Angela Jahn

Von wegen Frauen sind neugierig

Wenn man jedes Jahr aufs neue eine Tagung zu organisieren hat, fällt es einem nicht leicht, den Teilnehmern auch nach dem x-ten Male noch ein attraktives Rahmenprogramm zu bieten, zumal wir hier in den nördlichen Gefilden vom Wetter abhängig sind und der Himmel garantiert bei einer Outdoor- Veranstaltung sämtliche seiner Schleusen öffnet, um das kalte Nass über den Häuptern der Teilnehmer zu ergießen. Das lässt die Organisatoren - in diesem Falle mich - so gar nicht gut dastehen.

Nichts desto trotz wollen unsere Teilnehmer, vorwiegend die Männer, ja am liebsten so etwas wie ein "Kinder-Überraschungsei": was zum spielen, etwas mit Spannung und natürlich jede Menge Spaß. Da die Gruppe in diesem Fall aber aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist, haben wir vom Kauf einer Palette „Ü-Eier“ abgesehen.

Nach einer ausgiebigen Recherche und Bedacht aller drei Ü-Eigenschaften (Spiel, Spaß, Spannung) haben wir unser Augenmerk auf das "Hamburg Dungeons" gerichtet – eine eineinhalbstündige Zeitreise durch die dunkle Geschichte Hamburgs. Selbstverständlich überlassen wir bei der Planung eines Rahmenprogramms nichts dem Zufall: jedes nur mögliche "Objekt" wird vorab einer eingehenden Prüfung unterzogen, wobei keine Kosten und Mühen gescheut werden - auch nicht nach Feierabend. Somit sind meine Kollegin und ich als Organisatoren-Team dem "Hamburg Dungeons" auf die Spur gegangen.

Das "Hamburg Dungeons" liegt im Freihafen in einem der vielen alten Silohäuser der Hamburger Speicherstadt. Der erste Pluspunkt: zentrale Lage, gut per Bahn oder Auto zu erreichen. Der Eintrittspreis beträgt knapp 11,- Euro pro Person, was wir als zweiten Pluspunkt in unserer Checkliste verbuchen und last but not least: die Veranstalter haben sogar an Parkplätze für den Besucher gedacht, ein dritter fetter Pluspunkt.

Nachdem wir etwas unsicher die Tür des "Hamburg Dungeons" geöffnet haben, zieht es uns sogleich in einen dunklen Schlund und ein "Laufgang" weist uns die Richtung zu seinem Inneren. Langsam tasten wir uns vorwärts, unsicher, ob die Reise zu den dunklen Seiten Hamburgs bereits begonnen hat. Doch da kommt uns schon eine freundliche, junge Dame entgegen und bittet uns doch näher zu treten, was wir bereitwillig tun, denn deshalb sind wir ja hier.

Nach einigen weiteren Schritten stolpere ich fast über eine Guillotine, unter der ich einen blutüberströmten, abgetränten Arm entdecke nebst einem ebenso blutüberströmten Kopf, scheinbar gehörten diese "Beiden" einmal zusammen. Wir schauen uns etwas irritiert an - entscheiden dann aber, die merkwürdigen Gebeine grinsend als makaberen Scherz zur Kenntnis zu nehmen - immerhin heißt es ja die DUNKLEN Seiten von Hamburg kennen zu lernen.

Die junge Dame bittet mich sogleich - für ein "vorher/nacher-Foto" meinen Kopf auf der Guillotine zu positionieren, während meine Kollegin mir symbolisch mit einem riesigen (Gummi)-Beil, das schon ziemlich zerfranst und blutig aussieht, den Kopf abschlagen darf. Nun gut, wir sind ja keine Spielverderber und "posen" somit erst mal für das "vorher"-Foto.

Nach getaner Arbeit geleitet man uns sanft an die Kasse. Alles, was wir im Dunklen erkennen können, ist das Gesicht eines jungen Mannes, der uns - in einem kleinen Kabuff und verschanzt hinter Gitterstäben - hämisch angrinst. Hat er Angst, dass wir ihm die Kasse klauen und oder hat er Angst vor uns, dass er sich hinter Gittern verschanzt , frage ich mich. Weit gefehlt, der hat garantiert keine Angst - vor gar nichts - denn mit monotoner, gänsehaut-erregender Stimme raunt er uns zu, das er uns einen Preisnachlass gewährt, obwohl er auch im Dunklen erkennen müsste, dass wir über das Alter, Studentenermässigung zu erhalten, weit hinaus sind, geschweige für Kleinkinder durchgehen.

Uns beschleicht langsam der Verdacht, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Dieser Jüngling will uns unbedingt in den tiefen, schwarzen Schlund locken und nimmt scheinbar an, er könnte dies tun, indem er uns mitteilt, dass der Fahrstuhl soeben „gereinigt“ worden sei - was immer das auch heißen mag. Ich kann nicht gerade behaupten, dass uns diese Äußerung ermutigt hat: eher wurde uns langsam wirklich unbehaglich, aber schließlich sind wir keine "Angsthasen" und lassen uns somit auch nicht anmerken, dass uns die Nackenhaare bereits zu Berge stehen und wir mit dem Gedanken liebäugeln, wieder den Rückwärtsgang einzuleden. Außerdem, Kinder haben bereits das "Hamburg Dungeons" besucht und ich habe bis jetzt nicht gehört oder gelesen, dass von denen eines vermisst wird. Somit haben wir unser Wechselgeld eingesteckt, noch ein Programmheft erstanden und uns todesmutig in die dunkle Vergangenheit Hamburgs gewagt.

Wir geraten von der Kasse automatisch in einen weiteren dunklen Gang und tasten uns unsicher vor. Plötzlich höre ich einen kurzen, aber eindeutig von Spaß zu unterscheidenden Aufschrei und die Kollegin an meiner Seite ist verschwunden. Weitere zwei Sekunden später stehe ich einer erschreckenden Fratze gegenüber, die scheinbar aus dem Nichts gekommen ist. Als sich der dazugehörige Körper, der aussieht, als wäre er schon länger kalt, langsam auf mich zu bewegt, weiß ich warum die Kollegin verschwunden ist, denn im gleichen Augenblick bin ich es auch - wieder Richtung.

Ich habe noch nie so schnell eine Entscheidung getroffen, an der es nichts mehr zu rütteln gab: die dunklen Seiten von Hamburg wollte ich AUF KEINEN FALL kennenlernen! Was ich gesehen hatte, reichte mir voll und ganz für ein Urteil und darüber waren wir, meine Kollegin und ich, uns BEIDE einig. Für kein Geld der Welt würde uns jemand zurück in den dunklen Schlund locken, auch nicht die angsteinflössende Gestalt, die uns gefolgt war und mit hexenhafter Stimme krächzte: "ach meine Schäflein, ihr wollt doch nicht schon gehen...?" Oh doch, das wollten wir - mit oder ohne Geld zurück! Als dann plötzlich noch eine zweite, noch grausamer aussehendere Gestalt hinter uns stand und mit kaltem Atem flüsterte: "ich begleite Euch auch in den Fahrstuhl des Grauens - ihr müsst nicht alleine gehen", wussten wir, warum uns am Anfang der Jüngling hinter Gittern freudig mitgeteilte hatte, dass der Fahrstuhl gerade gereinigt worden sei. Aber was auch immer uns in diesem Fahrstuhl erwartete oder im Rest dieses grausamen dunklen Schlundes, wir waren willig - willig und noch mal willig, es nicht erkunden zu wollen!

Und hier soll noch mal einer sagen: Frauen sind neugierig - obwohl, was aus dem "vorher"-Foto geworden ist, würde uns schon interessieren.

Tja, vielleicht werden wir doch eine Palette Überraschungseier für das Rahmenprogramm besorgen...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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