Gaby Schumacher

Weißgelb und das Leben

...
Ich liebte und liebe die Menschen, die Tiere und alles, was lebt. Heute zähle ich nicht mehr zu den Jüngsten, auch nicht mehr zu den Jungen, sondern bin in der zweiten Hälfte meines Lebens angelangt. In der Hälfte, in der man zurückschaut, überdenkt und vorausschaut und noch intensiver nachdenkt.

Ich lebe am Rande Düsseldorfs, habe also die Möglichkeit, mich sowohl ins hektische Stadtleben zu stürzen als ihm aber auch kurzerhand den Rücken zu kehren, um mich in der Ruhe der Natur dessen zu besinnen, dem im alltäglichen Stress kaum mehr Bedeutung zugesprochen wird..

Meine Seele krankt daran. Sie braucht die friedlichen Wälder, den weiten Blick über wild blühende Wiesen und  üppige Felder, deren Blumen und Ähren im leisen Winde tanzen und sich nach seinem Rhythmus wiegen. Sie sehnt sich nach sich kringelnden Wellen und  schäumenden Wogen, den im Sonnenlicht glitzernden Diamanten der Bäche, Flüsse, Seen und besonders der Meere, die sich am Horizont mit dem Himmel vereinen, schier endlos zu sein scheinen.

Dann öffnet sich mein Herz ganz weit. Mich erfüllt ein unbeschreibliches Glücksgefühl, das mich bereitet für einen innigen Dialog mit der mich umgebenden Natur. Je älter ich werde, umso mehr brauche ich diese innige Verbindung  zu ihr, diese Stunden der Stille. 

Schon in meinem eigenen Garten fängt mich diese Verzauberung ein, lässt mich alles andere vergessen, nur noch geniessen und in mich hineinhorchen. Ich betrachte das sich keck am hohen Zaun entlang windende Efeu, bestaune jedes einzelne Blatt in seiner maserierten Schönheit. Manchmal berühre ich eines von ihnen zärtlich mit der Hand, spüre, welch ein kleines Wunder da wächst.

Ich schaue zu der hohen Tanne in der hintersten Ecke meines Grundstückes, freue mich an dem satten Grün ihrer weit ausladenden Zweige. Sie dient den unterschiedlichsten Vogelarten als Wohnung - ein Wolkenkratzer für geflügelte Mieter.

Das Weidenkätzchen von vor 12 Jahren, dass damals meine Älteste auf einer Wildwiese ausgrub und dann voller Stolz in unseren Garten pflanzte, ist zu einem riesigen Baum herangewachsen, dessen im dichten Laub stehenden, weit ausladenden Äste in heißen Sommermonaten Kühlung und Schatten spenden.

Mein Blick streift das Grün zu meinen Füssen, vor nunmehr fast 27 Jahren zur Spielwiese für Kinder und Tiere erklärt. Plötzlich wandert mein Auge nicht weiter auf seiner Runde, sondern bleibt an einem grazilen, kerzengerade gewachsenen Gänseblümchen haften.

Gänseblumen sind meine erklärten Lieblingsblumen. Sie bedeuten mir mehr als alle hoch gezüchteten Rosen, Lilien oder auch Orchideen. Ich weiss nicht recht zu sagen, was mich an ihnen so sehr fasziniert. Oder vielleicht doch: Es sind in ihrer Zierlichkeit äusserst niedliche Pflanzen. Ich kann stundenlang vor einem solchen Winzling stehen und es bestaunen. Sein Kleid erinner mich an die sonne hoch über mir, unsere Lebensspenderin.. Ein wenig von deren Gelb hat es sich mittig behalten, aber seine ovalen, dicht stehenden Blütenblätter mit strahlendem Weiß geschmückt.

Meine Gedanken verselbständigen sich. Ich lasse es mit wachsender Freude zu,  dass sie ins Reich der Fantasie fliegen.werden  Es tut meiner Seele gut. Die kleine Pflanze da vor mir wird für mich zum Symbol natürlicher Schönheit im Leben.

Ich kann nicht anders. Ich muss meinen Gefühlen Ausdruck verleihen. So richte ich das Wort an sie.
"Wir Menschen denken oft, es gäbe nichts Wichtigeres als die Errungenschaften der modernen Forschung. Wir hetzen nach den Sternen, immer weiter und weiter und sehen uns mehr und mehr als Herren über die Welt. Doch dabei  finden wir keinen inneren Frieden. Ich beneide Dich. Dir ist jegliche Unrast fremd."
Hörte ich da richtig oder täuschten mich meine Sinne, weil ich mir so sehr eine Antwort wünschte? Nein, ich träumte nicht. Die kleine Blume hatte sich mir zugeneigt. Seine Blütenkranz wurde von der gleißenden Mittagssonne vergoldet. Das Gänseblümchen strahlte mir als Mini-Sonne entgegen.
"Du gehst nicht achtlos an mir vorüber, sondern bewunderst mich und beneidest mich dafür, dass ich frei von all dem hier meim kleines Leben lebe, was euch Menschen zu Marionetten eures selbstgewählten Strebens hat werden lassen. Der Preis, den ihr zahlt, ist hoch. Viele erkennen nicht mehr die Schönheit der Natur, sehen nicht mehr, von welchen Kleinoden sie überall umgeben sind, sei es ein solch bescheidene Blume wie mich oder auch ein winziger schwankender Grashalm. Ich freue mich über jeden Menschen, der all dies schätzt und es nicht etwa gleichgültig zertritt.
Du  hast mich liebevoll in deinem Garten begrüsst. Ich danke dir dafür. Betrachte mich und denke daran, dass du imselben Maße wie ich ein Teil dieser wunderbaren Natur bist. Ich will strahlen, damit du glücklich bist. Das ist mein einziges Ziel."
Sprach`s, nickte noch einmal mit dem Köpfchen und stand dann da still wie vordem.

Ich sann über seine Worte nach. Dieses Gänseblümchen wollte mich glücklich sehen.. Ich kniete mich zu ihm und betrachtete es noch lange, sog sein Leuchten in mich hinein. Es war mir mit Zartheit und Zuneigung begegnet.
Ich war(!) glücklich!!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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