Die Arbeit war seit ihrem Eintritt nur noch ein einziger Kampf gegen ihre
Hinterlist und Gemeinheit. Sachlich war an Rebekka nicht heran zu kommen. Wenn
wir ihre Unterstellungen als falsch bewiesen, appellierte sie an unser Gewissen:
Sie jammerte uns dann mit weinerlicher Stimme die entsetzlichen Dinge vor, die
ihrer Familie im Dritten Reich wiederfahren war und dass wir alten Nazis nichts
weiter im Sinn hätten, als ihr da sie Jüdin sei, Missachtung und Feindschaft
entgegen zu bringen. Dies verfehlte nie seine Wirkung, sie wurde getröstet und
die meisten Kollegen schlichen mit Schuldgefühlen an ihren Arbeitsplatz zurück.
Aber das schlimmste, das wirklich schlimmste an ihrem Verhalten
war, dass sie uns unsere Schokolade wegaß. Sie fragte nicht, ob sie ein Stück
haben könnte, nein, wo immer Rebekka an einem Schreibtisch vorbeikam, auf dem
Schokolade lag, nahm sie diese weg und aß sie grinsend vor den Augen der
Kolleginnen auf.
Die erste Zeit waren wir sprachlos vor so viel
Unverschämtheit und haben nicht weiter reagiert.
Rieke und mir war unsere Schokolade heilig, man konnte uns
viel antun, aber das ging entschieden zu weit.
Rieke sah diesem Verhalten ein paar Tage zu, dann war es ihr
genug. Als Rebekka wieder einmal nach ihrer Schokolade griff, sprang Rieke auf
und schnauzte Rebekka an, dass ihr Verhalten unverschämt sei und sie solle die
Finger von unserer Schokolade lassen.
Rebekka grinste kühl zurück und erkläre Rieke, dass sie
machen könne, was sie wolle, was rumliegt könne sie sich nehmen und vor allem,
wir seien ja sowieso alle zu fett und sie würde uns nur davor bewahren, noch
fetter zu werden. Dann biss sie demonstrativ in Rieke’s Schokolade und ging
weiter.
Rieke war sprachlos, so hatte ich sie noch nie erlebt.
Von nun an legten wir unsere Schokolade in die Schubladen.
Auch dies war vergebens.
Rebekka kam vorbei, sah auf unsere Schreibtische und sagte
grinsend: „Na, habt ihr die Schokolade in die Schubladen gelegt? Ihr wollt wohl
nichts mit Juden teilen. Das nützt euch aber nichts, ihr seid ja nicht immer am
Platz.“
Und wirklich, die Schokolade verschwand auch aus unseren
Schubladen, also legten wir sie wieder auf den Schreibtisch. Von wo sie uns
weggegessen wurde war letztendlich egal.
Rieke erschien mir so befremdlich ruhig, etwas passte hier
nicht, sollte sie wirklich klein beigeben? Ich konnte es mir nicht vorstellen.
Dann, eines Morgens, packte Rieke eine Tafel Schokolade ganz
behutsam geradezu liebevoll aus der Verpackung aus. Das äußere Einpackpapier
legte sie in ihre Handtasche zurück. Von der Schokolade, die nun auf der
Alufolie lag, brach sie eine Ecke ab, die auch in ihrer Handtasche verschwand. Dann
legte sie einen Zettel auf die Schokolade, auf dem etwas stand, das ich aus der
Entfernung nicht lesen konnte. Ihr Blick hatte etwas heimtückisch Lauerndes.
„Ich gehe mal in die Produktion“, sagte sie zu mir, „es kann
etwas länger dauern.“
Rieke war noch nicht allzu lange weg, als Rebekka an ihrem
Schreibtisch vorbeikam, kurz stehen blieb, als sie die Schokolade sah. Dann
nahm sie den Zettel und die Schokolade in die Hand. „Was soll das denn?“
äußerte sie, „bitte nicht essen!“. Rebekka biss ein Stück der Tafel Schokolade ab.
Sie grinste zu mir herüber mit den Worten: „Na, habt ihr es aufgegeben, die
Schokolade zu verstecken und versucht es jetzt mit Zetteln?“ Den Zettel legte
sie voller Hohn und Schadenfreude auf Riekes Schreibtisch zurück.
Sie biss ein zweites Mal in die Schokolade und meinte: „Die
schmeckt heute aber herb, bringt bitte in Zukunft etwas besseres für mich mit.“
Dann ging sie weiter.
Rieke kam zurück an ihren Arbeitsplatz und reagierte nicht
auf die verschwundene Schokolade. Aber dieses Schelmische, was jetzt auf Ihrem
Gesichtsausdruck lag, ließ mich ahnen, dass sie etwas im Schilde führte. So
etwas wie Vorfreude war zu erkennen. Den einsamen Zettel auf ihrem Schreibtisch
ignorierte sie.
Dann, einige Zeit später, eilte Rebekka stöhnend mit
kalkweißem Gesicht an uns vorbei Richtung Toilette. Sie kam und kam nicht mehr
zurück. Wir hörten nur in kurzen Abständen lautes Gestöhne und schmerzvolle
Schreie aus Richtung Damentoilette. Dann ein Geräusch, als würde etwas umfallen
und erst an die Wand und dann auf den Boden knallen.
Zwei Kolleginnen drangen in die Toilette ein, ein übler
Gestank verbreitete sich nach der Öffnung der Tür auf dem Flur, auf dem sich
die neugierigen Kollegen versammelt hatten: „Ruft einen Krankenwagen, Rebekka
liegt ohnmächtig auf dem Boden!“
Der Krankenwagen war schnell zur Stelle und Rebekka wurde
ins Krankenhaus gefahren.
An Arbeit war an diesem Tag nicht mehr zu denken. Der
Vorgang wurde quer durch die Firma zum Gesprächsthema Nummer eins.
Am späten Nachmittag kam dann die Polizei vorbei. Rebekka
hatte eine Anzeige gemacht, dass wir – speziell Rieke – ihr vergiftete
Schokolade gegeben haben.
Rieke glänzte mit ihren schauspielerischen Talenten. Sie
sagte entsetzt mit einem Blick auf ihren Schreibtisch: „Um Gottes Willen, meine
Abführschokolade ist weg, sie wird doch nichts davon gegessen haben. Ich hatte
vorsorglich einen Zettel draufgelegt mit „Bitte nicht essen.“ Sie hob den
Zettel hoch und übergab diesen der Polizei. Sie war so besorgt um die liebe
Rebekka und erklärte: „Da genügt für eine starke Wirkung schon ein Riegel, sie
wird doch nicht alles auf einmal gegessen haben. Eine Überdosis wirkt wie Wehen
beim Kinderkriegen!“
Ich konnte bezeugen, dass der Zettel auf der Schokolade lag.
Alle Kolleginnen stimmten zu, dass Rebekka alles aß, was irgendwo rumlag.
Rieke konnte auch erklären, wieso sie Schokolade mit
abführender Wirkung auf dem Schreibtisch hatte: „Ich leide an Verstopfung, weil
ich so viele Süßigkeiten esse, sehen Sie mal, wie mollig ich bin.“
Die Polizisten machten ein paar Notizen, bedankten sich und
gingen.
„Siehste“, sagte Rieke abends auf unserem gemeinsamen
Heimweg, „Rache ist wirklich süß.“
Rebekka hat dann gekündigt und ist nicht wieder zur Arbeit
gekommen. Aber das war kein wirklicher Verlust.