Tina Kluge

Wenn Sterne einsam sterben (2. Teil Kapitel 1)

Jako drehte sich um. Die dunkle Grotte, in die es ihn verschlagen hatte,  triefte nur so von feuchter Kälte und eisiger Stille. Wie gern hätte er jetzt nach seinem Enkel gerufen, der ihn aus dieser Bewusstseinsfalle herausgeholt hätte. Oder war dies alles wirklich real? Gab es also gar kein Entrinnen von hier? Die kleine Pfütze vor Jakos Füßen beantwortete die Frage, allerdings überzeugte ihre Echtheit keineswegs. Langsam setzte er die Füße einzeln darüber hinweg, hinein in einen dunklen Gang, der von schroffen Felsen ummauert wurde. Seufzend musste er sich eingestehen, dass er nicht erkennen konnte, wie lang dieser Gang war, trotzdem seine Schritte dumpf widerhallten und wohl noch in einigen Kilometern Entfernung zu hören sein mussten. Bald stand er vor einer kleinen Kreuzung; Jako bog nach links ein. Wenn er sich nicht täuschte, dann lagen hinter den steinernen Mauern Hohlräume, aus denen plätscherndes Gemurmel sanft rauschte. Für einen Moment erschien es Jako, als höre er nicht das Geplapper von Wasser, sondern das erregte Sieden von menschlichen Stimmen.
Irgendwo hinter der Wand knallte es, beinahe wie ein Buch, dass kaltherzig auf eine Tischplatte geworfen wird. Jako hielt nichts von Menschen, die so mit Büchern umgingen. Denn wenn sie schon mit diesen Materialien, für die Bücher oft gehalten werden, so derb umgehen, können sie es mit anderen Gegenständen kaum anders handhaben. Enttäuscht schüttelte er den Kopf. Statt nach der Ursache der fremden Geräusche zu suchen, versuchte er sich zu erinnern, woher er diesen Ort kannte. Tief in ihm erfüllte sich mit dem Gefühl, hier her zu gehören. Ja. Nein, das traf es nicht ganz. Aber Jako war sicher, hier schon einmal gewesen zu sein. So folgte er seinem Gefühl. Dieses hatte ihn im Reich der Bücher noch nie betrogen. Das Reich der Bücher! Jetzt war alles klar wie frisch servierte Glasnudeln. Er befand sich in einem bisher unbekannten Teil des Reiches der Bücher. Dies bedeutete auch, dass er wusste, wie er hier wieder hinaus kam. Jedenfalls kannte Jako einen Menschen, der es ihm sagen konnte. Wenn er nur bis ins Reich der Wölfe vordringen konnte, dann würde sie ihm gewiss auch den Ausgang zeigen. Doch noch war er allein. Seine schritte hallten wie fremd durch den vermutlich unterirdisch angelegten Gang.
Der Alte schätzte, dass er ungefähr drei Kilometer hinter sich haben musste, was für sein Alter doch ein beträchtliches Stück Boden war. Und dennoch hätte er sich eingestehen sollen, keinen weiteren Schritt in den immer dunkler werdenden Gang und die damit verbundene Einsamkeit zu gehen. Sein Durst wurde langsam zur Plage. Wenn er nicht bald eine Quelle fand, musste er von den Wänden nach Wasser lecken. Auch, wenn diese Flüssigkeit nicht unbedingt genießbar zu sein schien. Angestrengt horchte er in die Finsternis, in der Hoffnung den Klang von Wasser zu spüren, dafür entdeckten seine empfindlichen Ohren etwas anderes. Entweder hinter oder vor ihm tappten schwere Schritte durch das kühle Nass. Jako blieb stehen um die Bewegung zu lokalisieren. Er schloss sacht die Augen, in Angst, im nächsten Moment angefallen zu werden. Erschöpft lehnte er sich an eine der Wände. Die Schritte kamen unaufhaltsam näher. Zu dieser Zeit gab es keinen Zweifel mehr, das zweibeinige Wesen war hinter ihm. Doch sicher lange nicht mehr so weit, wie Jako erst dachte. Sein Herz raste. In dieser Welt konnte es viele seltsame Kreaturen geben, auch gefährliche. Besser, wenn er versuchte, leise vorwärts zu gehen. Nach wenigen Schritten gab er es auf weiter lautlos gehen zu wollen. Mit Sicherheit war das Tier hinter ihm sowieso schon von seinen Schritten alarmiert. Vielleicht gehörte es sogar zu den Wächtern und kam nun, um zu sehen, wer in sein Reich eingedrungen war. Dies hieß, dass Jako festsaß. Wenn die fremden Geschöpfe ihn bereits bemerkt hatten, würden sie sicherlich auch von vorn versuchen, ihn einzukreisen. Für einen Moment kämpfte er mit den Tränen, die aus unergründlichen Beweggründen in seinen Augen aufsteigen wollten. Jako fasste den Entschluss zu siegen, sollte es zu einem Konflikt kommen. Denn diese Motivation war die einzige, die half, seine Angst zu unterdrücken. Auch, wenn er meinte, es habe keinen Sinn mehr, ging er weiter. Seine Hand tastete wie um Schutz zu suchen an der feuchten Wand entlang. Als er einen feinen Riss im Gestein spürte, war er schon ein paar Schritte weiter gegangen. In Jako wuchs die Idee, dass diese haarbreite Öffnung im Fels wichtig war. Er kehrte zu der Stelle zurück. Fieberte dem Moment entgegen in dem er sie wieder finden würde. Womöglich war es ein Hinweis, wie er aus der beengenden Situation herauskam. Mit bebenden Fingern suchte er vergebens. Doch er war sich seines Fundes so sicher, dass er es wagte, weiter in die Richtung des fremden zu laufen.
Mit einem Mal wurde der Gang erhellt. Noch nicht an diese Grelle gewöhnt, schloss Jako die Augen. Im richtigen Augenblick entdeckte er endlich den Riss, nach dem er suchte. Er wich zurück, als er im Licht eine Gestalt sah, die einem Menschen hätte ähneln können, wären nicht die Fledermausohren und die Wolfschnauze gewesen. Bedrohlich starrte das Wesen aus seinen roten Augen in Jakos Richtung. Öffnete das Maul einen Spalt breit. Die Entfernung seiner Kiefer reichte dennoch aus, um Jako die spitzen Zähne erkennen zu lassen. Er wich noch einen Schritt zurück, vor Furcht Augen und Mund geweitet. Wie zufällig berührte er die Wand, an der er eben noch den Riss festgestellt hatte. Diese sprang auf, er fiel nach hinten in die breite Öffnung.
Sie schloss sich vor seinen Augen wieder, schneller als er es für möglich gehalten hatte. Dies war die Rettung in der buchstäblich letzten Sekunde. Doch die Angst blieb. Wenn es nun schlecht lief, hatte der Wächter einen Schlüssel für diese Tür, ob nun mündlich oder materiell war nicht auszudenken. Ihm blieb auch gar nicht genügend Zeit dazu. Hinter sich hörte er ein erregtes Schnauben. Gehetzt drehte er sich um. Und riss ungläubig die Augen auf.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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