Rico Graf

S hrif stel er v r s win d e t oder Das Manuskript (VII)

 




VII
 
„Wie bitte?“ „Sie sind festgenommen, Herr Verleger.“ „Das habe ich schon verstanden, aber weswegen?“ „Ein Schriftsteller ist verschwunden und Sie haben das zu verantworten!“ „Wie bitte? Soll das ein Witz sein?“ „Ich bin ein Mann des Gesetzes. Ich mache hier bestimmt keine Witze.“ Die Sekretärin glotzt mit ihren schmalen Schultern irritiert drein. Der Verleger schnappt Moleküle. „Wie kommen S-“ „Hier!“ Der Polizist knallt dem Verleger etwas auf den Tisch. Es ist ein Heft. Der Verleger zieht es zu sich, liest den Titel: S hrif stel er   v r s  win d e t oder Das Manuskript. „Woher haben Sie denn dieses Manuskript?“ Der Polizist augelt verwundert. „Sie haben mir doch das Manuskript gegeben!“ „Wie kann das sein? Ich habe es niemandem gegeben und Sie kenne ich gar nicht!“ „Herr Verleger, lassen Sie uns in Ihr Büro gehen. Wir sollten uns unterhalten. Bitte. Nach Ihnen.“ Der Verleger nickt, verschwindet zusammen mit dem Polizisten in seinem Büro. Auf der Tür drückt die Last eines mehr als nur überraschten Blickes. Ohren hat er nicht. Da Drinnen vor dem Auge stürzt die Stimme in den Bass: „Als Sie mir das Manuskript gaben, las ich es aufmerksam, ich besuchte sogar das Haus des Schriftstellers. Ich war sogar drin. Ich denke, dass er es darauf anlegt.“ „Wie meinen Sie das? Dass er es darauf anlegt?“ „Weil alles Fiktion ist!“ „Ich verstehe nichts. Bin ich in einem trivialen Murakami gelandet?“ „Genau das ist der Punkt.“ „Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass wir Fiktionen sind? Wir sind Realität. Was der Schriftsteller schreibt, ist Fiktion!“ „Dieses Borges-Zitat.“ „Ja, aber haben Sie sich diese Frage jemals gestellt, wenn Sie ein Buch gelesen, oder einen Film gesehen, Theater geguckt haben, oder was auch immer? Haben Sie sich dann ernsthaft gefragt, ob das Buch nur ein Buchbuch ist, das im Buch geschrieben steht, das wieder eine neue Realität ist, die ja nach Ihrer Theorie dann auch wieder nur Fiktion ist?“ „Woher wissen wir es denn?“ „Weil diese Fiktionen fiktiv sind. Sie leben nicht. Sie bluten nicht. Und scheißen nicht. Wie oft haben Sie in einem Epos gelesen, dass der Held eben mal scheißen geht? Haben Sie Achill oder Aeneas auch nur einmal scheißen gesehen?“ „Wo Sie es gerade sagen, drückt es mich schon.“ „Ach was! Hier sehen Sie!“ Er nimmt eine Nadel und sticht sich in den Finger. „Autsch!“ Blut quellt hervor. „Sehen Sie – echt! Keine Fiktion!“ „Zugegeben, wir fühlen, denken, atmen, gehen auf die Toilette. Aber kann nicht auch das Gespinst sein? Wir können es uns ja gar nicht vorstellen, vorgestellt zu sein.“ „Wie auch immer. Aber warum machen Sie mich verantwortlich für das Verschwinden des Schriftstellers.“ „Das Manuskript macht sich selbst zu einer Allegorese des verschwindenden Schriftstellers. Dieser immer wieder sich wiederholende, ja geradezu pleonastische Text vom Verlegerurteil scheint mir das zentrale Schlüsselereignis zu sein.“ „... Doch Wächters Augenschweigen verzückte dessen metallblaue Stimme zum Bruch der nervengespannten Kette. Berstend knatterte der Bass durch das foliantenfressende Zimmer, Ohrenrammbock stieß knallend auf, die an den Lettern klirrenden Seelchen erbebten in heulender Agonie. Nein, wir werden dieses Manuskript im Hause nicht publizieren. Schreckschwangerer Strahl lanzte die rote Pumpe; ein Ruck fuhr durch das Antlitz des nicht verlegenen Verlegers...“ „Korrekt!“ „Aber wie deuten Sie diese Szene? Er hat doch nur Angst. Angst davor nicht veröffentlicht zu werden. Was soll daran ereignishaft sein?“ „Es geht nicht um die Angst. Es geht um eine Anklage!“ „Was für eine Anklage?“ „Er klagt Sie an! Stellvertretend für alle Verleger, die den Schriftstellern die Publikation verwehren.“ „Ach, das ist doch Blödsinn! Heute können die doch alle digital publizieren. Oder sogar bei den zunehmend integrierten Händlern direkt schreiben und veröffentlichen. Der Verlag ist eh nur-“ „Einer der riesigen Lustdampfer der die auf diesem See zur Sommerzeit besonders begierigen Vergnügungsreisenden aus aller Herren Länder bedienenden Schifffahrtsgesellschaft war tief in schwere Seenot geraten.“ „Eine völlig an den Haaren herbeigezogene Parabel! Wir sind kein untergehender Dampfer!“ „Für Blumenberg sind Schiffe Urmetaphern.“ „Oh, Sie sind sprachphilosophisch gebildet wie ich feststelle.“ „Werden Sie nicht unverschämt!“ „Dennoch werden Sie verstehen, dass dieses ganze Gespräch hier völlig sinnfrei ist. Ich werde mich bestimmt nicht festnehmen lassen, nur wegen eines hanebüchenen Manuskriptes, in dem so ein Spinner verschwindet, der angeblich auch real existiert und verschwindet und Sie, Herr Ermittler, eine lächerliche Deutung evozieren, in der ich – symbolisch – angeklagt werde. Selbst wenn wir Fiktion wären, und das alles hier wenn nicht logisch so doch mit Sinn konstruiert wurde, wie wäre denn das nächste Kapitel? Sie verhaften mich, aber der Schriftsteller bleibt verschwunden.“ „Dann ist er symbolisch für alle gestorben!“ „Jetzt reicht’s! Sie verschwinden bitte sofort aus meinem Büro!“ „Ich habe einen Haftbefehl.“ „Wie bitte?“ „Sie werden jetzt bitte mitkommen.“




 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.05.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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