Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic Teil 3

Der zweite Tag-Frau Scholz

Habe ganz gut geschlafen in meinem neuen Zuhause, bin selbst überrascht. Das Zimmer ist zwar klein, aber die Kabine auf der Hanseatic war noch viel kleiner. Mensch, das wäre was, noch einmal eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Oder zum Nordkap. Aber ohne Alwin, na ich weiß nicht. Bin gespannt, wie das Frühstück hier ist. Bestimmt nicht so reichhaltig wie auf dem Schiff. Es klopft an der Tür. Eine Frau in hellblauem Arbeitsmantel guckt ins Zimmer, fragt mich, ob ich Kaffee oder Tee möchte. Ich möchte Pfefferminztee, sage ich. Sonst trinke ich nie Pfefferminztee zum Frühstück. Aber heute hab ich einfach Lust drauf, weiß nicht warum. Sie brabbelt was vor sich hin von wegen in der Küche bestellen und so und verschwindet wieder. Das war auf der Hanseatic anders. Rodolfo grinste nur freundlich, sagte „kommt sofort!“, und eins zwei drei stand er mit der Bestellung in der Kabine. Na ja, dann stehe ich halt erst einmal auf, suche mir frische Wäsche aus dem Schrank. Wie lange werde ich das noch können, mich selbst anzuziehen? Ich will nicht, daß das jemand für mich macht, das erinnert mich an die Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen war. Immer hat meine Mutter bestimmt, was ich anziehen sollte. Es klopft schon wieder an der Tür. Der Blaumantel lächelt mich freundlich an, stellt ein Tablett mit einer kleinen Thermoskanne, ein Becher,einem Teller mit zwei Brötchen, Butter und Marmelade auf meinen Nachtisch. Ich nehme das Tablett und trage es zum Tisch, setze mich dazu und gieße den Pfefferminztee in den Becher. Ich rieche kurz daran, es ist Fencheltee. Igitt, alles mag ich, nur keinen Fencheltee. Wenn ich den Blaumantel jetzt noch mal in die Küche jage, bringt er mich um. Also schütte ich den Fencheltee in das Waschbecken, spüle ein bisschen nach, damit keiner was merkt. Ich hol mir ein Glas Wasser, um die Brötchen runter zu würgen. Morgen geh ich aber runter in den Speisesaal, dort gibt es angeblich ein Frühstücksbüffet. Na ja, bestimmt nicht so wie das auf der Hanseatic. Aber zumindest muß ich keinen Fencheltee trinken. Normalerweise würde ich jetzt in meine Küche gehen und den Teller und die Tasse abwaschen. Aber heute bin ich ja im Heim. Da machen das Andere für mich. Nur was soll ich denn jetzt eigentlich machen. Ich muß mir unbedingt eine Tageszeitung bestellen. Obwohl ich doch so schlecht lesen kann. Die Buchstaben verschwimmen immer vor meinen Augen. Als ich noch gearbeitet habe neben dem Haushalt, da kam ich ganz selten zum Lesen. Jetzt hätte ich Zeit dafür und kann kaum lesen. Verrückt, das Leben.
Tja, was soll’s, geh ich halt mal auf den Flur raus. Mal sehen, was hier so alles los ist. Hoppla, beinahe wäre ich über einen Putzeimer gestolpert, der gleich neben meiner Tür steht.
Die Frau schaut mich erschrocken an, murmelt eine Entschuldigung. Wahrscheinlich denkt sie, was macht die Alte schon so früh auf dem Gang.
Vorsichtig gehe ich weiter zum Fenster rüber, der Linoleumboden ist ganz schön glatt, so kurz nachdem er gewischt wurde.
Am Ende des Flures ist ein großes Eckfenster, davor eine gemütliche Sitzecke. Ein Mann, bestimmt schon an die neunzig, sitzt da und liest eine Zeitung. Ich frage höflich, ob ich mich dazu setzen dürfe, keine Antwort. Also nehme ich einfach Platz. Jetzt schaut er mich doch an, erschreckt, fast ein bißchen ärgerlich. Hat mich wohl nicht kommen hören, der Gute. Er deutet auf sein Hörgerät und meint, er habe es ausgeschaltet. Es würde ihn zu sehr auf die Nerven gehen, die ganzen Umgebungsgeräusche zu hören. Muss jeder selber wissen, antworte ich. Aber eine Unterhaltung anzufangen hat wohl keinen Sinn, denke ich mir und bleibe schweigend sitzen. Auf einmal dreht er sich zu mir hin, mustert mich neugierig und schaltet sein Hörgerät ein. Ich fühle mich geschmeichelt. Er stellt sich vor, ein Herr Paulus, aus Bremen. War früher Kapitän, sagt er. Wahrscheinlich auf einem Fischkutter. Aber ich tue ganz erfreut, erzähle ihm von meiner Leidenschaft für Kreuzfahrten. Und dass ich so gerne noch mal auf der Hanseatic fahren würde. Er meint, dass er in seiner Ausbildung drei Monate auf der alten Europa gefahren wäre. Super, da hab ich ja einen prima Gesprächspartner gefunden, es sprudelt nur so aus mir heraus. Aber er schaut immer wieder nervös auf seine Armbanduhr. Jetzt erkenne ich auch, was der Grund für seine Nervosität ist. Ein paar Zimmer weiter öffnet sich eine Tür und eine weißhaarige Dame kommt resolut auf uns zu.
Sie würdigt mich keines Blickes, sondern nimmt dem Kapitän die Zeitung aus der Hand
Und schaut ihn böse an. Eifersucht in dem Alter, ich glaub es nicht. Ich muß innerlich lachen, bleibe aber demonstrativ sitzen. Sie beachtet mich noch immer nicht, redet auf den armen Kerl ein, die Zeitung zu einer Rolle geformt, als ob sie in Kürze damit zuschlagen wollte. Herr Paulus macht das einzig richtige, er schaltet sein Hörgerät ab, darauf steht sie ärgerlich auf und verschwindet wieder in Richtung Zimmer. Der Kapitän schaut mich an und lächelt. Ich lächle zurück. Das könnte der Beginn einer langen Freundschaft werden.









Elvira - Tochter
Ich stelle den Anrufbeantworter an, lege den Redeentwurf für meinen Chef zuoberst auf den Stapel unerledigter Schriftstücke, muß ihn morgen unbedingt als erstes zu Ende formulieren. Mein Chef, Herr Gustavson, soll nächsten Montag die Er-öffnungsrede beim großen Firmenjubiläum halten. Aber heute hat er mir erlaubt, früher Schluß zu machen. Sein Vater ist letztes Jahr auch in ein Seniorenheim gegangen, darum konnte er meine innere Unruhe ganz gut nachvollziehen.
Ich sage noch schnell Gisela Bescheid, der treuen Seele, dass ich jetzt schon abhaue. Danach hetze ich hinunter in die Tiefgarage, starte meinen Polo und fahre los Richtung Autobahn. Das Heim liegt zwar relativ weit von meiner Firma entfernt, aber durch die Autobahn bin ich in 20 Minuten an der Abfahrt West und von dort sind es nur noch 5 Minuten bis zum Sankt Angelika- Heim. Bin ganz schön nervös. Wie wird Mutter wohl die erste Nacht überstanden haben? Ein eigenes Telefon soll sie erst nächste Woche bekommen, dann brauch ich nicht mehr jeden Tag hin zu hetzen. Aber am zweiten Tag ist es sowieso selbstverständlich, dass ich persönlich nach dem rechten sehe.
Mutti begrüßt mich ganz freundlich. Ich bin erleichtert. Dachte schon, sie jagt mich weg. Wo ich sie doch ins Heim abgeschoben habe.
Mein Gott, die Zeitung fehlt ihr. Ich muß bei der Abo-Abteilung anrufen und die neue Adresse durchgeben. Ein bisschen enttäuscht ist sie, dass ich ihr nichts mitgebracht habe. Aber wenn ich Blumen mitgebracht hätte, dann würde sie das sicher als schlechtes Gewissen auffassen. Schon nach kaum einer Stunde drängt sie mich fast dazu, wieder zu gehen. Beim Abschied sehe ich, wie sie einem Herrn auf dem großen Sofa verstohlen zuwinkt. Na na, das wird doch nicht ein Techtelmechtel geben? Als ich sie fragend anschaue, kriegt sie einen roten Kopf. Das gibt’s doch nicht. Was soll’s, wenigstens ist sie abgelenkt, grübelt nicht über ihre alte Wohnung nach. Das Haus soll nämlich bald abgerissen werden, der Besitzer hat schon sehnsüchtig darauf gewartet, daß Mutti endlich auszieht und er freie Bahn hat. Ich sag schnell tschüss und fahr nach Hause.








Frau Wimmer-Pflegerin
Uff, gerade noch rechtzeitig geschafft. Es ist halb sieben, Beginn der Frühschicht im Sankt Angelika Heim. Carmen, die Nachtschwester guckt mich halb genervt halb erleichtert an, hatte wohl Angst, dass ich nicht komme, weil ich gestern stark erkältet war. Dann hätte sie erst mal telefonisch für Ersatz sorgen müssen und solange warten, bis der eingetroffen war. Und zu Hause warten die zwei Jungs, damit sie ihnen Frühstück macht und sie dann zur Schule schickt. Obwohl, die hätten bestimmt nichts dagegen, wenn sie mal länger schlafen könnten und dann das Zuspätkommen ihrer Mutter als Entschuldigung in der Schule verwenden könnten.
Na ja, nun war ich ja da. Carmen erzählt mir noch schnell die wichtigsten Neuigkeiten. Heute nacht hatte sie zwei mal den Notarzt für Frau Müller, die 98 jährige aus dem ersten Stock rufen müssen, beim ersten Mal konnte er gar nichts feststellen, eine Stunde später dann hat er sie in die Klinik eingewiesen. Verdacht auf Gallenkolik.
Der Neuzugang, Frau Scholz war ihr noch gar nicht aufgefallen, sie hat zwar einmal kurz ins Zimmer geguckt und gute Nacht gewünscht, aber ansonsten war nichts mit ihr.
Ich werde gleich mal in die Küche gehen und sehen, ob sie einen Platz im Speisesaal bekommen kann, sie ist ja noch rüstig genug, hinunter zu fahren zu den Mahlzeiten.
Zuerst muß ich noch die Dokumentation schreiben, wegen der Frau Müller, die ins Krankenhaus gebracht wurde. Mein Gott, die haben ihr ja die Versichertenkarte nicht mit gegeben! Gleich wird das Telefon klingeln und die Klinik wird nach der Karte verlangen. Wenn der Hausmeister keine Zeit hat, werde ich wohl nach Feierabend noch dort vorbeifahren müssen und sie abgegeben. Kaum einer kann sich vorstellen, was wir hier noch so alles machen müssen außer unserer eigenen Arbeit, der Pflege. Jedes Jahr fällt denen da wieder was neues ein, was wir noch machen könnten, zur „Qualitätsverbesserung“. Aber mehr Leute kriegen wir nicht dafür. Ganz im Gegenteil.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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