Sabine Gabriel

Eine Geschichte vom Feuer


Kalt war´s, und sie fror.

Da klopfte es auf einmal an die Tür. Gespannt öffnete sie. Draußen stand er, trug ein Feuer in den Händen und sprach: “Ich habe gesehen, daß du frierst. Ich sah die Leere in deinem Herzen und bin gekommen, dir das Feuer des Hasses zu bringen. Meine lodernden Flammen werden dich wärmen. Sie werden dein Herz erfüllen bis an dein Lebensende.“
Der Haß machte ihr Angst, sie fürchtete sich, aber dennoch blickte sie ihm gerade heraus in die Augen.
“Nein“, antwortete sie. “Du wirst mich verbrennen mit Haut und Haar und alles, was um mich herum ist, und anschließend wird mir kälter sein als je zuvor.
“Nein“, sagte sie , ihm immer noch gerade heraus in die Augen blickend, “dein Feuer nehme ich nicht an. Ich danke dir, daß du an mich gedacht hast. Es war lieb von dir, daß du gekommen bist, aber jetzt geh, bitte.“
Dem Haß war dies zu langweilig, er merkte, daß er keine Chance hatte, also ging er.

Ihr aber war es immer noch kalt.

Es klopfte abermals. Wieder öffnete sie die Tür: “Ich habe gesehen, daß du frierst. Ich sah die Leere in deinem Herzen. Ich bin gekommen, dir das Feuer der Leidenschaft zu bringen. Meine lodernden Flammen werden dich wärmen. Sie werden dein Herz erfüllen bis an dein Lebensende.“
“Dein Angebot ist verlockend“, antwortete sie vor Kälte zitternd, “der Rausch der Lust, die Hitze der Körper, oh ja, das würde mit jetzt gut tun. Aber morgen? Wenn der Rausch vorbei ist? Verzehren wird mich dein Feuer, mein Leib wird heiß, aber mein Herz bleibt kalt.
Nein“, sagte sie und blickte auch der Leidenschaft fest in die Augen, “ich bitte dich, geh, mit ist kalt; und wenn ich erst Feuer gefangen habe, dann ist es zu spät.“
Und die Leidenschaft ging, zögernd zwar, aber sie ging.

Und die junge Frau fror ärger als zuvor.

Eine lange Zeit geschah gar nichts, sie fror. Da fing sie an, ihre kalten Glieder zu reiben und zu springen und zu hüpfen. Ein wenig half es ja.
Da hörte sie auf einmal eine wunderschöne Musik von draußen - oder kam sie von innen? Sie fing an zu tanzen und vergaß alles um sich her. Es wurde ihr warm und wärmer, und in ihrem Herzen entzündete sich eine kleine Flamme, die groß und größer wurde und bald ihr ganzes Herz ausfüllte.
“Ich bin die Liebe“, sagte die Flamme, “Ich bin die Liebe zum Leben. Du hast dem Haß ins Auge gesehen und ihm widerstanden, du hast der Leidenschaft ins Auge gesehen und ihren falschen Versprechen widerstanden, jetzt ist die Zeit reif für die Liebe. Alles, was du tust, wird gut sein, solange es vom ewigen Feuer der Liebe getragen ist, der Liebe zum Leben, der Liebe zu dir und der Liebe zu den Menschen. Blicke den Menschen offen in die Augen, fürchte dich nicht, genieße ihre Nähe und ihre Wärme, aber laß dich nicht anstecken von ihrem Haß und ihrer blinden Leidenschaft, und ich werde bei dir bleiben bis an dein Lebensende.“

Voller Freude und Zuversicht öffnete sie die Tür und trat hinaus in die Sonne.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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