Irene Beddies

Geldsorgen

<Wohin mit all meinem Geld?> machte sich Lothar schon seit Tagen so seine Gedanken.
<Seit Trude gegangen und diesem dubiosen Herrn Ragenz gefolgt ist, ist alles sinnlos...
Soll ich noch einmal von vorne beginnen, jetzt in meinem Alter? Die Frauen, die ich noch kennenlernen könnte, wissen alle, dass ich Multimillionär bin und hätten es nur auf mein Geld abgesehen. Ach, Trude, warum bist du nicht geblieben?>
Lothar sah in den Park hinter seiner Villa. Ein paar Schneeflocken rieselten hier und da aus grauen Wolken – nichts Halbes und nichts Ganzes. Liegen blieben sie jedenfalls nicht.
Auf der Eiche saß eine einsame Elster in den kahlen Zweigen. Ein paar Mal hüpfte sie ein Stückchen weiter. Dabei spreizte sie ihr Gefieder und zeigte das herrliche Blau.
<Du versteckst deine Schönheit meistens wie einen Schatz>, dachte Lothar. Ihm fiel ein, dass man den Elstern nachsagte, diebisch zu sein und alle glitzernden Dinge mitzunehmen und zu horten.
<Wie ich mein Geld gehortet habe, nie genug bekommen konnte>, schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt war es ihm gleichgültig. Trude wollte er großzügig abfinden, wenn sie die Scheidung  einreichten. Aber der große Rest, zu was war der noch gut?
 
Die Elster war auf den Rasen gehüpft und pickte nach Futter. Dann flog sie davon.
<Das Leben geht weiter, wenn es auch keinen Sinn mehr hat>, malte Lothar sich aus. Es war kein Trost, eher eine erschreckende Tatsache.
<Wohin mit dem Geld? Und wie weitermachen?>
Plötzlich war die Elster wieder da, im Schlepptau eine zweite. <Ihr habt es gut, ihr findet immer einen Partner>, murmelte Lothar, <weiß die eine von den Schätzen der anderen?>
 
Lothar war auf einmal entschlossen, seine Schätze zu verstecken. Die Welt sollte nichts mehr davon wissen – er auch nicht. Eilig zog er sich an und ging zur Bank. Er ließ sich beim Direktor melden und unterbreitete diesem seinen Entschluss. Der Bankdirektor war entsetzt, sein bester Kunde wollte alle Gelder, Papiere usw. abziehen! Keine lukrativen Geschäfte mehr! Die Bank würde eine empfindliche Einbuße erleben.
Er legte Lothar all die Nachteile seines hastigen Rückzugs aus den Aktien, den Immobiliengeschäften, den Spekulationswetten dar, aber Lothar blieb stur.
So wurden alle Papiere, Beteiligungen und nach und nach die Immobilien in mehreren Städten veräußerst.
Ein Jahr dauerte der Prozess, dann war nur noch Geld in verschiedenen Währungen zu verstecken. Lothar deponierte alles auf einem Nummernkonto in der Schweiz und hinterlegte die Daten bei einem befreundeten Notar. Er wollte nicht in Versuchung kommen. Mit der Bank hatte er ausgehandelt, dass er einen festen Betrag, wie z. B. den eines Schuldirektors, monatlich auf ein Konto bei einer kleinen Sparkasse erhielt.
 
Dann zog er sich aufs Land zurück. Er mietete ein kleines Haus am Rande eines Dorfes in den Bergen. Ab sofort führte er ein ihm unbekanntes Leben ohne Bedienstete, ohne Bekannte aus den Millionärskreisen. Er fühlte sich ein bisschen wie ein Abenteurer. Er musste viel lernen, um sich selbst versorgen zu können, aber mit eisernem Willen und einer Portion Neugier schaffte er diese Hürden besser und besser. Das einfache Leben fing an ihm zu gefallen: keine gesellschaftlichen Zwänge mehr, sondern Freiheit zu tun und zu lassen, was ihm gerade in den Sinn kam. Keine Hetze im Berufsleben, bei den Bankgeschäften, keine Termine, vielmehr Muße, Ruhe und Natur. Die fing an, ihn besonders zu interessieren.
Er kaufte Bücher über die Probleme des Waldes, über Tiere, Klima und Gesteine.
 
Lothar unternahm immer weitere Wanderungen. Dadurch besserte sich sein Allgemeinbefinden deutlich. Er ertappte sich mehrmals dabei, wie er über ein für ihn komisches Verhalten eines Tieres lauthals lachen konnte. Auch unter Menschen ging er wieder. Er besuchte gelegentlich das Dorfgasthaus zu einem abendlichen Bier und unterhielt sich ausgezeichnet mit den Leuten, die ihren Feierabend ebenfalls genießen wollten.
 
Die rundliche Bedienung gefiel ihm ganz besonders, denn sie war stets zu einem Scherz mit den Gästen aufgelegt, ohne dass sie jemanden dabei zu nah an sich herankommen ließ.
Als er eines Tages sehr erkältet in den Gasthof kam, offerierte die Frau ihm sofort ein heißes Bier mit Zitrone und Honig als Hausmittel. „Der Trunk ist nicht ganz ohne“, bemerkte sie. „Wenn Sie sich unsicher fühlen, nach Hause zu gehen, können Sie sich im Nebenraum auf einer Bank niederlegen. Decken und ein Kissen kann ich Ihnen dann bringen.“
Erstaunt über so viel Fürsorge dankte er der Frau und trank sein heißes Bier.
Es war wirklich ein Teufelstrunk. Er musste die Bank im Nebenzimmer in Anspruch nehmen. Unter den warmen Decken fiel ihm die Härte der Bank nicht auf, er schlief bald ein.
Als er am Morgen erwachte, sah er sich erstaunt um. Es ging ihm viel besser als am Vortag. Der Wirt servierte ihm ein kräftiges Frühstück. Lothar erkundigte sich nach der netten Bedienung.
Der Wirt, froh, dass er am Morgen einen Gesprächspartner hatte, erzählte ein wenig über die Frau, die Marianne hieß. Es war nichts Bedeutendes. Sie lebte das einfache Leben eines geborenen Bauernkindes, das sich zu ihrer Stellung hochgearbeitet hatte. Sie hatte keinen Mann und keine Kinder und war der Trost vieler, denn sie war mitfühlend und konnte gut zuhören, wenn andere ihre Nöte mit ihr besprachen.
 
Lothar sann darüber nach, wie er sich erkenntlich zeigen konnte. In der Schenkstube des Gasthofs wollte er sich nicht bedanken, wenn andere zuhörten. So beschloss er, auf den Wiesen einen Feldblumenstrauß zu pflücken und ihn der Frau dann in einem Gurkenglas vor die Tür zu stellen. Als er an ihr Haus kam, öffnete sie die Tür, als ob sie auf ihn gewartet hätte. Sie lud ihn ins Haus zu einem kühlen Trunk Apfelsaft  ein. Zögernd folgte er ihr in die Küche, etwas verlegen geworden.
 
Sie trafen sich danach öfter einmal und lernten sich gut kennen. Nie verriet er ihr Näheres von seinem früheren Leben aus Angst, sie würde ihn dann nicht mehr um sich haben wollen.
 
Und das viele Geld auf dem Nummernkonto? Das verschenkte er nach einem reiflichen Entschluss und einer längeren Bedenkzeit zu großen Teilen an mehrere Vereine zur Rettung der Natur.
 
 
© I. Beddies



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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