Daniel Gippert

Drowning in you - Kein Weg zu Dir -



Eine sanfte Brise zieht über das Feld einer mittelgroßen und
alten Farm mitten in Montana.
Die dadurch raschelnden Blätter die noch übrig auf den
Bäumen hängen bewegen sich hin und her und als die Brise sich stärkt, fallen
zahlreiche von ihnen wie ein Heer von kleinen Fallschirmen auf die Erde um
allmählich den Boden des ansonst grünen Feldes in einen sanften,
Herbsttypischen Braunton zu bedecken.
Nach kurzer Zeit herrscht wieder vollkommene Stille. Nur ein
paar Vögel die weiterweg umherkreisen sind zu hören. Der Himmel ist klar und
nur kleine, vorbeiziehende Wolkenschleier sind Sichtbar als die langsam
untergehende Sonne den Himmel leicht rot einfärbt.
Carlton Russel sitzt mit einer verschlissenen, mit Ölflecken
und von Erde verdreckten Jeans vor einem alten aus den 50ziger Jahre stammenden
Traktor und tauscht einige Einzelteile die vom Verschleiß gekennzeichnet sind
aus. Schon wochenlang versucht er den Traktor, ein Überbleibsel aus längst
vergessenen Zeiten wieder ins Laufen zu bekommen. Mit seinem weißen T-Shirt,
das nicht wesentlich sauberer ist als die Jeans, reinigt er einzelne Schrauben
und wischt das Öl von den jeweiligen Kleinteilen ab.
Als er gerade eine Mutter mühsam und halbwegs fest über eine
Schraube dreht, hört er wie im selben Augenblick eine große, geradezu
allmächtig erscheinende Transportmaschine in geringer Höhe vorbeidonnert.
Aufgrund der niedrigen Höhe erzittert der Boden wodurch die
Tasse Kaffee, die Carlton schon längst vergessen hatte und mehr als noch
halbvoll war, umkippt und auf seine ohnehin dreckige Hose fällt. Carlton schaut
ohne weitere Gedanken der Maschine hinterher bis sie am Horizont hinter den
Hügeln verschwindet.
Er denkt nur darüber nach das er jetzt neuen Kaffee
aufsetzen musste.
 

An einem frühen Donnerstagmorgen sitzt Sophie an ihrem
Arbeitsplatz in ihrem Büro und hat gerade eine Tasse Earl Grey Tee eingeschänkt
als sie die aktuelle Zeitung aus ihrer Handtasche herausnimmt um eine kurze
Pause zu machen, bevor der Arbeitsintensive Alltag beginnt und sie von ihm
vollkommen vereinnahmt wird.
Noch ist nichts von der Hektik und dem Stress zu spüren der
ab Neun Uhr beginnt.
Sophies Kollegen sind noch nicht in der Firma eingetroffen
also beschließt sie die kurze Ruhe zu genießen, ihren Tee zu trinken, dabei die
Zeitung zu lesen und ihr Frühstück das sie von Zuhause mitgenommen hatte zu
essen.
Sie wollte an diesem Morgen in aller Ruhe in den Tag starten
und sich diese Zeit gönnen.
Aus ihrem Büro im siebten Stock konnte sie auf eine der
Hauptverkehrsadern schauen die durch die Stadtmitte führte, gegenüber lag eine
Reihe von kleineren Geschäften, die fast schon von den großen Bürohäusern verschlingt wurden die sich hinter
ihnen in Massen auftaten.
Auf der rechten Seite lag ein kleiner Park, um die
Mittagszeit würden sich dort scheinbar sämtliche Leute aus den Büros einfinden
um dort ein wenig frische Luft zur Mittagspause zu schnappen und für kurze Zeit
von der stickigen Luft aus den Büros zu flüchten. Auch Sophie würde am Mittag
raus an die frische Luft gehen und wie fast jeden Tag sich auf eine Bank setzen
und die Menschen kommen und gehen sehen. Ihnen zusehen wie manche von ihnen
miteinander reden oder einige lachen oder diskutieren. Andere würden alleine
irgendwo sitzen, Zeitung lesen oder in die Gegend gucken, Hauptsache ungestört
sein.
Und dann, nach circa dreissig Minuten, wäre der Park wieder
ausgestorben wie die restliche Zeit, dann wenn alle wieder in die Büros
verschwinden, ihren Aufgaben nachgehen bis sie am Abend nach Hause zu den
Familien fahren. Dann, wenn der Park seine scheinbar schützende Hand abgewendet
hatte und die Menschen in ihm wieder vom Alltag aufgesaugt und eingesammelt
wurden, wie ein Rudel Wölfe das immer wieder gezwungenermaßen beziehungsweise
Evolutionsbedingt zum zentral Punkt zurück gelangt, zweifelsohne bei den Wölfen
der Rudelführer. Manchmal erschien Sophie als würde der Park, der - so scheint
es - im gesamten Gebiet der grünste Fleck ist und um ihn herum nur graue Fassaden
von Häusern, Büros und Straßen liegen, zu ihr sprechen, ihr irgend etwas
flüstern, sie vor irgend etwas warnen - aber sie konnte es nicht auffassen.
Oder sie wollte es nicht, man würde sie zweifelsohne für
Verrückt erklären.
Trotz dessen würde sie wie jeden Tag den Weg in den Park
finden.
 

Es ist Freitagmorgen, gegen halb Sieben steht Carlton aus
dem Bett, zieht sich einen beigen Wollpullover und eine Hose an. Wie jeden
Morgen tapst er noch ein wenig träumerisch in die Küche des alten Farmhauses und
zündet den Gasherd an  um seinen
morgendlichen Kaffee aufzusetzen.
Er kann von der Küche aus direkt auf das Feld schauen das am
weiten Ende nur von Ausläufern eines Hügelwaldes unterbrochen wird. Eines
Tages, sagt er sich, würden schöne und in seinen Augen edle Hochlandrinder dort
grasen und auf einem abgetrennten Bereich noch einige Ziegen, Schafe oder gar
Texanische Pferde stehen. Doch derzeit fehlten ihm die Mittel diese zu
beschaffen oder gar zu unterhalten. Derzeit grasen keine Rinder, wiehern und schnaufen
keine Hengste. Zur Zeit, und das wohl noch eine Weile, würde er wohl ohne die
für ihn so befriedigenden Laute der Tiere aufstehen. Er hatte die Farm vor gut
einem Jahr als Hinterlassenschaft seines verstorbenen Vaters geerbt. Es war
eine Traditionelle, hölzern gebaute Farm die sein Vater damals selbst
hochgezogen hatte. Damals hatte sein Vater ein Dutzend Rinder und einige Pferde
auf den Wiesen beherbergt. Man kann sogar jetzt noch an einigen Stellen und
Räumen den Geruch einer typischen Farm riechen, den Geruch nach Heuballen,
Leder und Rindern. Carlton selbst ist auf dieser Farm Groß worden und,
abgesehen von der Zeit am College, hatte er immer auf der Farm gelebt. Auf der
Wiese hinter der Farm hatte er oft als kleiner Junge mit einer Selbstkonstruierten
Wurfmaschine Bälle geschlagen und sich vorgestellt er wäre ein Baseballstar.
Er hatte durchaus das Zeug dazu gehabt, er hatte solch einen
starken Schlagarm das die Bälle die er weit davon schlug das ein oder andere
Fenster eines Gegenüberliegenden Schuppen der seit Jahrzehnten leer stand
zertrümmern ließ. Einmal hatte Carlton den Ball so hart getroffen das eine
Querlatte des Schuppens brach;
immerhin - der Schuppen lag am anderen Ende einer großen
Wiesenfläche circa 120 Meter entfernt. Oft warfen sich sein Vater und er auch
stundenlang Bälle zu, dass machten sie oftmals bis in den späten Abend.
Doch eine Knieverletzung am rechten Knie beendete ein für
alle mal Carltons Träume eines Tages Baseball zu spielen. Er hatte sie sich
zugezogen als er als kleines Kind einmal einen Baum herabstürzte.
Doch als sein Vater älter wurde und erkrankte verkaufte man
das Vieh und schloss die Farm.
Sein Vater kam in ein Pflegeheim nachdem er längere Zeit im
Krankenhaus verbrachte.
Nach dem College, was er aufgrund des erkrankten Vaters
abbrechen musste ging er nach Boston um dort als Journalist für den Boston
Globe zu arbeiten.
Gelegentlich hatte er auch einige Kolumnen über dies und
jenes geschrieben. Ohne Zweifel, das schreiben war neben dem Sport seine größte
Leidenschaft. In ihr konnte er seine Freiheit finden und seine Gedanken der
Welt, beziehungsweise der Welt die innerhalb des Auflagenbereiches des Boston
Globe lagen, mitteilen.
Einmal hatte er in seiner Kolumne einige Politiker von
Neu-England aufgebracht als er über die wirtschaftlichen Probleme der Region
schrieb. Carlton selbst war ein eher introvertierter Mann und genoss ab und zu
lieber die einsame Zeit als sich irgendwo da draussen in den Städten in
irgendwelchen Bars oder Clubs zu verlieren.
Er war kein Menschenscheuer Typ, ganz im Gegenteil, doch
genoss er auf eine Art und Weise die vielen unverständlich war eher die
Abgeschiedenheit. Als sein Vater starb bekam er vom Familienanwalt und
langjährigen Freund des Vaters einen Anruf mit der Nachricht über den Tod.
Brian Simmons, der Jura und Rechtswissenschaft an der
Harvard University studiert hatte, rief ihn an um sich mit ihm zu treffen und
über das Testament zu sprechen.
Brian war ein angesehener Anwalt und Notar in Great Falls,
Montana, der sich hauptsächlich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert hatte. Die
Stadt Great Falls lag am Missouri und Brian war hier aufgewachsen. Hier hatte
er am Rande der Stadt ein schönes Einfamilienhaus für sich, seine Frau und
seine zwei Kinder gekauft. Bis zu seiner Kanzlei waren es mit dem Auto
gerademal 10 Minuten und zur Mittagspause fuhr er regelmäßig zum Essen nach
Hause.
 

Brian traf Carlton an einem Samstag und Carlton hatte ihm zu
einem Spiel der Red Sox eingeladen, da er als Sportjournalist an günstige
Karten kam. Als das Spiel zu Ende war hatten sich beide entschieden die
Formalitäten beim Abendessen im Restaurant zu klären. Nachdem beide über
Familie und Job geredet hatten ging Carlton zum Hauptthema über. »Es ist schon
komisch« sagte Carlton als er einen Schluck Wein nimmt »Nach all den Jahren
kommt mir mein Vater so entfernt vor, als wäre er ein halbwegs Fremder. Und
doch hab ich noch vor Augen wie wir beide uns hinter der Scheune Bälle zu
werfen« ergänzte Carlton nachdenklich und sichtlich betrübt. »Carlton, es ist eine
schwere Zeit« antwortete ihm Brian der genüsslich seine Spaghetti aß aber
dennoch Carlton sachlich zuhörte. »Deinem Vater ging es die letzten Jahre immer
schlechter und ich denke es war letztendlich eine Erlösung vom Leid und
Elend...« versuchte ihn Brian zu besänftigen und zu beruhigen. »Ja, Du hast
Recht« stimmte ihm Carlton zu »Es ist nur ein komisches Gefühl das er nun nicht
da ist, dass die Zeit vergeht, Tag ein Tag aus - und doch Leben wir unser Leben
um irgendwann zu sterben« Brian hörte auf zu kauen und blickte mit leeren Augen
auf den Tisch als Carlton das sagte und für einen Bruchteil schien er garnicht
dazusein sondern geistig ganz wo anders. Doch dann holte ihn die Realität
wieder ein und er antwortete »So sieht's aus, dass ist nunmal das Verdammnis
des menschlichen Lebens.«
Nach einigen Gläsern Wein und Gesprächen über Politik und
sonstige Nachrichten verabschiedeten sich beide Männer am späten Abend. Brian
würde zurück nach Montana fliegen und Carlton in sein Appartement gehen und
schlafen da er müde geworden war.
 

Carlton steht noch immer vor dem Gasherd seiner Küche und
starrt aus dem Fenster hinaus, nur das aufbrodeln des Kaffeekochers holt ihn in
die Realität zurück. Er schüttet den Kaffee in die Tasse und gibt zwei Löffel
Zucker zu und begibt sich auf die Veranda um auf das weite Feld vor ihm in die
Ferne zu blicken.
Nach zwei Schlücken aus der Tasse blickt er auf den maroden
Traktor und findet sich mit dem Gedanken ab, dass es wohl billiger und zudem
Zeitsparender wäre einen neuen zu beschaffen als diesen Überbleibsel zu
reparieren. Unzählige Arbeitsstunden hatte er schon in ihn investiert und doch
kamen immer wieder neue Übel auf und zudem kam noch dazu das es bei einigen
Teilen keine Ersatzteile mehr gab und Carlton improvisieren musste. Auch kam
ihm schon öfter der Gedanke wofür er ihn überhaupt reparieren sollte da er
keine Farmarbeiten tätigen konnte da sowieso kein Vieh anwesend war.
Vor einer Woche kam eine Gruppe Geschäftsleute vorbei die
das Landgut angesehen hatten und ihm ein Großzügiges Kaufangebot gemacht
hatten. Die Unterlagen liegen immernoch unangerührt auf dem Küchentisch und mit
dem Geld könnte er sich irgendwo in einer Stadt vielleicht ein Haus kaufen.
Doch wollte er wirklich die Farm verkaufen und somit den
Großteil seiner Kindheit und Jugend auslöschen?
Das Geld war ein guter - überaus guter - Köder, aber würde
er damit der Farm, die sein Vater mit seinem Schweiß und eigener Kraft
aufgebaut hatte, dem Untergang weihen.
Zweifelsfrei würde hier eine industrielle Viehzucht oder ein
Großbetrieb aus dem Boden gestampft werden und damit die Erinnerung gelöscht
werden; Ein für alle Mal, ohne zurückkehren zu können.
Carlton war unentschlossen; würde er dem Reiz des Geldes
nachgeben, ein Haus kaufen und das alles hier loslassen und somit wie viele
andere auch den Mitteln der heutigen Gesellschaft sich unterwerfen, sich
abhängig machen, abhängig vom Geld, abhängig und an die Gesellschaft der
Menschen gebunden ?
 

Als Sophie in ihrem Büro gerade anfängt einen Bericht
abzutippen, unterbricht sie ein Kollege und fragt sie ob sie wüsste wo ihr Chef
derzeit wäre, was sie jedoch verdutzt verneinte. Als sie gerade fragen will
worum es geht und ob sie ihm etwas ausrichten könne, wendet er sich ab und
blickt zu zwei in Anzügen gekleideten Männern, die ohne eine Miene zu ziehen
vor der Lobby stehen und das verneinende Nicken von Sophies Kollegen
wahrnehmen. Sophies Interesse erweckt als auch sie die beiden Männer erblickt
und sie fragt sich was diese wohl wollen und was die Frage nach ihrem Chef sollte.
Ohne weiter darüber nachzudenken wendet sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Eine
halbe Stunde später, als sie gerade den Bericht fertig abgetippt hat, klingelt
ihr Telefon und ihr Mann meldet sich am anderen Ende.
Er fragt sie ob sie in der Mittagspause etwas zusammen essen
gehen wollen da er ganz in der Nähe ihrer Firma ist. Nach kurzer Denkpause
schnauft Sophie ins Telefon
»Bist du also in der Stadt?« fragt sie ihn um eine Antwort
ohne großen Grund zu finden herauszuzögern »Ja, und ich könnte dich in einer
halben Stunde abholen« antwortet er.
»Und was tust du gerade? Wieso bist du denn hier in der
Nähe, musst du nicht ganz woanders sein?« erwidert Sophie erneut um eine
Antwort zu verzögern, wobei sie bemerkt das sie das anders ausdrücken hätte
können, nun scheint es ihr hat die Antwort zuviel verraten »Nein, es kam was
dazwischen und deshalb bin ich nun doch in der Stadt« nach kurzer Denkpause
fährt er fort »Schatz, ich dachte mir wir können schön gemeinsam zu Mittag
essen, aber wenn du keine Zeit hast oder nicht willst dann ist das auch okay«
fügt er in einem leicht gereizten Ton zu. »Nein, ich hatte mich nur
gewundert...,klar - es geht okay, also um Zwölf dann« ein wenig widerspenstig
gibt Sophie nach und beendet das Telefonat, obwohl sie lieber ihre Mittagspause
für sich gehabt hätte um somit ganz für sich zu sein, aber aus Angst ihn zu
verletzen oder mit ihm zu diskutieren gab sie bei und fügte sich, obwohl sie
dadurch unterbewußt ein unbefriedigendes Gefühl bekam.
Sophie war eine gebildete junge Frau, die sich schon während
ihres Studiums als Geologin mit tiefsinniger Philosophie beschäftigte. In ihr
fühlte sie sich am Ursprung, dem Ursprung der Menschen und des Lebens.
Sie liebte dicke Wälzer von großen Philosophen der damaligen Zeit zu lesen und
je mehr sie drin versank, schien es ihr als ob ein großes schwarzes Loch sich
auftat in das sie fiel, ohne jedoch irgendwelche Antworten zu finden. Seit
ihrer Kindheit herrscht in Sophies unterbewussten Geist ein Konflikt, ein
Konflikt den sie Jahrelang schon austrägt und der an ihr zerrt.
Ihre Gedanken regten sich um das Leben und was daraus in heutiger Zeit wurde;
sie beobachtete wie sich allmählich die dunklen Elemente des Leben wie ein
Schleier niedersetzen, ihr gefiel es nicht das Eigenschaften wie Egoistisches
Handeln, Besitzergreifung, Alltagsroutine und Pflichten den menschlichen
Charakter immer mehr in Besitz nahmen. Sie sah wie die Menschen um sie immer
mehr verstumpften und Weltweite Krisen, Kriege oder Armut fast schon Alltäglich
erschienen und es Gang und Gäbe war diese jeden Tag durch die Medien hinunter
prasseln zu sehen.
Sie fragte sich oft "Was bedeutet Leben?" - nach
dem Sinn des zivilisierten Leben war das:
Eine gute Bildung, ein guter und sicherer Job, dann
irgendwann eine Familie gründen und irgendwann im Alter sterben. In ihren Augen
war das die Richtlinie an die man sich halten musste um erfolgreich zu sein.
Doch welchen Preis musste man dafür zahlen? Die kapitalistisch basierte
Globalisierung und der Druck der Gesellschaft dem man ausgesetzt war, machten
es eigentlich für jeden unmöglich Erfolgreiches Leben und Erfülltes Leben zu
kombinieren geschweige denn auszuleben. Oftmals verfiel sie, wenn sie für sich
war, in tiefe Depressionen; all diese Fragen, Fragen nach dem Sinn des Lebens führten
zu einem in ihr brodelnden und grummelnden Krieg der ihr schier endlos vorkam.
Mit ihrem Mann konnte sie jedoch darüber nie reden, auch mit
ihren Kollegen kam es nicht in Frage und so trug sie diesen Kampf weiterhin für
sich aus.
Sie konnte sich nicht frei entfalten was ihre Gedanken
anging, zu groß war der Druck und die Angst vor der Gesellschaft. Die Angst war
da, dass sie ihren Gedanken keinen freien Lauf lassen konnte und das was wohl
im Leben noch auf sie zukommt.
Eines Abends einmal, an einem verregneten, Grau-trüben
Freitagabend im Winter gingen diese Gedanken fast schon in Selbstmord über. Nur
um Haaresbreite entkam sie wieder dieser Versuchung. Alles was ihr übrig blieb,
war weiterhin wie jeden Tag ihres Lebens gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Doch wie lange konnte sie diesen Konflikt noch unterdrücken,
denn allmählich nahm ihr das die ganze Kraft und ein Ausweg war bisher nicht in
Sicht.
 


Als Carlton am Küchentisch sitzt und fast schon als sei es
mehr Routine als Vergnügen eine Zigarette anzündet und die ersten Züge nimmt,
sieht er auf das Papier das vor ihm auf dem Tisch liegt. Je länger er es
anstarrt um so mehr erscheint es ihm als wäre dieses Papier das Tor in eine
andere, ihm bisher verwehrte Welt, eine Welt in der er schon lange leben wollte
- eine Welt irgendwo da draussen in der Zivilisation, er würde sich dort früher
oder später an das dortige Leben anpassen.
Mit Geld könnte er sein Leben ausleben, das Stadtleben
genießen und vielen Aktivitäten nachgehen. Vielleicht würde er jemand
kennenlernen, jemand mit dem er viel reden und über viel mehr diskutieren kann,
Spaß haben aber trotzdem ernst sachlich auch Gespräche halten. Vielleicht hätte
er dort ein ausgeglichenes Leben voller Freude, Spaß und Vergnügen - umgeben
von Menschen die es wohl aus dem selben Grund in die Städte zog.
Und plötzlich überkommt ihn ein mulmiges Gefühl. Er wäre
umgeben von Menschen die allesamt tief im Innersten ein dunkles Geheimnis
führen, eines über das keiner redet obgleich jeder weiß das es da ist. Jeder dieser
Millionen Menschen, auch noch so verschiedenster Art würde dieses gemeinsame
Übel in sich tragen.
Er denkt sich, jeder dieser Menschen auch noch so
ausgeglichen oder mit gutem Job ausgestattet hätte in seinem Unterbewusstsein
den Drang nach Freiheit und freies entfalten der Persönlichkeit aufgrund des
gesellschaftlichen Lebens in die hinterste Ecke des Geistes, der Seele
gesteckt. Viele von ihnen total vereinnahmt vom Alltag des Lebens, immer den
selben Ablauf, jede Woche, jeden Monat - ein Leben das in seinen Augen kein
Leben war.
Er würde sich mit Unterzeichnung des Kaufvertrages in diese
Gesellschaft eingliedern, in den Club der Menschen, die den Großteil der
Erdoberfläche bedecken. Er wäre eingegliedert bei denen die das Recht auf
freies Denken, Menschlichkeit und Tugenden längst vergessen hatten. Er wäre nur
einer von vielen, Millionen und Milliarden, er wäre einer unter ihnen die sich
dem Kapitalbasierten Lebens unterwerfen würden. Das Individuum in ihm würde eines Tages auf der Strecke bleiben,
abgeworfen und vergessen zwischen all den Einflüssen der heutigen Gesellschaft.
Je länger er in diesen Strudel von Gedanken versinkt um so
panischer wird er.
Ihm wird klar das er damit sein früheres Leben wegwirft um
der Moderne zu weichen.
Das Land auf dem er gerade stand, dieses Fleckchen Erde, sei
es auch nur ein Sandkorngroßes Stück im Vergleich zum Gesamtbild der Erde,
würde er weggeben, der Vergangenheit den Rücken zu wenden und für immer
fortgehen. Und ihm wird klar das dieses kleine Stück ein um so größeres Stück
in ihm wegreißen würde.
Nach all dem was er hier erlebt hatte konnte er es nicht
aufgeben.
Er wollte und durfte es nicht, er beschließt den Kaufvertrag
zu zerreißen.
Obwohl er trotz all dem dadurch seine finanzielle Lage nicht
besserte und er auch nicht recht wusste was noch in Zukunft auf ihn zukam,
fühlte er wie ein wohliges Zufriedenheitsgefühl in ihm aufkam. Er beschließt
die Zeitung zu nehmen, die aktuellen Themen zu durchstöbern um so auf andere
Gedanken zu kommen.
Seine Zigarette war schon bis auf den Filter abgebrannt ohne
das er, abgesehen von zwei Zügen, groß etwas von ihr hatte. So hing nur noch
der Aschestengel am Filter als sei er schon Jahrzehnte lang dort ohne jemals
bewegt worden zu sein. Doch als Carlton ihn ansieht schaut er mit
nachdenklichem Blick drauf und nickt sich innerlich zu und erkennt das der
abgebrannte Glimmstengel ein Abbild des Lebens war; Alles ist vergänglich,
nichts ist für die Ewigkeit, wo ein Anfang war wird auch ein Ende sein.
Er hatte schon oft darüber nachgedacht mit dem Rauchen
aufzuhören doch bisher fehlte ihm einfach die Motivation. Die Zigarette war für
ihn ein nötiges Ventil um abzuschalten, um bei Stress nicht an die decke zu
gehen , aber oft war es (und dazu war es in letzter Zeit öfter gekommen) auch
nur ein Zeitvertreib.
Ihm kam es so vor als ob mit jeder Zigarette die er rauchte
die Zeit schneller verging.
Nach einer Weile beschließt Carlton in die Stadt zu fahren
nachdem er sich frisch gemacht hatte. Er wollte bei einem Händler mal nachsehen
ob er das ein oder andere Einzel- oder Ersatzteil für den Traktor finden würde.
Zudem wollte er noch ein paar Lebensmittel einkaufen.
In dem kleinen Ramschladen sucht sich Carlton verschiedene
Einzelteile zusammen und bezahlt diese beim älteren Verkäufer. John Wood, der
den Laden schon so lange führte wie Carlton denken konnte, war ein warmherziger
und offener Mensch, mit seiner lustigen Art brachte er so ziemlich jeden zum
schmunzeln. Wenn irgendwas in dem kleinen Örtchen passierte oder irgendwelche
Gerüchte kursierten , war John immer der Erste der Bescheid wusste. Mit seinen
unzähligen Geschichten über das Leben konnte er Menschen regelrecht fesseln.
Als junger Mann bereiste er viele Länder der Welt als Matrose und später als
Kapitän der Handelsmarine. Er hatte unzählige Menschen und die verschiedensten
Charaktere schon getroffen und keiner konnte ihm, was die menschliche Art
anging, das Wasser reichen.
Schon öfters vergaß Carlton in den vielen Gesprächen mit
John die Zeit und er hörte ihm gerne zu. Er mochte es wie John über das Leben
redete und oft holte Carlton bei ihm wichtige Tips ein. Auch an diesem Abend
fing John an Carlton ein Gespräch aufzuschwätzen
»Na, wie läuft das Leben auf der Farm, hast du noch alles im
Griff oder muss ein alter Mann dir unter die Arme greifen?« fragt ihn John
worauf Carlton leicht ironisch ihm entgegnet »Ein alter Mann der es nicht
lassen kann überall seine Hände im Spiel zu haben, aber es läuft, nicht mehr
und nicht weniger - es läuft halt.«
»Die Farm deines Vaters ist ein Prachtstück, ich meine die
ein oder anderen Dinge sind noch zu erneuern, aber das ist es Wert; und das
musst du dir vor Augen halten mein Junge« rät ihm John.
»Ja ich weiß, ich kann nur hoffen das mir die Mittel bis
dahin nicht ausgehen«
John guckt Carlton in die Augen, beugt sich ein wenig über
den Kassentresen um ihm näher zu sein und antwortet in einem tiefsinnigen Ton
»Dein Vater war eine Persönlichkeit wie ich sie selten gesehen habe, er hatte
den Traum eine Farm aufzubauen und diese bis er alt würde zu führen, es war für
ihn die Realisation einer ihm erschienenen Vision und auch als er bemerkte das
dies kein Zuckerschlecken werden würde, gab er nicht auf diesen Traum zu
verwirklichen« in diesem Augenblick greift John in eine Schublade und kramt ein
Stapel alter Fotos hervor die Carltons Vater beim Bau der Farm zeigten.
»Dein Vater war ein zäher Mensch und ihm war es vollkommen
egal ob es im Herbst stürmte, regnete und blitzte oder im Winter die Kälte
jeden Handgriff zur Tortur machten, im Sommer tropfte sein Schweiß auf die Erde
und das nur um seinen Traum zu realisieren. Er war oft bis in die Nacht am
werken und fing morgens um halb sechs wieder an.« Mit großen Augen schaut
Carlton auf die Fotos, selbst ein Foto von ihm mit seinem Vater war dabei. Er
kann sich noch gut an diesen Tag erinnern, es war ein Spätsommerlicher Abend
und während sein Vater baute spielte der junge Carlton auf der Wiese.
»Er war ein toller Vater, er fehl mir« antwortet er John
»Nun ja, ich bin mir sicher das du deinen Weg gehst den du für richtig hältst,
dein Vater ging diesen Weg und du wirst deinen finden, nur denke immer dran,
man sollte darauf vorbereitet sein einen schweren Weg vor sich zu haben« rät
ihm John und als Carlton die Tüte greift mit den Einzelteilen und zur Tür schlendert
ruft ihm John noch zu:
»Und Carlton, diese Farm war und ist das Lebenswerk deines
Vaters, bedenke jeden Schritt den du unternimmst, nicht immer ist das was man
sieht oder fühlt auch tatsächliche Wirklichkeit, nicht immer ist der leichteste
Weg der richtige.« Obwohl Carlton ihm nichts von den Investoren und dem Angebot
erzählt hatte fühlt er das dieser Satz nicht ohne Grund gesagt wurde. »Wir
sehen uns John - und Danke« verabschiedet er sich und geht aus der Tür. Als er
den Laden verlässt schaut Carlton in den Himmel und nimmt einen tiefen Zug Luft
und pustet sie aus, als wäre damit durch ein Ventil Druck abgelassen worden.
Er sieht auf die Gegenüberliegende Straßenseite und
beobachtet die Einwohner wie sie umherziehen, reden, gemeinsam lachen und einige
bei einer Tasse Kaffee im Eckcafé sitzen.
Auf dem nachhause Weg denkt Carlton noch über das nach was
ihm John gesagt hatte. Er fing an zu grübeln woher John wusste das er im
Zwiespalt in Sachen Farm war.
Wie konnte dieser Mann bloß soviel wissen? Er hatte in
letzer Zeit, zumindest seit die Investoren zu Besuch waren, nicht mit John
gesprochen und auch sonst wüsste er nicht wem er dies erzählt hatte.
Am späten Abend bekommt Carlton einen Anruf von einem
Bekannten, sie sprechen stundenlang da sie sich lange nichts mehr voneinander
gehört haben. Carlton erzähl von den Zweifeln die er bezüglich der Farm hatte
und seinen Ängsten das die Mittel und die Kraft ihm ausgehen würde. Nach
ungefähr zwei Stunden legen sie auf und in dem selben Augenblick überkommt Carlton
die Sehnsucht nach seinem eigentlichen Hobby, ihm fällt auf, dass er seit der
Erbschaft der Farm das Schreiben vernachlässigt hatte und wie sehr er langsam
aber sicher immer mehr in sich kehrte, einsam war und die Tage nur so
verstrichen ließ.
Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, von den vielen und
unzähligen Gedanken, von den Sorgen und Ängsten die er hatte. Jedoch innerlich
merkte er wie nach und nach das alles dazu beitrug das er immer mehr reinsog
und ihn langsam zerbrechen ließ. Er wollte nicht länger diesen Kampf kämpfen,
er war gegen sich selbst Machtlos. Er sehnte sich nach der Zeit der Jugend und
Kindheit zurück, all der Spaß, sorglos zu sein - diese gewisse frische
Fröhlichkeit als Kind, wo war sie plötzlich? Er fragt sich was nur aus ihm geworden
war, seine Kraft und Hoffnung - all das war im Laufe der Jahre verloren
gegangen. Er tauschte das alles gegen das typisch-Erwachsene "Ich":
Stress, Hektik, Erfolgsdruck und das Gefühl immer alles richtig machen zu
müssen, immer den Leuten und Mitmenschen etwas zu beweisen. Das immer währende
Streben nach Perfektion, alles musste im heutigen Leben Perfekt sein. Doch das
worauf er als Kind sich so gefreut hatte, das Erwachsenwerden, hatte ihn nach
all den langen Jahren kaputt gemacht. Er träumte von einem eigenen Haus, einem
guten Job und einer glücklichen Familie. Doch aus seiner Sicht hatte er nichts,
er stand leer da.
Ohne Familie zu der er jeden Abend nach der Arbeit nach
Hause kommen würde, mit den Kindern spielte und alle gemeinsam Abend essen würden.
Er hatte längst das Feuer der Ideen und des Potentials, was schon seine Lehrer
damals in ihm sahen, verloren. Er hatte als Kind schon oft davon geträumt sein
eigener Chef zu sein, niemand der ihm reinreden kann, seine eigene Firma die er
wie sein eigenes Kind großziehen würde. Aber alles kam anders, die Träume
platzten, seine Eltern ließen sich Scheiden, er brach mit seiner Leistung in
Schule und Job ab und verlor am Ende seine ganze Kraft. Seine komplette Welt
brach von ein auf den anderen Tag zusammen. Und das, sein Leben, seine
Erfahrungen und Seinesselbst machten ihn kaputt. Er konnte die Menschen nicht
verstehen die sich über viele unnötige und nebensächliche Dinge aufregten.
Er sah in den Menschen die Unzufriedenheit. Und zum größten
Teil ging es immer nur um ein und das Selbe: Geld, noch mehr Geld und immer der
Beste sein zu wollen.
Es ging immer nur um einen selbst, niemand durfte besser
sein, niemand mehr verdienen oder vor einem in einer Reihe sein. Die gesamte
weltliche Erscheinung war ein großer, komplexer Kneul voller Egoismus, Neid und
Gier. Obwohl er damals das nicht so sah, so wusste er das die Kindheit der
perfekte Begriff für Freiheit und Frieden war. Jeder hatte dieses Gefühl
unbewusst gelebt, doch die wenigsten wusste als Kind dies auszuleben. Und jeder
hatte dies irgendwann für materiellen Vorteil und Erfolg vergessen.
 

Mitten in der Nacht wacht Carlton auf, es war halb drei, in
völliger Dunkelheit blickt er auf seinen Radiowecker und schaltet die
Nachttischlampe ein. Er hat unruhig geschlafen und zudem einen dieser typischen
Träume gehabt die er schon des öfteren hatte. Es war die Art von Traum in der
er machtlos und ohne Chance es zu ändern eine für ihn wichtige Sache verlieren
sieht, er sieht wie diese aus seinen Händen gleitet ohne sie wirklich
festhalten zu können. In diesen Träumen war er dazu Verdammt mit anzusehen wie
er sie verliert und nie wieder zurückbekommen wird. Es war ein Traum indem er
machtlos sehen musste wie die Person die er liebte, für die er schwärmte und
alles tun würde wegschweift und nie wieder zurückkommt.
Er hatte von Sophie geträumt. Vor langer Zeit hatte er sie
durch Zufall kennengelernt und schnell bemerkt das sie etwas ganz besonderes
war. Sie waren von Anfang an auf der selben Wellenlänge, hatten viele gleiche
Ansichten und er liebte es ihr zuzuhören. Ihm war egal ob es romantische,
schöne Gespräche waren oder aber ernste Themen, für ihn war es der schönste
Augenblick ihre Stimme zu hören und vor allem sie Lachen zu hören.
Und obwohl Sophie ein äußerst ernster und Nachdenklicher
Mensch war hatte ihn ihre Stimme und vor allem ihr Lachen und Lächeln
verzaubert. Nie zuvor hatte er zu einer Frau solche tiefsinnigen Gefühle gehabt
und es war nicht nur die körperliche Zuneigung sonder vielmehr ihre Art.
Als sie sich näher kamen hatten sie täglich stundenlang
telefoniert und viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Und mit jedem Gespräch und
jeder Minute mit ihrer Stimme war er mehr und mehr ihr verfallen.
Und jedesmal als die beiden sich trafen wollte er einfach
nur mit ihr sein, die Zeit vergessen, sie in den Armen halten und sie nie
loslassen. Er fühlte sich glücklich bei ihr und er hatte oft daran gedacht das
dies Schicksal war das er sie getroffen hatte. Und obwohl er an so etwas
normalerweise nicht glaubte hatte er bei ihr dieses Gefühl.
Er hatte durchaus auch andere Beziehungen vor ihr gehabt
doch nie hatte ihn eine Frau so dermaßen geprägt wie sie es tat. Er liebte es
in ihre Augen zu schauen, stundenlang hätte er in ihnen versinken können, er
liebte es wenn sie sich beide einfach nur in die Augen guckten und sie mit
ihren Zeigefingern sein Gesicht berührte und sanft darüber glitt. In solchen
Augenblicken war er tatsächlich zeitlos und versank in ein wahres Glücksgefühl.
In seinen Augen war sie eine wirkliche Traumfrau, eine die
ihn so sehr faszinierte das er sogar Bindungsängste die er sonst immer hatte
vergaß.
Es gab wenige Leute die Carlton dazu bringen konnten einfach
abzuschalten und die Zeit zu vergessen, das Leben und alles negative
wegzupusten, oder geschweige denn Leute die ihn glücklich machen konnten, doch
Sophie war so eine Person, sie hatte all dies in ihm erreicht.
Und doch, oder aufgrund von all dem, war er alleine und
hatte nur zugucken können wie er sie verlor. Machtlos und ohne Einfluss. Die
Träume hatten ihn eingeholt und bewiesen das diese auch Realität waren. Ist
Realität ein Traum oder sind die Träume die eigentliche Realität? Er war schon
längst nicht mehr sicher was überhaupt Realität bedeutete. Noch gut konnte er
sich an das Gespräch mit ihr erinnern als er anfing und sie fragte was los sei
und das er bemerkt hatte das sie sich allmählich distanzierte.
Sie hatte dasselbe ansprechen wollen und teilte ihm mit das
sie einfach noch nicht wirklich bereit war, sie hatte Probleme Menschen an sie
heranzulassen und war sich selbst nicht sicher wohin sie überhaupt gehen wird,
welchen Weg sie einschlägt. Zu tief waren kritische Gedanken und das Bild von
der eigenen Hilflosigkeit in ihr verankert. Für sie war es nach einer zeit eher
Routine als Vergnügen gewesen mit Carlton zu reden. Diese Routine brachte ihr
Pflichtgefühle, sie sah es als eine Pflicht jeden Abend zu telefonieren obwohl
sie jedoch dadurch den Berg der Probleme zu einem undurchdringbaren Gebirge
geschaffen hatte. Diese Routine gewordenen Gespräche, die ihr das Gefühl der
Bedrängnis gaben und ihre inneren Gedanken führten sie zur Distanz welche
Carlton bemerkt hatte. Und für ihn war es wie in seinen Träumen, er konnte es
nicht aufhalten - nicht mehr - er verlor sie aus den Händen, verlor die glücklichen
Gefühle von ihr und er war Machtlos.
Er hatte gehofft an ihrer Seite zusammen was aufbauen zu
können, er wollte ihr zeigen das sie eine besondere Frau war und ihr in ihren
Sachen helfen.
Er wollte zu ihr durchdringen, ihre Hand nehmen und nicht
loslassen, die schweren Zeiten gemeinsam mit ihr angehen. Und er hatte die
Hoffnung nie aufgegeben das eines Tages zu erreichen, gemeinsam mit ihr.
Doch als sie dieses Gespräch abhielten sah er die
Problematik, durch ihre inneren Konflikte und den Stress im Studium hatte sie
ihm geradeaus gesagt das Gefühle zu ihm in Bezug auf eine Beziehung nicht mehr
da waren.
Durch viele Faktoren wie Einengungsgefühle und die Routine
waren die Phasenweise verloren gegangen.
Als Sophie ihm dies erklärte fühlte es sich an als würde er
von dem Berg stürzen den er gemeinsam mit ihr überwältigen wollte. Er erkannte
das sie sich von Zeit zu Zeit mehr und mehr eingeengt fühlte.
Und nun gingen sie beide getrennte Wege. Carlton lebte sein
Leben wie er es zuvor auch tat und Sophie hatte inzwischen ihr eigenes Leben
aufgebaut und geheiratet.
Doch die ersehnte Erfüllung fand sie nicht, immerwieder
holten ihre inneren Stimmen sie zurück - zurück auf den Boden der Tatsachen und
der Realität.
Obwohl Carlton sie nie wirklich aus seinem Herzen und seinen
Gedanken löschen konnte sah er das sein Weg des Lebens ohne sie verlaufen würde
und er sie wohl irgendwann aus den Augen verlieren würde. Er stellte sich vor
wie sie eines Tages ein anderes Leben beginnt, ein Leben ohne ihn, sie würde
wohl heiraten, einen Job nach dem Studium haben, vielleicht ein schönes Haus
besitzen und irgendwann vielleicht auch Kinder bekommen.
Er war sich sicher das sie ihren Weg gehen würde, das er sie
vielleicht auch nie wieder sehen würde. Er wurde traurig wenn er an sie dachte
und daran denken musste das sie nicht da war und doch war er glücklich immer
dann wenn er daran dachte das sie vielleicht gerade irgendwo da draussen in der
weiten Welt glücklich war, wenn sie vielleicht gerade mit ihren Freunden Spaß
hatte oder sie glücklich Zuhause saß, beim romantischen Abendessen oder beim
entspannten Frühstück.
Er war sich sicher das ihr Mann zufrieden sein konnte, denn
als Sophie und Carlton zusammen frühstückten war es für ihn das wohl schönste
Frühstück, sie machte Fladenbrot mit Tomaten und Schinken und dazu Käse. Sie
erwärmte das Brot immer im Ofen bis der Käse zart verschmolz. Es war in seinen
Augen ein göttliches Frühstück, ein göttliches Beisammensein das er genoss.
Wie sie ihren Tee trank, wie sie mit ihren Augen raus in den
sonnigen Morgen schaute und wie sie mit ihrer Morgengarderobe ihm gegenüber
saß. Sie war so bezaubernd das er am Liebsten niewieder weggegangen wäre.
 

Das Leben ist gleichermaßen wie ein Buch, es muss gefüllt -
beschrieben - werden um es zu füllen. Doch sollte sich nach Hunderten oder gar
Tausenden von Zeilen ein falsches Wort oder ein negativer Satz eingeschlichen
haben so steht es festgeschrieben, es kann nicht mehr gelöscht werden. Man muss
somit damit leben oder von vorne anfangen. Aber fällt es um so schwerer einen
Neuanfang zu finden je weiter man mit dem Buch ist, denn ein Neuanfang bedeutet
alles vorherige zu vergessen, die Eindrücke und Einflüsse zu löschen und wieder
von Anfang an neu beginnen. Auch für Carlton hatte das Leben den Sinn eines
Buches, alles erlebte, alles Wissen und alle Eindrücke hatte er sein lebenlang
in ihm niedergeschrieben.
Und doch schien es für ihn als ob es ein endloses Buch
werden würde, mit jedem fertigen Satz tauchen Hunderte von unvollständige auf,
die auf einen einprasseln.
Der Mensch ist Tagtäglich von solchen Tatsachen betroffen,
täglich nimmt er Eindrücke wahr, nimmt die verschiedensten Einflüsse in sich
auf - und so wird das Buch immer dicker aber zugleich auch unüberwindbarer.
Denn bei all dem niedergeschriebenen ist es schwer für
Carlton die konstruktiven Sätze - sprich also gutes - von den schlechten zu
unterscheiden und somit fügt er unbewusst "seinem Buch des Lebens"
diese negative zu.
 

An diesem Tag musste Carlton wieder an Sophie denken,
jedesmal beschäftigte ihn die Frage wie es ihr wohl geht, wie ihr Leben sei.
Wie an jedem Tag beginnt er den Tag mit einer Tasse Kaffee und den weiten
Ausblick auf das Land. Doch an diesem Tag wurde er in seinem Tagesablauf
gestört, als ein Auto den Feldweg bis zur Farm hochgefahren kam, tritt Carlton
aus der Tür auf die kleine Veranda und beobachtet wie der Wagen immer näher
kommt. Es steigen zwei Männer in Dunkelblauen Anzügen heraus, einer trägt einen
schwarzen Lederaktenkoffer während der andere einen Stapel von Formularen
zwischen seinen Armen hält. Als die beiden auf Carlton zukommen stellt sich
einer der beiden vor
»Mister Russel, guten Morgen. Mein Name ist William Hudson
und das ist mein Kollege Adam Warner, wir kommen im Namen von Watson, Palmer
und Partners.«
Carlton mustert beide Männer sorgfältig, William Hudson -
der Mann mit dem Koffer war ein junger aufstrebender Mitarbeiter der Immobilien
und Investmentfirma. Er trug zu seinem Anzug ein weißes Hemd und eine dem Anzug
angepasste Blau-gestreifte Krawatte.
Sein Kollege Adam Warner war ein Mitte dreißig Jahre alter
Investor der schon für große Firmen sich einen Namen gemacht hatte. Nach der
ausführlichen Musterung fragt Carlton:
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie hatten vor ein paar Wochen ein Gespräch mit einem meiner
Kollegen gehabt bezüglich eines möglichen Verkauf der Farm und wir besuchen Sie
heute um den Stand der Dinge einmal nachzufragen« Carlton wusste schon von
Anfang an worum es geht, schon als der Wagen den Weg hochfuhr wusste er das es
um die Farm geht, doch er wollte Zeit gewinnen und sich auf das Gespräch
vorbereiten.
»Ja, das stimmt.« antwortet ihm Carlton und nimmt einen
großen Schluck Kaffee
»Ihr Kollege hatte mir einen vorgefertigten Vertrag bereits
ausgehändigt«
»Okay gut, dann wissen sie ja worum es geht und...«plötzlich
unterbricht Carlton ihn und beendet den Satz um dem Mann zuvorzukommen »...ich
habe mich entschieden nicht zu verkaufen!« Carlton konnte nicht glauben was er
gesagt hat aber er war froh das endlich geklärt zu haben.
Die Männer gucken sich verdutzt an und bevor sie überhaupt
etwas erwidern konnten sagt Carlton:
»Nun, wenn Sie mich jetzt entschuldigen.« er tritt einen
Schritt zurück, dreht sich um und geht wieder zurück ins Haus. Kurz darauf hört
er wie die Männer ins Auto steigen und davon fahren.
Eine Weile bleibt Carlton wie versteinert vor dem Kaminsims
stehen wo er auf ein Foto seines Vaters schaut. Er macht sich Gedanken und
überlegt ob er damit das richtige getan hat und dann fällt ihm wieder das
Gespräch mit John ein und Carlton war froh so entschieden zu haben. Doch
Zweifel daran wird er auch noch eine Zeit länger haben, irgend etwas an diesem
Flecken Erde war so Bezaubernd und Wertvoll das Carlton sich über Konsequenzen
keine Gedanken machte. Doch was machte diesen Ort so besonders, warum konnte er
ihn nicht loslassen? Abgesehen davon das es seinem Vater gehörte, sein
Lebenswerk und Traum war.
Aber jetzt war es erstmal vorbei, der zerrissene Kaufvertrag
lag in Schnipsel zerstreut im Papierkorb, den Käufern hatte er eine Abfuhr
erteilt und die Farm wird seins bleiben.
Wie in Trance schaut er in den blauen Himmel und schaut ohne
Ziel in die weite, blaue Unendlichkeit. Wieder kommt ihm die Frage nach dem
Leben in den Sinn, was wird nach dem Leben sein, gibt es Zufälle oder ist alles
ein vorprogrammierter Ablauf? Wen wir treffen, wen wir lieben, was wir machen
oder was wir erleben.
Er denkt sich das jeder sein "eigenes Buch" Autor
ist, jeder für sich schreibt sein Leben doch muss man vorsichtig und behutsam
mit der jeweiligen Wortwahl oder Textkonstellation sein.
Der Autor und Regisseur des "Buches Carlton" war
er selbst und somit war er selbst Verantwortlich für das was er hinzufügte.
Doch diesmal konnte er getrost sein Kapitel ergänzen, dass er der Versuchung
stand hielt, dass er seines Selbst nicht verkaufen ließ.
 

Wie an jedem Morgen steht Sophie in der Küche und kocht Tee
auf. Sie war alleine, die Ruhe die sie umgab, diese Abgeschiedenheit, die Zeit
die sie nur für sich hatte - es war die Zeit die sie benötigte um ihr überleben
zu sichern. So konnte Sophie sich ganz ihren Gedanken hingeben. War das Leben
das sie führte das was sie sich vorgestellt hatte? Hatten ihr all die Jahre des
schuften, lernen und studieren auch genutzt? War sie wirklich da angekommen
wohin sie wollte? Sie hatte einen Job, stand mit eigenen Beinen im Leben und
sie hatte einen guten Lebensstandard. Aus dieser Sicht hatte sie für all die
Strapazen ein Erfolgreiches Leben.
Doch das war der berufliche Aspekt, im menschlichen sah es
da anders aus; sie war unzufrieden mit sich selbst und je mehr sie sich den
jeweiligen gesellschaftlichen Ordnungen anpasste umso unzufriedener wurde sie.
Um sich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen setzt
sich Sophie auf das Sofa im Wohnzimmer, stellt ihre Tasse neben sich auf den
Beistelltisch und schaltet den CD-Player an. Vollkommene Stille herrscht, nur
das Umdrehungsgeräusch der CD im CD-Player ist zu hören und als diese den
ersten Titel geladen hat ertönt ein sanfter Klang eines Pianosolos unterlegt
mit einer melodischen Geigenmelodie.
Die lehnt sich zurück, greift die Tasse Tee und blickt auf
den Farbenfrohen Garten indem sich ein kleiner Fischteich am Ende und ein
Kirschbaum befindet. Sie hört genüsslich der zarten Melodie zu und schließt die
Augen. Für einen Augenblick versinkt sie in eine Gedankenwelt die ihr bisher
selten oder garnicht geöffnet wurde. Sie träumte von einem Leben Abseits des
großen Drucks, von einem Leben in dem sie sie selbst sein konnte. Ihre Gedanken
ließen sie immer tiefer in die Traumwelt schweben, innerlich fühlte sie sich
befreit und glücklich je tiefer sie versank, doch als die CD zu springen und
haken anfängt ist es wie ein zurückreissen in die Realität, sie steht auf und
schaltet auf den nächsten Titel als sie im Regal ein Foto von ihr und Carlton
entdeckt, sie liegt in seinen Armen und Carlton hatte dieses Foto gemacht.
Es entstand bei ihrem ersten Treffen als Sophie zu ihm
gefahren war, sie konnte sich gut daran erinnern, wie nervös sie war als sie
auf dem Weg war und vor allem als sie sich beide zum ersten Mal gegenüber
standen. Bis dahin hatten sie nur telefoniert oder e-Mails geschrieben und dann
stand sie ihm an diesem Tag wirklich gegenüber. Als sie bei ihm waren schauten
sie sich minutenlang in die Augen und für Sophie war es das erste Mal das sie
jemandem so lange und intensiv in die Augen gucken konnte und andersrum. Bisher
hatte sie das nicht gekonnt, zu groß waren die Ängste das sie ihr verborgenstes
von sich Preis gab. Doch bei Carlton hatte sie dieses Gefühl nicht. Auch der
erste Kuss zwischen ihnen geschah an diesem Tag, für beide war es ein
gemischtes Gefühl aus Nervosität und Sehnsucht.
Obwohl Sophie am selben Abend wieder nach Hause fuhr kam es
so vor als ob die Zeit für diesen besonderen Augenblick stehen blieb. All die
Erinnerungen kamen in ihr nun hoch, all die Gespräche die sie geführt hatten -
das wohltuende Gefühl zu empfinden das da jemand ist mit dem sie reden kann,
der ihr zuhört und ihr hilft wenn sie einen Rat bräuchte. Einfach jemand der
ihr zeigte das sie für die Person wichtig war, dass sie nicht Unbedeutsam war
und man an sie dachte und um ihr Befinden sich sorgte.
Carlton hatte ihr mal gesagt das sie in seinen Augen jemand
Besonderes war, dass sie den "Schatz" in ihr erkennt, jedoch sie ihn
auch erkennen musste. Aus einer zufälligen Begegnung war eine Tiefsinnige
Beziehung geworden. Für Carlton kam damals erstmals wirklich die Frage auf ob
es Zufälle gibt oder alles Schicksal ist, dass sich zwei Menschen von
Aber-Milliarden auf der Welt über den Weg laufen und so viele Gemeinsamkeiten
besitzen. Und nun steht Sophie vor dem Regal und schaut auf das Foto. Es war
für sie eine schöne Zeit aber auch eine in der sie den Weg ihres Lebens nicht
klar definieren konnte.
Sie wusste noch nicht wie ihr Leben verläuft, all die Ängste
trübten ihren Blick, wo sie eines Tages sein wird oder gar ob sie eines Tages
mal eine Familie gründet würde.
All diese Fragen standen offen.
Sophie erschrickt als das Läuten des Telefons ertönt; einen
Augenblick überlegt sie ob sie antworten soll und damit die Ruhe zerstört oder
ob sie einfach weiter ihre Ruhe genießt.
Sie entschließt dann aber doch den Hörer zu nehmen und
erkennt die Stimme ihres Mannes der leicht hektisch in den Hörer schnauft »
Schatz, es kam was dazwischen, die Firma hat mich beauftragt nach Japan zu
fliegen, es geht um einen großen Auftrag«
» Und wann musst du los?« fragt Sophie,
» Ich bin schon am Flughafen, mein Flug geht in dreissig
Minuten, ich werde wohl vier Tage unterwegs sein, rufe dich aber vom Hotel an«
schildert er Sophie die Lage.
» Naja, okay - wird wohl nicht anders gehen« antwortet
Sophie trocken.
» Tut mir Leid, ich muss los - also ich rufe an Schatz, Ich
liebe dich.«
Dann war die Verbindung web, als ihr Mann den letzten Satz
sagte stellte sich Sophie vor wie damals Carlton ihr `Ich Liebe dich´  sagte. Obwohl ihr Mann nun circa vier Tage
unterwegs war konnte sie ihre Gefühle nicht so richtig zuordnen, eigentlich und
normalerweise sollte sie doch Sehnsucht haben und ihn vermissen - doch alles
was sie empfand war das sie erleichtert war und ein wenig Glücklich über mehr
Zeit für sich war.
Wieder schaute sie raus in den Garten, die Sonne war am
scheinen, ein tropisch heißer Tag und keine einzige Wolke war zu sehen. Sophie
geht davon aus das es in der Nacht gewittern wird und dabei denkst sie wieder
einmal an Carlton der sie bei Gewittern gerne umarmt hatte.
Nach all den Gedanken und Erinnerungen an ihn fühlt sie die
Sehnsucht mit ihm zu reden. Zu lange hatte sie nichts von ihm gehört, sie
wusste nicht was er machte, wie es ihm geht und - das erhoffte sie sich - ob er
noch an sie dachte. Sie wollte ihn so gerne sprechen doch waren die Ängste wie
er nach all den Jahren reagieren würde zu groß. Trotz der Tatsache das sie ihn
am Liebsten direkt angerufen hätte entscheidet sie sich dagegen, stattdessen
beschließt sie die Sonnenstrahlen zu nutzen, sich auf die Terrasse zu setzen
und etwas zu lesen. Die Hitze war fast schon zu intensiv aber wann hatte sie
sonst wieder diese Gelegenheit vollkommen zu entspannen?
Also entschließt Sophie den Tag für sich zu nutzen, sich
gehenzulassen und völlig abzuschalten. Wie schön war es vollkommen entspannt zu
sein, viel zu selten hatte sie dies erlebt. Der Job, der Rummel in den Städten
und im Büro - ihr Mann, all dies trug zur inneren Unruhe in ihr bei.
Wo sie Ruhe, Hilfe oder Zuneigung suchte fand sie keine,
alles was ihr entgegen kam war sie totale Unzufriedenheit. Am späten Abend
lässt Sophie das Badewasser in die Wanne, kippt ein Schaumbad dazu und zündet
zwei Kerzen am Fußende der Wanne an.
Sie steigt in die Wanne und legt sich in das warme Wasser
hinein, einen kurzen Augenblick schließt sie die Augen, nimmt einen tiefen
Atemzug und lässt das Wasser aus dem Hahn ein wenig weiter ein und das
plätschern erfreut sie dabei. An diesem Abend war sie endlich einmal für sich,
niemand der sie störte, niemand der die Ruhe brach und nichts was sie aufhielt
sich zu entspannen.
Aber war auch niemand da mit dem sie reden konnte, keiner
der ihr zuhörte und bei ihr war.
Ihr Mann war unterwegs für die nächsten Tage, all ihre
Kollegen hatten nicht unbedingt das Potential zum Reden oder zuhören das sie
benötigt und sonst wüsste sie jetzt auch keinen von dem sie das behaupten
könnte. Alleine für sich und einsam kommen ihr die Tränen, wie schon so oft
fühlte sie eine Last, eine wie als würde die ganze Welt auf ihren Schultern
sitzen und sie zusammenbrechen lassen. Sie bekommt das Gefühl das sie
Unbedeutsam ist, nur ein kleiner Punkt, ein kleiner Organismus in der
unendlichen Weite der Galaxie.
Warum soll sie sich auch besonders vorkommen? Ist sie doch
nur ein Teil von einem großen Puzzle und Puzzleteile werden einfach
ausgetauscht wenn sie nicht passen. So sieht sie ihre Rolle, ein winziges,
unbedeutendes Einzelteil das ohne zögern austauschbar ist, sie war also keine
Besonderheit und ist jederzeit ersetzbar. Das war das Bild, das Sophie hatte.
Schon in der Jugend hatte sie viele Erkenntnisse und Eindrücke aufgenommen; Man
hat kein Recht in einer Beziehung die Rolle der ersten Geige einzunehmen, man
muss Dinge akzeptieren wie sie sind und sich ohne Einspruch fügen.
Diese Dinge hatte sie im Laufe der Zeit gelernt und
umgesetzt, Carlton wiederum zeigte ihr eine andere Seite, eine in der sie zum
Ersten mal die Hauptdarstellerin war, um die sich alles drehte. Er stellte ihre
Ansichten auf den Kopf, versuchte ihr begreiflich zum machen das sie etwas
besonderes ist, dass sie bei ihm die erste Geige spielte. All diese neuen
Eindrücke nahm sie auf, jedoch vermischten sie sich mit den vorhandenen.
Eine komplett neue Welt tat sich auf, eine in der sie sich
nicht auskannte und unbeholfen fühlte. Auch wenn Carlton an ihrer Seite stand,
sie begleitete, war es trotzdem eine bisher fremde Welt der Gefühle für sie.
Und sie wollte nichts lieber als einen geregelten Weg und Leitfaden für ihr
Empfinden finden aber konnte sie die ganzen Hindernisse nicht bewältigen, nicht
alleine und nicht jetzt.
Irgendwo da draussen in der weiten Welt waren Menschen
unterwegs die Glücklich waren, Liebespaare laufen Hand in Hand in den Abend,
Familien waren glücklich Beisammen und verbrachten die Zeit zusammen, aber
Sophie war alleine, sie war nicht mit jemandem zusammen unterwegs in den
dämmernden Abend. Ihre Hand hielt heute keiner, auch war niemand da der sie
zärtlich umarmte um sie zu wärmen und immer wieder tut sich bei ihr die Frage
auf wieso sie nicht eine von diesen Menschen sein kann. Wieso musste gerade ihr
Leben so verlaufen wie es ist, was hatte sie denn falsches getan? Stattdessen
liegt sie an diesem Abend alleine in ihrer Badewanne. Sie sehnt sich nach
Geborgenheit aber findet keine.
Nach dem Bad fährt Sophie in die Stadt um sich mit ihrer
Freundin zum ausgehen zu treffen.
Für sie endlich eine Möglichkeit der Ablenkung.
In einer Cocktailbar sitzen beide am Tisch und reden über
die verschiedensten Dinge.
Der Club ist gut gefüllt an diesem Abend, unzählige Personen
drängen sich auf die Tanzfläche und leben ihre Freizeit aus. Nach einer Weile
geht auch Sophie auf die Tanzfläche und tanzt sich den Frust von der Seele.
Sie vergisst die Zeit, sie vergisst ihre Gedanken und
Sorgen.
Eine weitere Stunde später sitzen beide Frauen am Tisch,
bestellen jeweils einen Drink und sprechen über die Zeit und das Leben das
beide jetzt führen.
»Und, wie läuft es so bei dir? Ich war vor drei Wochen in
der Nähe von eurem Haus und hab überlegt ob ich mal vorbeischaue - aber ich
hatte viel zu tun.« erzählt ihr ihre Freundin die während dessen mit dem
Strohalm spielt. »Wie immer, nix neues - alles wie gehabt«
»Und wie geht es deinem Mann, wieso ist er denn nicht
mitgekommen?«
»Er musste kurzfristig auf eine Geschäftsreise und kommt
erst in vier Tagen wieder« antwortet Sophie.
»Oh, dass ist aber Schade aber naja tut bestimmt auchmal gut
die Zeit alleine zu sein«
In diesem Augenblick klingelt das Handy von Sophies
Freundin; Sophie denkt nur das wiedereinmal die Realität sie alle zurückholt
und damit eigentlich nie wirklich loslässt, immer kommt etwas dazwischen, immer
muss man bereit stehen. Aber in dem Fall war es ihr nicht unangenehm, sie
wollte schon eine Zeit länger wieder nach Hause und mit ihrer Freundin wirklich
reden konnte sie auch nicht, ihre Sorgen konnte sie nicht erzählen oder Hilfe
erwarten. Nachdem ihre Freundin aufgelegt hat, packt sie ihre Tasche und räumt
alles hektisch in sie und verabschiedet sich; das sie sich wieder treffen
sollten um mal wieder auszugehen und Spaß zu haben sagt sie noch Sophie und
verschwindet.
Eine Weile bleibt Sophie noch sitzen und guckt sich all die
Menschen an wie sie Spaß hatten, sich vergnügten und die freue Zeit genossen.
Aber ihr war heute nicht nach Party und Spaß und deswegen
entschließt sie sich nach Hause zu gehen. Die Zeit die sie für sich hat will
sie lieber in aller Ruhe nutzen, ohne den Rummel, ohne den Lärm. Und auch wenn
sie weiß das sie ganz alleine war, mit keinem reden kann und sie wohl aufgrund
ihrer Person und dessen Leben aus Verzweiflung weinen wird, will sie doch
lieber für sich sein. Wenn sie für sich sein konnte war das die einzige Zeit
für Sophie in der sie ihren Schutzpanzer um sich herum ablegen konnte der sie im
normalen Leben beschützen sollte. Davor beschützen von Mitmenschen verletzt und
enttäuscht zu werden.
 

Zurück Zuhause schaltet Sophie den Fernseher ein und
verfolgt die abendlichen Nachrichten.
Wie immer berichten diese von allen erdenklichen wichtigen Ereignissen
der Welt.
In der Stadt gab es ein Feuer in einem Lagerhaus - sieben
Tote; auf einem Highway ein Autounfall - drei Schwerverletzte; ein Mann lief
Amok  in einem Shoppingcenter - fünf
Tote und 13 Schwerverletzte - jeden Tag gab es nur schlechtes zu berichten und
je spektakulärer es war um so aufgemachter wurde es in den Nachrichten verkauft
- und trotzdem - trotz all den schlimmen Ereignissen, sah man sie jeden Tag und
vergaß sie auch ebenso schnell wieder. Wer würde noch nächste Monat über die Opfer
des Brandes denken? Wer an die Toten beim Amoklauf? Sophie fühlt nur noch
Mitleid für die Gesellschaft, eine die vor lauter Stumpfsinn die Realität
verdrängt - wo jeder nur an sich denkt und jeder nur um sich besorgt ist. Eine
Gesellschaft in der Worte wie Mitgefühl und Besorgnis fremd waren. Sophie fühlt
sich allein im Gedanken daran jedoch erhofft sie sich das es irgendwo da
draussen doch Menschen gibt die das selbe denken und fühlen.
Sie war sich im klaren das sie alleine nichts bezwecken
konnte. Als sie sich wieder den Nachrichten zuwendet trifft sie eine Meldung
wie ein Blitz, in dem Bericht wird von einem jungen Autor erzählt der genau das
Thema befasst das auch Sophie im Gedanken liegt.
Sie traut ihren Augen nicht als sie im vorgestellten Bericht
über ein Buch Carlton erkennt.
Er hatte gerade ein Buch veröffentlicht das Schlagzeilen
machte weil es gezielt auf gesellschaftlich-philosophische Probleme eingeht.
Darin wird beschrieben wie die Menschheit sich Stück für Stück selbst zerstört
in dem das Leben heute überhand über die Persönlichkeit nimmt. Sophie hört
gespannt dem Bericht zu und ihr Herzschlag erhöht sich. Nie hätte sie gedacht
Carlton noch einmal in ihrem Leben zu sehen. Der Mann der ihr immer zur Seite
stand, sie zum Lachen bringen konnte und der ihr eine andere Gefühlswelt
eröffnet hatte.
Sie hatte es sich so oft gewünscht und nun sah sie ihn, sah
was er in seinen Gedanken dachte.
Doch sie erkannte das dieser ein anderer war, es war nicht
der Carlton der bei ihr war, nicht der der sie in den Armen hielt. Er hatte
sich verändert und ihr wurde klar das auch sie sich wohl geändert hatte, sie
war nicht mehr die Sophie die Carlton kannte. Beide Leben hatten sich
voneinander unabhängig weiterentwickelt und mit der zeit hatten sich die Wege
verloren und auseinander gelebt.
Und die Euphorie schwand, wie würde es sein wenn sie sich
treffen würden - nach all den Jahren? Würde Carlton im innersten noch Gefühle
für sie haben? Oder hatte er sie schon längst vergessen? Diese Fragen
durchbohren Sophie als sie weiterhin wie gefesselt auf den Fernseher guckt. Ihr
wurde schnell klar das auch wenn sie sich es noch so gern wünschte, dass das
Leben und die Liebe die beide in vergangenen Tagen hatten nie wieder die selbe
sein würde. Die Distanz und das andere Leben hatte beiden eine Gemeinsamkeit
beschert, beide hatten sich verändert und insgeheim wusste dies Sophie obwohl
sie es nicht wahrhaben wollte und lieber in ihren Erinnerungen an den Carlton
von früher schwelgte.
Sie hatte Angst davor jeden Augenblick die Realität zu
sehen, sie hatte Angst das plötzlich neben Carlton eine junge Frau auftauchen
würde, sie ihn küßt und er ihre Hand nimmt wie er Sophies damals nahm. Sie
wollte nicht hinsehen wenn dies geschehen würde und doch war die Neugier groß.
Sie befand sich in einer Zwickmühle, einerseits war sie neugierig über sein
Leben, hatte aber gleichzeitig Angst vor dem was eventuell dazu gehören könnte
- hatte er inzwischen geheiratet? Hatte er bereits Kinder und eine Familie? All
diese Fragen wollte sie einerseits beantwortet sehen doch anderseits würde das
ihre Erinnerungen an eine wunderbare Zeit in der Vergangenheit zerstören. Statt
weiterhin zuzusehen schaltet sie den Fernseher ab und flüchtet so vor einer
Wahrheit der Realität. Ihr war klar das sie vor Angst flüchtete und eigentlich
nur die Wahrheit hinauszögerte, ihr war auch klar das sie wohl früher oder
später die Wahrheit erkennen musste, aber noch wollte sie lieber die Gedanken
an früher in einer scheinbar heilen Welt nicht loslassen und dazu gehörte nunmal
auch das sie das Bild von "ihrem Carlton" nicht aufgeben würde.
 

 

 

 

 

~ 2 Jahre zuvor ~
 

Es herrscht tiefe Nacht in Montana und der Vollmond erhellt
die sonst so dunkel schwarze Nacht in ein abenteuerlich erscheinendes Szenario.
Wie so oft in den Herbsttagen weht eine kühle und kräftige
Brise über die weiten des Landes.
In dieser vollkommenen Nacht scheint es fast schon
unheimlich wie das zart gelbe Licht in Carltons Arbeitszimmer nach draußen
dringt. Er sitzt am Schreibtisch auf dem sich unzählige Dokumente und
Notizzettel kreuz und quer über den Tisch verteilen und studiert die aktuelle
Zeitung durch. Er hatte vor gut einem Jahr wieder begonnen für die Zeitung zu
schreiben, es war eine kleine, regionale Zeitung mit einigen wenigen
überregionalen Abnehmern - nicht zu vergleichen mit der Auflage des Boston
Globe - doch Hauptsache er konnte sich wieder seiner Leidenschaft hingeben. Da
in den meisten regionalen Zeitungen jedoch wenig über große Sportereignisse zu
berichten war hatte er sein Hauptaugenmerk auf Kolumnen gelegt und nach einigen
Ausgaben waren seine Kolumnen in der Region rasch populär geworden.
Seither kannte fast jeder in dem kleinen Städtchen Carlton,
er war so etwas wie der nette Junge von Nebenan geworden. Seine wöchentlich
erscheinende Kolumne wurde immer sehnsüchtig erwartet, was auch der
Chefredakteur der Zeitung wusste und Carlton oftmals als Prestigeobjekt und
Vorzeigesymbol der Zeitung nutze.
Inzwischen hatte Carlton zudem auch noch die Farm nach
Jahrelanger mühseligen Arbeit teilweise erneuert und renoviert so dass es sich
gut auf der Farm leben ließ.
In seiner Freizeit kümmerte er sich mit voller Hingabe um
die Felder die er zu großen Weizen und Maisfeldern umfunktioniert hatte. Selbst
den alten Traktor hatte er wieder ins laufen bekommen und für Carlton war er
das Symbol schlechthin das er niemals etwas aufgeben sollte, egal wie scheinbar
erfolglos dieses sein würde. All das hatte ihn viel Kraft und Schweiß gekostet
doch am Ende war er Stolz und froh über das was er geschafft hatte. Er genoss
es wahrlich jeden Morgen mit der Tasse Kaffee in der Hand auf der Veranda zu
stehen und auf die Felder zu sehen wenn gerade die Sonne hinter den Hügeln
auftauchte und die ersten Sonnenstrahlen über das Land schienen. Am Hinterhof
hatte Carlton mehrere Stapel an Holz für den Winter gesammelt und zu Brennholz
verarbeitet. Direkt daneben stand ein kleiner Schuppen indem er den Traktor vor
der Witterung schützte und wo all sein Werkzeug stand. Die ehemaligen
Stallungen hatte er kurzerhand zu Vorratslagern umfunktioniert indenen er nun
den ganze Mais lagerte und auch sonstige frühere Ernten.
Jede Woche am Sonntag fuhr er mit einem Teil der Vorräte auf
den Markt in der Stadt und bot seine Waren den Mitbürgern zum Verkauf an.
Eigentlich war das nur ein Nebeneffekt der ihn abschalten ließ und unter der
Woche unmöglich war. Zwar war er auf die Einnahmen nicht unbedingt angewiesen.
Doch es erfreute ihn auf dem Markt die Leute zu treffen und mit ihnen zu reden.
Oftmals sprachen ihn die Leute auch bezüglich seiner Kolumnen
an und wie toll es war jedesmal seine Kolumnen zu lesen.
 

In dieser Nacht war Carlton noch lange wach, er sitzt an
seinem Schreibtisch und überlegt sich die Themen für die nächste Kolumne die er
verfassen will.
Um ihn herum ist es Stockdunkel und nur seine Tischlampe
schenkt ihm ein wenig Licht, gerade genug um arbeiten zu können. Von draussen
konnte er den Wind hören wie er über das Land streift und die Blätter an den
Bäumen zum rascheln bringt. Es war wieder einmal einer dieser typischen Herbstabende
in Montana, die ganze Landschaft war von satten Braun und Beige tönen
überzogen, von den Blättern an den Bäumen und von denen die bereits ihren Platz
am Boden gefunden haben.
Doch Carlton liebte diese meist rauhen Herbstabende. Er
genoss es am Abend in der Kälte nachhause zu kommen und dann den Kamin im
Wohnzimmer anzuzünden und dabei einen heißen Kaffee oder Tee zu trinken.
Es war ein tolles Gefühl sich von der Kälte draussen
aufzuwärmen.
Carlton hört wie die ersten Regentropfen auf die Fenster
tropfen und schon bald werden aus den vereinzelten Tropfen ein kleiner Schauer.
In aller Ruhe nimmt er einen Schluck Kaffee zu sich und
starrt auf das bisher noch leere Dokument auf seinem Laptop. Es ist schon halb
elf am Abend und Carlton hatte noch nichts zu Papier gebracht, doch dann kam
ihm der Gedanke über etwas zu schreiben das die Menschheit schon seit Urzeiten
beschäftigt, etwas das die meisten zum erschrecken bringen würde, ein Thema bei
dem man einerseits lieber wegsehen will, aber anderseits auch die Neugierde auf
eine Antwort zu einer Frage zu finden.
Er will das Thema „Ertrinken“ in Angriff nehmen, kein
ertrinken im klassischem Sinne sondern das Gefühl gefangen zu sein, hilflos und
total machtlos in einer Situation zu stecken aus der man nicht mehr herauskommen
kann. Die Angst vor dem ertrinken ist eine der Hauptängste der Menschen, denn
in dieser Art des Sterbens kann man nur tatenlos mit ansehen wie man hilflos
ist und keine Kontrolle mehr hat, man kann die Zeit nicht mehr kontrollieren,
man hat keinen Einfluss auf den Ausgang mehr und zudem kommt auch noch die
Angst vor einem langsamen, qualvollen Tod dazu. All das macht das Ertrinken
oder auch das Ersticken zu einer der größten Ängste der Menschheit.
Carlton sieht jedoch mehr in der Bedeutung, er will die
Ängste mit einbeziehen – die Ängste vor dem ertrinken durch eine Situation im
Leben. Warum leben wir wie wir leben? Warum geschehen Dinge die wir eigentlich
gar nicht erleben wollen? Warum sind wir in manchen Situationen so Machtlos?
Carlton erinnert sich in diesem Augenblick an einen Traum
aus seiner Kindheit der genau diese Ängste verbindet. Es war ein Traum indem er
als kleiner Junge vor einer Gefahr davon rennt, doch er bemerkt das er sich
eigentlich garnicht von der Stelle rührt. Und je mehr er sich anstrengt
davonzulaufen umso weiterweg gerät der Ausgang, die sichere Seite, das rettende
Licht in der düsteren Dunkelheit.
Und er ist verdammt dazu mit anzusehen wie diese Gefahr ohne
Aufhalt immer näher an ihn kommt und er nicht wegrennen kann. In diesem Traum
fühlt er sichtlich wie er ertrinkt, er kann sich nicht alleine retten, er ist
einfach machtlos und ihm sind seine Hände gebunden.
Ein ähnlicher Traum den er auch mehrmals schon hatte
behandelt die gleiche Situation, er hat Angst, will davon rennen, kommt nicht
weiter. Doch in diesem Traum stürzt er sich als vermeidliche Rettung von einer
Hochhauskante, einer Brücke oder sonst einem hohen Gebäude in die Tiefe aber er
kommt niemals unten an, er spürt zwar die Angst vor dem Aufprall, sieht sein Ende
vor sich, vor seinen Augen und wie der Boden immer näher und näher kommt, doch
der Flug ist ein endloser – in diesem Traum ist er dazu verdammt die Angst vor
dem Aufprall, vor dem Ende und dem Tod immer und immer wieder zu durchlaufen.
 

Nach einer Weile ist er sosehr in dieses Thema vertieft,
dass er komplett die Zeit und das Leben um sich herum vergisst. Es ist so als
wäre er in einem vollkommen leeren Raum, indem nur er und seine Gedanken die er
aufs Papier überträgt Platz haben.
Er tippt eine Zeile nach der anderen ab und wie als wäre er
vom Teufel besessen erscheinen mehr und mehr Buchstaben auf dem bis dahin
leeren Dokument. Einzelne Buchstaben die sich allmählich zu ganzen Worten und
diese zu ganzen Sätzen zusammensetzen. Er verschafft somit etwas neues zum
Leben, er erweckt seine Gedanken und haucht ihnen reales Leben ein indem er sie
Sichtbar für die Menschheit macht.
Carlton fühlt wie immermehr seiner Gedanken und Erinnerungen
aus ihm herausdringen und zum Vorschein kommen. Längst vergessene Erlebnisse
und Erinnerungen aus der Jugend und Kinderzeit kommen zum Vorschein, plötzlich
erinnert er sich an die kleinsten Details aus seinen vergangenen Tagen die er
schon längst aus dem Sinn verloren hatte. Er sieht wie er mit seinem Vater im
Garten als kleiner Junge arbeitet und die Schubkarre vor sich herschiebt als
wäre er der Fahrer eines schweren LKW oder wie er in dem dichten Gestrüpp sich
voller Hingabe als Soldat gibt und auf die Lauer legt. Längst vergessene Tage.
Und doch kommen sie ihm in diesem Augenblick so vor als wäre
es erst Gestern gewesen, er kann regelrecht die Luft riechen, die Vögel hören
und die erde fühlen.
Mit einem plötzlichen Satz hört Carlton auf zu tippen, er
hält inne und versinkt in diesen Gedanken.
Was war aus dem einst so unbeschwerlichen Leben geworden, wo
war die Zeit geblieben?
Die Zeit verging wie im Flug, man wird älter und älter und irgendwann sieht man
sich selbst im Spiegel, gezeichnet von den Zeichen der Zeit und man sieht in
die harte Realität, so wie das Leben wirklich ist und nicht wie man es gerne
hätte. Man sieht wie man älter wird, wie man reifer und Erwachsen wird aber man
sieht auch wie der einst unbeschwerte junge Teil in einem selbst irgendwann
komplett ausgestorben ist.
Und solange man sich selbst immer und immerwieder im Spiegel
ansieht wird man sich die Frage stellen ob man wirklich das Leben lebt das man
sich erhofft hatte.
Carlton erkennt das er in seinem Leben durchaus vieles hätte
anders machen können und doch bereut er es nicht etwas falsch gemacht zu haben,
denn mit jedem Fehler, mit jeder Enttäuschung und jeder Niederlage wurde er
größer, er wuchs an seinen Erfahrungen, er sah eine Niederlage nicht als solche
an sondern als Chance es anders zu machen. Kritik sah er nicht als negativ an
sondern als seinen besten Freund.
Und auch wenn er sich sagen muss das er vielleicht einiges
hätte anders machen können, so war er zugleich froh über das was er erlebt
hatte. Denn nur dadurch war er zu dem Menschen geworden der er heute war.
Nach einer Weile trifft Carlton wieder ins echte Leben
zurück und setzt das schreiben fort. Er hat schon mehr als die Hälfte geschafft
und fest davon überzeugt noch in dieser Nacht mit der Kolumne fertig zu werden
setzt er zum Endspurt an. Schon jetzt ist er gespannt auf die Reaktionen der
Leser, was sie dazu meinen und ob es ihnen bekannt vorkommt oder nicht, ob sich
die Leser in seinen Gedanken wiederfinden können oder sagen das solche Gedanken
keiner von ihnen hat oder jemals hatte.
Nachdem der Text nun fertig war ging er ihn Stück für Stück
nochmals durch um eventuelle Nachbesserungen zu machen. Nach einer weiteren
halben Stunde war er nun endlich fertig.
Obwohl es schon spät war und draussen die Dunkelheit alles
verschlang war Carlton noch nicht müde. Er konnte seinen Geist nicht dazu
bewegen schlafen zu gehen auch Müdigkeit kam bisher noch nicht so recht auf.
Er überlegt und grübelt ob es an dem Kaffee liegt oder er
einfach zuviel Gedanken gerade im Kopf hatte.
Fast schon verzweifelt suchen seine Augen den Raum nach
einer Uhr ab obwohl er wusste das es schon ziemlich spät war und er bestenfalls
wenige Stunden nur noch hat bis er wieder aufstehen muss.
Carlton entschließt sich den Fernseher anzuschalten, sich
auf die Couch zu legen und zu hoffen das er die wenigen Stunden die er noch hat
mit ein wenig Schlaf, sei es auch nur für eine oder eine halbe Stunde, zu
überbrücken. Und tatsächlich schläft er nach weiteren Fünfzehn Minuten ein,
während der Fernseher noch weiterläuft und die Tischlampe die Carlton vergessen
hat auszuschalten weiterhin ihren Dienst tun.

Am nächsten Morgen ist Carlton so sehr angeschlagen das er
sich erstmal einen extrastarken Kaffee aufkocht noch eher er sich halbwegs
angezogen hat, seine Augen kämpfen um jeden Millimeter die sie sich öffnen und
seine Füße machen einen langsamen Schritt nach dem anderen.
Im Badezimmer angekommen schaut sich Carlton im Spiegel an
und sieht sein zerzaustes Haar wie es sich in alle Himmelsrichtungen aufbäumt.
Nur wage kann er sich an die letze Nacht erinnern, er fühlt sich als ob er gerade
von einer langen Partynacht nach Hause gekommen war und nun mit dem lästigen
Phänomen „Kater“ kämpfen muss. Nachdem er sich frisch gemacht hat geht er ins
Arbeitszimmer und schaltet den Fernseher, der die ganze Nacht durchlief, und
die Lampe auf dem Tisch aus.
Kaum hört er das der Kaffee fertig geworden ist nimmt er
auch schon die Kanne und schüttet das Braune Gold, wie er es oftmals nennt, in
die Tasse und nimmt einen kräftigen Schluck. Er spürt förmlich wie dieser erste
Schluck in seinen Körper fließt und seinen Geist belebt, wie das Koffein seinen
Weg findet und ihn wach und munter lassen wird. Mit den ersten Schlücken
erweckt nun so langsam Carlton zu neuem Leben. Es ist noch dunkel draussen,
völlige Ruhe und klarer Himmel sind das Bild an diesem frühen Herbstmorgen.
Von ganz in der Ferne hört er nur das leise hupen eines
Eisenbahnhorns von einem Zug der irgendwo da draussen in der Ferne seinen
alltäglichen Weg abfährt. Vielleicht ein Personenzug indem die ersten Pendler
an diesem Tag sitzen auf ihrem Weg zur Arbeit oder zu anderen Beschäftigungen
oder aber auch möglicherweise ein Meilenlanger und schwerbeladener Güterzug der
seine Fracht durchs ganze Land kutschiert bis er die Fracht am gewünschten Ort
abgeliefert hat.
Er kann nur schätzen um was es sich handelt und doch gab es
keinen Anhaltspunkt, er weiß nur das da irgendwo ein Zug fuhr, welche Art von
Zug aber nicht. Doch egal was für einer es war, dieses Geräusch, das leise
ertönen des Horns und das noch leisere Poltern wenn der Zug über die Gleisverbindungen
fuhr, lässt ihn aus einem unerklärlichen Grund darüber nachdenken, obgleich
diese Frage belanglos ist. Doch nicht immer ist im Leben alles von Bedeutung
was wir denken oder fühlen denkt sich Carlton. Sooft hat man doch irgendwelche
unnützen Gedanken, macht sich Sorgen über irgendwelche unwichtigen Dinge im
Leben.
Anstatt die Kraft und die Gedanken auf das wirklich
wesentliche und das wichtige zu beschränken vergeudet der Mensch seine Gedanken
an unwichtige Dinge.
Aber trotz dieser Tatsache hat Carlton seinen Spaß daran an
diesen einen Zug zu denken, er ist einer von vielen, aber gerade dieser Zug
wurde von ihm Wahrgenommen.
Zufrieden blickt er auf das fertige Manuskript für seine
Kolumne, heute muss er sie im Büro seiner Zeitung beim Chefredakteur zur
Einsicht abgeben. Wahrlich war es nicht das erstemal das er so ein Manuskript
fertiggestellt hatte, es waren bereits schon über hundert geworden, aber dieses
mal ist es anders, zum ersten Mal hat Carlton ganz gezielt und ohne Umschweife
seine eigenen Gedanken, Erlebnisse und Erfahrungen aus früheren Tagen mit
eingearbeitet und damit einen Schritt aus der sonst gewahrten „Tür der eigenen
Verborgenheit“ getan.
Ohne groß darüber nachzudenken hatte er aus seinem
verborgensten inneren diese Tatsachen abgerufen und auf Papier gebracht. Er ist
sich sicher das dies ein weiterer Schritt war auf der Suche nach seinem Ich.
Indem er seiner Leserschaft mit dieser Kolumne im
eigentlichen seine Gedanken und
Gefühle mitteilt, ob diese es nun letztlich erkennen und wahrnehmen oder nicht,
schreitet er diesen Schritt voran.
Er teilt sein eigenes inneres der Welt mit, er erzählt wie
seine Kindheit und Jugend war, er teilt ihnen seine Gedanken mit, die er
eigentlich immer für sich behält. All das wurde in dieser einen Kolumne
beschrieben.
Und zum ersten Mal ist es Carlton egal ob er nun zuviel von
sich Preisgibt oder nicht, insgeheim erhofft er sich sogar das möglichst viele
Leser diese Kolumne lesen und mehr über ihn erfahren. Damit bekäme Carlton
endlich ein Teil vom Gefühl der Erleichterung. Die Erleichterung die er gesucht
aber noch nicht gefunden hatte.
Ohne Zweifel war dieser Text der bisher tiefsinnigste und
ernsthafteste von allen bisher geschriebenen.
Verträumt hält er die Seiten in der rechten Hand und blickt
aus dem Fenster auf die Wiese, so langsam ging die Sonne auf während der Mond
allmählich mit Tagesanbruch wieder verschwand bis er am nächsten Abend wieder
die Nacht erhellen würde.
Auch wurde die Geräuschkulisse ein wenig intensiver und man
erkennt unweigerlich das der Tagesanbruch in den meisten der Menschen sich
eingefunden hat. Man hört die ersten Vögel zwitschern, die ersten Flugzeuge
überqueren den langsam erhellenden Himmel. Aus der Ferne hört man mehr und mehr
Züge, nun sind es vermutlich die Pendlerzüge die zwischen den Kleinorten
umherfahren um die Arbeiter, Angestellten oder Schulkinder zu ihren
Bestimmungsorten zu bringen.
Nun entschließt sich auch Carlton dem Alltag Einheit zu
bieten und bereitet sich darauf vor ins Büro zufahren und seinem Chefredakteur
die Kolumne auszuliefern. Er weiß ganz genau das es jedoch damit nicht getan
ist, wie immer würde er Carlton ins sein Büro bitten, ihn nach einer Tasse
Kaffee fragen und ihn auch fragen wie es ihm geht, ob er gut geschlafen hat und
all die anderen Standartfloskeln.
Anfänglich hatte Carlton bei der Abgabe immernoch die Zeit
die er maximal benötigte kalkuliert, mal waren es zehn und ein anderes mal
gerade mal 3 Minuten, doch nach einer Weile hatte sich Carlton das abgewöhnt.
Immer wenn er vorbeikam hatte sein Chefredakteur die ein oder andere Sache zu
besprechen, schnell bemerkte Carlton das er ein sehr Redefreudiger Mensch war
und wenn man nicht unbedingt Stundenlang ihm zuhören wollte sollte man schon
vorher Zeitdruck und Termine vorgaukeln.
Doch heute hatte er nichts vor und so ließ Carlton einfach
alles auf sich zukommen. Als er im Büro angekommen ist, schnellt er zum
Fahrstuhl und drückt die Taste für die Etage in der die Redaktion sitz.
Das Gebäude war in vielerlei Hinsicht ein - wie viele sagen
würden – typisches Bürohaus einer Zeitung.
Mit seiner Baustilart aus der Zeit der industriellen
Revolution konnte man förmlich die Szenen aus alten Krimis miterleben, die Art
von Krimis die noch Schwarzweiß waren und indenen Mafiabosse die Straßen
durchstreiften.
Es war die Zeit als Reporter die größten Skandale und
Mafiageschichten erzählten. Die Zeit als sie alle noch diese typischen
Trenchcoats mit den Hüten trugen, der Reporter mit hochgekrempelten Kragen,
immer auf der Suche nach der passenden Geschichte.
Genau so ein Gebäude war es, eben ein typisches Gebäude. Im
6 und somit auch obersten Stock war die Redaktion der Zeitung und sowohl
Carltons als auch das Büro des Chefredakteurs.
Doch heute war nicht einer dieser typischen Tage, als er an
der Tür ankommt ist diese verschlossen.
Auch die normalerweise hochgezogenen Jalousien sind noch nach unten gerichtet
sodass niemand hineinblicken kann. Carlton klopft an die Tür doch keine Regung
ist zu erkennen. Als er das zweitemal klopft und immernoch nichts passiert
kommt ihm eine Kollegin entgegen und meint
» Oh – Hey Carlton, kann ich dir helfen?«
»Hmm...Naja ich bin hier um meine Kolumne für diese Woche
abzugeben aber wieso ist den keiner da?« antwortet Carlton.
»Wir wissen auch nicht was los ist, keiner weiß was hier los
ist, tut mir leid, ich kann dir da auch nicht helfen, aber leg sie doch einfach
ins Fach, dann reicht das schon.« eine Weile überlegt Carlton ob er das
Manuskript einfachso ins Fach legen soll, doch dann entschließt er sich dazu es
nicht zutun und es dann einzureichen wenn sein Chefredakteur sich bei ihm
gemeldet hat. Vielleicht war er ja Krank oder aus einem anderen Grund heute
verhindert. Aber Carlton ist sich sicher das es wohl besser ist die Kolumne
wieder mitzunehmen.
Nachdem er die Abgabe nicht durchführen konnte und er sich
eigentlich auf ein längeren Small-Talk eingestellt hatte überlegt er nun was er
mit der übrigen Zeit anfangen soll.
Ohne ein Zögern fällt ihm ein das er sich eigentlich
wiedermal um die Felder kümmern könne oder die Außenfassade des Hauses
streichen könnte.
Jedoch findet er heute an diesem zwar sonnigen aber trotzdem
kalten Tag keine Motivation diese Arbeiten zu verrichten. Er steigt in sein
Auto und fährt zu einem kleinen Café am Rande des Städtchen, etwa zwei Meilen
vom Zentrum entfernt. Dort bestellt er sich einen normalen Kaffee und dazu noch
die aktuelle Tageszeitung.
Obwohl ihm viele seiner Bekannten dazu geraten haben doch
mal von seiner Arbeit abzuschalten und keine Zeitung zu lesen, ertappte er sich
immerwieder wie er doch zur Zeitung griff um einerseits zu sehen was andere
Zeitungen als Thema brachten und anderseits um immer auf dem Laufenden zu sein.
Carlton sieht aus dem Fenster auf den Highway, auf dem gelegentlich einige
Autos und vereinzelt die großen Sattelschlepper vorbeidüsen. Es ist inzwischen
Spät geworden, die Sonne verschwindet allmählich hinter dem Horizont und weicht
der langsam aufkommenden Dunkelheit.
Wieder war ein Tag vorbei denkt sich Carlton, wieder einer von vielen die man
sein Lebenlang durchläuft.
Er beobachtet die Menschen wie sie in das kleine Café kommen
und gehen. Einige setzen sich noch auf eine Tasse Kaffee hin, andere holen sich
nur einen Snack zum mitnehmen und wieder andere, diejenigen, die auf der
Durchreise sind, stärken sich noch schnell mit einem Extrastarken Kaffee oder
informieren sich nach einem bestimmten Weg. Jeder von ihnen hatte ein anderes
Anliegen und ungewollt nahm Carlton an ihrem Leben teil.
Er sah sie alle genau an, er überlegt was für Menschen sie sind und wohin sie
wollen.
Und obwohl der Individualität der Person erkannte er
immerwieder das selbe, im Endeffekt war es egal wohin sie wollten, wer sie
waren und was sie taten. Jeder von ihnen war aus dem selben Grund hier, auch
Carlton.
Man suchte einen neutralen Zufluchtsort, einen Ort an dem man abschalten
konnte und möglichst ungestört sein kann. Am Besten ein Ort an dem keiner einen
kannte. Deswegen war Carlton hier, deswegen waren auch die anderen Besucher da.
Ausgenommen der Reisenden, die zwar nicht an diesem Ort – dem Café – sich vom
Alltag zurückziehen wollten, jedoch aber auch auf eine Weise ihr Freiheit
suchten indem sie wegfuhren, waren alle wohl aus dem gleichen Grund hier. Nach
all dem beobachten und analysieren bemerkt Carlton das es schon Stockdunkel
geworden war. Knapp drei Stunden hatte er in dem kleinen Café verweilt, obwohl
er ursprünglich nur einen Kaffee und ein Stück Kuchen essen wollte. Die Zeit
war wie im Flug vergangen, zu ergreifend und fesselnd fand er sie Beobachtungen
die er gemacht hatte. Doch wie alles im Leben auch ein Ende haben musste war
auch dieser Tag am Ende angelangt und Carlton zückt die Brieftasche und legt
fünf Dollar auf den Tisch. Als er sieht das die Kellnerin es zur Kenntnis
genommen hat greift er zu seinem Mantel und verlässt das Café.
In der Zwischenzeit war es nicht nur dunkel sondern auch Kalt geworden. Kaum im
Auto angekommen beruhigt ihn der Gedanke an das wohlige warm von zuhause. Das
erstemal seit langem freut sich Carlton darauf nachhause zukommen. Es war nicht
so das es für ihn freudlos war nachhause zu fahren aber zuhause angekommen
drückte ihm die Einsamkeit ins Gemüt, da war keiner der ihn erwartete, keiner
mit dem er reden konnte. Alles was er Abend-für-Abend und Tag-für-Tag vorfand
war das leere Haus indas er zurückkehrte und festellen musste das immer noch
alles beim alten war, nix hatte sich geändert. Er war vollkommen alleine.
Aber diesmal war ihm das nicht so wichtig, er freut sich
endlich nachhause zu kommen, ins warme und die Ruhe zu genießen. An irgendeinem
Punkt im seinem Leben hatte Carlton für sich entdeckt und sich notgedrungen
damit abgefunden das er nuneinmal alleine im Leben ist. Lange Zeit hatte ihn
dieses Gefühl innerlich niedergedrückt und obwohl er immer davon ausgegangen
war auch alleine klarzukommen, also auch ohne eine feste Beziehung auszukommen
– musste er sich zu einem gewissen Zeitpunkt dieses Eingeständnis machen, dass
er nicht so im Leben stand wie gedacht. Ihm fehlte die Gemeinsamkeit, die
Geborgenheit und das Gefühl das jemand für ihn da ist. Oft träumte er auch
davon die Zeit zurückdrehen zu können und er was sich sicher das er nicht der
einzigste war, der diese Wünsche hatte.
Wie schön wäre es nocheinmal zu einem Zeitpunkt
zurückzukehren, der gleiche Zeitpunkt, das gleiche Erlebnis wie man es schon
einmal durchlebt hatte, nur diesmal könnte man Dinge verändern, man könnte
vieles anders machen. Doch damit würde sich gezwungenermaßen gleich die Frage
auftun wo man dann stände?
Würde man das selbe Leben führen das man jetzt hatte? Würde vielleicht alles
gleich bleiben oder besser, eventuell aber auch schlechter sein. Carlton
erkannte das mit jedem Wunsch und Traum ein Kompromiss zu vereinbaren war,
einer bei dem man ein gewisses Risiko tragen musste, denn die Frage wie
würde es sein würde sich nicht gleich auftun und somit war offen ob es
besser oder schlechter sein würde. Wie das Leben und der Alltag trug auch diese
Vorstellung einen herben Beigeschmack. Vielleicht wäre er glücklicher aber
vielleicht auch deprimierter. Keinen weiteren Gedanken will er daran
verschwenden mit der Frage „was wäre wenn“, er kann es nicht ändern und
somit ist diese Frage erledigt. Kaum zuhause angekommen und gerade dabei die
Türe zu schließen, blendet ihn ein grelles Licht das Urplötzlich wie aus dem
nichts die Dunkelheit schwinden lässt.
Er erkennt das typische Motorengeräusch eines alten Ford-Pickups der die
Auffahrt hinaufkommt.
Da Carlton nur eine Person aus der Umgebung kennt, die so eine Laube noch
fährt, weiß er das Bob Giddon auf dem Weg zu ihm ist. Bob, der eigentlich weit
und breit nur Bo’ Giddon genannt wurde und mit vollen Namen Bobby Harris Giddon
heißt, war der Herausgeber und Chef von der Zeitung für die Carlton die
Kolumnen schrieb. Bo’ war eine Person für sich, wie ein traditioneller Mafioso
war er überall für sein, der heutigen Zeit altertümlich, typisches
Erscheinungsbild bekannt. Sein Dunkelgrauer Nadelstreifenanzug wurde von einem
klassischen beigen Trenchcoat bedeckt. Dazu war es ein Markenzeichen von ihm
überall und zu jeder Tageszeit eine dicke Zigarre im Mundwinkel stecken zu
haben. Er war ein „Gutgenährter“ Mensch den die ganze Stadt kannte. Sein runder
Bauch war genauso Markenzeichen wie die Zigarren. Trotz seines oftmals
erheblichen und arroganten Auftretens war er in der Stadt sehr beliebt. Schon
alleine wegen seines Zeitungsverlages, den er vor gut fünf Jahren von seinem
bereits verstorbenen Vaters übernommen hat, nachdem dieser ihn gegründet und
knapp 40 Jahre geführt hatte. Etwas träge steigt Bo’ aus dem Wagen, schaut
Carlton an um sofort danach hoch in den klaren Nachthimmel zu gucken, während
er einen tiefen Zug von der Zigarre nimmt.
Nachdem er die für Carlton wie in Zeitlupengeschwindigkeit
verlaufende Prozedur abgeschlossen hat und mit festen, fast schon heroischen
Schritten sich Carlton nähert ruft er ihm in ruhiger Stimme zu
»Eine verdammt kalte Nacht, ich hoffe nur es fängt nicht an zu schneien... «
nach einem kurzen schnaufen erreicht er die Veranda auf der Carlton ihn
Erwartungsvoll empfängt und beide schütteln sich die Hände zur Begrüßung,
»...aber das würde mich zu dieser Jahreszeit, an diesem Ort
der Welt eigentlich nicht wundern« fährt Bob fort;
eine Weile bleiben beide Männer Seite-an-Seite auf der Veranda stehen und
schauen in den Tiefschwarzen, von weißenleuchtenden Sternen übersäten Himmel.
Es könnte fast schon ein Bild eines Vaters und Sohnes sein, wie Bob zu Carltons
linke steht und genüsslich weiter an der Zigarre raucht während Carlton in der
Eiseskälte sich so gut wie möglich versucht von der Kälte abzuschirmen. Dann
endlich schreiten beide zur Tür und lassen sich vom ausströmenden warm
das aus dem Haus kommt erfassen. 

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Daniel Gippert).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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