Birgit Seitz

Ich spinne nicht!

Sie frisst Silberfischchen. Sie hockt da unten in ihrer Ecke, an einer Stelle, wo normalerweise nie jemand hinschaut, weil Stühle davor stehen. Rechts unten in der Ecke neben der Heizung in der Küche. Natürlich habe ich sie trotzdem entdeckt. Nicht, weil es tatsächlich Augenblicke gibt, an denen ich Ecken mal sauber machen würde. Ich mache Ecken selbstverständlich manchmal sauber, schließlich fängt sich der Schmutz grade in Ecken, und selbst ich mag es sauber. Unordentlich ist mir egal, sauber sollte es aber sein. Deshalb hasse ich ja auch Silberfischchen. Diese minikleinen Biester, die überall sind. In wirklich jeder Wohnung. Es gibt keine Wohnung, in der sie sich nicht aufhalten würden, sie sind so natürlich wie Hausstaubmilben, nur größer, flinker, glitschiger und vor allem: Sichtbarer!
Sie wusseln morgens, wenn ich den Kaffee aufsetze, schnell mal eben hinten an der Spüle entlang. Ich sehe sie. Ich bin nicht wach, das bin ich morgens nie, bevor ich Kaffee hatte, egal, ob wochentags oder am Wochenende.
Ich sehe sie trotzdem, Ungeziefer können sich selten meiner Blicke entziehen.
Silberfischchen untergraben mein Sauberkeitsgefühl. Ich weiß, ich stelle mich an, weil sie sich ja auch in den desinfiziertesten Räumen aufhalten. So ähnlich wie Läuse. Ich hab mal gelesen, dass Läuse auf jeden verfügbaren Kopp gehen. Egal ob gepflegt oder ungepflegt. So machen Silberfische das eben auch. Aber trotzdem: mich beschleicht dann so ein Gefühl, wie die Tante das in der Domestoswerbung haben muss. Die, die ihr Kind nicht eher aufs Klo lässt, bevor sie das gründlich gereinigt hat. Haben Sie mal den Gesichtsausdruck der Dame beobachtet? Angeekelt-verzweifelt. Sie weiß, sie hat keine Chance, möchte aber ihr Bestes geben. Aber egal, jetzt, das wollt ich eigentlich gar nicht erzählen.
Komischerweise habe ich Ungeziefer schon immer entdeckt. Ich mache das nicht extra, manchmal wäre ich auch gerne diejenige, die gar nichts sieht, dann muss ich nämlich weniger nachdenken. Komisch schon deshalb, weil ich kurzsichtig bin, wie nur was. Dennoch: Ich entdecke Viechzeugs sogar, wenn es schon tot und demnach unbeweglich ist. Marienkäfer in einer Dose Linsensuppe, zum Beispiel. Oder bei der Konfirmation meines Cousins – das Silberfischchen im Eisdessert, das sich eigentlich noch als Leinsamenkorn tarnen wollte. Aber was macht ein Leinsamenkorn in einem Fürst Pückler, fragte ich mich. Jemand anderes hat mein Eis aufgegessen, jemand, dem es nichts ausmachte, nur den Silberfischkörper zu entfernen. Ich musste an die Rückstande denken, die immer im Küchentuch verbleiben, wenn ich ein Silberfischchen zerquetsche. Es sieht ein wenig aus wie Staub, wissen sie? Ob ein Silberfischchen Schuppen hat? Bartstoppeln hat es zumindest. Ob noch eine Bartstoppel oder ein Fuß vom Silberfischen im Erdbeerteil des Eises war? Oder sonstige Absonderungen vom Tier? Ist ein Silberfisch ein Tier?
Ich bin jedenfalls nie wieder in diesem Restaurant gewesen.
Ich will damit nicht sagen, dass ich glaube, dass dieses Restaurant unsauber ist. Dann dürfte ich ja nicht zugeben, dass ich selbst Silberfischchen in der Küche habe. Aber da es mir dort passiert ist, mag ich nicht wieder dort Essen gehen. Ich würde alles, aber auch alles anschauen, ob irgendwo ein getarntes Viech darauf lauern will, mir meinen Appetit zu verderben. Wahrscheinlich würden auch andere Gäste des Restaurants mein Verhalten beobachten und es mir gleichtun? Vielleicht würden ja mehrere Gäste ein Silberfischchen entdecken und fortan würde dieses Restaurant geächtet? Oder die Gäste könnten vermuten, die Dame, die da stundenlang braucht, um ihr Essen zu inspizieren und zu sezieren, wäre eventuell eine Psychotante oder studiere Medizin? Das möchte ich ja nun auch nicht. Sowenig, wie ich möchte, dass das Restaurant pleite geht, weil sich die Gäste ekeln. Sollen doch andere Leute beruhigt und vertrauensvoll dort weiter zum Mahle schreiten. Ich missgönne ja niemandem, sein Essen vollständig, unzerpflückt und vor allem noch warm in sich aufzunehmen. Wobei .. noch warm .. Salat ist ja auch nicht warm, und erwähnte ich eigentlich schon die Schnecke im Salat neulich, wo wir .. na ja, das führt jetzt zu weit.

Sie sind ja auch nicht immer da, das ist es ja gar nicht. Es gibt Zeiten, da sehe ich keine Silberfischchen. Dann habe ich nach einer wochenlang andauernden Tötungsaktion, morgens so vorm Kaffee kochen, das Gefühl, jetzt hätte ich sie alle. Kein einziges Silberfischchen mehr. Tagelang, wochenlang. Aber nach all den Jahren Erfahrung mit den Biestern weiß ich, dass sie sich irgendwann, zu einem Zeitpunkt, an dem ich wieder dazu übergegangen bin, meine Küche morgens vertrauensvoll zu betreten, ohne mit einer Invasion geradezu zu rechnen – irgendwann sind sie wieder da. Flitschen lautlos und heimtückisch bei der geringsten Bewegung unten auf dem Fußboden in eine rettende, nahegelegene Lücke in den Fliesenboden, grade noch von mir aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Meistens kommen sie zu zweit. Zumindest erwische ich dann zwei auf einmal. Ob noch mehr da sind? Kann ich nicht sagen, aber wenn eins da ist, finde ich meist auch noch ein zweites. Das ist so was wie ein ungeschriebenes Gesetz. Marienkäfer sind da anders. Ich habe noch nie zwei Marienkäfer in einer Dose Linsensuppe gefunden. Mehlwürmer halten sich auch meist allein in einer Mehltüte auf.
Naja, ich kann den Silberfischen wenigstens zu Gute halten, dass sie sich in Speiseeis auch noch nie in mehrfacher Ausführung haben blicken lassen, vielleicht ist das bei denen so was wie Revierabgrenzung oder so. Obwohl: Silberfische müssen soziale Wesen sein. Glaube ich dem Text auf den Köderfallen, die ich so im Laufe der Jahre angeschafft und aufgestellt habe, kommt ein großes Silberfischchen, schnappt sich in der Falle das vergiftete Futter und marschiert damit schnurstracks ins Nest, um die Silberfischchenbabys damit zu nähren.

Eigentlich bin ich ja bescheuert, wenn ich die Viecher totschlage. Ein Tod gegen viele Tode. Ein Silberfischchen würde unbewusst vielleicht die ganze nachwachsende Horde vergiften, wenn ich es nur ließe. Darüber muss ich noch mal nachdenken.
Aber es ist mir ja irgendwie auch ein Bedürfnis, selbst Hand an die silbrig glänzenden Scheusale zu legen. Und so naiv bin ich nicht zu glauben, dass nicht des nächtens die Mitglieder einer Silberfischchenfamilie in Massen in die Küche einfallen. Was ich da morgens erschlage, sind wahrscheinlich die vorwitzigen Nachzügler, die meinen, sie würden sich nicht dem Gros der Gruppe unterwerfen wollen, sondern dann später noch mal auf eigene Faust losmarschieren. Möglich, dass die auch nur verschlafen haben? Oder es so was wie eine Mutprobe ist? So ähnlich wie: wer sich jetzt, bei Tagesanbruch noch mal raustraut, ist ein Held?
Ach, sollen sie doch. Wen ich dabei erwische, ist ein toter Held.

Nun bin ich ja völlig abgekommen, na so was!
Ich wollte Ihnen doch erzählen, dass nun mittlerweile „sie“ da ist. Unten rechts neben den Heizungsrohren, nahezu unerkannt. Noch klein, denn wenn sie größer wird, mag ich mich auch ihrer entledigen. Sie hat noch keinen Namen, aus dem Alter, wo ich Tiere noch zärtlich mit einem Spitznamen versehen habe, bin ich raus. Sie ist ja auch kein Tier, sie ist ja nur eine Spinne.
Wissen sie, ich mag keine Spinnen. Ich mag, das werden Sie sicherlich schon vermutet haben, eigentlich gar keine Viecher, die krabbeln oder mehrere Beine haben, in meiner Wohnung. Draußen, ja, da können die machen, was sie wollen, da bin ich tolerant und sogar ein wenig froh, dass es noch solche Spezies gibt. Aber ihr natürlicher Lebensraum ist draußen, in der freien Natur, also werde ich auch dafür Sorge tragen, dass die lieben Nutztiere da bleiben, wo sie hingehören. Nötigenfalls auch tot. Wenn eine Wespe, Spinne, Stubenfliege oder sonst ein Krabbler oder Flieger sich wehrt, im Glas eingefangen zu werden, um der Fauna umgehend, lebend und komplett an Gliedmaßen wieder ausgesetzt zu werden, dann hau ich die auch schon mal zu Brei. Is klar, oder? Ich mein, ich hab ja nicht die ganze Nacht Zeit, den Viechern zu zeigen, wo ihre eigentliche, von Gott bestimmte Wirkungsstätte ist. Das mit dem Staubsauger geht nicht, weil so was macht zu später Stunde ja schon Lärm, nicht wahr? Und überhaupt, ich glaube diese Geschichten, wo kleine Spinnen im Staubsauger sich von anderen kleinen Tieren im Staubsauger ernähren, wachsen und wachsen und wachsen und einen anfallen, wenn man den Beutel wechseln will. Echt. Oder sie fressen den Beutel gleich mit auf, klettern durchs Rohr wieder raus und rächen sich des Nachts an mir, wenn ich schlafe, in dem sie mir ihre Eier unter die Haut pflanzen. Der dicke Pickel an der Stirn ist dann meist gar kein Pickel, der ist so was wie ein natürlicher Brutkasten. Eklich. Deshalb fange ich die Spinnen dann, schmeiße sie raus oder wie gesagt, schlage sie zu Brei. Die Brei-Alternative ist aber mehr was für einen Zeitpunkt, wo man sich schon entschieden hat, demnächst neu zu tapezieren.
Aber ich war bei den Spitznamen, oder? Da wollte ich doch noch just einen psychologischen Kurzabriss der Gedankengänge meinerSeitz* einfließen lassen: Spitznamen für Untiere, glaube ich, habe ich als kleines Mädchen deshalb erfunden, um sie mir angenehmer erscheinen zu lassen. Meine Mama hat Spinnen immer „Thekla“ genannt. Die war mir zwar seit Biene Maja auch schon unsympathisch, aber diese Serie ohne die schreckverbreitende Achtbeinerin – das konnte ich mir auch nicht vorstellen. Meine Spinnen heißen im Allgemeinen „Putzilein“ oder was ähnlich beklopptes. Ich verteile den Namen ja auch im Augenblick des Schreckens und der Verwirrung, also bitte, sehen Sie mir das nach, ja?
Wussten Sie, dass Spinnen wie gelähmt innehalten, wenn man sie anschreit? So mit einem spitzen, schrillen Ton? Also nicht „buuuuh“, sondern eher „iiiiihhhhhhh!!!“ Das sollten Sie sich merken, weil, wenn die mal so unterwegs sind, die Spinnen, und man grade kein Glas oder diverse andere Auffangbehälter bei sich hat (nach der Renovierung wohlgemerkt, kurz davor siehe oben, aber nur, wenn man nicht barfuss oder nackt ist, sonst kleben einem ja die Überreste an der Haut oder unter der Sohle, das hat so nen Selbstverseuchungscharakter) .. äh .. wo war ich? .. jedenfalls sind die furchtbar fix, die Viecher. Und eh man sich’s versieht, sind die unterm Schrank und man schläft deshalb schlecht, weil man sie vor dem Schlafengehen nicht mehr erwischt hat und nicht weiß, was die für ein Unwesen treiben, während man sich selbst ja eigentlich den Annehmlichkeiten des Morpheus hingeben wollen würde, nech? Also so ein spitzer Schrei verschafft einem eine kurze Pause, weil die Spinne wie gelähmt ist. Schnell ein Glas hergeholt oder den Latschen in Position gebracht – und „Zack“ – Vorteil genutzt. Aber wie gesagt, wenn die Körpermaße der Spinne eine gewisse annehmbare Größe noch nicht überschreiten, dann kann man sie ja auch leben lassen. Sie sind ja auch nützlich. Irgendwie. Nech?

Meine Spinne wohnt zumindest jetzt seit .. na sagen wir .. sechs Wochen da im Eck. Manchmal entferne ich vorsichtig ein paar leergesaugte Silberfischchen-Körperhüllen unter dem Netz. Das mache ich mit einer Extrastaubsaugerdüse, damit ich ihr Netz nicht beschädige. Wissen Sie, ich wollte die Spinne ja gar nicht so lange beherbergen, aber seit ich gesehen habe, dass sie mich ja im immer wiederkehrenden Kampf gegen Silberfische tatkräftig unterstützt, ist sie mir schon ein bissel sympathisch geworden. Nein, sie hat noch keinen Namen, ich sagte ja, aus dem Alter bin ich raus. Ich bin da auch ganz ehrlich, mir gegenüber. Wenn die langsam aber sicher zu groß wird, muss sie auch umziehen. Entweder nach draußen oder ins Klo, je nachdem, wie kooperativ sie sich bei der Umsiedlungsaktion anstellt. Aber noch ist sie klein und – siehe da – sie hat schon mindestens drei kapitale Silberfische vertilgt.
Ich bin mir auch fast sicher, dass das eine von der Art Spinnen ist, die meinem ästhetischen Empfinden grade noch so in den Kram passt. Behaarte Winkelspinnen beispielsweise, die finde ich ja nun wirklich unansehnlich. Die werden auch ziemlich schnell ziemlich groß, da bin ich immer geneigt, die schleunigst zu entfernen. Meine Schwägerin, also eher meine Exschwägerin, aber Schwägerschaft wird durch Ehescheidung ja nicht aufgehoben, hab ich mal gehört, die hat sich mal auf so eine Spinne aus Versehen draufgesetzt. Meine Schwägerin, vielmehr Exschwägerin, ist ziemlich groß und hat ein dementsprechendes Hinterteil, hat hinterher wirklich gejault, weil sie von der Spinne gestochen oder gebissen wurde. Durch die Jeans hindurch! Nun, ich mein, ich hätt als Spinne auch noch versucht, mich zu wehren, wenn da plötzlich was großes, lebensbedrohliches auf mich herabsinkt, von daher kann ich den Angriff ja nachvollziehen. Genützt hat der Spinne das allerdings gar nix, weil sie hinterher trotzdem tot war.
Meine Spinne lebt jedenfalls noch. Und noch bin ich auch gewillt, ihr – gastfreundlich wie ich bin – diverse Naschereien in Form von selbst gefangenen Krabbel- und Flugobjekten zukommen zu lassen. Ich will sie ja nicht vergraulen oder ihr ein schlechtes Gefühl vermitteln. Und außerdem möchte ich sie noch ein bissel bei der Stange halten. Stellen sie sich nur vor, sie fängt selbst gar nix mehr, bekommt aber auch keine Alternativnahrung. Das könnte fatal werden, wenn die dann auf die Idee kommt, an einem mir unbekannten Ort in dieser Wohnung erneut ihr Glück zu versuchen. Vielleicht in meinem Schlafzimmer, und ich kriegs nicht mit?!
Wie auch immer, ich schau mal nach ihr. Vielleicht stand ja heut schon ein Silberfischchen auf dem Speiseplan?

© Birgit Seitz
*schreibt man das nicht so?
:-)

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Birgit Seitz).
Der Beitrag wurde von Birgit Seitz auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Birgit Seitz als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Sammelsurium: Geschichten und Gedanken von Klaus Buschendorf



Familiengeschichten erzählt man an der Kaffeetafel, Freundinnen tun es verschwörerisch im Schlafzimmer. Am Biertisch werden philosophische Gedanken gewälzt. Sie sind Beete, auf denen diese 17 Kurzgeschichten der verschiedensten Länge entsprossen sind.

Erfreuen Sie sich an den Blumen, lieber Leser, die so gewachsen sind. Und nun – viel Spaß!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Birgit Seitz

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Ach! von Birgit Seitz (Humor)
Aufsatz vom Karli über verschiedene Tiere von Margit Kvarda (Humor)
MANCHMAL GIBT ES NOCH KLEINE WUNDER von Christine Wolny (Sonstige)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen