Stefan Hell

Die Amor-Agentur

Es ist kurz nach sieben Uhr in der früh als Petrus mit seinem Schlüssel an die Himmelspforte tritt. Mit einem Besen, kehrt er die restlichen Sterne heraus und schaltet das Licht an, sodass der Einlass im üblich glänzenden Weiß erstrahlt. Er versucht das Ende der Menschenschlange zu erkennen die sich vor dem Eingangsbereich der Amor-Agentur gebildet hat, aber scheitert an den riesigen Massen. An den Gitterstäben reichen die ersten ihre Beschwerden ein: „Petrus, die Rolltreppe ist mal wieder kaputt. Wir mussten alle mit dem Fahrstuhl herauffahren. Und könnt ihr mal bitte den John Paul Young aus dem Aufzug verjagen. Jetzt haut der uns schon seit 30 Jahren sein „Love is in the air“ um die Ohren.“ Petrus entgegnet genervt: „Wie oft soll ich es noch sagen. John Paul Young ist unkündbar, ihr wisst doch welche großen Stücke unser Chef auf ihn hält. Und um die Rolltreppe kümmere ich mich später.“ Der vergreiste Petrus öffnet das Tor worauf die Massen durch die kleine Himmelspforte stürmen. Doch Petrus weist die Neuankömmlinge auf das neue Abwicklungssystem hin: „Die mit Termin in die rechte Schlange, die ohne bitte in die linke.“ Erst als der leicht beschwipste Amor mit herunterhängenden Flügeln verkündet, dass es losgehen kann, werden die ersten aus der rechten Schlange in das kleine Gebäude der Amor-Agentur hineingelassen. Jeder von ihnen zieht seine Zahl und setzt sich auf die bequemen Massagewolken, die im Vorraum herumschweben. „Die Nummer eins bitte“ hallt es durch das Wartezimmer. „Hallo Herr Dittmann. Wie geht es ihnen denn, kann ich ihnen vielleicht ein Glas weißes Bier anbieten?“, begrüßt Amor den Langzeit-amor-losen. Der rüstige Herr schildert dem übernächtigten Amor seine Misserfolge, die er vergangen Woche hinnehmen musste: „Ja es geht so, ich hatte letztens wieder ein paar Bewerbungsgespräche, aber leider haben die mich alle nicht genommen. Dabei habe ich mir bei meinem Lebenslauf und bei meinem äußeren Erscheinungsbild solche Mühe gegeben. Ich hab auch alle ihre Ratschläge befolgt. Ich war höflich, zuvorkommend und hab den Damen auch immer Komplimente gemacht.“ Der Engel hakt verwundert bei Herrn Dittmann nach: „Ach ja, dass kann ich mir ja gar nicht vorstellen. Geben sie mir mal ein Beispiel.“ „Ja also, bei der Mechthild beispielsweise hab ich ihr höflicherweise, den Stuhl hingerückt. Zuvorkommenderweise habe ich ihr mein Stofftaschentuch angeboten, als sie genießt hat.“ „Moment , Herr Dittmann, hatten sie das Stofftaschentuch vorher schon einmal benutzt?“, fragt Amor den Pensionär. „Ja natürlich, dass hat mein Großvater schon benutzt, das ist sozusagen ein Familienerbstück.“ Amor schüttelt den Kopf und fordert Dittmann auf fortzufahren. „Na und Komplimente hab ich ihr auch die ganze Zeit gemacht. Ich hab ihr zum Beispiel gesagt, dass ihr künstliches Hüftgelenk fast nicht zu erkennen ist und dass ich sie dafür bewundere, wie sie es schafft, dass ihr Gebiss so fest im Mund sitzt.“ Amor schmunzelt einwenig in seine Flügel hinein, kehrt aber sofort wieder zum Ernst der Lage zurück und teilt Dittmann die schlechte Nachricht mit: „Also Herr Dittmann, ich muss ihnen leider sagen, dass sie unvermittelbar sind. In nächster Zeit schaut es auf dem Amormarkt nicht sonderlich gut für sie aus. Die Freudenhäuser versauen uns die Konjunktur. Aber sie brauchen nicht sonderlich traurig sein, denn sie wissen ja, dass wir unsere Langzeit-amor-losen nicht hängen lassen. Sie erhalten weiterhin ihr Amorlosengeld in Höhe von 350 Engeleuro pro Monat. Sie müssen immer denken, dass sie es nach ihrem Ableben deutlich besser haben werden als die anderen. Also Herr Dittmann, lassen sie den Kopf nicht hängen“ Amor arbeitet sich durch die Massen durch. Er bietet einigen eine Umschulung zum Islamisten an verbunden mit den üblichen Zwangsheiratskursen. Bei den schwer Vermittelbaren setzt Amor das letzte Mittel ein und spendiert diesen eine Reise nach Thailand. Um punkt zwölf Uhr geht Amor in die Mittagspause. „Was gibt’s denn heute in der Kantine, doch nicht etwa schon wieder Götterspeise.“ fragt er seine beiden Assistentinnen. Als diese seine Frage bejahen, stapft der Engel schlecht gelaunt zu seinem Esstisch. In der Kantine unterhält er sich mit Petrus
über die Arbeit und schluckt widerwillig sein Mahl herunter. „Ist der Chef eigentlich immer noch im Urlaub? Ich muss mich mal über das Essen hier beschweren.“ fragt Amor durch die Sitzbänke hindurch, erhält aber keine Antwort. Als er zurückgehen will wird er auf den Müll hingewiesen, den er hinterlassen hat. „Soll sich doch der Umweltengel darum kümmern ich hab keine Zeit“ entgegnet Amor genervt. 
Die Amorlosen wollen nicht weniger werden. Doch ihn soll dies nicht kümmern. Er hat wieder mal einen Außentermin. Er hängt sich Armbrust und Köcher um und zupft sich seine Federn zurecht. Nach 15 minütigem Flug erreicht er sein Ziel. Er lauert den zwei Amorlosen in einem Baum im Stadtpark auf. Er sieht die zwei: Sie geht mit ihrem Hund spazieren und er joggt durch das Wäldchen am anderen Ende des Parks. Amor montiert das Zielfernrohr und spannt einen Pfeil. Er visiert den joggenden Mann an, schießt, Getroffen! Hektisch spannt er den zweiten Pfeil ein, visiert die Frau an, schießt und trifft den Hund. Der Vierbeiner rennt umgehend dem Läufer hinterher und vergeht sich an dessen Bein. Mit einem Neutralisations- und einem weiteren Liebespfeil bereinigt Amor die Situation und drückt auf den Knopf seines Hermes-Handys. Der Götterbote schwebt von unten ran und fragt ihn was er von ihm will. „Ich hätte eine SMS für das Materiallager. Sie sollen Pfeile nachbestellen und mir endlich ein neues Zielfernrohr liefern.“, wirft ihm Amor an den Kopf. Gefrustet fliegt er zu seinem nächsten Außentermin. Er liest nochmals die Akte durch: „Aha, Nachbar und Nachbarin, das dürfte nicht so schwer sein.“ Er schaut durch das Fenster sieht den Mann und die Frau, visiert den Mann an, schießt Getroffen! Er ladet seine Armbrust nach, visiert die Frau an, die dreht sich im letzten Moment um, schießt, Steckdose Getroffen. Der Mann entblößt sich und beginnt die Steckdose zu begatten. Erneut ruft er Hermes und befielt ihm, Petrus auszurichten, dass er den Neuankömmling Markus Meller an der Himmelspforte abfangen und „wegen irrtümlichen Ablebens“ zurückschicken soll. Deprimiert fliegt er zurück ins Himmelreich. Er geht zurück an seinen Schreibtisch und schickt die restlichen Amorlosen aus seinem Büro. Für heute ist die Amor-Agentur geschlossen. Per Eilhermes kommt das Mahnschreiben von der Aufsichtsbehörde, das er schon erwartet hatte. Nachdem er mit seiner Unterschrift erklärt hat, dass er derartige Ressortüberschreibungen wie im Falle Mellers, in Zukunft unterlassen wird, sinkt Amor in seine Flügel. „Das Amor-Geschäft ist auch nicht mehr dass, was es einmal war. Wie soll man als Einzelner diesen Massen noch Herr werden?“ Er holt ein Glas heraus und trinkt daraus seine Feierabendambrosia. Torkelnd geht er an den geschlossenen Himmelspforten vorbei und sieht sich noch mal die Menschenmassen an, die auf den Wolken campieren. Er legt sich auf seine Wolke und schläft vom Alkohol benebelt sofort ein.
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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