Michael Hübner

Die Maschine



Es war mucksmäuschenstill in der Halle: „Zur großen Kauffreiheit“, in Berlin wo die Erfindermesse 2021 stattfand. Alle warteten auf den Mann des Abends! Sein Name war David D. Iablo und er war eins der größten Genies des Landes. Seine Erfindungen machten das Leben der Menschen um so viel leichter und wurden in die Entferntesten Länder exportiert, was der deutschen Wirtschaft sehr zu gute kam. Mit dem Bundeskanzler, der heute selbstverständlich ebenfalls anwesend war, verband ihn eine tiefe Freundschaft und auch weitere Persönlichkeiten aus der Gemeinschaft der Berühmtheiten ließen sich gerne mit ihm von der Boulevardpresse ablichten. Keiner wusste was der Erfinder wieder tolles sich erdacht hatte, aber eins war den Menschen klar, es würde die Kassen wieder mal heftig zu klingen bringen. Tossender Jubel brandete wie eine Sturmwelle jetzt auf, als David D. Iablo die Bühne betrat. Er genoss sichtlich die Anerkennung die ihm durch den wilden Applaus zugetragen wurde. Er nickte erfreut lachend in jede Kamera in seiner Nähe und fuhr sich mit den Fingern durch sein Ziegenbärtchen. Wie Göbels, der Reichspropagandaführer, hatte David seit seiner Kindheit einen verkrüppelten Teufelsfuß und genauso beredsam wie der Nazi war er ebenfalls. Als der Applaus endete, stellte er dies unter beweiß.
„Meine lieben Wirtschaftsfreunde“, begann er schmalzig, “Ich habe euch allen heute meine neueste Erfindung mitgebracht, die unsere Gesellschaft wieder mal große Dienste leisten wird. Auch wenn es mich eine Menge geistige Energie gekostet hat, war es die Anstrengung doch wert.“
Er zeigte neben sich wo ein Scheinwerfer einen grauen Kasten, der in etwa die Größe einer Telefonzelle hatte, aus der Dunkelheit rauslöste. Sofort begann ein blitzlicht Gewitter als würde auf der Bühne ein Rockstar stehen. Jetzt wollten natürlich alle wissen für was dieses Gerät denn nun gedacht sei. David D. Iablo machte kein großes Geheimnis daraus und meinte total emotionslos: „Dies ist eine Selbstmordmaschine!“
Betretenes überraschtes Schweigen der Anwesenden war die Antwort auf diese Namensoffenbarung der Maschine. Dann folgte verwundertes Murmeln und wären die Gesichter der Gäste nicht zu oft geliftet worden, wären etliche Sorgenfalten gewachsen. Der Erfinder bemerkte sofort den Unmut der angetretenen Prominenz und hob sogleich beschwichtigend die Hände in die Höhe. „Ich weiß dass jetzt auf den ersten Moment meine Maschine etwas unmoralisch erscheint“, begann er, „aber wenn man bedenkt was diese Maschine an Kosten sparen kann, wird mir bestimmt jeder beipflichten das sie ein echter Segen sein wird, wenn sie erst im ganzen Land verteilt ist.“
„Was…?! Sie wollen diese Höllenmaschine im ganzen Land verteilen? Sie wissen doch bestimmt das Selbstmord eine Sünde ist, oder?“, protestierte ein Vertreter der Kirche.
Viele der Gäste gaben dem Gottesmann recht und gaben lautstark ihren Unmut von sich. David D. Iablo machte eine kurze Pause bis sich die Wogen geglättet hatten und es wieder ruhiger war, als er fortfuhr.
„Jeder von uns sündigt doch am Tag mehrmals und es läst sich halt nicht vermeiden. Dafür gibt es ja den Beichtstuhl! Sicher ist die Sünde ein Leben zu nehmen eine der größten die es gibt. Aber was ist mit den Menschen die zu stark von Seelischenkrankheiten geplagt werden, das sie ohne Medikamente nicht mehr existieren können. Wir Erzeugen doch nichts anderes als lebende Tote. Junkies die ihre Drogen auf Krankenschein bekommen. Wäre es da nicht ein Akt von Gnade wenn diese bedauernswerten Kreaturen ihr Leben, mit Hilfe der Gemeinschaft, ein Ende setzen könnten, anstatt irgendwo vor einen Zug zuspringen, oder als Geisterfahrer auf der Autobahn andere Menschen zu gefährden? Außerdem tötet meine Selbstmordmaschine die Menschen nicht einfach so, sie entnimmt ihnen noch sämtliche Organe und führt sie eigenständisch dem Organspendeprogramm zu. So sind diese armen Lebensmüden noch eine große Hilfe für andere Menschen die noch nicht sterben wollen.“
Nachdenkliches Murmeln durchflutete die Halle und alle blickten jetzt zu dem Kirchenmann, um zu sehen was er dazu meint. Da er demnächst, weil er zu sehr dem Messwein verfallen war, eine neue Leber brauchte, änderte er seine Meinung mit der Begründung: „Wie schon Jesus sprach: Geben ist seliger denn nehmen! Wenn ein Leben freiwillig gegeben wird, um ein anderes zu retten, das kann doch nur im Sinne von Gott, unserem Herrn sein.“
Schlagartig hatte sich die negative Stimmung in Glückseligkeit gewandelt und alle beglückten den Erfinder für seine wieder mal geniale Erfindung. Als die Jubelrufe verebbten berichtete David D. Iablo davon dass er auch mit dem Bundeskanzler schon alles beim Golfspielen vereinbart habe, was die Gesetzeslage betraf. Das Recht sich selbst zu töten wurde zu einem Grundrecht erhoben und somit legalisiert. Außerdem seien noch größere Kabinen für erweiterte Selbstmorde geplant. Denn manche Menschen wollten lieber in Gruppen sterben weil das für sie angenehmer sei. Zum Schluss wollten natürlich alle die Maschine im Einsatz erleben, dazu erschien jetzt ein armes traurig dreinblickendes Männchen auf der Bühne. Der Erfinder zeigte auf den Mann und rief: „Bitte jetzt einen ganz großen letzten Applaus für Herrn Peter Huber!“
Wie bei einem Fußballspiel sprangen die Menschen auf und klatschten in die Hände. Auch wurden wieder etliche Fotos geschossen. Als der Jubel endete stellte der Erfinder den Mann vor.
„Herr Huber ist langzeitarbeitsloser und seine Frau liegt nach einen schweren Autounfall im Koma aus dem sie wohl nie wieder erwachen wird, zumindest gibt es dafür kaum Hoffnung. Durch seine Spielsucht hat er seine sämtliche Habe verspielt und sein Vermieter hat ihn kürzlich, nachdem er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, vor die Tür gesetzt. Diese Schicksalsschläge und eine schwere angeborene Depression, trugen dazu bei das er schon mehrere erfolglose Selbstmordversuche hinter sich hat. Aber mit unserer Hilfe wird es sich heute Abend ändern Herr Huber, dies ist ein Versprechen!“
Mit leerem Blick starrte der Mann zu den Zuschauern.
Der Erfinder legte Herrn Huber seine Hand auf die Schulter und führte ihn zur Selbstmordmaschine. Doch gerade als der Mann eintreten sollte, zögerte er.
„Aber was ist wenn meine Luise doch wieder aus dem Koma erwacht?“, fragte der Mann mit schwacher Stimme.
„Jetzt machen Sie es sich doch nicht so schwer“, entgegnete D. Iablo.
„Auch wenn ihre Frau erwachen sollte, wird sie nie wieder der Mensch sein der sie einmal war. Sie wird starke Gehirnverletzungen durch den Unfall davon getragen haben und sie wird nie wieder auf eigenen Beinen stehen können. Wahrscheinlich erkennt sie Sie gar nicht mehr. Sie wird ein Pflegefall sein! Wollen Sie sich das wirklich antun? Wollen Sie Ihre geliebte Frau so sabbernd dahinsiechen sehen?“
Der Mann schüttelte traurig den Kopf.
„Sehen Sie… also gehen Sie dort hin wo Ihnen dieses Leid erspart bleibt…“
Langsam ging der Mann mit hängendem Kopf in die Kammer, als das Handy des Erfinders läutete. Verärgert nahm er ab.
„Wer wagt es mich gerade jetzt zu nerven?“, fragte D. Iablo erbost.
„Ahhh… Herr Dr. Neumann der behandelnde Arzt von Frau Huber. Was haben Sie uns denn gerade jetzt schönes mitzuteilen?“
Sofort blitzte ein funken Hoffnung in den Augen von Herrn Huber auf und voller Erwartung blickte er den Erfinder an.
„Was ist mit… meiner Frau… so sagen Sie doch etwas…“, stammelte er.
Doch der Geschäftsmann zeigte auf seinem Gesicht keinerlei Emotionen und machte die ganze Zeit während des Gespräches immer nur: „Mmh… ah ja…gut“, und legte dann auf.
Er machte eine lange, nahe zu Herzzereisende Pause bis er das Ergebnis des Gespräches bekanntgab.
„Es tut mir leid Herr Huber… Aber Ihre Frau ist vor wenigen Minuten verstorben…“
Jetzt brach der Mann endgültig zusammen. Tiefe Weinkrämpfe durchfuhren Herrn Huber und er wirkte jetzt noch erbärmlicher als noch vor ein paar Minuten. Scheinheilig nahm ihn David D. Iablo in den Arm.
„Es war für Ihre Frau eine Erlösung. Glauben Sie es mir. Und jetzt erlösen Sie sich von Ihrem Schmerz. Es sind nur wenige Schritte für Sie, aber riesengroße für das wohl der Menschheit. Ich verspreche Ihnen dass sie nicht vergessen sein werden… Sie werden zu einer Legende werden… Der erste Mensch dem das Recht eingestanden wird sich umzubringen…  Mit Ihrem tot schreiben wir Geschichte…“
Um den Mann zu ermutigen standen die Menschen erneut auf und applaudierten. Doch Herr Huber fühlte sich überhaupt nicht wie ein Held, sondern eher wie ein kleiner Käfer der von einem riesigen Stiefel platt gedrückt wird. Schließlich konnte er dem Seelischendruck nicht mehr standhalten und trat in die Kammer. Hinter ihm wurde die Tür geschlossen und die Menschen waren etwas enttäuscht dass man durch die Außenwand nicht dabei zusehen konnte, wie der Mann getötet und in seine Bestandteile zerlegt wurde. Aufgrund der Privatsphäre durfte man dieses Gemetzel nicht öffentlich zeigen, aber der Erfinder war gerne bereit alles bis aufs kleinste zu erklären.
„Zuerst wird dem Selbstmörder eine Betäubungsspritze verpasst, er bekommt eine Vollnarkose aus der er nie wieder erwachen wird. Wenn er seinen Dornröschenschlaf hält, wird ihm das ganze Blut abgezapft und alle Organe entnommen.“
Man konnte deutlich hören wie Kreissägen in Fleisch schnitten und Schläuche Blut absaugten. „An der Geräuschdämmung müssen wir noch Arbeiten“, entschuldigte sich ein errötender David D. Iablo.
 
Am ende der Erfindermesse, als alle geladenen hohe Gäste aus Politik und Wirtschaft in ihre teuren Limousinen stiegen, erschien urplötzlich der behandelnde Arzt von Frau Huber Dr. Neumann auf der Bühne.
„Tut mir Leid das ich nach unserem Telefonat erst jetzt persönlich bei Ihnen erscheine, aber auf der Autobahn hat sich schon wieder ein Geisterfahrer in den Tot gefahren und es gab einen riesigen Stau“, entschuldigte der Arzt sich.
„Und wie hat Herr Huber die erfreuliche Nachricht, dass seine Frau überraschend aus dem Koma erwacht ist und keine bleibenden Schäden davon tragen wird, aufgenommen?“, fragte Dr. Neumann den Erfinder erfreut.
„Oh… da muss ich Sie irgendwie falsch verstanden haben“, spielte David D. Iablo den Bestürzten.  
„Für mich hat es sich so angehört dass die Frau verstorben sei… Ich glaube ich sollte doch mal überlegen mir ein Hörgerät zuzulegen. Na ja, dumm gelaufen…“
 
           

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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