Klaus Georg

Strategie ist alles

Es gibt Dinge, die ziehen mich magisch an.
Ein gutes Fussballspiel zum Beispiel. (Mein Freund Max behauptet zwar, mich ziehe  j e d e s  Fussballspiel an, aber das ist glatt gelogen.)
Oder eine Pfanne mit Bratkartoffeln, Zwiebeln und Speck.
Oder ein Trödelmarkt.
Mein Therapeut behauptet, es wäre der urzeitliche Jäger und Sammler in mir, der mich wie in Trance zielsicher jeden Trödelmarkt im Umkreis von 20 km finden lässt. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn manchmal fahre ich auch 30 km weit und vielleicht treibt mich ja auch nur die Vorstellung an, irgendwo zwischen alten verstaubten Sachen, sozusagen im hintersten Winkel einer uralten Truhe, noch einen unbekannten Van Gogh zu finden.
Oder wenigstens einen Rembrandt.
Wobei ich mich immer frage wie ich die mit meiner nicht vorhandenen Sachkenntnis überhaupt erkennen soll. Möglicherweise bin ich ja schon an einem halben Dutzend alter Meister vorbeigegangen und habe sie nicht einmal erkannt.
Eine grauenhafte Vorstellung.
Wahrscheinlich aber macht es mir einfach nur Spass, Dinge nicht nur preiswert kaufen, sondern dabei auch noch wie ein tunesischer Kameltreiber handeln zu können.
Meine Mutter streitet es zwar hartnäckig ab, aber ich vermute stark, dass bei meinen Vorfahren irgendwann einmal ein Orientale dazwischen gefunkt hat.
Wie dem auch sei, vor Jahren bin ich einmal mit meinen beiden Jüngsten spazieren gegangen und fanden uns nach 10 Minuten urplötzlich auf einem Trödelmarkt wieder. Und es kam wie es kommen musste : irgendwann sieht Friedrich, mein Jüngster, eines dieser grossen Piratenschiffe von LEGO auf einer ausgebreiteten Decke und schon ist es mit Ruhe und Sonnenschein vorbei.
Als dann auch noch Christian in den Sirenenchor mit einstimmt sehe ich nur eine Möglichkeit den Tag wenigstens halbwegs zu retten : das Schiff muss her.
Ein prüfender Blick auf den jungen Verkäufer sagt mir, die Sache ist gelaufen.
Irgendwie tut mir der Junge jetzt schon leid, wahrscheinlich hat er lange für das Schiff gespart und jetzt komme ich und werfe alle seine Wertmaßstäbe über den Haufen. Aber wie ich immer zu sagen pflege : das Leben ist hart und ausserdem steht sein Vater neben ihm. Soll der sich doch nachher um einen geeigneten Psychologen kümmern.
Mit möglichst gelangweilter Miene stelle ich mich vor seine Decke und schaue mir alles an.
´Was soll das Schiff denn kosten ?´ frage ich wie beiläufig.
´Vierzig Euro´.
´Vierzig Euro ?´ ich lache kurz und hell und setze meine Kennermiene auf ´das ist doch wohl ein bischen zu viel, findest du nicht ? Für 60 Euro bekomme ich ja schon ein neues.´
Das sass, mit soviel Fachkenntnis hatte er wohl nicht gerechnet. Wie gesagt, der Junge tat mir leid, aber konnte ich dafür dass sein Vater ihn noch nicht auf das rauhe Leben vorbereitet hatte ?
´Kann sein´ tönt es unbeeindruckt zurück ´aber so ein schönes nicht. Und das hier schon garnicht, das gibts nämlich nicht mehr zu kaufen.´
Souverän lächelnd winke ich ab und wende mich dem nächsten Stand zu.
´Was ist los Paps ?´ raunt mir Christian zu ´vierzig Euro ist doch fast geschenkt. Bitte, bitte bitte.´
´Hör zu Sohn´ beginne ich mit gewichtiger Miene ´wir sind hier auf einem Trödelmarkt und nicht im Supermarkt. Hier muss man handeln, verstehst Du? Und dazu braucht man eine Strategie.´
´Was ist eine Strategie Papa?´
´Also das ist so : er will für sein Schiff so viel wie möglich haben und ich will ihm so wenig wie möglich geben. Und um das zu schaffen muss ich mir überlegen wie ich das anstellen soll. Das nennt man dann eine Strategie.´
´Und, hast du eine Strategie ?´
´Natürlich habe ich eine Strategie.´
´Und ist die gut, deine Strategie?´
´Meine Strategien sind immer gut´ belehre ich ihn wortreich ´es kommt nur darauf an sie auch umzusetzen.´ Mittlerweile stehen wir wie zufällig wieder vor dem Legoschiff.
´Pass mal auf mein Junge´ sage ich zu dem kleinen Wegelagerer ´Wenn ich für 60 Euro ein neues Schiff bekomme dann kannst du für dein Gebrauchtes doch keine 40 Euro verlangen.´
´Warum denn nicht ?´
´Weil ichs woanders billiger bekomme, darum.´
Mein Gott, musste ich diesen braven Jungen denn wirklich noch in die Geheimnisse des Geldkreislaufs einweihen ? ´Versuchen Sie´s´ lachte er mir ins Gesicht ´genau das gleiche haben die anderen auch gesagt. Und gleich wollen sie wiederkommen.´
Mir wird schwarz vor Augen. Ich erwäge ernsthaft die Polizei zu rufen um den Vater wegen Verletzung seiner Erziehungspflicht verhaften zu lassen. Mittlerweile stand eine riesige Menschenmenge um uns herum und beobachtete uns höchst interessiert. Ganz zu schweigen von meinen beiden Söhnen. Es stand also weit mehr auf dem Spiel als nur dieses blöde Schiff. Meine Zukunft als Vater und die unbeschwerte Jugend meiner Kinder war ernsthaft gefährdet. Gerade noch rechtzeitig erwachte in mir der Orientale.
´Hör zu´ presste ich mühsam hervor ´Dein Schiff ist doch höchstens noch 25 Euro wert, davon ziehen wir 5 Euro ab weil ich ja das ganze Transportrisiko trage und noch mal 5 Euro für den künftigen Wertverlust. Du willst utopische 40 Euro haben und ich will dir nur 15 Euro geben, treffen wir uns also ungefähr in der Mitte und sagen 20 Euro. Einverstanden ?´
Mit meinem letzten Wort trat ich noch einen Schritt auf ihn zu und sah ihn drohend an. Das wirkt immer.
´Hmm´ brummte er und nahm einen Taschenrechner zur Hand ´also gut. Nehmen wir das, was ich selbst bezahlt habe abzüglich Transportrisiko und Inflationsrate für die letzten 5 Jahre zuzüglich Spassfaktor und Stundenlohn fürs Zusammenbauen. Davon 50% von wegen Kompromiss und so, das macht dann 35 Euro. Einverstanden ?´ 
Nach 2 Minuten war mein leichter Schwächeanfall vorüber und ich konnte wieder klar sehen. Das ist die heutige Jugend, dachte ich verbittert. Kein Sinn mehr für die schönen Dinge des Lebens, nur noch Geld Geld Geld.
´Ein letztes Angebot´ würge ich hervor ´ich gebe dir für dein Schiff 30 Euro und keinen Cent mehr. Wie siehts aus ?´
´Einverstanden´ sagte er sofort und hielt die Hand auf.
Für kurze Zeit beschlich mich ein ungutes Gefühl. Hatte ich etwas übersehen ? Unsinn, sagte ich mir, der Junge hat brav gekämpft bis zum Letzten und einfach einsehen müssen, dass man einen Flohmarkt-Experten wie mich eben nicht so leicht über den Tisch ziehen kann. Das ist alles.
Wir waren ein paar Meter entfernt als ich seinen Vater vorwurfsvoll sagen hörte, er hätte das Schiff seines Bruders doch nicht so einfach verkaufen dürfen.
´Papa´ sagte der Junge ´Niels wollte für das Schiff doch nur 15 Euro haben und jetzt gebe ich ihm 20. Und für die restlichen 10 Euro gehe ich heute abend ins Kino. Darf ich ?´
Eilig schob ich meine Jungs ausser Hörweite.
Sie hatten genug gelernt für heute.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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