Rainer Tiemann

Rügen wurde etwas teurer

Es war ein Urlaub gewesen, wie man ihn sich erträumt hatte: drei Wochen voller Entspannung bei herrlichem Sonnenschein und wohliger Wärme. Die ausgedehnten Spaziergänge am Strand würden wir vermissen. Auch die interessanten Ausflüge zu den vielen Sehenswürdigkeiten von Rügen, die netten Leute, die man gerne traf, sei es im Hotel, am Strand oder im Pool.

Das Hotel hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: gepflegte Gastronomie mit sehr angenehmer Bedienung, ein großes, herrliches Schwimmbad mit gut funktionierendem Wellness-Bereich und freundliches Fachpersonal.

Die Rückreise stand kurz bevor. Schon klopfte der Hotelboy an die Tür, um Koffer und Kleidersäcke zum Auto in die Tiefgarage zu bringen. Ein letzter Blick aufs Meer mit den plätschernden Wellen, die den Strand von Binz  erobern wollten. Am Himmel die strahlende Sonne, die für gesunde Bräune in unseren Gesichtern gesorgt hatte. Man hätte auch noch bleiben können. Aber es waren noch zwei Etappen bis zum Heimatort abzufahren: Berlin und Magdeburg standen noch auf der Agenda.

Wir hatten Rainer und Elisabeth, unsere Verwandten aus Magdeburg, nach Berlin eingeladen. Wie wir waren auch sie große Fußballfans, nicht von Hertha BSC oder FC Bayern, nein – wie wir von Bayer 04 Leverkusen! Sie wollten in der Nähe des Olympia-Stadions in einem Café auf uns warten. So gegen 14 Uhr. Der wohlverdiente Kaffee mit Kuchen nach etwa vier Stunden Fahrt von Rügen über den alten Rügendamm bis Berlin käme dann zeitlich genau richtig.

Ein schneller Blick in die Brieftasche: alle vier Karten waren noch da und warteten quasi darauf, am Berliner Olympia-Stadion entwertet zu werden, damit wir das Spiel Hertha gegen Leverkusen sehen konnten. Spielbeginn: 15,30 Uhr.

Der Hotelboy bepackte den an sich schon riesigen Kofferraum unserer Limousine im dämmrigen Licht der Hotel-Tiefgarage. So viele Klamotten, dachte ich, beim Anblick der Koffer und Kleidersäcke, die zu verstauen waren. Was Frauen doch immer mitführen müssen! Ein kleiner Geldschein als Dank für seine Mühe wechselte den Besitzer. Nach seinem Wunsch für gute Fahrt  verabschiedeten  wir uns. Berlin sollte ja pünktlich erreicht werden. Gott sei Dank keine Staus. Pünktlich kamen wir in Berlin an. 

In der Nähe des Cafés fanden wir schnell  den Parkplatz, auf dem unsere Verwandten ihr Auto mit MD-Kennzeichen schon abgestellt hatten. Nach freudiger Begrüßung mit Kaffee und Kuchen  wurde kurz vom Urlaub erzählt. Dann stand das bevorstehende Spiel im Focus der  Gespräche. Um es kurz zu machen: Unser Club Bayer 04 verlor – ausgerechnet gegen Hertha, gegen die man fast immer so geglänzt hatte!

Mit beiden Autos fuhren wir zügig Richtung Magdeburg. Nahezu die komplette Wegstrecke per Autobahn. Auch hier keine Staus. Drei schöne Tage sollten wir dann in Magdeburg, der immer schöner werdenden Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, unseren Urlaub bei unseren Verwandten verlängern. Ein Programm dafür war schon erstellt. So gegen 20 Uhr erreichten wir unser Domizil. Die Wagen fuhren in die hell erleuchtete  Tiefgarage. Es konnte ans Auspacken gehen. Gesagt – getan!

Rainer packte  gleich zwei Koffer, Elisabeth die beiden Kleidersäcke, uns blieben nur noch jeweils zwei Reisetaschen. Zwei! Eine für sie, eine für mich. Wir sahen jedoch nur eine. Lag die andere vielleicht auf der Rückbank im BMW? Nein, nichts zu sehen. Dann musste wohl eine Reisetasche, nämlich meine, weiterhin Urlaub auf Rügen machen…

Mit all den kleinen Dingen des persönlichen Bedarfs, wie Elektrorasierer, Rasier- und Haarwasser oder die elektrische Zahnbürste. Aber – kein Problem! Alles konnte ja an unsere Heimatanschrift geschickt werden, so in vier Tagen, dachte ich, wenn die Reisetasche – zwar unverschließbar – sich im Hotel wieder finden würde. Die anderen Dinge konnten gekauft werden. Dann gab es eben eher einen neuen Rasierer! Doch dann fiel mir siedendheiß ein, dass da noch ein Scheckheft und rund 400 Euro im Innenfach steckten. Das Geld für alle Fälle, das im Tresor des Hotels deponiert gewesen war! Also riskant.

Während des etwas nervösen Abendessens wurde beratschlagt, was am besten zu tun sei, die Tasche schnellstmöglich zurück zu bekommen. Ein Anruf im Hotel hatte ergeben, dass die dunkelgraue Tasche tatsächlich im Dämmerlicht der Tiefgarage einsam und verlassen gefunden worden war. Zum Inhalt sagte ich bewusst nichts.

Ein DHL-Kurier lieferte an diesem Samstag nicht mehr von Rügen nach Magdeburg, erst ab Montag. Eine andere mögliche Lösung musste gefunden werden. Und meine Frau hatte die Idee: ein Taxi sollte den Weg von Magdeburg nach Binz und zurück nach Magdeburg fahren. Rund 1000 Kilometer Leerfahrt bei Nacht. Also Anruf bei der Taxi-Zentrale in Magdeburg. Eine knappe halbe Stunde später, so gegen 21,30 Uhr erschien der Taxifahrer, ein sympathischer junger Mann mit starkem Berliner Dialekt.

Wir erklärten ihm das Problem, ohne ihm zu sagen, was es mit der Fracht so auf sich hatte. Das habe er noch nie gehabt, solch eine Tour bei Nacht. Und wegen der Kosten müsse er zunächst mit seinem Chef telefonieren. Der meinte, mit 500 Euro wäre das möglich. Uns war das zu viel. Wir wollten doch keine Nachtfahrt an die Ostsee! Es ging lediglich um meine Reisetasche. Nach langem Hin und Her einigten wir uns auf 320 Euro, einen Betrag den wir ja in Reserve hatten. Nur nicht bei uns.

Etwa 22 Uhr düste der Taxifahrer los. „Wenn alles gut geht“, meinte er, „bin ich  gegen 6 Uhr am morgigen Sonntag wieder hier. Darf ich dreimal hintereinander klingeln?“ Dann war er fort. Und wir mit der Hoffnung allein, dass alles gut ginge.

Schnell noch ein Anruf von uns im Binzer Hotel. Das abholbereite Gepäckstück wurde auf meinen Namen hinterlegt mit dem Vermerk  „Wird abgeholt“. Dass es ein Magdeburger Taxifahrer sein würde, erklang der Rezeption fast wie ein Märchen.

Aber das wurde für uns wahr, als es am Sonntag gegen 6 Uhr dreimal an der Haustür der Verwandten schellte. Der übermüdet wirkende Taxifahrer erhielt aus unserer „stillen Reserve“, die noch im Reißverschlussfach der Tasche steckte, seinen Obolus und Trinkgeld, für das er sich vielmals bedankte. Dafür hätten wir noch zwei Tage auf Rügen verbringen können.

Doch diese wahre Geschichte wäre dann niemals geschrieben worden.

RT 2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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