Carina Dreißig

Ich vs Ian MacNab

„Ian.“, begann ich eines Abends, als wir kurz zuvor geschmorrten Hasen gegessen hatten und uns stillschweigend gegenüber saßen. „Wir brauchen dringend Fleisch. Ich kann nicht immer Helen bitten uns etwas zu geben.“ „Was glaubst du eigentlich, was ich den ganzen Tag mache?“, fragte er mich in einem scharfen Ton. Ich wollte nicht antworten, dass ich denke, dass er den ganzen Tag schlicht versäuft. Also antwortete ich gar nichts. „Meine Fallen bleiben leer. Mein Gewehr ist nicht sehr zuverlässig. Ich versuche den ganzen Tag nichts anderes, als uns etwas Essbares zu besorgen.“ Ich schaute zu Boden und seufzte auf. Einen notorischen Trinker zum Mann zu haben, war nicht einfach. „Und wenn du vielleicht jemanden mit auf die Jagd nimmst?“, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. Er machte einen unmissverständlichen Laut, der mir sagte, was er davon hielt und das dieses Thema für ihn erledigt war. Ich fing an den Tisch abzuräumen und spülte die Holzteller. Ian ging wie üblich und wie üblich würde ich mitten in der Nacht von seinem Gepolter und Geschnarche geweckt werden. Zum Glück pochte er nur selten auf seine ehelichen Rechte, die es mir ermöglichten langsam aber sicher einen gewissen Gleichmut zu entwickeln, der mir das Leben in dieser Ödnis leichter machte. Und mir die Ruhe brachte, darüber nach zu denken, wie ich diesen gottverdammten Ort am einfachsten und schnellsten verlassen könnte. Ich entzündete ein Binsenlicht und setzte mich nah an das Fenster, um so viel Licht wie möglich zu haben. Der Saum des einzigen Hemdes, das ich besaß, war dabei sich aufzulösen und ich hatte bei Betty nach Nadeln und Garn gefragt, welches sie mir auch gegeben hatte. Da ich dieses Hemd Tag und Nacht trug, ging ich häufig dazu über, mitsamt Hemd im nahe gelegenen Bach zu baden, damit es wenigstens etwas gesäubert wurde. Ich piekte mich immer wieder in den Finger und hoffte, dass ich mich irgendwann nicht zu sehr verletzte, um Blutflecken zu vermeiden. Je länger ich jedoch daran arbeitete, desto besser gelang es mir und ich fand während dieser Näharbeit zu einer gewissen Ruhe, die es mir ermöglichte, all die Geschehnisse aus einer nüchternen Perspektive zu betrachten. Faktisch gesehen war dies hier mehr als real. Die Schmerzen im Finger, meine Müdigkeit morgens beim Aufstehen, die Konversationen mit Betty und Ian. Rein theoretisch konnte dies aber alles keine Wirklichkeit sein. Wie sollte ich denn auch während einer Autofahrt mir nichts, dir nichts, einfach so in eine andere Zeit gelangen? Immer wieder dachte ich über all diese Dinge nach und merkte jedes Mal, wie viel mehr ich mich doch damit abfand, hier festzusitzen. Ich war noch wach als Ian, natürlich mit drei Bar auf dem Kessel, nach Hause kam. „Was bist du noch wach, Weib?“, lallte er mich an. „Ich habe mein Hemd gesäumt.“, antwortete ich ruhig und legte meine Näharbeit nieder. Meine Augen brannten von dem schlechten Licht. Ich rieb sie mir, um klarer sehen zu können und sah wie Ian gerade versuchte in eine Ecke der Kate zu urinieren. „Ob du dein Geschäft wohl draußen erledigen könntes?“, fragte ich ihn ruhig. „Halts Maul.“, kam es zurück. Mit zwei Schritten stand ich bei ihm und fasste ihn an der Schulter. „Komm. Ich möchte morgen nicht meinen Tag damit verbringen, deine Exkremente zu beseitigen.“ „Ich hab gesagt, du sollst‘s Maul halten!“ Ein Zischen erklang, als er es schaffte sich endlich zu erleichtern und er seufzte vor Wonne auf. Ich war etwas ratlos, was ich in dieser Situation machen sollte und versuchte es noch ein letztes Mal. 
„Wenn du noch einmal in die Hütte pisst, schläfst du draußen bei den Ziegen!“, drohte ich ihm. „Und wie willst du mich dahin kriegen?“, fragte er und grinste mich den schwarzen Stummeln seiner Zähne böse an, während er sich seine Kleidung wieder zurecht rückte. „Wenn du schläfst werde ich dich an deinen Beinen zur Hintertür hinaus schleifen.“, erwiderte ich. „Das verhinnert aber nich, dassich hinpiss wo ich will.“ Schwankend kam er auf mich zu und strich mir mit einer Hand übers Gesicht. 
„Warum n‘so erbost, Teuerste? Ich geb dir doch nur n bisschen Arbeit, aye?“ Er hinterließ einen Nassen Film auf meiner Wange, der mir sagte, dass er sich auf die Hand uriniert hatte. Mit einem Schauder wandte ich mich ab. „Leg dich ins Bett und schlaf deinen Rausch aus.“, sagte ich eisig und verschwand durch die Tür. 
„Heeey! Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden!“, schrie er mir nach und versuchte mir zu folgen. Ich hörte wie er gegen den Türrahmen prallte und gab vor ihn nicht zu bemerken. Schnell huschte ich von dannen, Richtung Bach und versuchte, so lange wie möglich meinen Brechreiz zu unterdrücken.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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