Günther Würdemann

Willkommen und Abschied

Im Jahre des Herrn _____

Liebe allerwerteste Kollegin!

Die vor einigen Jahren erfolgte Ankündigung der Schulleitung, dass in naher Zukunft eine neue Kollegin zu uns stoßen würde, riss niemanden so recht vom Hocker. Und dass diese Person erstens weiblichen Geschlechts sein würde und außerdem auch noch u.a. das Fach RELIGION abdecken sollte, hätte allenfalls in einem Mönchkloster ein enthusiastisches Schenkelklopfen verursacht. Wir jedoch hatten schon so oft vergeblich auf die Person gewartet, die da kommen sollte. Und dann kamst du wirklich…
Du warst nicht die Frau N.N., du tratest so richtig fleischlich voll in unser Kollegium hinein, um dich aber bald darauf wieder in einen längeren Urlaub zurück zu ziehen, weil nämlich bei dir etwas im Schwange(r) war. Na ja, das ist menschlich und kann jedem mal passieren.
Eine unserer ersten bewussten Begegnungen und Inaugenscheinnahmen fand statt, als wir beide in einer Klasse gemeinsam aktiv wurden. Du in Religion, ich in Biologie. Auf dem Felde der Genetik hatten wir unsere gemeinsamen Berührungspunkte. Ich muss damals einen sehr erwachsenen Eindruck auf dich gemacht haben, (jedenfalls glaubte ich das zu diesem Zeitpunkt), denn du redetest mich mit „Sie“ an. Heute weiß ich, und du darfst für dich in Anspruch nehmen, dass du mich zumindest in dieser Beziehung ausführlich aufgeklärt hast, dass dieses Siezen unter Kollegen an vielen anderen Bildungsanstalten auch heute noch weit verbreitet ist. Egal. Deine Achtung vor dem Alter und meinem Erwachsenenstatus hielt an bis zu dem Zeitpunkt, als wir in zwei Parallelklassen als Klassenlehrer/in eingesetzt wurden. Dann wurde das beiderseitige Du zur vertrauten Anrede. Ich fand das gut so. Vor allem auch deshalb, weil wir alle im selben Boot sitzen, auch wenn wir nicht alle in dieselbe Richtung rudern.
So gingen die gemeinsamen Jahre dahin, gewürzt durch den gegenseitigen Austausch von selbst verfassten Arbeitsblättern, geistigen Ergüssen und einem gelegentlichen „normalen“ Plausch unter Fachkollegen. Unaufhaltsam steuerten unsere bzw. deine Aktivitäten auf ein besonderes Highlight zu. Du hattest zum Schluss dieses Schuljahres noch ein Extra-Bonbon in Hinterhand, nämlich einen gemeinsamen Höhepunkt, will sagen … den pädagogischen Höhepunkt unserer bilateralen Schaffens-periode, die gemeinsame Klassenfahrt. Dass ich dabei als Ersatzmann eingesprungen bin, weil der von dir ursprünglich angesprochene Kollege kurzfristig verhindert war, hat dieser Veranstaltung sicherlich keinerlei Abbruch getan. Und ich hoffe, du hast es nicht bereut. Ich übrigens auch nicht. Und zwar deshalb, weil ich mich plötzlich als ungeheuer wichtig, nämlich als unentbehrlich empfand.
Übrigens: Ich erwähnte eben, dass ich „eingesprungen“ bin. Der geneigte Leser möge bitte das Wort „gesprungen“ nicht allzu wörtlich nehmen. Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste.

Ich hoffe und wünsche es dir und mir und uns allen, dass du, die du mit dem Ende dieses Schuljahres Anstalten machst, unsere Anstalt zu verlassen, uns nicht ganz vergisst. Wir haben schließlich eine lange Zeit miteinander gearbeitet. Du warst immer dabei und hast dich voll engagiert, wenn du gerufen wurdest. Du hast auch schon mal den Kopf geschüttelt, wenn du mit Entscheidungen nicht einverstanden warst, sie aber nicht ändern konntest…
Übrigens: Das Kopfschütteln wird dir wohl weiterhin nicht erspart bleiben --- es gibt schließlich Erlasse. Aber Achtung! Häufiges Kopfschütteln kann zu Rückgratproblemen führen. Allerdings ist für eine Beamtin und/oder auch für einen Beamten der Besitz eines Rückgrats nicht unbedingt notwendig. Im Gegenteil --- manchmal ist das Vorhandensein eines solchen Körperteils für das Erklimmen der Erfolgsleiter in höchstem Maße hinderlich.

Zum vorläufigen Schluss noch eine Lebensweisheit von Jean Jacques Rousseau:

Man veredelt die Pflanzen durch Zucht
und die Menschen durch Erziehung.

Und ganz zum Schluss noch ein Mehrzeiler aus meinem bisher einseitigen Lebenswerk
„Sichtung und Klarheit“ ( 1. Band, 1. Kapitel, 1. Seite, 1. Sahne ) :

Die Arbeit hier ist zwar passé.
Da hilft kein Ach und auch kein Weh.
Da bringt es nichts zu lamentieren,
geschweige denn gar laut zu fluchen.
Auch hilft es nicht zu protestieren.
Man muss sich halt neu orientieren
und möglichst schnell was Neues suchen.*

Du kannst es sicher noch nicht fassen,
die Stätte, die vertraut dir ist,
ab jetzt endgültig zu verlassen.
Ein kleiner Trost sei dir gewiss:
Was immer sich zusammenbraut,
ist die Enttäuschung noch so groß,
wenn man kein Tafelsilber klaut,
dann wird man auch nicht arbeitslos.

Auf denn. In diesem Sinne: Viel Erfolg, viel Glück auf deinem weiteren Bildungsweg und noch eine Menge pädagogischer Ergüsse und Höhepunkte. Vergiss uns und mich nicht, jedenfalls nicht sofort und nicht ganz. Den Rest kannste vergessen.

Dein K. G. W.
( Dein Kollege Günther Würdemann )


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*Die betreffende Zeile könnte man auch anders formulieren, z.B.:

und möglichst schnell das Weite suchen
oder
und möglichst bald was Neues buchen.


 

Eine Abschiedsrede an eine ( gedachte?!! ) Kollegin, die unsere Schule nach kurzer Zeit wieder verlassen musste. Sie wäre überqualifiziert gewesen. So ist das Leben ... eben. Günther Würdemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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