So war das schon immer mit mir. Wenn etwas Unangenehmes bevorsteht, verspüre ich ein starkes Kribbeln in den Füßen und meine Nase juckt wie verrückt.
Eigentlich unverständlich diesmal, denn ich habe den Jackpot geknackt. 43 Millionen. Ich habe die Zahlen hundertmal mit denen auf meinem Lottoschein verglichen. Bei der Ziehung im Fernsehen, aber auch im Internet, und telefonisch abgerufen habe ich sie auch noch mal, um jeden Irrtum auszuschließen. Ich müsste jauchzen vor Glück, aber stattdessen dieses unablässige Kribbeln und Jucken, als ob ein schweres Erdbeben im Rheingraben bevorstünde. Am Donnerstag erfahre ich den Grund. All meine Freude, die ohnehin nicht recht aufkommen wollte, ist mit einem Schlag dahin. Es gibt drei Mitgewinner mit sechs Richtigen plus Zusatzzahl. 43 durch 4 – was bleibt da noch groß? Lumpige 11 Millionen, grob gerundet. Gut, ich kann meine Wünsche runterschrauben, meinen Lebensstil einschränken, aber 11 sind 11 und 43 sind 43. Ich stamme aus einer kinderreichen Familie. Sieben Geschwister. Das hat ein Trauma in mir hinterlassen. Alles mussten wir teilen – Spielzeug, Kleidung, Essen, Wohnraum. Seitdem ist Teilen ein Horror für mich. Ein paar Jahre war ich verheiratet. Da hieß es wieder teilen: Einkommen, Freizeit, Gefühle, Bett … Teilen ist für mich ein rotes Tuch, es verursacht schlimme Aggressionen in mir. 43 durch 4. Und das ausgerechnet mir. Den kleinsten Triumph können sie einem nicht gönnen. Lieber weniger, aber dafür ganz für mich allein. Erwürgen könnte ich die drei, aber sie verstecken sich hinter ihrer Anonymität. Bestimmt auch noch irgendwelche Widerlinge, denen ich, wenn sie sich zu erkennen gäben, nicht einmal die Hand reichen würde. Lausige 11 Millionen. Übers Jahr gerechnet gerade mal
30 000 pro Tag. Auf zehn Jahre gestreckt, nur noch 3 000 und auf 20 gar nur 1 500 am Tag. Zwar kommen noch die mickrigen Zinsen hinzu, aber wie hoch sind eigentlich die Steuern, die ich ans Finanzamt abführen muss? Und die geldlüsterne Verwandtschaft wird auch bald Schlange stehen und ihren Teil beanspruchen. Am besten setze ich mich nach Südamerika ab. Unbekannt verzogen.
Den ganzen Donnerstag bleibe ich im Haus, damit mich der Vertreter der Lottogesellschaft nicht verpasst. Der mit dem 11 Millionen-Scheck. Wie das wieder dauert. Haben die etwa noch mehr Hauptgewinner ermittelt? Das ertrüge ich nicht. Auch am Freitagmorgen klingelt niemand an der Tür. Ich überprüfe noch einmal die Gewinnzahlen. Irrtum ausgeschlossen. Gerade will ich zum Hörer greifen, um die Auskunft anzurufen und mir die Telefonnummer der Lottozentrale geben zu lassen, da fällt mein Blick auf das Annahmedatum des Lottoscheins. Ich habe die Scheine verwechselt. Dieser ist schon vierzehn Tage alt. Irgendwie bin ich erleichtert. Hauptsache nicht teilen.
Anmerkung: Diese Satire habe ich auch als Hörtext eingestellt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2010.
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