Hans Pürstner

Reich ins Heim, Kapitel 1


Mühsam quälte sich der VW-Bus des Roten Kreuzes die steile Auffahrt hinauf zum Haupteingang des Seniorenheims Waldesruh.
Durch den Regen der vergangenen Tage hatte sich das Laub auf der Straße zu einem schleimig-verfaulten Matsch entwickelt. Wieder und wieder drehten die Reifen durch, der Kleinbus drohte gefährlich nahe an den Rand der Böschung zu rutschen. Doch nach vielen vergeblichen Versuchen schaffte es der Fahrer dann doch noch irgendwie, seinen Krankenwagen direkt vor dem Eingangsportal zu parken. Während der zweite Sanitäter ausgestiegen und nach hinten gegangen war, um die Krankentrage aus dem Auto zu holen, kam ein älterer Mann aus dem Haus aufgeregt auf ihn zugelaufen und rief bedauernd
„Sie können gleich wieder nach Haus fahren, bei der gibt’s nichts mehr zu retten. Ich hab gerade die Kripo angerufen, mir scheint dieser Todesfall doch etwas merkwürdig zu sein. Sollen die sich doch den Kopf darüber zerbrechen!“
Der Mann war Doktor Henschel. Jahre lang kam er schon in das Heim, war noch ein Hausarzt alten Kalibers, bei den Bewohnern wie bei den Schwestern war der Arzt gleichermaßen beliebt. Seine Praxisräume waren zwar spartanisch eingerichtet, die Illustrierten vom Lesezirkel hatten ihre besten Zeiten lange hinter sich, ebenso wie die Möbel im Wartezimmer. Dafür nahm er sich aber Zeit für seine Patienten, hörte sich ihre Sorgen ebenso an wie ihre Leiden, deretwegen sie eigentlich zu ihm kamen. Auch war er einer der wenigen noch verbliebenen Ärzte, welche die schlecht vergütete Mühsal von Hausbesuchen noch auf sich nahmen.
„Schon nach kurzer Untersuchung,“ rechtfertigte er weiter seinen Anruf beim Roten Kreuz, „blieb mir nichts anderes übrig, als den Tod der Frau festzustellen. Leider war es schon zu spät, ihren Einsatz wieder abzublasen. Tut mir leid!“ Der Fahrer zuckte gleichgültig mit den Schultern und meinte nur
„Dann unterschreiben Sie mir bitte das Formular hier. Hauptsache, wir kriegen unser Geld!“ Sein Beifahrer schleppte ärgerlich murmelnd die Krankentrage zurück zum Bus und stieg ein. Währenddessen lief die gute alte Oberschwester Herta auf den Hausarzt zu und sagte, immer noch ganz aufgelöst:
„Ich hab sie gefunden, die arme Frau Eibel! Ich hab mir gleich gedacht, dass da was nicht stimmt. Als ich bei der Frau Eibel angeklopft hab, kam keine Reaktion. Sonst wartet sie immer schon auf mich, sie will nämlich immer die Erste sein, die in der Früh versorgt wird. Daraufhin hab ich ein zweites Mal geklopft, diesmal lauter. Als daraufhin immer noch keine Antwort kam, bin ich natürlich sofort hinein. Und da lag sie am Boden, ganz seltsam verrenkt, der Kopf in einer Blutlache.
Um Gottes Willen, Frau Eibel, wie ist denn das passiert?, hab ich sie gefragt.
Aber die arme alte Frau konnte nur noch mühsam stammeln :Der Adolf, frag den Adolf!
Kurz danach drehte sie den Kopf zur Seite und war nicht mehr ansprechbar.“
Mit dem schnurlosen Telefon hab ich dann gleich bei ihnen angerufen. Früher mussten wir zum Telefonieren immer erst ins Schwesternzimmer laufen. Gut, dass sie ihre Privatnummer hinterlassen haben, so brauchte ich nicht gleich den ärztlichen Notdienst alarmieren. Von dort kommt ohnehin meist nur ein mürrischer Arzt, nach endloser Wartezeit. Oft ein jüngerer Facharzt, der mit den ganz speziellen Krankheitsbildern von älteren Menschen erschreckend wenig anfangen kann.“
„Kommen´s, wir gehen hinein und trinken einen Kaffee“, tröstete sie der Doktor und stoppte gleichzeitig ihren Redeschwall. Er nahm Schwester Herta in den Arm und sagte mitfühlend „Sie sind ja noch ganz durcheinander. Dort warten wir auf die Kripo. Die wollen bestimmt noch eine Aussage von uns!“.
„Warum haben Sie denn die Kriminalpolizei angerufen, Herr Doktor? Das war doch bestimmt ein Unfall, oder?
„Zuerst hab ich das ja auch geglaubt“, antwortete er nachdenklich, „aber nachdem ich keine Stelle im Zimmer fand, an der sich Frau Eibel hätte so schwer verletzen hat können, kam mir die Sache doch etwas mysteriös vor. Deshalb hab ich mich entschlossen, lieber die Kripo einzuschalten. Dann kann ja der Polizeiarzt den Totenschein ausstellen, sofern er meine Zweifel an einem natürlichen Tod nicht mit mir teilt“.
Kaum war der Rotkreuzwagen wieder abgefahren, da plagten sich erneut zwei Fahrzeuge die steile Straße hinauf. Ein neutraler Wagen der Grazer Kriminalpolizei sowie ein alter VW-Käfer mit dem Polizeiarzt und dessen Fahrer stoppten am Eingang. Aus dem ersten Wagen stieg ein unglaublich dünner, groß gewachsener Mann aus, dicht gefolgt von seinem etwas korpulenten Kollegen, der Statur nach hätte man die beiden für Dick und Doof halten können. Der Dünne holte zuerst seine Aktentasche vom Rücksitz, während der Polizeiarzt aus dem zweiten Auto ohne Verzögerung das Haus betrat, geführt von Anton, dem Hausburschen des Seniorenheims. Aufgeregt wieselte dieser voran, zeigte dem Arzt den Weg und öffnete schließlich lakaienhaft die Tür zum Zimmer des Opfers.
Der Polizeiarzt begrüßte erst Doktor Henschel und ließ sich von ihm noch mal dessen Erkenntnisse schildern. Danach wies er den Hausdiener höflich, aber bestimmt, zum Zimmer hinaus und machte sich an seine unangenehme Arbeit. Er bemühte sich, die Leiche so zu untersuchen, dass möglichst wenig am Ort des Geschehens verändert würde, erfahrungsgemäß kam der Polizeifotograf erst viel später und machte dann immer einen Riesenwirbel, wenn er den Tatort nicht haargenau im Originalzustand vorfand. Kurz darauf hörte er laute Schritte auf dem Gang und eine ihm altbekannte Stimme, die mürrisch vor sich hin brummelte
„Servus, Doktor!“, begrüßte der Dicke den Arzt ganz vertraulich. Der war immer noch damit beschäftigt, die Leiche zu untersuchen, blickte überrascht hoch und rief, als er Pilz erkannte
„Oh je, der Schwammerl hat heute Journal-Dienst! Na, des wird wieder a lästiger Fall für den Herrn Professor!“ Doktor Wakonig, so hieß der Polizeiarzt, stand ächzend auf und als er den fragenden Blick des ebenfalls im Zimmer befindlichen Wachebeamten bemerkt hatte, erklärte er ihm geduldig, wie er auf diesen merkwürdigen Namen gekommen war.
„Wissen sie, Herr Kollege, den Namen Schwammerl haben ihm seine Kollegen damals im Wachzimmer Keplerstrasse gegeben, in Anspielung an seinen Namen Pilz. Ich glaub, jetzt muss er sich schon langsam eingestehen, dass er seinem Spitznamen immer ähnlicher schaut.
„Du brauchst mich gar net häkerln , Doktor, ich bin nicht lästig, sondern ich möchte halt nur einen ordentlichen Obduktionsbericht, ansonsten kann ich meine Arbeit nicht machen“ antwortete Pilz zugleich amüsiert wie auch ein bisschen eingeschnappt.
„Is schon gut, Schwammerl, ich weiß eh, wie du das meinst“, schränkte der Doktor ein und fuhr damit fort, den leicht ratlosen Revierbeamten über Pilz aufzuklären.
„Wenn der Schwammerl sich erst einmal in einen neuen Fall verbissen hat, dann will er jede Kleinigkeit mit aller Konsequenz geklärt haben . Das bedeutet halt für den Doktor Bruckner immer jede Menge Überstunden, bis sein gerichtsmedizinisches Gutachten über die Leiche auch die letzten Zweifel beseitigt hat.“
„Das hast du aber wieder schön gesagt, Doktor, dann kannst du mir auch sicher schon Näheres über die Todesursache erzählen, oder?“ kam Pilz schnell wieder zum Thema.
Der Polizeiarzt kratzte sich am Kopf und murmelte
„Es schaut zwar so aus, als ob die alte Dame gestürzt und dabei mit der Stirn auf eine Tischplatte oder ähnliches gestoßen sei. Aber merkwürdigerweise sind nicht die geringsten Spuren zu finden, um sagen zu können, wo sie sich die schwere Verletzung zugezogen haben könnte,“ meinte der Arzt, war aber anscheinend noch nicht so ganz überzeugt von seiner eigenen Diagnose. Pilz sah sich noch rasch im Zimmer um und meinte dann resignierend
„Na ja, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als ein paar Kollegen von der Abteilung für Spurensicherung beizuziehen. Ich werde sie gleich anrufen.“
Dem mittlerweile eingetroffenen Beamten der nächstgelegenen Wachstube schärfte er ein, nur ja darauf aufzupassen, dass niemand irgendetwas in dem Zimmer berühren oder gar verändern würde. Dann wandte er sich an seinen Assistenten, Bezirksinspektor Vasic
„Mirko, mach du doch noch die Einvernahmen der Zeugen, zuerst sprich mal mit dem Hausarzt und der Schwester. Die warten schon ganz ungeduldig vor der Tür, ich fahr jetzt zuerst einmal in die Direktion zum Herrn Hofrat. Ich werde ihm berichten und dann soll er entscheiden, ob Ermittlungen in einem Mordfall aufgenommen werden, oder ob wir das Ganze als Unglücksfall mit ungeklärter Ursache zu den Akten legen.“
Mit diesen Worten packte Pilz seine alte Aktentasche unter den Arm und wollte gehen.
„Und wie soll ich nach Hause kommen, wenn du unseren Dienstwagen nimmst?“ fragte ihn Vasic völlig entgeistert.
„Ein bisschen Gehen hat noch niemandem geschadet, die Straßenbahnhaltestelle ist eh nur 5 Minuten entfernt von hier,“ meinte der Oberinspektor und grinste spöttisch.
„Dir würde es noch viel weniger schaden!“, antwortete sein Kollege bissig, mit deutlicher Anspielung auf seine wohlgenährte Figur. Pilz grinste nur, ließ sich aber nicht im geringsten von seinem Vorhaben abbringen und ging nach draußen. Etwas mürrisch ob der Aussicht, den Heimweg zu Fuß, beziehungsweise per Straßenbahn antreten zu müssen, wandte sich Vasic wieder der Arbeit des Polizeiarztes zu.
Vor der Tür begrüßte derweilen Pilz die beiden unmittelbaren Zeugen der Geschehnisse und meinte entschuldigend
„Ich muß leider gleich weg, aber mein Kollege, BezirksInspektor Vasic wird sich gleich um Sie kümmern. Für mich, Herr Doktor, schaut das doch ganz nach einem bedauerlichen Unfall aus. Na, ja, falls doch nicht, wird das ja die weitere Untersuchung ergeben.“ Der Hausarzt schaute ein wenig konsterniert drein und raunte Oberschwester Herta zu
„Typisch Beamte, die reißen sich nicht grad um eine neue Arbeit!“
Inzwischen war Vasic aus dem Zimmer gekommen und trat auf die beiden zu.
„Grüß Gott, Herr Doktor, vielen Dank, dass Sie so lange gewartet haben.
Die Oberschwester, die während ihres Nachtdienstes das Verbrechen, wenn es denn eines war, entdeckt hatte, wurde sein nächstes Opfer. Er stellte sich vor, zeigte brav seinen Dienstausweis vor und fragte sie mit gezücktem Bleistift und Notizblock
„Nennen Sie mir bitte noch ihren Nachnamen, Schwester Herta?“
„Kien, Herta Kien ist mein Name. Ich wohne in der Rechbauerstrasse 21“, antwortete sie bereitwillig.
„Ihre Aussage, unter welchen Umständen Sie die Frau Eibel gefunden haben, hat ja der Kollege schon aufgenommen, aber können sie sich denn erklären, warum die alte Dame den Namen Adolf erwähnt hat, in ihrem Todeskampf?“
„Also, der Adolf, der heißt in Wirklichkeit Hermann Waller“ antwortete sie, „der wohnt schon ein paar Jahre in unserem Heim. Er soll früher bei der SS gewesen sein, ein ziemlich hohes Tier. Mit seine politischen Ansichten hält er nicht über den Berg. Wann immer die Bewohner sich über Politik unterhalten, schimpft Herr Waller: Das hätte es beim Adolf nicht gegeben!
Deshalb heißt Herr Waller hier bei allen nur Adolf.“
„Das ist ja höchst interessant, Hermann Waller heißt er also.“ Die Nennung des Namens hatte Mirko Vasic hellhörig gemacht.
„Ich erinnere mich noch allzu gut an den Fall vor knapp zehn Jahren, als auf den britischen Diplomingenieur Albert Worthington ein Anschlag verübt worden war. Waller zählte zu den Hauptverdächtigen. Doch der Fall wurde kurz vor Abschluss auf höhere Weisung eingestellt. Mein Kollege Pilz war darüber ungemein wütend gewesen, seiner Meinung war die Einstellung der Ermittlungen ein Zusammenspiel alter Seilschaften aus der NS-Zeit.“
„Aber das tut jetzt nichts zur Sache“, setzte er die Befragung fort
“Hatten die Beiden denn Streit in letzter Zeit, oder können Sie sich irgendeinen anderen Grund vorstellen, warum Herr Waller Frau Eibel tödlich verletzt haben sollte?“
„Ganz im Gegenteil, Herr Bezirksinspektor, die zwei waren doch ein Herz und eine Seele. Adolf war im Krieg in Dresden stationiert, Frau Eibel stammt aus Hamburg. Sie war während des Krieges Kindermädchen in Graz und ist danach hier geblieben. Ihren norddeutschen Akzent hat sie aber nie verloren. Das hat ihm wohl gefallen. Er selbst hat sich immer wegen seines steirischen Dialekts geschämt und möchte am liebsten immer nur hochdeutsch sprechen. Aber auch bei ihm kommt ab und zu doch "der Bauer noch durch", wie man bei uns sagt. Die Beiden waren ja direkt verliebt in einander. Wenn er über die Ausländer hergezogen ist hat sie ihm immer beigepflichtet. Besonders ein Neger war für die Zwei der reine Gottseibeiuns .“
Bei dem Wort verliebt schaute die Schwester ihm direkt in die Augen, irgendetwas an ihrem Blick gab Vasic das Gefühl, dass er Eindruck auf sie gemacht hatte. Teils stolz, teils verlegen machte er sich daran, das Verhör fortzusetzen. Auch ihn faszinierte die schon etwas verwelkte, aber durchaus noch erkennbare Schönheit von Herta Kien. Insgeheim nahm sich vor, diese Unterhaltung bei Gelegenheit auf etwas intimere Art fortzusetzen, aber jetzt musste er sich zuerst einmal an seine Arbeit machen.
Gemeinsam gingen sie in das Zimmer von Herrn Waller. Sie klopften höflich, und auf seine Aufforderung, einzutreten, betraten sie den Raum. Es roch ziemlich muffig in dem kleinen Raum, wie die meisten alten Leute war er wohl etwas kälteempfindlich und hielt deshalb wenig vom Lüften. Waller lag noch im Bett, war aber schon hellwach. Sein Haar war zerzaust, die Ränder um seine Augen zeigten, dass er offensichtlich schlecht geschlafen haben musste.
„Guten Morgen, Herr Waller, ich habe ihnen Besuch mitgebracht!“, begrüßte ihn Schwester Herta und gab ihm förmlich die Hand, nicht ohne ihm mit der anderen Hand beruhigend über die Schulter zu streichen. Dann ließ sie den Beamten nach vorne, damit dieser sich vorstellen konnte. Als er Waller sah, erkannte er ihn sofort wieder, obwohl der Mann in den zehn Jahren doch ganz schön abgebaut hatte.
„Guten Tag, Mein Name ist Mirko Vasic, ich bin Bezirksinspektor bei der Kriminalpolizei. Wie mir scheint, kennen wir uns ja schon! Das hätte ich nicht gedacht, dass wir uns noch mal wieder sehen würden, und dann auch noch dienstlich! Wie ich hörte, Herr Waller, standen sie Frau Eibel sehr nahe.“
„Wieso sagen sie standen, ist etwas mit ihr, ist sie etwa gestorben?“
Seine erschrockene Stimme wirkte echt, seine Bestürzung nicht gespielt. Hermann Waller stieg rasch aus seinem Bett und zog hektisch einen schon etwas zerschlissenen Bademantel über.
„Nun sagen sie schon, was ist mit Frau Eibel?“ fragte er aufgeregt.
Vasic legte ihm mitfühlend seine rechte Hand auf die Schulter und sagte:
„Es tut mir Leid, ihnen das mitteilen zu müssen, aber Frau Eibel ist heute Nacht in ihrem Zimmer gestürzt und hat sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen.“
Gespannt beobachtete er die Reaktion in Wallers Gesicht.
Der zuckte bei dem Wort tödlich ganz erschrocken zusammen, sein Gesicht wurde aschfahl und entsetzt stammelte er
„Das glaube ich einfach nicht. Erna, ich meine Frau Eibel war trotz ihres Alters von 87 Jahren noch sehr rüstig. Sie achtete stets darauf, dass keine Hindernisse auf ihrem Weg lagen, zur Sicherheit hielt sie sich meist irgendwo fest, wann immer die Situation dies erforderte.
Sind Sie denn sicher, dass es ein Unglücksfall war, Herr Bezirksinspektor?“
Vasic wunderte sich ein bisschen über die gewählte Ausdrucksweise des alten Herrn war aber geneigt, dem alten Herrn die tiefe Betroffenheit abzunehmen. Trotzdem blieben da ja noch die letzten Worte der Toten. Frag den Adolf!
„Wir haben ernsthafte Zweifel daran, dass sie ohne Fremdeinwirkung gestorben ist, Herr Waller. Wie wir gehört haben, hatten Sie ein sehr enges Verhältnis zu der Dame. Gab es denn in letzter Zeit irgendetwas, was dieses Verhältnis getrübt haben könnte?“ Vasic schaute ihm geradeaus in die Augen, um auch noch das leiseste Flackern von Unsicherheit darin erkennen zu können, aber Waller antwortete empört:
„Wollen Sie damit andeuten, dass ich Frau Eibel getötet, oder auf irgendeine andere Weise mit diesem Unglück zu tun hätte? Das ist ja ungeheuerlich, was man sich heutzutage gefallen lassen muss. Früher hätte es so was nicht gegeben, da hatte man noch Respekt vor dem Alter!“
Beruhigend sprach Vasic auf ihn ein:
„Nun regen Sie sich nicht gleich auf, Herr Waller, wir glauben erst mal nichts, sondern versuchen, Indizien für die Tat zu finden, ohne Ansehen der Person. Frau Eibel hat nun mal Sie erwähnt, in ihren letzten Worten, bevor sie starb. Da müssen wir eben klären, wie sie dazu kam, so was zu sagen.“
Waller war alles andere als zufrieden gestellt mit dieser Antwort, zumal er dadurch ja nun erstmals von diesen ominösen letzten Worten erfuhr, die man wohl durchaus auch als Beschuldigung verstehen konnte und entgegnete dem Beamten
„Ich habe Erna Eibel zuletzt gestern beim Abendessen gesehen, danach wollte sie sich etwas früher auf ihr Zimmer zurückziehen. Sie erzählte etwas von Migräne oder so.“
Er zitterte immer noch am ganzen Körper, konnte sich kaum beruhigen.
Vasic nahm ihm die Erregung ab, das konnte wohl kaum gespielt sein. Beim Blick durch das Zimmerfenster fiel ihm auf, dass der Polizeiarzt gerade im Begriff war, wegzufahren. Schnell verabschiedete er sich von Herrn Waller und der Schwester, eilig bemüht, den rettenden Streifenwagen zu erwischen, um sich den ungeliebten Fußmarsch zur Straßenbahnhaltestelle doch noch zu ersparen. Aber zu spät, gerade als er zum Eingang gelaufen kam, sah er nur noch den qualmen den Auspuff des alten VW-Käfers. Der Doktor, der das im Rückspiegel sehr wohl bemerkt hatte, machte aber dennoch keine Anstalten, den Fahrer anzuweisen um noch einmal umzudrehen. Schadenfroh grinsend meinte er zu seinem Fahrer gewandt
„Soll er ruhig mal zu Fuß gehen, der Vasic, das ist nur gesund!“
Kurz bevor sich der Inspektor nun wohl oder übel auf den Weg machen wollte, kam ein Kastenwagen der Polizei auf ihn zu, es waren die Kollegen der Spurensicherung. Vasic begrüßte sie und führte sie zum Zimmer von Frau Eibel.
„Das trifft sich ja hervorragend, Burschen“, sagte er erleichtert zum Diplomingenieur Brunner, dem Laborleiter, der mitgekommen war, „dann kann ich ja nachher mit euch zurück ins Präsidium fahren!“
Doch der Kollege antwortete mit kaum verhülltem Spott
„Ich fürchte, daraus wird´s nix werden, wir müssen gleich noch zu einem anderen Tatort, sobald wir hier fertig sind“. Auch ihm war nicht entgangen, wie sehnsüchtig Vasic dem Auto des Polizeiarztes hinterher geschaut hatte.
„Dann bleib ich halt noch hier“, antwortete Vasic trotzig und ging zurück ins Heim. „Vielleicht holt mich der Schwammerl doch noch ab. In der Zwischenzeit geh ich wenigstens ordentlich frühstücken. Hoffentlich gibt’s einen anständigen Kaffee im Altersheim!“

die Geschichte spielt in Graz, Österreich, deshalb sind wohl einige Formulierungen etwas schwer verständlich, speziell für Norddeutsche. Sorry!
Zum Titel: Vor dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland kursierte die Losung: "Heim ins Reich!". So entstand das Wortspiel "Reich ins Heim-(arm ins Grab)"
Hans Pürstner, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans Pürstner).
Der Beitrag wurde von Hans Pürstner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Hans Pürstner als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

In der Stille von Flora von Bistram



Viele sanft anmutende Geschichten und Gedichte sowie Gedankengänge von der Autorin Flora von Bistram, die dieses schöne Buch für die Besinnung geschrieben hat.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Krimi" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans Pürstner

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Indianer mit Schlag von Hans Pürstner (Kindheit)
Das Verhör von Klaus-D. Heid (Krimi)
Glück macht reich von Karin Ernst (Leben mit Kindern)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen