Klaus-Peter Behrens

Das Tor zwischen den Welten

Das Tor zwischen den Welten - Inhaltsangabe

Eigentlich sollte es nur eine Wandertour durch die Rocky Mountains werden. Doch unverhofft werden die Studenten, Tom und Dean, während eines Unwetters geradewegs in eine Parallelwelt geschleudert. Dort ist man alles andere als erfreut über ihre Ankunft und schon bald müssen die Freunde feststellen, dass Wortwitz und Schlagfertigkeit allein kaum ausreichen, um in der Welt der Zauberer, Zwerge und Drachen zu überleben. Als sie von dem betagten Zauberer, Meister Reno vi´Eren, erfahren, dass sich weit entfernt auf dem geheimnisvollen „Verborgenen Kontinent“ das Tor zu ihrer Welt befinden soll, brechen sie zu einer abenteuerlichen Reise auf, in deren Verlauf sich die Ereignisse überschlagen.....




 

Liebe Leser,

seitdem ich diese Geschichte ins Netz gestellt habe, haben zwar mehrere hundert Leser das erste Kapitel aufgerufen, doch gerade einmal die Hälfte hat sich aufgerafft, auch die folgenden Kapitel zu lesen. Das hat mir zu denken gegeben. Da mir in E-Mails geraten wurde, den Anfang straffer zu gestalten, habe ich die ersten Kapitel deutlich gekürzt. Die ursprüngliche Version habe ich im Nachgang zu diesem Kapitel beibehalten. Falls Ihr ein wenig Zeit erübrigen könnt, mailt mir bitte, welche Version Euch mehr zusagt.

Danke im Voraus

Euer Klaus-Peter Behrens

 

Eine unfreiwillige Reise

 

 


"Verdammt, warum tue ich mit das bloß an?" Wohl zum hundertsten Mal hatte sich Tom heute schon diese Frage gestellt, und zum hundertsten Mal fiel ihm keine Antwort darauf ein. Während er auf dem rutschigen Pfad seinem Freund Dean immer tiefer in die unzugänglichste Region der Rocky Mountains folgte, dachte er an jenen verhängnisvollen Tag zurück, an dem Dean ihm von seiner Wanderidee vorgeschwärmt hatte, vom Abenteuer, der sportlichen Herausforderung und den Lagerfeuerabenden in Begleitung attraktiver Wanderinnen. Leider hatte Tom schnell feststellen müssen, dass die Realität ganz anders aussah. Den einzigen Hinweis darauf, dass sie seit Tagen nicht völlig allein in dieser verlassenen Gegend unterwegs waren, hatte eine Bärenfährte geliefert. "Ein Grizzly", hatte Dean ihm mit der Begeisterung, die man wohl nur als angehender Biologe empfinden kann, mitgeteilt. Doch Tom, der Wirtschaftswissenschaften studierte, hatte die Euphorie seines Freundes nicht teilen können. Die Aussicht, das ohnehin schon enge, seiner Ansicht nach nicht einmal die Norm für Hundehütten erfüllende Zelt auch noch mit einem bepelzten Waldbewohner zu teilen, hatte nicht dazu beigetragen, seine Stimmung zu heben. Womit hatte er das nur verdient? Sein Blick fiel auf die steile, zerklüftete Bergflanke zu ihrer Rechten, die wie eine feindliche Festung über ihnen aufragte. Eine tiefschwarze Gewitterfront war gerade im Begriff, über den Bergkamm zu quellen. Tom seufzte. Wenn das so weiter ging, würde seine üppige, schwarze Haartracht nach diesem Höllentripp die ersten grauen Strähnen aufweisen. Mißmutig schaltete er seinen MP3-Players aus und beschloss Dean einzuholen, der ein gutes Stück voraus stehengeblieben war und die bedrohlichen Gewitterwolken musterte. In beängstigendem Tempo trieb der Wind die Gewitterfront den Berghang hinab auf sie zu. Dean betrachtete sie mit der ihm typischen Nüchternheit. Die Lösung für dieses Problem, das da auf sie zutrieb, ließ sich für ihn auf einen Satz reduzieren: Sie mußten sich etwas einfallen lassen, sonst würden sie bald in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Die ersten Regentropfen klatschten bereits als Vorboten des bevorstehenden Unwetters auf den Boden, als Tom seinen Freund endlich eingeholt hatte.

"Sieht verdammt ungemütlich aus", knurrte er verärgert.

"Stimmt. Das Unwetter wird jeden Moment losbrechen. Wir sollten zusehen, dass wir einen Unterschlupf finden. Unser Zelt wird uns bei diesem Wetter kaum schützen."

"Das erste vernünftige Wort von dir seit Tagen", spottete Tom. "Leider sehe ich hier aber kein Motel."

"Darum müssen wir improvisieren", erwiderte Dean trocken und wies auf einen kaum wahrnehmbaren Höhleneingang in dem zerklüfteten Steilhang, ein gutes Stück abseits ihres Pfades. "Ich denke, dort werden wir vor dem Unwetter geschützt sein."

"Vorausgesetzt, der Bär mag Untermieter", murmelte Tom, doch Dean hatte sich bereits auf den Weg gemacht. Angesichts der Tatsache, dass der Regen und der Wind beängstigend schnell stärker wurden, warf Tom seine Bedenken über Bord und folgte seinem Freund. Doch so sehr sie sich auch beeilten in dem unwegsamen Gelände voranzukommen, das Unwetter erwischte sie lange bevor sie an der steil aufragenden Bergwand angelangten. Zu allem Überfluss erwies sich das anvisierte Ziel aus der Nähe kaum als geeignet. Der Eingang zur Höhle befand sich gut acht Meter über dem Boden inmitten einer steilen Felswand. Angesichts des tobenden Unwetters, das den späten Tag bereits zur Nacht gemacht hatte, hätte er genauso gut auf dem Mond liegen können. Dean seufzte.

"Da kommen wir nie hinauf", stellte er resigniert fest. "Von dort hinten hat es viel einfacher ausgesehen."

"Kennst du eine Alternative?", fragte Tom ungehalten, der inzwischen tropfnass war. Dean schüttelte den Kopf.

"Na dann los, wird schon nicht so schlimm werden", versuchte Tom seinem Freund Mut zu machen. "Wir lassen das Zelt und den Proviant hier und nehmen nur das Nötigste in den Rucksäcken mit. Dann sollte das zu schaffen sein."

Widerwillig nickte Dean und half seinem Freund, ihre Sachen mithilfe einiger Felsbrocken zu sichern. Dann begann der Aufstieg. Wie von Dean befürchtet, erwies sich die Kletterpartie als wahre Strapaze. Immer wieder rutschten sie auf dem nassen, steilen Untergrund ab, und es kam einem Wunder gleich, dass sie sich keine ernsthaften Verletzungen zuzogen. Als sie endlich die Höhe überwunden und den Eingang der Höhle erreicht hatten, sanken die Freunde vor Erschöpfung zitternd zu Boden.

"Zumindest brauchen wir hier keine Bären zu fürchten", keuchte Tom.

"Höchstens Fledermäuse."

"Ich liebe deine aufmunternde Art" knurrte Tom, doch Dean winkte ab.

  1. Kapitel

 


"Von den 950 verschiedenen Fledermausarten, die es auf der ganzen Welt gibt, ernähren sich nur drei von Blut. Und die leben alle in Süd-Amerika, also hör auf, Panik zu machen."
Doch Tom, der bereits seinen Rucksack nach ihrer Taschenlampe durchsuchte, gehörte zu der Art von Menschen, die immer wissen wollen, woran sie sind, und so erhellte kurze Zeit später ein starker Lichtstrahl die Finsternis. Zu Toms Beruhigung entdeckte er keine blutrünstigen, ausgewanderten Vampirfledermäuse, die sich über eine warme Mahlzeit freuten, dafür aber zu seiner Überraschung weit hinten in dem tunnelartigen Höhleneingang etwas, das wie in den Felsboden gehauene Stufen aussah, die sich abwärts in der Dunkelheit verloren.

"Was zum Teufel ist das denn?" Neugierig geworden erhob er sich und stellte befriedigt fest, dass er mit seinen einmeterachtundachtzig immerhin aufrecht in dem Gang stehen konnte.

"Keine Ahnung, sieht aber alt aus", erwiderte Dean, der ebenfalls aufgestanden war und nun in den Gang starrte, während er sich mit der Hand durch das aschblonde, klitschnasse Haar fuhr. Sein Forscherdrang war erwacht. "Wir sollten uns das einmal näher ansehen. Vielleicht sind wir hier zufällig auf etwas bisher noch nicht Entdecktes gestoßen. Gib mir mal die Lampe", sagte er plötzlich resolut.

Zögernd gab Tom ihm seine Lampe. Für seinen Geschmack erinnerte ihn das Funkeln in Deans Augen zu stark an den Tag, an dem Dean ihn zu diesem Ausflug überredet hatte. Auf der anderen Seite wollte Tom nicht hinter seinem eher unsportlichen Freund zurückstehen. Also folgte er ihm.

Der Geruch von Staub und Moder stieg ihnen in die Nase, als sie tiefer in den Berg vordrangen.

"Da geht´s tief hinab", bemerkte Dean, als sie den Anfang der Stufen erreicht hatten. Im Schein der starken Taschenlampe musterten die Freunde die uralt wirkenden Stufen, die sich mit einer leichten Linksdrehung in die Dunkelheit hinab schraubten.

"Ich möchte zu gerne wissen, wo sie hinführen."

"Vielleicht zu einem alten Indianergrab", spekulierte Tom.

"Laß es uns herausfinden", erwiderte Dean, der vor Neugierde schier platzte. Tom seufzte. Irgendetwas sagte ihm, dass es das Beste wäre, schleunigst umzudrehen und das Weite zu suchen, aber er wußte auch, dass er Dean niemals davon überzeugen konnte. Dean von etwas abzubringen, das sich dieser einmal in den Kopf gesetzt hatte war ungefähr genauso vielversprechend wie der Versuch, einen Tornado durch bloßes Zureden zum Umkehren zu bewegen. Außerdem konnte er nicht leugnen, dass von den geheimnisvollen Stufen eine geradezu magische Anziehungskraft ausging. Also machte er eine einladende Handbewegung. "Du hast den Vortritt, aber achte auf die Fallgruben", spottete er, worauf der plötzlich blass gewordene Dean vorsichtig mit dem Abstieg begann. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen folgte Tom seinem Freund ins Ungewisse. Das Gefühl verstärkte sich, als er feststellte, dass die Stufen kein Ende nahmen. Tom schätzte, dass sie sich inzwischen weit unterhalb der Sohle des Berges befinden mußten, als sie schließlich eine erstaunlich geräumige Kaverne betraten. Staubwolken stiegen unter ihren Füßen auf und ließen sie im Licht der Lampe unheimlich erscheinen. An der gegenüberliegenden Seite entdeckten sie gleich mehrere Gänge, die in die Finsternis führten und so den Eindruck eines Labyrinths hervorriefen. Tom hätte es nicht verwundert, wenn der Minotaurus in einer der Öffnungen erschienen wäre und die Eintrittskarten verlangt hätte. Doch das wirklich Unheimliche waren vier Steinquader aus schwarzem Onyx mit einer jeweiligen Seitenlänge von jeweils gut einem Meter, die im Zentrum der Kaverne standen und ein perfektes Quadrat bildeten. Die Entfernung zwischen den Quadern betrug nach Deans Schätzung circa vier Meter. Beim Näherkommen entdeckten sie, dass der ihnen zugewandte Block mit diversen, unbekannten Zeichen versehen war. Ohne dass Dean es hätte begründen können, flößten die Quader ihm Angst ein. Er konnte instinktiv spüren, dass von ihnen eine Gefahr ausging. Als er mit seiner Taschenlampe die gut fünf Meter über ihnen befindliche Decke untersuchte, entdeckte er an der Decke einen weiteren der ominösen Quader.

"Was zum Teufel ist das hier?", wunderte sich Tom.

"Keine Ahnung, aber es reizt mich, es herauszufinden. Wahrscheinlich sind wir die ersten, die das hier entdeckt haben." Deans Taschenlampe beschrieb einen Kreis. Tom winkte ab.

"Kaum", erwiderte er lakonisch und wies demonstrativ auf den Höhlenboden, auf dem eine zerknüllte Schachtel lag. "Sieht aus, als ob bereits ein einsamer Cowboy mit der Vorliebe für eine bestimmte Zigarettenmarke vor uns hier war. Pech, die Höhle ist ein alter Hut."

Dean trat neben Tom und sah irritiert auf die Packung hinunter. "Schade", murmelte er, wobei er die rotweiße Schachtel betrachtete, als könne die ihm die Frage nach dem Sinn des Lebens oder zumindest nach dem Ursprung des Universums beantworten. Doch Tom hatte noch eine weitere Überraschung für ihn parat.

"Apropos alter Hut, leuchte doch einmal bitte in die Mitte dieser Steinansammlung, da liegt anscheinend ein ausgedientes Exemplar", bat Tom. Dean kam der Aufforderung nach. Der Lichtstrahl der Lampe erfasste in der Tat etwas, das entfernt an einen breitkrampigen Hut erinnerte. Aber irgendetwas schien damit nicht zu stimmen. Als Tom hinüber ging und sich bückte, um ihn aufzuheben, wurde ihm klar, was es war.

"Das glaube ich nicht. Dieser Hut steckt im massiven Fels fest!", rief er überrascht.

"Unmöglich", erwiderte Dean in einer Stimmlage, bei der sich Tom immer vorkam, als sei er wieder ein Kind, das gerade einem Erwachsenen erzählt hatte, dass unter seinem Bett ein Ungeheuer haust. Tom brachte das regelmäßig auf die Palme.

"Dann probiere es selbst, du Besserwisser", gab er entsprechend ungehalten zurück. "Das Ding ist mit dem Felsboden verwachsen. Da kannst du sagen, was du willst."

Nun war es an Dean, den seltsamen Fund näher in Augenschein zu nehmen. Kritisch betrachtete er den Boden der Höhle, wo der Hut tatsächlich zur Hälfte im massiven Fels zu stecken schien. Dean mußte widerwillig einräumen, dass er dafür keine Erklärung hatte. Bestrebt, eine solche aber zu finden, ließ er sich auf die Knie nieder und untersuchte mit einer Sorgfalt, die jedem Archäologen vor Bewunderung die Tränen in die Augen getrieben hätte, den Boden rund um den Hut, jedoch ohne Ergebnis.

"Es muß eine Art Falltür sein, in der er feststeckt", mutmaßte er schließlich. "Aber ich kann nicht die kleinste Spalte im Fels entdecken. Das ist wirklich sehr merkwürdig. Halt das mal."

Dean gab Tom die Taschenlampe, und zog sodann mit aller Kraft an dem Hut, doch der Felsboden gab keinen Millimeter nach, dafür aber das Material des Huts.

"Ich bewundere deine wissenschaftliche Vorgehensweise. Der Eigentümer des Huts wird dir dankbar sein", spottete Tom beim Anblick Deans, der mit der Hälfte des Huts in der Hand rückwärts zu Boden gegangen war. Fluchend rappelte er sich auf und wischte sich den Staub von der Hose.

"Und, hast du jetzt genug geforscht? Ich werde allmählich müde", fragte Tom, obwohl er wußte, dass sein Freund nicht eher ruhen würde, bis er dieser Sache auf den Grund gegangen war. Entsprechend fiel Deans Erwiderung aus. Resigniert gab Tom ihm daraufhin die Taschenlampe zurück.

"Mach, was du willst, aber stör mich nicht beim Schlafen. Ich werde mir jetzt hier ein Plätzchen suchen und eine Mütze voll Schlaf nehmen." Damit drehte er sich um und ging auf einen kleinen Felsklotz in der Nähe des Eingangs zu und versuchte, es sich mithilfe seines Rucksackes irgendwie bequem zu machen. Dean, der nicht verstehen konnte, dass es Tom gar nicht reizte, dieses Geheimnis zu erforschen, wandte sich notgedrungen allein der Frage zu, wie der Hut in diesen Felsen gelangt war. Während der übermüdete Tom bereits nach wenigen Sekunden einschlief, fing Dean an, sich mit den Zeichen des Quaders zu beschäftigen. Vielleicht fand er ja dort die Erklärung, nach der er suchte.

 

– 3 –

 

Keine halbe Stunde später wurde Tom unsanft aus seinen Träumen gerissen.

"Los wach auf, hier passiert etwas Seltsames."

"Laß mich gefälligst schlafen!", murrte Tom ungehalten. Er war überzeugt, dass selbst der Minotaurus ihn rücksichtsvoller geweckt hätte.

"Du hast genug geschlafen. Nun steh schon auf, und sieh dir das an", fuhr Dean ihn an. Schlaftrunken öffnete Tom die Augen und registrierte, dass die Kaverne von einem fluoreszierenden, blauen Licht erleuchtet wurde. Schlagartig wurde er wach.

"Was zum Teufel hast du angestellt?", fragte er erschrocken. Mit einem unguten Gefühl glitt sein Blick über die fünf Quader, die nun durchsichtig in einem tief dunkelblauen Licht erstrahlten und unheimliche Schatten an die Felswände warfen.

"Ich habe ein wenig mit den Zeichen herum experimentiert", erwiderte Dean stolz. "Ein paar ließen sich in den Quader hinein drücken."

"Prima, dann laß uns jetzt zusehen, dass wir verschwinden, bevor hier alles in die Luft fliegt."

"Warte!" Dean hielt seinen Freund, der sich bereits auf dem Weg zur Treppe befand, zurück. "Ich glaube nicht, dass uns eine Gefahr droht. Das Licht ist völlig kalt."

"Woher willst du das wissen?"

"Ich habe die Quader schließlich berührt und mir näher angesehen, bevor ich dich geweckt habe. Es ist völlig ungefährlich."

Tom sah seinen Freund entgeistert an. "Du hast diese leuchtenden Teile berührt?", fragte er fassungslos. Dean nickte.

"Wenn wir jemals wieder nach Hause kommen, solltest du dringend einen Arzt aufsuchen", riet Tom, aber sein Widerstand begann bereits zu erlahmen. Zögernd wandte er sich von der Treppe ab und folgte Dean nun doch zu dem Quader, an dem dieser mit den Zeichen herum experimentiert hatte. "Und wozu soll das nun gut sein?", fragte Tom mißtrauisch.

"Keine Ahnung, vielleicht finden wir die Lösung, wenn wir noch ein paar der Zeichen ausprobieren" erwiderte Dean voll Enthusiasmus. Ehe Tom ihn davon abhalten konnte, hatte Dean bereits ein Zeichen in Form eines perfekten, gleichschenkeligen Dreiecks gedrückt. Mit einem Klicken versank es gut zwei Zentimeter in dem leuchtenden Quader, worauf ein tiefer, vibrierender Ton erklang, der Tom die Haare zu Berge stehen ließ. Im gleichen Moment zuckte von dem vor ihnen befindlichen Quader ein azurblauer Lichtstrahl zur Decke der sofort zu den anderen Quadern, und von dort zurück zu seinem Ausgangspunkt geleitet wurde. Erschrocken wichen die Freunde zurück. Sämtliche Quader waren nun durch einen azurblauen Lichtstrahl miteinander verbunden. "Eine Pyramide aus Licht, das ist stark", entfuhr es Tom, dem nun klar war, wieso die Quader so angeordnet waren.

"Aber das ist noch nicht alles. Da drin tut sich irgendetwas." Blass geworden wies Dean auf das Innere der Pyramide, in deren Zentrum sich ein rabenschwarzer Nebel, der an den Rändern zum Teil fluoreszierend blau leuchtete, zu bilden begann. "Ich habe es mir anders überlegt. Wir sollten doch lieber gehen", sagte Dean, der ernüchtert den Ausgang ins Auge fasste.

"Jetzt wo es spannend wird? Kommt nicht in Frage. Gib mir mal die Lampe." Zögernd reichte Dean ihm die Taschenlampe.

"Was hast du vor?"

"Forschen!" Mit einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht näherte sich Tom vorsichtig der Pyramide und leuchtete mit der Lampe hinein, doch das Licht vermochte die Schwärze in ihrem Inneren nicht zu durchdringen.

"Physikalisch ein Ding der Unmöglichkeit", bemerkte Dean beim Anblick des Lichtstrahls, der einfach an der schwarzen, wirbelnden Finsternis im Inneren der Pyramide endete. In diesem Moment schwoll das vibrierende Summen stark an. Eilig zog sich Tom ein Stück zurück, doch für eine Flucht war es schon zu spät, denn der schwarze Nebel dehnte sich ruckartig in der Kaverne nach allen Seiten aus und sog die Freunde wie ein Staubsager samt Rucksäcken unbarmherzig in das wirbelnde Chaos hinein. Deren Welt stand plötzlich Kopf. Es kam ihnen vor, als würde man ihre Körper gnadenlos auf ein winziges Maß zusammenpressen und sie nun durch endlose sich windende, stockfinstere Bahnen, im freien Fall einem unbekannten Ziel entgegen schleudern. Dann plötzlich tat sich ohne Vorwarnung eine Öffnung in der absoluten Schwärze auf. So unerwartet, wie die Reise begonnen hatte, war sie auch wieder zu Ende. Die Freunde schlugen unvermittelt hart auf dem Boden auf. Dean war sofort bewußtlos. Der benommene Tom hingegen staunte nicht schlecht, als ihm gewahr wurde, wo sie gelandet waren. Der Boden des Ganges, mit dem er so unliebsam Bekanntschaft gemacht hatte, war gefliest, und die Wände wurden vom Schein flackernder Fackeln, die in regelmäßigen Abständen an den Wänden angebracht waren, in ein angenehmes Licht getaucht. Mit Abstand am merkwürdigsten aber erschienen Tom zwei spitze Stiefel, die plötzlich den größten Teil seines Gesichtsfeld ausfüllten und in ledernen Hosen mündeten. Es folgte eine Weste aus übereinander liegenden, schuppenartigen Lederstücken und schließlich ein Gesicht, das von einem langen Vollbart bedeckt und von langen Haaren, auf denen eine Lederkappe thronte, vollständig eingerahmt war. Das Beunruhigendste an der ganzen Erscheinung war jedoch die Axt, die das circa einmeterfünfzig große Wesen in seiner rechten Hand hielt. Es war die größte, beidseitig geschliffene Streitaxt, die Tom je in seinem Leben gesehen hatte und ihr Besitzer vermittelte nicht gerade den Eindruck, als ob er sie zum Holzhacken verwenden würde.

"Auch das noch", murmelte Tom. "Wäre ich doch bloß nie Wandern gegangen."

Dann wurde es Nacht um ihn.

 

 

Fortsetzung in Kapitel 4

 

 

 

 


Nachfolgend die ursprüngliche Version im Vergleich

Eine unfreiwillige Reise

 

 

 "Klasse", dachte Tom, während er die Kapuze seines Anoraks zum Schutz gegen den peitschenden Regen fester zuschnürte, "wirklich Klasse! Statt in den Semesterferien irgendwo im Süden zu sitzen, lasse ich mich dazu überreden, im größten Mistwetter durch die Rocky Mountains zu wandern." Unwillig verlagerte er das Gewicht seines Rucksackes, der sich hartnäckig jedem Versuch, eine bequemere Trageposition einzunehmen, widersetzte und wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Lustlos folgte er seinem Freund Dean, der als angehender Biologe von der Wildheit der Natur, die sie durchwanderten fasziniert war und nicht müde wurde, selbst das kleinste Insekt ausgiebig zu begutachten. Tom, der Wirtschaftswissenschaften studierte und mit dem Wort "Urlaub", Sonne, Strand und Party, auf keinen Fall aber abgelegene Gebirgsregionen, saumäßiges Wetter und Heerscharen von Ungeziefer verband, konnte das einfach nicht verstehen. Mürrisch dachte er an die letzte Semesterwoche zurück, als Dean ihm so lange von einem kleinen Wanderausflug durch die Rockys vorgeschwärmt hatte, bis er schließlich nachgegeben hatte. Und was hatte ihm seine Gutmütigkeit nun eingebracht? Der kleine Ausflug war zu einer Expedition ausgeartet, die einen Vergleich mit denen Livingstones oder Stanleys nicht zu scheuen brauchte. Dean hatte bedauerlicherweise versäumt, zu erwähnen, dass er Informationen für einen Vortrag über die letzten unberührten Gebieten Nordamerikas und Kanadas sammeln mußte und daher nur an den einsamsten Orten der Region interessiert war. Toms stille Hoffnung, die Abende am Lagerfeuer mit ein paar attraktiven Wanderinnen zu verbringen, hatte sich damit auf Null reduziert. Er konnte von Glück sagen, dass sie ihr Zelt noch nicht mit einem Bären hatten teilen müssen. Als es dann heute Morgen auch noch angefangen hatte zu regnen, war seine Laune endgültig auf dem Tiefpunkt angelangt. "Warum tue ich mir das bloß an?", seufzte er und drehte den Lautstärkeregler seines tragbaren CD-Players weiter auf, während er sich bemühte, dem Pfad zu folgen, den jede halbwegs vernünftige Gemse mit einem Minimum an Überlebensinstinkt links liegen gelassen hätte. Das Vorwärtskommen war in der Tat zum Abenteuer geworden. Der anfangs nur spärliche Regen hatte mittlerweile die Ausmaße eines kleinen Monsuns angenommen und den Pfad nach und nach in ein Schlammbett verwandelt. Selbst dem optimistischen Dean kamen allmählich Bedenken. "Sieht nicht gut aus, oder?", schrie er aus Leibeskräften, um eine realistische Chance gegen die HipHop Klänge zu haben, die mit gnadenloser Dezibelzahl aus Toms Kopfhörern erklangen. Widerwillig stellte dieser den CD-Player leiser.
"Was ist?", knurrte er ungehalten.
"Sieht nicht gut aus", wiederholte Dean eine Spur leiser. Toms Einschätzung zufolge war das die Untertreibung des Jahrhunderts. Der pechschwarze Horizont, die zahlreichen Blitze, der Regen und der aufkommende Sturm erweckten eher den Eindruck, als würde der Weltuntergang unmittelbar bevorstehen. "Schön, dass du das auch schon bemerkst", erwiderte er und fragte sich, ob Dean der Ausflug wenigstens ansatzweise so auf die Nerven ging, wie ihm. Doch ein Blick in dessen Gesicht belehrte ihn eines Besseren. Trotz der widrigen Umstände, schien Dean das Ganze immer noch Spaß zu machen. Tom seufzte. Womit hatte er das bloß verdient?
"Wir sollten uns einen geschützten Platz suchen", schlug Dean, dem man einen gewissen Sinn fürs Praktische nicht absprechen konnte, vor. Wie zur Bestätigung riß ihm ein heftiger Windstoß die Kapuze vom Kopf. "Da hinten ist eine Lichtung. Laß uns das Zelt dort aufbauen, bevor wir endgültig davongeweht werden. Es ist ohnehin schon spät."
Tom nickte. "Der erste vernünftige Vorschlag heute." Die kleine Lichtung entsprach zwar kaum Toms Vorstellungen von einem Zeltplatz, aber auch damit hatte er sich inzwischen abgefunden. Die Plätze, die Dean in den letzten Tagen ausgesucht hatte, waren allesamt keine Highlights gewesen. Resigniert half er, das "Zelt" aufzubauen, von dem er überzeugt war, dass es noch nicht einmal die DIN-Norm für Hundehütten erfüllen würde.
"Siehst du, schon fertig." Zufrieden betrachtete Dean die windschiefe, lediglich aus zwei je einen Meter dreißig hohen Stangen sowie einer Plane bestehende Konstruktion. Tom ersparte sich einen Kommentar. Erschöpft und völlig durchnäßt folgte er seinem Freund unter die im Wind bedenklich hin und her schlagende Zeltplane. Kaum hatten sie es sich einigermaßen bequem gemacht, zog Dean auch schon zwei Dosen aus alten Armybeständen aus den Tiefen seines Rucksackes hervor. Routiniert öffnete er sie. Angeekelt verzog Tom das Gesicht. An den glibberigen Inhalt würde er sich wohl nie gewöhnen. "Kein Wunder, dass die Army ständig neue Leute braucht", grummelte er vor sich hin. "Wer das ißt, wird nicht alt." Leider schien sein Magen, der laut vernehmlich knurrte, diese Einschätzung nicht zu teilen und so würgte Tom widerwillig die fragwürdige Substanz hinunter.
"Vergiß nicht, deine Dose hier hinein zu stecken, wenn du fertig bist", ermahnte ihn Dean, der seine Portion schon vertilgt hatte und die Überreste gerade in einem geruchssicheren Müllbeutel verstaute. "Wir wollen schließlich keine Bären anlocken." Tom war sich zwar sicher, dass jeder vernünftige Bär bei diesem Wetter ohnehin keine Tatze vor die Höhle setzen und sich im übrigen sofort beim Tierschutzverein beschweren würde, falls es jemand wagen sollte, ihm dies zum Fressen anzubieten, trotzdem tat er Dean den Gefallen. Er war einfach zu müde, um zu widersprechen. "Na ja, noch schlimmer kann es ja eigentlich nicht werden", dachte er, als sie sich schließlich schlafen legten. Doch er sollte sich irren.


- 2 -

- 1 -

 

 

Ein Donnerschlag weckte Tom mitten in der Nacht auf. Gerade noch hatte er von den sonnigen Gestaden Floridas geträumt, um nun, aus dem Schlaf gerissen, mit dem Schrecken eines tobenden Unwetters konfrontiert zu werden. Das Erste, was er verschlafen registrierte, war, dass er die nachtschwarzen Gewitterwolken sehen konnte und ihm der Regen mit geradezu bösartiger Heftigkeit mitten ins Gesicht klatschte. Es dauerte einige Sekunden, bis ihm schlaftrunken die Erkenntnis kam, dass sich über ihm eigentlich eine Zeltplane befinden sollte, eine nasse, tropfende zwar, aber immerhin ein Plane. Doch die war definitiv verschwunden. Fluchend setzte er sich auf und rüttelte den tief schlafenden Dean wach.
"Sieht so aus, als hätte sich dein Pfadfinderzelt auf den Weg gemacht!", rief er ihm über das Heulen des Sturms hinweg zu. Erschrocken fuhr der hoch.
"Verdammt, das fehlt uns noch." Blinzelnd sah er sich um. Viel war nicht zu erkennen. "Schalte doch endlich die Taschenlampe ein", forderte er Tom auf.
"Dazu müßte ich sie erst einmal finden!" Ärgerlich wühlte Tom zwischen ihren durchnäßten Sachen. Einen Augenblick später durchdrang ein Lichtstrahl die Dunkelheit. Leider half das aber auch nicht weiter. Von ihrem Zelt war weit und breit nichts zu sehen.
"Ist wahrscheinlich schon auf halbem Weg nach Miami", mutmaßte er.
"Sehr witzig. Was sollen wir denn jetzt machen?"
"Im Fundbüro nachfragen", antwortete Tom zynisch, während er sich mühsam aus dem klatschnassen Schlafsack quälte. Dean sah ihn verständnislos an. Manchmal war er sich nicht sicher, ob sein Freund es nun ernst meinte oder nicht. Tom sah ihn mitleidig an, während er seinen Schlafsack zusammenrollte.
"Wir suchen uns einen Unterschlupf, was denn sonst?", erklärte er ungehalten. "Hier bleibe ich jedenfalls nicht. Am besten probieren wir es bei der Felswand. Vielleicht gibt es dort eine Nische zum Unterstellen."
Dean bezweifelte das zwar, angesichts der steilen Bergwand, die selbst für Profibergsteiger bei diesem Wetter eine echte Herausforderung gewesen wäre, stimmte mangels Alternative aber zu. Eilig half er, ihre Sachen zusammenzupacken. Kurze Zeit später folgte er seinem Freund durch die Dunkelheit. Während sie sich durch das unwegsame Gelände auf die düster aufragende Wand zubewegten, bereute Dean schon bald, auf Toms Vorschlag eingegangen zu sein; denn das Vorwärtskommen erwies sich als alles andere als ein Spaziergang. Der Lichtfinger der Taschenlampe kam kaum gegen den dichten Regenvorhang an, so dass sie immer wieder stolperten oder an widerspenstigen Ästen hängenblieben, was ihre Laune nicht gerade verbesserte. Als sie schließlich erschöpft die Felswand erreichten, mußte Dean auch noch enttäuscht feststellen, dass seine Zweifel berechtigt gewesen waren. Ein Unterstand war nirgends in Sicht.
"Na prima!" Frustriert wischte er sich die klatschnassen Haare aus dem Gesicht, während er die abweisende Felswand musterte. "Das war ja ein großartiger Vorschlag. Warum höre ich bloß immer auf dich?"
"Weil ich die besseren Ideen habe", entgegnete Tom spöttisch und ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe die steile Bergflanke entlang wandern. Nur nackter, glatter Fels war zu erkennen. Jenseits des Lichtstrahls zeichnete sich die Bergwand nur noch schemenhaft gegen den regenverhangenen Nachthimmel ab. Falls möglich, war das Unwetter noch schlimmer geworden. Irgendwie überraschte das Tom nicht. Dean sah ihn hilflos an.
"Und was schlägst du nun vor? Sollen wir ein Loch graben?", fragte er. Tom lachte.
"Keine schlechte Idee, aber ich denke, es wird genügen, wenn wir einfach nur dem Verlauf der Bergwand folgen. Früher oder später werden wir schon auf eine geeignete Nische stoßen, vertrau mir", versuchte er, Optimismus zu verbreiten.
"Wahrscheinlich eher später", unkte Dean, doch Tom ließ sich nicht beirren und kämpfte sich schon wieder durch das dichte Unterholz. Dean folgte seufzend. Wie von ihm erwartet, verlief die Suche zunächst ergebnislos. Die Felswand blieb glatt und abweisend. Doch gerade, als Dean sich zu fragen begann, ob diese Odyssee nie ein Ende nehmen würde, blieb Tom plötzlich stehen und richtete den Lichtstrahl auf ein etwa sechs Meter über dem Boden liegendes Loch im Fels. Dean war entsetzt.
"Wie sollen wir denn da
hinaufkommen?" In Gedanken fragte er sich, ob seine Krankenversicherung für die Folgen eines leichtfertig herbeigeführten Absturzes aufkommen würde.
"Ganz einfach, du stützt mich ab, bis ich den kleinen Vorsprung dort oben erreicht habe. Ich ziehe dich dann hoch. Wenn wir das erst geschafft haben, ist der Rest ein Kinderspiel", erklärte Tom. Dean hatte zwar starke Bedenken, auf der anderen Seite war die Aussicht, im Unwetter stehen zu bleiben, auch nicht gerade verlockend. Außerdem könnte so eine Höhle ja auch ganz interessant sein. Seufzend willigte er ein. "Na schön, aber paß auf, dass du mir nicht ins Gesicht trittst." Wie von ihm befürchtet, war die Kletterpartie nicht ansatzweise so leicht, wie Tom es sich vorgestellt hatte. Immer wieder rutschten sie ab und es kam einem Wunder gleich, dass sie sich keine ernsthaften Verletzungen zuzogen. Die größte Enttäuschung erwartete sie jedoch, als sie schließlich ermattet oben angelangten. Die vermeintliche Höhle entpuppte sich lediglich als schmaler Gang, bei dem sich die Decke schon nach wenigen Metern stark senkte und die Wände sich trichterförmig verengten. Zumindest war genug Platz vorhanden, um Schutz vor dem tobenden Unwetter zu haben. Tom rollte sogleich seinen Schlafsack aus und machte es sich so gut es ging bequem. "Laß uns den Rest der Nacht hier verbringen", schlug er müde vor. Das stieß bei Dean, der neugierig die sich stark verengende Röhre musterte, auf wenig Begeisterung. "Aber es geht doch noch weiter", protestierte er.
"Und was soll das bringen? Willst du stecken bleiben?"
"Jedenfalls will ich keine Lungenentzündung bekommen. Hier ist es mir zu feucht und zugig und außerdem bin ich neugierig. Also gib mir bitte die Lampe." Mißmutig reichte Tom sie ihm und Dean kroch weiter. Seine Neugier war geweckt. Auf Händen und Knien robbte er durch den immer niedriger werdenden Gang, wobei er das Gewicht des riesigen Gebirgrückens förmlich auf seinen Schultern zu spüren glaubte. Der Schweiß brach ihm bei dem Gedanken aus, dass der Gang einbrechen, oder er tatsächlich steckenbleiben könnte. Doch er hatte Glück. Nach endlos erscheinenden Minuten erweiterte sich der Gang wieder und endete schließlich auf einem Plateau, von dem aus Dean den Ausblick auf eine riesige Höhle hatte. Der Strahl der Taschenlampe reichte kaum aus, um das wahre Ausmaß zu erfassen. Dean war sprachlos.
"Na, hast du schon Freundschaft mit den Höhlenmenschen geschlossen?", ertönte Toms Stimme spöttisch aus der Ferne und riß ihn aus seiner Faszination.
"Hör auf zu lästern und komm lieber her."
"Wieso, vermieten die dort Zimmer?"
"Nun mach schon, das mußt du sehen", rief Dean ungeduldig.
"OK, OK." Kurze Zeit später betrat nun auch Tom das Plateau und klopfte sich den Staub von den Sachen. Neugierig sah er sich um.
"Wow, gar nicht so übel! Laß uns hinuntersteigen und die Sache näher erkunden", forderte er Dean auf. Der ließ sich das nicht zweimal sagen. Von dem Plateau aus wand sich ein schmaler, steiler, mit feinem Geröll bedeckter Pfad an der Innenwand nach unten, den die Freunde vorsichtig hinunter kletterten. Staubwolken stiegen unter ihren Füßen auf und ließen die Höhle im Licht der Lampe unheimlich erscheinen. Es dauerte eine Weile, bis sie das schwierige Terrain überwunden und den Boden der Höhle erreicht hatten. Diese maß im Durchmesser gute zweihundert Meter und konnte eine Höhe von rund dreißig Metern aufweisen. Diverse Öffnungen waren in unterschiedlichen Höhen zu erkennen und erweckten den Eindruck eines Labyrinths. Tom hätte es nicht verwundert, wenn der Minotaurus in einer der Öffnungen erschienen wäre und die Eintrittskarten verlangt hätte.
"Sieht aus, als hätte sich hier die Mutter aller Maulwürfe durchgegraben", bemerkte er trocken. "Läßt das dein Pfadfinderherz nicht höher schlagen?"
"Das schlägt, aber aus anderen Gründen. Ich habe mir erst gestern die Karte angesehen. Eine Höhle war nirgendwo eingetragen, ergo ist sie auch noch nicht entdeckt worden. Wer weiß, was man hier alles finden kann."
"Zum Beispiel alte Zigarettenschachteln", erwiderte Tom, der sich bereits weiter in Richtung Höhlenmitte aufgemacht hatte, während Dean am Fuße des Pfades stehen geblieben war, um das Ausmaß der Höhle auf sich wirken zu lassen.
"Zigarettenschachteln? Wie kommst du denn darauf?"
Demonstrativ leuchtete Tom auf den Höhlenboden, auf dem unübersehbar eine zerknüllte Schachtel lag. "Sieht aus, als ob ein einsamer Cowboy mit der Vorliebe für eine entsprechende Zigarettenmarke vor uns hier war. Pech, alter Junge, die Höhle ist ein alter Hut." Dean trat neben Tom und sah irritiert auf die Packung hinunter. "Merkwürdig", murmelte er und betrachtete die rotweiße Schachtel, als könne die ihm die Frage nach dem Sinn des Lebens oder zumindest nach dem Ursprung des Universums beantworten. Doch die dachte gar nicht daran und so folgte Dean etwas enttäuscht seinem Freund zur Höhlenmitte, wo sie auf eine flache, etwa einen Meter hohe und vier Quadratmeter große Felsplatte stießen, die von einer dicken Staubschicht bedeckt war.
"Herzlichen Glückwunsch, du hast eine steinerne Tischtennisplatte entdeckt", witzelte Tom und wischte mit der Hand über die Oberfläche. "Der Putzfrau würde ich allerdings kündigen." Dean betrachtete überrascht die freigelegte Stelle. Ohne auf Toms Spott einzugehen, schob er sich an seinem Freund vorbei und fing an, die Platte weiter frei zu wischen. Große Staubwolken stiegen auf und beide husteten heftig. Tom wünschte sich eine Atemmaske. "Was soll das? Bist du übergeschnappt? Ich ersticke hier fast. Außerdem brauchst du nicht zu putzen, wir haben keine Tischtennisschläger dabei."
"Hör auf Witze zu reißen und sieh dir das lieber an", sagte Dean und wies auf eine Anzahl von Vertiefungen, die nun im Licht der Lampe sichtbar wurden.
"Und? Sieht aus, als hätte sich ein Irrer mit dem Steinmeißel ausgetobt." Dean verzog das Gesicht. "Klar, dass das für dich so aussieht, aber dafür sind diese Vertiefungen viel zu regelmäßig. Sieh dir die Anordnung der kreisrunden Löcher hier, hier, da hinten, dort unten und so weiter doch an. Das hat sicherlich etwas zu bedeuten." Aufgeregt wischte Dean weiter auf der Platte herum. Doch Tom teilte seine Begeisterung nicht.
"Sachte, sachte", ermahnte er ihn, "du kannst dich hier gerne austoben, sobald ich mich irgendwo dahinten zum Schlafen hingelegt habe. Aber halte deine Begeisterungsschreie bitte in Grenzen." Dann drehte er sich um und ging auf einen kleinen Felsklotz zu, der etwas weiter entfernt auf dem Boden lag und versuchte, es sich mithilfe seines Rucksackes irgendwie bequem zu machen. Zwar bilden ein Felsklotz und ein klatschnasser Rucksack nicht die Komponenten, aus denen sich ein bequemes Nachtlager fertigen läßt, was Tom jedoch nicht störte. Er war so müde, dass er nach wenigen Sekunden einfach im Sitzen, an den Felsbrocken gelehnt, einschlief. Kurze Zeit später war nur noch sein monotones Schnarchen und Deans Wischen und Kratzen zu vernehmen.



Fortsetzung folgt ......................

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