Lieselore Warmeling

Altern ist...

Altern ist nichts für Feiglinge

WOW, wieder einer dieser Tage, die man am liebsten abhaken möchte,
bevor der erste Sonnenstrahl sich zeigt.
Gar nicht erst aufstehen, damit die bereits lauernden Schmerzen keine
Chance bekommen, sich explosionartig über beide Beine auszubreiten als
seien die Blutgefäße längst zu eng, den Blutdurchfluss aufzunehmen?

Hat denn die Arthrose in beiden Knien nicht gereicht?

Verdammt, so habe ich mir das Altwerden nun auch nicht vorgestellt.

Außerdem sehe ich gerade am Fenster das ebenso alte Ehepaar von
gegenüber in ihren Volvo steigen, zwar auch nicht mehr so fit wie
früher, aber offensichtlich auf eine Weise beweglich, von der ich seit
einem Jahr nur noch träumen kann.

Wird es Zeit?
Zeit zu planen und nicht mehr einfach nur geschehen zu lassen?

Das Haus verlassen, sich kleiner zu setzen, wer braucht schon 100 qm
Wohnfläche.
Entschlossen rufe ich am PC die Angebote für *betreutes Wohnen*  auf.

Hmm, wäre bezahlbar.
Nicht bezahlbar dagegen die Appartements in den Senioren Residenzen,
gänzlich indiskutabel.
Zwei Räume brauchte ich schon und die sind dort nicht unter 2500 Euro
zu haben und das würde mir nicht einmal mehr ein monatliches
Taschengeld lassen, nicht empfehlenswert wenn die Kosten für die
Apotheke nicht mehr einplanbar werden.

Ganz zu schweigen davon, dass DSL Anschlüsse für Computer dort wohl
nicht vorgesehen sind.

An der Stelle beschließe ich, in den Garten zu gehen und nachzusehen,
ob Enkel Tom den Rasen gemäht hat, ehe er sich entscheidet, mal wieder
nicht zuständig zu sein.
Hat er natürlich nicht und ich versuche, den Rasenmäher aus dem
Schuppen zu ziehen und wenigstens anzuschließen.
Dabei bleibts natürlich nicht, eigentlich wollte ich ja nur testen, ob
er keine Macken hat, doch ausnahmsweise läuft er ohne Stottern, da
wäre es doch reichlich sinnlos, nicht doch zu versuchen ob.... .. ..

Es geht, ich lehne mich schwer über das Gerät und versuche, mein
Gewicht einzusetzen das Ding vorwärts zu treiben.
Erst der naheliegende Gedanke, dass ich es mit mindestens zwei Wochen
Knochenschmerzen bezahlen werde,, mich aufzuführen als sei ich keine
72, sondern zehn Jahre jünger, hält mich davon ab, jetzt trotzig die
ganze Fläche zu mähen.
Außerdem, ich habe Tom für seine nicht erbrachte Leistung bereits
bezahlt, also soll er endlich mal sowas wie Verantwortung beweisen.
Deshalb bleibt der Rasenmäher mitten auf dem Gelände stehen, der
Hinweis kann für einen Verweigerer wie Tom gar nicht deutlich genug
sein.
Ein bisschen Unkraut zupfen? Soll ich oder doch lieber nicht? Idee und
Wille sind sofort da, aber dann....mitten zwischen den Rosen eine
kleine grüne Fläche und als ich bereits mordlüstern dem, was der
Gärtner Unkraut nennt, an den Kragen gehen will, sehe ich es. Es mag
Unkraut sein, aber...es ist eine winzige Kleeblattanhäufung, was an
sich nicht verwunderlich wäre, aber alle dort sichtbaren Kleeblätter
sind vierblättrig.
Unglaublich, die kann  man doch ansonsten nicht mal mit der Lupe
finden.

Ich werde den Teufel tun, die auszuzupfen, ich lasse sie als
Glücksbringer stehen, auch wenn ich noch nicht weiß, aus welcher
Richtung sowas wie Glück für mich kommen sollte.
Immerhin kann man es aber schon als Glück bezeichnen, wenn man für
seine Gelenke eine Salbe gefunden hat, die schmerzlindernd wirkt, ohne
einem noch ein paar zusätzliche Hautirritationen zu hinterlassen.
Die Erwartungen an das, was man Glück nennt, schwinden im Alter
rapide.

Oder besser, sie verändern sich.
Tauchte nämlich plötzlich der Traummann der frühen Jahre aus der
Versenkung auf, bedeutete auch er nur noch eine zusätzliche
Anstrengung, auch wenn er selbst inzwischen längst vergreist sein
wird.
Eine Bergwanderung zu planen, ist  auch nicht empfehlenswert, wenn man
zu Edeka an der Ecke nur noch mit Rollator kommt und mit vor
Anstrengung pfeifendem Atem landet.

Ich sollte mich lieber im Shop der Alltagshilfen für Senioren nach
dieser neuen Innovation für Sockenanzieher umschauen, denn lange kanns
nicht mehr dauern, dass ich die Beine nicht mehr auf den Hocker kriege
um die Socken überzuziehen.

Prüfend wandere ich durch meine 100qm und denke darüber nach, was
alles hier funktionell zu verändern wäre, um eine komplette Pflege nur
mit ambulanter Unterstützung organisieren zu können.

Die Dusche, ja, die müsste als erstes ebenerdig umgebaut werden. Kein
Einstieg mehr, der einen zwingt, die Beine über ein Hindernis zu
heben.
Dann brauche ich einen Aufsatz für die Toilette und feste Haltegriffe
in der Dusche wie auch vor dem Klo.
Stürze sind tunlichst zu vermeiden.

Ja, das wäre eine gute Investition fürs Alter.  Alles bezahlbar,
ebenso wie die Putzhilfe einmal in der  Woche.
Dann brauche ich einen Notanschluss mit direkter Verbindung zur
Zentrale.

Schon eine Woche später habe ich alles organisiert und gerade
deinstalliert der Klempner mit heftigen Hammerschlägen die Duschtasse
im Bad und eine Staubwolke zieht durch die offene Tür in den Garten.

Ich bin gerüstet, vorbereitet für die Eventualitäten des Alleinlebens
im Alter und auf eine sehr beruhigende Weise glücklich.
Euphorisch glücklich zu sein, ist etwas für die Jugend, mir reicht der
jetzige Zustand absolut...denke ich...und dann....

Steht es vor meiner Tür, das per vierblättrigem Kleeblatt angekündigte
Glück..
Dreissig Jahre jung, seines Zeichen Heilerziehungspfleger und nur
vorbei gekommen, mich u.a. in die Funktion des Nottelefons
einzuweisen.

Er sieht seinem Großvater auf eine Weise ähnlich, die mein Herz zu
einigen unkontrollierten Schlägen veranlasst.
Dieselben lockigen dunklen Haare mit dem typischen dreieckigen Ansatz,
dieselbe Art die rechte Augenbraue leicht hochzuziehen, wenn er etwas
erklärt  und vor allem, dieselben grünen Augen in einem ansonsten eher
südländisch geprägten Gesicht.
Ich muss seinen Namen erst gar nicht wissen, um ihn als Nachfahre des
Mannes zu erkennen, der vor vierzig Jahren die Liebe meines Lebens zu
sein schien.

Als eingefleischte PC Nutzerin wäre diese Einweisung für mich ohnehin
nicht wirklich notwendig, aber das sage ich nicht, ich bin zu
sehr damit beschäftigt zu verdauen, welche Bedeutung dieser Teil der
Vergangenheit wider Erwarten noch für mich hat.
Von wegen abgehakt, von wegen nur noch der Abklatsch eines Tsunami,
gerade scheint der mich zumindest minutenweise erneut überrollt zu
haben.

" Ist Ihnen nicht gut?"  Er sagt es besorgt, eher teilnehmend als
beruflich motiviert.

Nein mir ist ganz und gar nicht gut, aber ich wiegele ab. Das fehlte
ja noch, dass ich bereits beim ersten Besuch dem Vertreter der
Organisation, die sich auf häusliche Pflege spezialisiert hat, vor die
Füße rolle.

Aber mich ein bisschen begriffsstutzig stellen, das könnte ich doch
versuchen, vielleicht ....

Mist, klappt nicht, er hat den PC entdeckt und geht nun wie
selbstverständlich davon aus, dass ich die drei Knöpfe am Nottelefon
funktionell auch dann noch begreifen werde, falls mich ein jäher
Alzheimerschub heimsuchen sollte.

Obwohl ich per Internet alle Preise für Zusatzleistungen schon kenne,
beginne ich den jungen Mann auszufragen, wiesele dabei in der Wohnung
herum und bald durchzieht köstlicher Kaffeeduft die Räume.
Natürlich informiert er mich umfassend. Als künftige Bezieherin von
Essen auf Rädern, Haushalts-oder Einkaufshilfe werde ich irgendwann
sowas wie ein gut zahlender Kunde sein.
Seine Prospekte hat er auf dem Tisch ausgebreitet und schildert bei
einer Tasse Kaffee welche Erleichterungen man sich im Alter auch mit
ambulanter Hilfe verschaffen kann, ohne sein gewohntes Umfeld
verlassen zu müssen.

" Rufen Sie getrost an, wenn sie etwas brauchen." er lächelt mich
freundlich an, "ich stehe dann sofort auf der Matte."

Er reicht mir seine Visitenkarte und jetzt erst sehe ich meine
Vermutung bestätigt, er heisst wie sein Großvater, Peter Steinert.

Ich wage es. "Lebt Ihr Großvater noch?" Meine Stimme ist leicht belegt
und ich räuspere mich.

"Ach, Sie kennen meinen Großvater? Natürlich lebt der noch und wie,"
er lacht.

" Ich kannte ihn, vor vierzig Jahren," ich versuche, meine Antwort
beiläufig klingen zu lassen.

Peter junior zieht die Augenbraue auf die mir so bekannte Weise hoch
und sieht mich sinnend an.
" Ich habe gerade erhebliche Probleme mit dem alten Herrn," sagt er
dann und grinst dabei.
" Er hat auch Probleme mit der Beweglichkeit, immerhin ist er ja
achtzig geworden, nimmt aber übel, dass sowas auch mit dem Verlust der
einstigen Fitness einhergehen kann.
Also habe ich versucht, ihm das Internet schmackhaft zu machen, weil
ich denke, wer die Glieder nicht mehr wie gewohnt bewegen kann, muss
nicht fürchten, dass sich das auch zwangsläufig auf den Geist
ausweiten wird.
Er könnte dort alle die Gespräche führen, die er gewohnt war und
die jetzt entfallen, weil viele seiner Gesprächspartner inzwischen das
Zeitliche gesegnet haben, oder aber weit entfernt wohnen,.
Wie ich sehe, haben Sie das ja für sich erkannt und gelöst."

"Allerdings, ich muss aber zugeben, dass ich zwar geistige Anregung
suche, dabei aber nicht unbedingt meine Diskussionspartner in den
eigenen Räumen sehen will, da war ich dann schon immer ein bisschen
eigenbrötlerich, während ihr Großvater in meiner Erinnerung eher als
Hans Dampf in allen Gassen auftaucht."

Peter lacht, "allerdings, deshalb fällt es ihm wahrscheinlich auch so
schwer, auf diese Lebensrolle zu verzichten."

"Machen Sie ihm doch klar, dass er notfalls durchaus weiter Hahn im
Korb sein könnte und seis auch nur im Forum der einsamen Herzen,"
Jetzt bin ich boshaft und weiß es, denn Steinert senior  hat durchaus
andere Qualitäten, niemand weiß das besser als ich.

Immerhin aber verschafft mir dieser spöttische Schlenker den nötigen
Abstand  zur augenblicklichen Situation und damit- wie ich hoffe -
auch zu meinen Erinnerungen..

Ich stelle keine Fragen mehr und Junior verabschiedet sich freundlich.
An der Tür wendet er sich noch einmal um.
" Ich werde meinem Altvorderen sagen, wie toll sich sich organisert
habe, es wird ihn sicher freuen zu hören, wie lebenswert das Alter
sein kann, wenn man rechzeitig die Weichen stellt."
Ehe ich antworten kann ist er weg.

Das war überflüssig Du alte Zicke murmele ich und schneide
im Spiegel eine Grimasse.

Der Ärger darüber, Steinert senior überhaupt erwähnt zu haben,
verursacht mir ein paar unerfreuliche Stunden, bis klar wird, dass ich
nicht einmal weiß, was unangenehmer wird, ob Peter der Ältere sich
jetzt an seinen funkelnagelneuen Computer setzt und Verbindung
aufnimmt, oder ebenso verbissen schweigt, wie wir es beide seit
vierzig Jahren machen.
 
Eine Woche später wird diese Frage beantwortet.
Im Posteingang eine Mail, Absender Peter Steinert junior:
 
Hallo Frau Berner
Bin gerade dabei, meinem Großvater Outlook Express einzurichten
und er besteht darauf, dass ich Ihnen folgendes schreibe:
 
Rem tene, verba squentur.
Beherrsche die Sache, dann folgen die Worte.
(Cato)
 
Ich vermute, er will damit ausdrücken, dass er das Mailprogramm erst
beherrschen will, ehe er selbst schreibt, kann mich da aber auch irren.
 
Freundliche Grüße Peter junior.
 
Ich antworte sofort;
s' ist eben manchen Leuten eigen,
dass ihnen Schlichtes nicht gerät,
sie müssen immer ins Fenster steigen,
auch wenn die Haustür offen steht.
(Emanuel Geibel)
 
Sein Großvater wird verstehen und....ich werde irgendwann einen
hochintelligenten Mailpartner mehr haben und zwar einen,
den ich kenne wie mich selbst, besser als ihm lieb war und ist.
Dass er es wagt, diese Verbindung wieder aufleben zu lassen,
kann nur bedeuten, das Alter hat ihn einsichtig gemacht.
Niemand muss einen Kontakt abbrechen, weil zuviel Nähe droht.
 
Es kann und wird ein Gewinn sein, mit Jemandem offen und direkt
sprechen zu können, der nicht nur auf die gleiche Weise tickt wie man selbst,
sondern mit dem man auch eine Menge Erinnerungen teilt.
 
Das eben ist Glück, das Glück des Alters.
Ich gehe in den Garten und wässere das Viereck mit den Kleeblättern.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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