Diethelm Reiner Kaminski

Stimmsteuer



Die Tiere des Dschungels waren empört. Gerade hatten die Papageien die neueste Schikane der Löwenregierung verbreitet. Ab sofort würde von allen sprechenden Tieren eine Stimmsteuer erhoben werden. 50 Prozent Abgaben auf alle Vorräte, unabhängig von Größe, Lautstärke, Geschlecht und Alter der Tiere. Nur Schlangen und Würmer waren ausgenommen. Die verkrochen sich und waren doch nie auffindbar. Die Kontrolle der Abgaben war den Füchsen, das Einsammeln den Wölfen übertragen worden, die diese Aufgabe widerwillig und voller Unlust übernahmen, weil sie gegen die körperlich überlegenen Löwen nichts ausrichten konnten.
„Wie ungerecht“, beklagten sich die Okapis „Wir sind extrem leise, stören keine anderen Tiere und sollen ebenso viel abgeben wie die lärmenden Affen?“
„Na und?“, sagten die Affen. „Unsere sogenannten Regierungsvertreter haben mal wieder das Maul zu weit aufgerissen, bevor sie nachgedacht haben. Wie wollen die Wölfe denn wohl die Abgaben einsammeln? Auf die Bäume klettern und sie höchstpersönlich abholen? Was uns betrifft, machen wir Krach wie immer und werfen den Löwen keine einzige Banane in den Rachen.“
„Ihr habt gut reden“, sagten die Wildschweine. „Wie sollen wir Schweine denn wohl auf die Bäume gelangen?“
„Habt ihr es denn wenigstens schon einmal versucht?“, verhöhnten die Affen sie, die es zu gerne gesehen hätten, dass die Schweine auf ihre frechen Schnauzen fielen.
„Vergrabt euer Futter doch wie wir“, schlugen die Streifenhörnchen vor, die sich schon darauf freuten, die Verstecke der Wildschweine zu plündern.
„Wo bleiben die Steuereinnahmen?“, fragten die Löwen die Steuereintreiber, die Füchse und Wölfe. „Fast ein Monat ist vergangen, seit der königliche Steuererlass in Kraft getreten ist. Und wir haben immer noch nicht genug zu fressen. Das kann nicht sein. Fresst ihr womöglich alles selber?“
„Wir hungern selber, denn wo immer wir auch hinkommen, gibt es nichts zu holen. Da können wir noch so sehr mit strengen Strafen, sogar mit der Todesstrafe drohen. Die Tiere schweigen, und wo geschwiegen wird, dürfen auch keine Steuern erhoben werden. Nur die Affen lärmen weiter, aber sie sitzen unerreichbar hoch in den Baumgipfeln.“
„Auf so einen billigen Trick fallen Könige nicht herein“, tobten die Löwen. „Dann erheben wir eben Schweigesteuern, dann haben wir die notorischen Steuerhinterzieher wie Schlangen und Würmer gleich mit im Boot. Und nun an die Arbeit. Wir haben einen Löwenhunger.“
Sobald die Papageien die Änderung des Steuergesetzes verkündet hatten, erhob sich ein ohrenbetäubender Lärm im Dschungel. Selbst die sonst so stillen Okapis wurden gesprächig. Nur die Schlangen und Würmer verkrochen sich noch tiefer in Laub und Dickicht.
„Ein zweites Mal können wir den Löwen nicht mit leeren Händen unter die Augen treten, dann werden wir selber gefressen“, sorgten sich die Füchse und Wölfe. „Uns bleibt nur eins: auswandern, und zwar sofort. Irgendwohin, wo es keine Löwen und noch keine Steuern gibt.“
Gegenden ohne Löwen fanden die unfreiwilligen Auswanderer zur Genüge, aber keine, in denen nicht auch bereits Steuern eingetrieben wurden.
„Wir haben zwar unsere Heimat verloren“, rief der Leitwolf, „aber wir haben auch eine Menge von den Löwen gelernt. Dafür sollten wir ihnen dankbar sein.“
„Dankbar?“, protestierten die anderen Wölfe, „wofür?“
„Dafür dass die Löwen uns gezeigt haben, wie man es nicht machen darf“, sagte der Leitwolf.
„Und wie sollen wir es besser machen?“
„Wir garantieren den Tieren Steuerfreiheit, wenn sie uns ausreichend mit frischem Fleisch versorgen“, sagte der Leitwolf.
„Aber wie wollen wir verhindern, dass die Bären oder Hyänen, Panther oder Jaguare trotzdem Steuern haben wollen?“, fragten die argwöhnischen Wölfe.
„Ist das unser Problem?“, antwortete der Leitwolf.
„Und die Füchse? Was ist mit den Füchsen, die zusammen mit uns ausgewandert sind?“
„Die Füchse? Was gehen uns Wölfe die Füchse an? Sie sind Bestandteil des uns zugeteilten Futters. Oder haben diese feigen Versager etwas Besseres verdient? Und nun schwärmt aus und verkündet den Tieren die frohe Botschaft.“
 


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