es ist im Leben nun einmal so eingerichtet, dass man sich zwangsläufig auch von lieb gewonnenen Haustieren trennen muss. Die Zeit war gekommen, dass Chico nicht mehr gut sehen konnte, überall gegen lief, nicht mehr richtig fraß und ihm mitunter die Hinterbeine einknickten. Er war 12 Jahre alt, was für Schäferhunde so ziemlich Greisenalter bedeutet. Wir hatten an einem Waldsee auf einer Insel mit einem sandigen Strand ein Zeltlager errichtet, das wir in den Sommermonaten an den Wochenenden aufsuchten, um zu schwimmen und zu angeln. Über Nacht schliefen wir im Zelt, und sonntagabends fuhren wir wieder nach Hause. Bevor wir an jenem Freitagabend abfuhren, bemerkte ich zu meiner Frau, dass wir Chico nicht mehr lebend antreffen würden. Als wir zurückkamen lag er tot unter der Birke, die wir im Hof gepflanzt hatten. Noch heute, nach fast 30 Jahren , sprechen wir oft von Chico und schauen uns die Fotos an. Ein treues Tier, dass wir nicht vergessen können.
 
Karl-Heinz Fricke  19.08.2008 

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