Günter Kienzle

Die größte Reise unseres Lebens (Kapitel 13)

Inhaltsangabe: Lernen Sie den achtzehnjährigen Alexander kennen, er ist Stricher auf Moskaus Straßen. Lernen Sie den siebenjährigen Sergej kennen, der ebenfalls auf der Straße lebt. Ihnen dienen Keller und die Moskauer Kanalisation als Schlafplatz.
Lernen Sie auch Jürgen kennen, der in Moskau ist und nach Ideen für ein neues Buch sucht. Alle drei Schicksale sind miteinander verknüpft.
Eine Geschichte von Freundschaft, aber auch dem menschlichen Elend. Der Gleichgültigkeit der Gesellschaft und der Menschlichkeit einiger weniger. Eine Reise, die in Moskau beginnt und Sie bis nach Sibirien führt. Leider ohne Happy End! (DRAMA)
Bitte bei Kapitel 1 beginnen!

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Kapitel 13

Sibirien 1 (Teil 1)

Alexander schloss das Fenster. Jürgen schaute währenddessen auf den Fahrplan. >>In vier Stunden werden wir in Yaroslavl sein!<<

>>Ich habe so ein Hunger, Jürgen!<<

>>Im Speisewagen wird es sicher noch nichts geben. Normal fährt der Zug erst um halb vier Nachmittags von Moskau ab, aber es sind anscheinend irgendwelche Gleisarbeit.<<

>>Hier riecht es aber nach Essen! Ich schau mal nach!<<

>>In Ordnung, merk dir aber das Abteil, nicht damit du nachher mit dem falschen aussteigst!<< ,grinste der Autor.

>>Ha, ha, der ist gut!<< Schnell schob er die Tür auf und lief durch den Gang. Immer dem Geruch nach. Es kam aus dem Abteil daneben, und er traute seinen Augen nicht. Eine Frau hatte ein Spirituskocher und rollte gerade den Teig aus. Daneben eine Tüte mit Hackfleisch. Schnell lief er wieder zurück. >>Das musst du dir mal ansehen!<<

Erschrocken fuhr der Autor hoch. >>Brennt es?<<

>>Nein, aber komme mit!<<

Die Frau war jetzt gerade dabei, den Teig zu schneiden. Dazu nahm sie ein rundes Glas. >>Siehst du, sie kocht im Abteil!<<

>>Das werden sicher Pelmeni, die habe ich auch schon gegessen, aber fertige. Die hier schmecken sicherlich besser!<<

>>Ich würde zu gerne fragen, ob sie uns welche verkauft.<<

Jürgen der schon einmal mit dem Zug gefahren war, wusste natürlich, dass manche Fahrgäste ihre Verpflegung mitbrachten. >>Weißt du im Speisewagen ist es den meisten zu teuer, deswegen bringen sie sich die Sachen fertig mit oder sie kochen es im Zug.<<

Jetzt hatte die Frau die beiden bemerkt und schob die Tür auf. Sie war ungefähr um die Dreißig, schlank und hatte lange schwarze Haare. >>Hallo, ich hoffe der Geruch belästigt sie nicht.<< ,meinte sie freundlich.

Jürgen sah auf die Pelmeni. >>Nein, aber mein Freund hier hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er hat Hunger, deshalb.<<

>>Entschuldigen sie, wo bleibt die russische Gastfreundlichkeit, kommen sie doch herein. Er bekommt natürlich welche, in ein paar Minuten sind sie fertig! Sie werden natürlich ebenfalls nicht leer ausgehen!<<

>>Ich hatte einmal welche, aber das waren fertige, ich bin sicher, ihre schmecken um einiges besser!<<

>>Mein Vater hat sich bisher nie beklagt, also werden sie ganz bestimmt gut sein. Sind sie beide Touristen?<<

Alexander schüttelte den Kopf.

>>Ihr Freund spricht wohl nicht viel?<<

>>Mir brummt der Magen!<<

Die Frau musste lachen >>Nur ein paar Minuten, dann brummt er nicht mehr!<<

Jürgen versuchte derweilen ihr Frage zu beantworten. >>Ich spreche zwar mit ausländischem Akzent, aber wir sind nicht als Touristen hier. Ich schreibe in Sibirien mein neues Buch.<<

>>Oh, wie interessant, ein Schriftsteller also! Vom Akzent hören sie sich an als ob sie Deutscher sind.<<

>>In der Tat, das bin ich!<<

>>Dafür sprechen sie sehr gut russisch.<<

>>Sie machen mich etwas verlegen, aber ich lerne ihre Sprache schon lange. Es wäre schlimm, wenn da nichts hängen bleibt.<<

Jürgens Freund staunte nicht schlecht. Sogar zwei Teller zog sie hervor und das passende Besteck dazu gab es ebenfalls.

>>Ich verkaufe Kleider, sehen sie da oben!<< Sie zeigte auf die Ablage. >>Hier sind immer viele Touristen. Die ein oder andere Dame kauft gerne etwas bei mir. Nur heute sind kaum Touristen im Zug, weil er früher fährt als sonst.<<

>>Ja, ich weiß. Aber ein Vorteil für uns, dann sind wir früher da.<<

Mit geübter Hand und einer Gabel holte sie einige Pelmeni aus dem kochenden Wasserbad und legte sie auf die Teller.

>>Nicht so viele!<< ,beschwerte sich Jürgen. >>Wir wollen ihnen ja nicht alles wegessen.<<

>>Das tun sie nicht, ich mache nachher noch mal welche. Den ersten Teller bekommt ihr hungriger Freund!<<

Dieser bedankte sich sogleich und schob die erste Maultasche in seinen Mund um sie gleich wieder auszuspucken. >>Entschuldigung, die sind heiß!<<

Die anderen beiden mussten lachen.

>>So kommt es, wenn man nicht warten kann!<< ,meinte sein Freund und klopfte ihm dabei auf die Schulter. Den zweiten Teller reichte sie Jürgen. Nach einer Minute des ungeduldigen Wartens, versuchte Alexander sein Glück nochmals. Diesmal ging er allerdings vorsichtiger zu Werke, um dann festzustellen, dass diese Pelmeni vorzüglich waren. Jürgen lobte sie ebenfalls. >>Wie ich es mir gedacht habe, die sind viel besser als die aus dem Supermarkt.<<

>>Verkaufen sie oft Kleider in diesem Zug?<< ,erkundigte sich der Autor, während eine neue Teigtasche in seinem Mund verschwand.

>>An drei Tagen in der Woche. Ich habe Zuhause drei Kinder die essen wollen, und in Russland ist ja alles so teuer heute.<<

>>Nicht nur da!<<

>>Mein Mann war leider ein Säufer, wie so viele hier. Er hat die Kinder und mich oft geschlagen. Eines Tages, als er dann Wodka holen war, nahm ich Koffer und Kinder und bin nach Buj gezogen, da lebt mein Vater. In seinem Haus ist genügend Platz, seit meine Mutter tot ist.<<

>>Ich verstehe, und er passt in der Zeit wo sie arbeiten auf die Kinder auf!<<

>>Richtig, ich habe ja sonst niemand, der das machen könnte.<<

Nach dem Essen verabschiedeten sich die beiden und gingen in ihr Abteil zurück. Als sie wieder auf ihren Sitzzen verweilten, mahnte ihn Jürgen. >>Das nächste mal müssen wir vorsichtiger sein, nicht damit jemand unsere Sachen klaut, während wir in der Gegen umher spazieren.<<

>>Stimmt! Ihre Pelmeni waren aber nicht schlecht und nett war sie auch.<<

>>Wer, die Maultaschen oder die Frau?<<

Alexander verzog das Gesicht. >>Natürlich die Maultaschen!<<

>>Nun hast du den Witz gemacht.<<

>>Das kann ich eben so gut wie du.<<

Der Autor strich sich durchs Haar. >>Jetzt siehst du schon viel besser aus!<<

 

Der Zug war pünktlich, Punkt vierzehn Uhr fuhr er im Yaroslavlner Bahnhof ein. Zahlreiche Leute standen bereits am Bahnsteig. Jürgen war eingenickt und sein Freund schaute aufmerksam dem Treiben da draußen zu. Da waren alte und jüngere Frauen die Sachen verkauften. Das musste er sich einmal genauer ansehen. Eigentlich sollte er Jürgen Bescheid geben, aber er wollte ihn jetzt nicht wecken. Kaum war er auf dem Bahnsteig angelangt, kam die Zugbegleiterin auf ihn zu. >>Wir haben hier aber nur fünf Minuten Aufenthalt!<< ,gab sie ihm zu verstehen. >>Ich werde wieder pünktlich im Zug sein!<<

Er lief zu einer alten Frau, die auf einem Klappstuhl saß. Daneben einen kleinen Handwagen, der leer war. Auf dem hatten sich vorher bestimmt die zwei leeren Holzkisten befunden und ein Brett, welches jetzt als Tisch genutzt wurde. Darauf standen mehrere Einmachgläser mit Marmelade und Birnen. Die alte Frau merkte, dass er sich dafür Interessierte. >>Das ist gute Marmelade. Ganz frisch eingemacht und gar nicht teuer. So eine gute bekommt ihr in der Stadt nicht!<<

>>Was kostet ein Glas?<<

>>Vierzig Rubel.<<

Alexander kramte in seiner neuen Jeanshose. Vor der Fahrt hatte ihm Jürgen etwas Geld gegeben, damit er nicht immer zu fragen brauchte, wenn er etwas haben wollte. Was die Frau nicht wusste, er kaufte die Marmelade nicht, weil er sie brauchte. Die Frau erinnerte ihn vielmehr an seine Oma, diese verkaufte auf dem Markt ebenfalls Marmelade. Diese Bäuerin oder was sie war, besaß sicher nicht viel und bekam bestimmt nur eine kleine Rente. Nur deshalb kaufte er das Glas, um ihr etwas mit dem Geld zu helfen.

>>Hier bitte!<<

>>Du bekommst noch zehn Rubel heraus.<<

>>Nein, das stimmt so!<< ,meinte Alexander nur und wollte sich abwenden.

>>Warte, du hast dein Glas vergessen!<<

>>Ach ja! Welches ist die beste Marmelade.<<

>>Nimm die mit Orangen, die ist sehr gut!<<

Was es alles gab, mit Orangen! >>Die wird mir sicher schmecken, alles Gute!<<

Er stieg keine Minute zu früh in den Zug. Die Zugbegleiterin wollte schon die Türen schlissen. Sein Freund kam ihm im Flur bereits entgegen. >>Wo warst du denn?<<

>>Ich habe mich draußen nur etwas umgesehen.<<

>>Umgesehen ist gut, wie ich sehe hast du Marmelade gekauft.<<

>>Ja!<< Er zeigte nach draußen.

Die alte Frau war gerade dabei die Sachen wieder in ihrem Handwagen zu verstauen.

>>Da hab ich sie gekauft.<<

>>Brauchen wir die denn so dringend?<< ,wunderte sich der Autor.

>>Nein, aber sie hat mich an meine Oma erinnert, weißt du.<<

>>Ich verstehe! Du hast ein gutes Herz, das solltest du dir immer bewahren.<<

Die Motoren brummten auf und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Draußen stand der Lokführer, welcher sie bis nach Yaroslavl gebracht hatte, er winkte der Ablösung ein letztes Mal zu.

Die beiden machten es sich wieder in ihrem Abteil bequem. >>Wir haben Glück<< ,meinte Jürgen. >>Wenn mehr Touristen hier wären, würden wir nicht alleine in diesem Abteil sitzen.<<

>>Ja, stimmt!<<

Draußen zogen kleine Dörfer mit ihren Holzhäusern und Holzzäunen an ihnen vorüber. Große und kleine Wälder und sogar ein Pferdegespann war auf einem der Felder zu sehen. Wenn der Zug in eine Kurve fuhr, konnte man erst richtig erkennen wie lang der Zug wirklich war. Für Alexander war das alles neu, und er freute sich wie ein kleines Kind, doch dann wurde nachdenklich. >>Schade, dass es Sergej nicht mehr sehen kann, es ist alles so schön!<<

>>Ja, euer Land ist schon etwas größer als unseres. Das macht das regieren allerdings nicht einfacher.<<

>>Wir waren noch nicht im Speisewagen, gehen wir nachher einmal hin?<<

>>Ja, warum nicht, ist ja bald Abendessenszeit.<<

Einige Kinder rannten den Gang auf und ab. >>Denen gefällt die Fahrt ebenfalls!<< ,stellte Jürgen fest.

 

Müde und erschöpft ließ sich Sergej auf eine Parkbank fallen. Eine Frau mit Kinderwagen lief gerade an ihm vorbei. >>Entschuldigen sie, können sie mir sagen wie spät es ist? Ich hab leider keine Uhr.<<

Die Frau schüttelte den Kopf. >>Tut mir leid Junge, ich hab auch keine dabei, aber ich schätze, es wird gleich sechzehn Uhr sein.<<

>>Danke!<< Gegen neun Uhr war er hier angekommen und etwas rechnen konnte er ja, jedenfalls wenn Sergej die Finger zu Hilfe nahm. Das Ergebnis waren sieben Stunden, in denen er nun nach seinem Freund suchte. Im Cafe begann seine Suche, aber da hatte man ihn seit Monaten nicht mehr gesehen. Es würde ihm doch nichts zugestoßen sein? Vielleicht war er in eine andere Stadt gegangen? Eine Mütze voll Schlaf würde ihm jetzt Guttun, aber diesen Luxus wollte er sich nicht erlauben, es gab nämlich einen Ort, wo er sich ebenfalls aufhalten konnte. Bei Vladimirs Bande in der Kanalisation, also machte sich Sergej auf den Weg dahin. Humpelnd verließ er den Park.

 

Der Zug kam zum stehen. Jürgen sah auf den Fahrplan. Der Zug hat hier etwas länger Aufenthalt.<< Dann wandte er sein Blick zum Fenster. Wieder viele Frauen, welche allerlei Sachen verkaufte. >>Alexander, ich geh mal nach draußen und schaue mich ein wenig um.<<

>>Ich komme mit!<< ,vielleicht finden wir ja jemand der Marmelade verkauft.

Sein Freund lachte. >>Ich glaube ein Topf genügt vorerst. Wenn wir an jeder Stationen einen kaufen würden, käme ganz schön was zusammen.<<

Kaum waren sie aus dem Wagen heraus, kam schon eine Frau auf sie zu und wollte ihnen Äpfel andrehen. Der Autor nahm ihr zwei ab und gab gleich einen davon Alexander. So gab es während des Aufenthalts in Danilov wenigstens einen kleinen Imbiss und Obst war bekanntlich nicht ungesund.

>>Was starrst du so auf den Apfel?<< ,wunderte sich sein älterer Freund.

>>Der sieht gar nicht so schön aus wie die im Supermarkt.<<

Er klopfte ihm auf die Schulter. >>Tröste dich, dafür sind sie gesünder, die sind nämlich nicht gespritzt!<<

Was Jürgen alles wusste. Manchmal kam er sich im Vergleich mit ihm regelrecht dumm vor. Aber das war klar, er war nur vier Klassen in der Schule gewesen und auch da hatte er mehr durch seine Abwesenheit geglänzt.

>>Das hab ich jetzt noch nie gesehen!<<

Jetzt sah Alexander ebenfalls an den Stand vor ihm, bemerkte allerdings nichts besonders. >>Die Frau hatte sicher schon alles verkauft.<<

Jürgen lächelte, die Frau verkauft kein Obst oder so. Sieh mal auf das Schild daneben. Tatsächlich, daneben war ein handgeschriebenes Pappschild auf dem stand: FÜR FÜNFUNDZWANZIG RUBEL SAGT GALINA AUCH DIR DEINE ZUKUNFT VORAUS!

Alexander wurde neugierig. >>Es wäre bestimmt interessant zu wissen was uns alles erwartet.<<

Jürgen zuckte mit der Schulter. >>Ich muss gestehen, ich glaube an so etwas nicht. Kein Mensch kann die Zukunft vorhersehen! Aber wenn du möchtest gehen wir hin.<<

>>Nein, ich hab dir schon einmal gesagt, du musst wegen mir kein Geld ausgeben. Das kostet immerhin fünfundzwanzig Rubel.<<

>>Ach Quatsch! Wenn du es wissen willst, gehen wir, Geld hin oder her.<<

Bevor er etwas erwidern konnte, zog ihn der Autor mit sich.

Die Frau hatte die beiden bereits die ganze Zeit beobachtet. Irgendwie wusste die alte Galina, dass sie an ihren Tisch kommen würden. Nur ihre Zukunft wusste sie noch nicht!

>>Guten Tag, ich und mein Freund möchten gerne unsere Zukunft erfahren!<<

>>Da haben sie eine gute Wahl getroffen, es gibt ja soviel Scharlatane, aber die alte Galina hat das dritte Auge! Das macht fünfzig Rubel!<<

Im Geld einnehmen schien sie sicher das dritte Augen zu habe, dachte sich Jürgen und holte ein paar Scheine aus seiner Brieftasche. Die Wahrsagerin sah zu Alexander. >>Klappe bitte die beiden Stühle auf und nehmt Platz<< Sorgfältig verstaute sie das Geld in ihrer Schatulle. Die Stühle waren sahen schon ziemlich mitgenommen aus. Deshalb setzten sich die beiden vorsichtig hin, aus Angst die Dinge könnten unter ihrer Last zusammenbrechen. >>Geben sie mir bitte ihre Hand!<< ,forderte sie den Autor auf. Dieser sah etwas unbeholfen zu Alexander. Galina sah ihm an, dass er nicht an Wahrsagerei glaubte, sagte aber nichts. Vorsichtig streckte er diese nun aus und konnte so gleich die faltigen Finger ihrer Hand spüren, welche ihn nun berührten. Das ganze Prozedere dauerte an die fünfzehn Sekunden. Das Gesicht der Frau wurde nachdenklich. Anschließend nahm sie die Hand seines Freundes. Beide warteten nun gespannt auf das Ergebnis. Galina stand auf und öffnete ihre Schatulle. Dann streckte sie Jürgen die Geldscheine entgegen. >>Es tut mir sehr leid, ich sehe heute nichts!<< Die beiden Freunde warfen sich einen verwunderten Blick zu. >>Hier haben sie ihr Geld wieder, wenn ich nichts sehe kostet es natürlich nichts.<<

Als die beiden weg waren, musste sie sich wieder setzen. Trotzdem bedauerte sie es nicht, die beiden belogen zu haben. Manchmal war es besser so!

Während sie wieder in den Zug stiegen, machte sich Jürgen so seine Gedanken. >>Sie hätte einfach irgendwas sagen können und das Geld behalten, schon merkwürdig das ganze.<<

>>Vielleicht hat sie wirklich nichts gesehen und ist nur ehrlich. Es kann aber auch sein, sie hat was schlimmes gesehen.<< Beide blieben sie einen kurzen Moment stehen und schauten sich nachdenklich an.

 

Die nächste Station war Buj. >>Hier hat der Zug nur kurz Aufenthalt, also nicht aussteigen!<< ,mahne der Autor schon im voraus. An ihrer Tür lief die schwarzhaarige Frau vorbei, welche die leckeren Pelmeni machen konnte. Sie quälte sich mit zwei Koffern ab. Sofort kamen die beiden aus ihrem Abteil um ihr zu helfen. >>Das ist aber freundlich!<< ,freute sie sich, als jeder der beiden einen Koffer packte.

>>Das ist auch dringend nötig<< ,meinte Jürgen. >>Der Zug hat in Buj nur zwei Minuten Aufenthalt!<<

Alexander reichte ihr den letzten Koffer. >>Machen sie es gut!<< ,wünschte er ihr.

>>Sie beiden auch!<< Dies waren die letzte Worte, dann fuhr der Zug ab.

 

Der Zug war bereits in Danilov eingefahren. Doch davon merkten die beiden nichts, denn sie waren im Reich der Träume, erst durch das öffnen der Tür wurden sie aus den selbigen gerissen. Erschrocken fuhren beide hoch.

>>Oh, entschuldigen sie! Ich war wohl ein wenig zu laut!<< Der wo das sagte, betrat nun das Abteil. Auf dem Rücken einen Rucksack, in der Hand eine Gitarre. Der Autor schätzte den Mann ihn auf Anfang zwanzig.

>>Setzen sie sich ruhig, wir freuen uns über jede Gesellschaft, nicht wahr Alexander!<< Dieser rieb sich noch verschlafen die Augen und nickte nur kurz.

>>Das freut mich!<<

Da Jürgen Bücher schrieb, war er von Natur aus neugierig und sprach gern mit anderen Menschen, jedenfalls wenn er die Gelegenheit dazu bekam. Manchmal ließ sich daraus ja eine Geschichte entwickeln. >>Sie machen Musik?<<

Der junge Mann lachte. >>Wie haben sie das nur erraten!<< Selbst sein Freund musste lachen.

Nun war es ihm selbst peinlich, wie er nur eine so dumme Bemerkung machen konnte. Das war ihm bisher noch nie passiert. Das musste wohl an der langen Zugfahrt liegen.

>>Ich spiele hier und da. Meistens in Hotels oder Restaurants, manchmal auch auf der Straße. Das ist natürlich nicht meine Hauptbeschäftigung, ich studiere. Aber jetzt hab ich einen Monat Semesterferien, die nutze ich, um mir einen Traum zu erfüllen. Einmal quer durch Russland zu reisen.<< Als er diesen Satz sagte, strahlten seine Augen, so wie die eines kleinen Kindes.

>>Ja, dieses Russland ist schon gewaltig. Ich selbst komme ja aus Deutschland, da kennt man so große Wälder und Seen gar nicht.<<

>>Ich bin Franzose, wir haben so was ebenfalls nicht.<< Mit dieser Feststellung reichte er Jürgen und Alexander die Hand. >>Ich heiße Marcel! Es freut mich sie beide kennenzulernen!<<

Die beiden erwiderten den Händedruck. >>Mein Name ist Jürgen und das ist ein guter Freund, Alexander!<<

 

Als Sergej den Bezirk, in dem Vladimirs Bande hauste und Beute machte, erreicht hatte, war es bereits dunkel. Unter dem Schein einer Laterne sah er jemand, den er kannte.

Es war der kleine Nikolas, der da stand. Aber nicht allein, ein Mann stand neben ihm. Der Fremde reichte dem Jungen ein Beutel mit Süßigkeiten.

So schnell es mit seinem kaputten Bein ging, humpelte der kleine Sergej auf die andere Straßenseite. Gerade in dem Moment wo der Fremde Nikolas an die Hand nehmen wollte, war Sergej bei ihm. Schnell zog der Mann seine Hand zurück. >>Einen netten, kleinen Bruder hast du!<< Er beachtete den Typ nicht, sondern nahm Nikolas bei der Hand. >>Komm, wir müssen nach Hause, Mama wartet!<<

>>Meine Mama wartet nicht!<<

Sergej wusste nicht, was der Mann wollte, aber sicher nichts gutes. Er blieb stehen und beugte sich zu ihm hinunter. >>Kleiner, du musst vorsichtiger sein, hörst du!<<

>>Aber der Mann ist sehr nett. Schau mal was er mir geschenkt hat!<< Er streckte Sergej die Tüte Gummibärchen entgegen. >>Ach, Nikolas!<< ,seufzte er. Dann griff er wieder nach der Hand des Kleinen und beide liefen sie Richtung Kanaldeckel.<<

 

Irgendwo in Russland fährt jetzt ein Zug durch die Nacht mit drei glücklichen Menschen in irgendeinem Abteil.

Irgendwo in Russland macht jemand dem neuen Anführer von Vladimirs Bande Vorwürfe, warum sie nicht besser auf den kleinen Knirps achteten.

 

Am Anfang hatte der kleine Bashi die Hoffnung gehabt, dass sie sich jemand für ihn interessiert und er bei der Person wohnen und ein glückliches Leben führen konnte. Denn seine Eltern hatten, als die Tür ins Schloss gefallen war, jegliches Interesse an ihm verloren.

Am dritten Tag auf der Straße begrub er die Hoffnung und inhalierte stattdessen Klebstoff. Es war das einzige was ihm geblieben war. Achtlos liefen die Passanten an ihm vorbei, keiner nahm Notiz.

Es war längst dunkel, und Bashi saß immer noch auf dem Bürgersteig, als ein teurer Wagen anhielt. Ein Mann, in einem schönen, feinen Anzug stieg aus. Durch ein freundliches Hallo wurde der Junge aus seiner Lethargie gerissen. Er schaute zu dem Fremden auf und legte seine Plastiktüte beiseite.

>>Du armer, bist du ganz allein hier draußen?<< Bashi nickte. Der Mann ging zu seinem Wagen und kam mit einer Tüte Gummibärchen zurück. >>Hier, die sind für dich!<<

Das war wirklich nett, genau so jemanden wünschte er sich!

>>Wenn du möchtest kannst du bei mir wohnen. Ich habe ein schönes großes Haus und du wirst es gut bei mir haben!<< ,versprach er.

Der kleine Bashi war fast den Tränen nahe. Er konnte es gar nicht fassen, sein Wunsch war erhört worden. >>Meinen sie das wirklich?<<

Der Mann nickte und lächelte dabei, dann nahm er die Hand des Kleinen, und sie gingen zu seinem Wagen. In diesem Augenblick war Bashi der glücklichste Mensch. Die ersten Freudentränen kullerten bereits über sein Gesicht. So fuhren die beiden davon. Was zurück blieb, war eine Tüte mit Klebstoff, und die Hoffnung auf ein besseres Leben.

 

Ach ja noch etwas!

In zwei Stunden wird ein streunender Hund am Waldrand seine Runde machen und sich über eine angebrochene Tüte Gummibärchen freuen. Nur dieser Hund wird dann wissen, dass der kleine Mensch, welcher einmal davon genascht hat, einen Meter darunter liegt. Irgendwo in Russland!!!

 

Kapitel 14 Sibirien 1 (Teil 2)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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