Diethelm Reiner Kaminski

Gute und schlechte Tage

 
Es gibt gute und schlechte Tage. Wenn du das erst akzeptiert hast, geht es dir gleich besser. Doch woran erkennt man schlechte Tage?
Ich möchte nun keineswegs eine Liste aller Warnzeichen von der Dicke eines Telefonbuchs erstellen, denn die Zahl der möglichen Vorkommnisse, die uns den Tag verhageln können, ist unendlich, aber ein untrügliches Indiz für einen schlechten Tag, an dem größte Vorsicht angebracht wäre, ist die Häufung von Ärgernissen und Steinen, die dir in den Weg gelegt werden.

Du wachst mit steifem Nacken auf, stolperst, wenn du aus dem Bett steigst, über die Mineralwasserflasche, die du zu verschließen vergessen hast. Du knipst das Deckenlicht in der Küche an, doch es bleibt dunkel, weil die Glühbirne kaputt ist, du suchst vergeblich nach Kerze oder Taschenlampe, sodass du warten musst, bis der Morgen endlich graut. Dass es draußen schüttet, passt bestens zu diesem verpatzten Tagesanfang. Aber es kommt noch dicker. Die Kaffeedose ist leer. Spurlos sind deine Mahnungen, Vorräte anzulegen, in den Ohren deiner Frau verhallt. Du musst dich mit Tee begnügen. Zehn verschiedene Sorten lagern im Schrank: grüner, roter, parfümierter, gallenbitterer, kerngesunder, vergammelter, uralter, aber kein einzig trinkbarer stinknormaler Earl Grey.

Du bist klüger geworden und schaltest weder Radio noch Fernseher ein, um dir die Flut von Hiobs- und Katastrophenmeldungen zu ersparen. Du sinkst erschöpft in einen Sessel, um zu warten, bis die Supermärkte, viel zu spät für Frühaufsteher, endlich öffnen.
Nicht mal eine halbe Stunde stillen Dösens ist mir vergönnt, da kommt auch schon meine Frau die Treppe runter, um schlechte Laune zu verbreiten und mich anzuschweigen. Habe ich mich verhört? „Du bist ja so früh auf, Schatz. Geht es dir nicht gut?“, säuselt sie, als wäre sie auch nur ein einziges Mal in unserer 20-jährigen Ehe vor mir aufgestanden. „Hast du nicht gut geschlafen? Soll ich dir den Nacken massieren?“ Was sind das für ungewohnte Töne. „Soll ich dir einen starken Kaffee brühen?“

„Das wäre nicht schlecht“, brummele ich, „wenn es welchen gäbe in diesem verlotterten Haushalt.“

„Es gibt“, triumphiert sie, „ich habe gestern welchen gekauft und ihn nur noch nicht aus meiner Tasche genommen.“

Und tatsächlich findet sie den Weg in die Küche, in die sie sich nur selten verirrt, und brüht eine Kanne Kaffee auf, sodass der Duft meine Nase verführerisch kitzelt.

An diesem Punkt ist die Überlegung gerechtfertigt, ob der Tag noch zu retten ist, ob aus dem schlechten noch ein guter werden kann. Seid gewarnt. Lasst euch nicht täuschen. Ich sage euch: Er ist nicht mehr zu retten. Und da höre ich auch schon einen Schrei aus der Küche. „O Schatz, komm schnell, hilf, so ein Malheur aber auch, ich habe vergessen, die Kanne unter den Filter zu stellen. So eine Schweinerei. Hol schnell einen Lappen.“

Und woran erkennt man einen guten Tag?
Da müsst ihr euch noch ein wenig gedulden. Ich bin dabei, das herauszufinden, aber bis jetzt hatte ich nur schlechte. Jeder Tag legt neue Fallstricke aus. An mir kann es nicht liegen, denn ich gehe jeden Tag mit guter Laune und besten Vorsätzen an, aber statt dass das Schicksal mir Steine aus dem Weg räumt, türmt es immer neue auf.

Doch wäre es wirklich ein guter Tag, wenn es nichts mehr gäbe, worüber ich mich aufregen könnte?


25.10.2013

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