Susanne Wetzel

Rache ist süß

Frühjahr 1973. Ich lebte seit einem halben Jahr in Berlin und genoss in vollen Zügen das Leben in der Großstadt, in der nichts unmöglich oder exotisch war. Die Berliner erwiesen sich als offen und tolerant. Zur Arbeit ging ich nur, um das nötige Geld für mein Freizeitleben zu verdienen.  
 
Mein Arbeitsplatz gab auch nicht mehr her. Die Arbeit bestand aus langweiligem Verwaltungskram, das einzige Highlight war meine Kollegin Rieke Prothmann, die typische Berliner Eingeborene, die immer für eine Überraschung gut war. Niemand war Ihrer Schnauze gewachsen.  
 
Sogar unser Geschäftsführer  hatte Angstschweiß auf der Stirn, wenn er mit Rieke sprach und war so unterwürfig klein, dass er unter einem Türschlitz aufrecht durchgehen konnte.  

Rieke war die unangefochtene Herrin der Firma, bis zu jenem 1. April 1973 eine neue Mitarbeiterin mit Namen Rebekka eingestellt wurde.   Rebekka war eine Frau von unbestimmbaren Alter, rappelig dürr mit krausen langen schwarzen Haaren. Sie war die personifizierte Arroganz und Gemeinheit. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, sie hat das Mobbing geradezu erfunden, aber dieses Wort gab es 1973 noch nicht.  
 
Die Arbeit war seit ihrem Eintritt  nur noch ein einziger Kampf gegen ihre Hinterlist und Gemeinheit. Sachlich war an Rebekka nicht heran zu kommen. Wenn wir ihre Unterstellungen als falsch bewiesen, appellierte sie an unser Gewissen: Sie jammerte uns dann mit weinerlicher Stimme die entsetzlichen Dinge vor, die ihrer Familie im Dritten Reich wiederfahren war und dass wir alten Nazis nichts weiter im Sinn hätten, als ihr da sie Jüdin sei, Missachtung und Feindschaft entgegen zu bringen. Dies verfehlte nie seine Wirkung, sie wurde getröstet und die meisten Kollegen schlichen mit Schuldgefühlen an ihren Arbeitsplatz zurück.  
 
Aber das schlimmste, das wirklich schlimmste an ihrem Verhalten war, dass sie uns unsere Schokolade wegaß. Sie fragte nicht, ob sie ein Stück haben könnte, nein, wo immer Rebekka an einem Schreibtisch vorbeikam, auf dem Schokolade lag, nahm sie diese weg und aß sie grinsend vor den Augen der Kolleginnen auf.  
 
Die erste Zeit waren wir sprachlos vor so viel Unverschämtheit und haben nicht weiter reagiert.   Rieke und mir war unsere Schokolade heilig, man konnte uns viel antun, aber das ging entschieden zu weit.   Rieke sah diesem Verhalten ein paar Tage zu, dann war es ihr genug. Als Rebekka wieder einmal nach ihrer Schokolade griff, sprang Rieke auf und schnauzte Rebekka an, dass ihr Verhalten unverschämt sei und sie solle die Finger von unserer Schokolade lassen.  
 
Rebekka grinste kühl zurück und erkläre Rieke, dass sie machen könne, was sie wolle, was rumliegt könne sie sich nehmen und vor allem, wir seien ja sowieso alle zu fett und sie würde uns nur davor bewahren, noch fetter zu werden. Dann biss sie demonstrativ in Rieke’s Schokolade und ging weiter.  
 
Rieke war sprachlos, so hatte ich sie noch nie erlebt.  
 
Von nun an legten wir unsere Schokolade in die Schubladen. Auch dies war vergebens. Rebekka kam vorbei, sah auf unsere Schreibtische und sagte grinsend: „Na, habt ihr die Schokolade in die Schubladen gelegt? Ihr wollt wohl nichts mit Juden teilen. Das nützt euch aber nichts, ihr seid ja nicht immer am Platz.“   Und wirklich, die Schokolade verschwand auch aus unseren Schubladen, also legten wir sie wieder auf den Schreibtisch. Von wo sie uns weggegessen wurde war letztendlich egal.   Rieke erschien mir so befremdlich ruhig, etwas passte hier nicht, sollte sie wirklich klein beigeben? Ich konnte es mir nicht vorstellen.  
 
Dann, eines Morgens, packte Rieke eine Tafel Schokolade ganz behutsam geradezu liebevoll aus der Verpackung aus. Das äußere Einpackpapier legte sie in ihre Handtasche zurück. Von der Schokolade, die nun auf der Alufolie lag, brach sie eine Ecke ab, die auch in ihrer Handtasche verschwand. Dann legte sie einen Zettel auf die Schokolade, auf dem etwas stand, das ich aus der Entfernung nicht lesen konnte. Ihr Blick hatte etwas heimtückisch Lauerndes.   „Ich gehe mal in die Produktion“, sagte sie zu mir, „es kann etwas länger dauern.“
 
Rieke war noch nicht allzu lange weg, als Rebekka an ihrem Schreibtisch vorbeikam, kurz stehen blieb, als sie die Schokolade sah. Dann nahm sie den Zettel und die Schokolade in die Hand. „Was soll das denn?“ äußerte sie, „bitte nicht essen!“. Rebekka biss ein Stück der Tafel Schokolade ab. Sie grinste zu mir herüber mit den Worten: „Na, habt ihr es aufgegeben, die Schokolade zu verstecken und versucht es jetzt mit Zetteln?“ Den Zettel legte sie voller Hohn und Schadenfreude auf Riekes Schreibtisch zurück.   Sie biss ein zweites Mal in die Schokolade und meinte: „Die schmeckt heute aber herb, bringt bitte in Zukunft etwas besseres für mich mit.“ Dann ging sie weiter.  
 
Rieke kam zurück an ihren Arbeitsplatz und reagierte nicht auf die verschwundene Schokolade. Aber dieses Schelmische, was jetzt auf Ihrem Gesichtsausdruck lag, ließ mich ahnen, dass sie etwas im Schilde führte. So etwas wie Vorfreude war zu erkennen. Den einsamen Zettel auf ihrem Schreibtisch ignorierte sie.   Dann, einige Zeit später, eilte Rebekka stöhnend mit kalkweißem Gesicht an uns vorbei Richtung Toilette. Sie kam und kam nicht mehr zurück. Wir hörten nur in kurzen Abständen lautes Gestöhne und schmerzvolle Schreie aus Richtung Damentoilette. Dann ein Geräusch, als würde etwas umfallen und erst an die Wand und dann auf den Boden knallen.   Zwei Kolleginnen drangen in die Toilette ein, ein übler Gestank verbreitete sich nach der Öffnung der Tür auf dem Flur, auf dem sich die neugierigen Kollegen versammelt hatten: „Ruft einen Krankenwagen, Rebekka liegt ohnmächtig auf dem Boden!“
 
Der Krankenwagen war schnell zur Stelle und Rebekka wurde ins Krankenhaus gefahren.   An Arbeit war an diesem Tag nicht mehr zu denken. Der Vorgang wurde quer durch die Firma zum Gesprächsthema Nummer eins.   Am späten Nachmittag kam dann die Polizei vorbei. Rebekka hatte eine Anzeige gemacht, dass wir – speziell Rieke – ihr vergiftete Schokolade gegeben haben.   Rieke glänzte mit ihren schauspielerischen Talenten. Sie sagte entsetzt mit einem Blick auf ihren Schreibtisch: „Um Gottes Willen, meine Abführschokolade ist weg, sie wird doch nichts davon gegessen haben. Ich hatte vorsorglich einen Zettel draufgelegt mit „Bitte nicht essen.“ Sie hob den Zettel hoch und übergab diesen der Polizei. Sie war so besorgt um die liebe Rebekka und erklärte: „Da genügt für eine starke Wirkung schon ein Riegel, sie wird doch nicht alles auf einmal gegessen haben. Eine Überdosis wirkt wie Wehen beim Kinderkriegen!“
 
Ich konnte bezeugen, dass der Zettel auf der Schokolade lag. Alle Kolleginnen stimmten zu, dass Rebekka alles aß, was irgendwo rumlag.   Rieke konnte auch erklären, wieso sie Schokolade mit abführender Wirkung auf dem Schreibtisch hatte: „Ich leide an Verstopfung, weil ich so viele Süßigkeiten esse, sehen Sie mal, wie mollig ich bin.“   Die Polizisten machten ein paar Notizen, bedankten sich und gingen.
 
„Siehste“, sagte Rieke abends auf unserem gemeinsamen Heimweg, „Rache ist wirklich süß.“   Rebekka hat dann gekündigt und ist nicht wieder zur Arbeit gekommen. Aber das war kein wirklicher Verlust.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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