Elnaser Abdelwahab

Der Moench (Erinnerung an den 11ten September)

 

Er hatte bewusst verzichtet. Wie gross wird sein Glaube sein müssen, um ihm Beistand zu leisten ? Es waren am Anfang einige Schritte, da schien alles noch nah und gut gelegen, vernünftig, eine gesunde Distanz zur Welt und all dem, was unsere Zeit ausmacht : Wuchernde Begierde, kranke Abhängigkeit, hektische Erfüllung. Doch dann ergab sich aus dem Aneinanderreihen seiner Schritte, dass er alle Grenzen überboten hatte. Seine Flucht wurde für ihn ein Wettbewerb, eine innere Meisterschaft. Es fiel ihm allmählich auf, dass die Lichter der Stadt und aller zu ihr gehörenden Dörfer aus seiner Lebensebene lautlos verschwanden. Wie weit war er in seinem Wandeln geraten ? Wie gründlich hatte der Lebensstrom unter seinen Füssen die feste Landschaft seiner Zuversicht ersetzt ? Sein Körper, der ihn jung und unbefangen trug, liess nicht daran zweifeln, dass eine Ebbe ihn mitgenommen hatte. Sie hatte ihn bis in die Mitte des grossen Meeres hineingezogen, des dunkeln Meeres seines noch ungeschriebenen Schicksals. Er wandelte dennoch weiter und ist erst heute mitten unter uns angekommen.

Wir merken seine Anwesenheit kaum und sind ihm fremd. Man wird ihn vielleicht an einem Vorgarten mit Flugblättern in der Hand antreffen, lächelnd, wie um unserer Welt höflich zu entgehen. Gelegentlich ist er auf belanglosem gebückt und wirkt sehr beschäftigt. Dabei befindet er sich auf dem Weg zur dunkelsten Stelle eines Sturmes, dort, wo die berghohen Wellen alle Schiffe brüchig machen.

„Warum sind Sie mit dem Islam zu uns gekommen“, werden ihn die Passanten fragen wollen. Mit trauriger Miene wird er seine Geschichte wiederholen und jedes mal ein neues Detail ergänzen. Er hatte alles der Liebes Willen getan. Kann er jetzt, kurz im Stehen, darüber erzählen ? Die Schrift mit der er seine Geschichte in die Herzen niederschreiben würde, ständig beschäftigt, wahre und falsche Grimassen seines Wesens abwechselnd als Stütze zu nehmen, würde unlesbar sein. Man bräuchte dafür eine Lehne. Doch jene Stände in unserer Innenstadt, wo Glauben zum Verkauf angeboten wird, bieten keine Schreibmöglichkeiten. Man könnte gewiss Telefonnummern oder Addressen und Zahlen in Notizbüchern aufheben, aber nichts wirkliches mitteilen. Und seine Geschichte mit Leila war wirklich, in keinster Weise übertrieben oder erfunden.

Wo viele Begegnungen vielleicht nötig gewesen waren, hatte er sich mit dieser einen zurechtgefunden. Er hatte den Forderungen seines Herzens nicht stattgegeben und begnügte sich mit diesem einzigen, langen, aufrichtenden Blick. Dann musste er beweisen, dass es Liebe war. Es gingen Gerüchte, dass bei uns diese Gemütsblüte nicht mehr gedeihte. So wurde aus leichten, unbefangenen Wünschen eine schwere Lebensaufgabe. Nur ein Gottesbeweis konnte reicher an Ausführungen werden. Die ganze Dialektik seiner Idee bestand darin, statt dilettantische Überzeugungsmannöver zur Unterstützung seines Plädoyers vor Leila auszubreiten, Steinbrocken aus Tälern schlafender Sehnsüchte lebendig zu erhöhen. In ihnen wollte er wie ein unbedeutender Bildhauer anfangen und jedem Teil seiner Erinnerung, das in Stein verkörpert vor ihm Stand, ein Stück Seele mitgeben, als ob er von ihm verlangte, aufzustehen und im Altar seiner Liebe Ikone zu werden.

Er fing also an, die kleinste Einheit seines Schaffens zu suchen, die fortwährend sich wiederholte und das Mass seiner inneren Schönheit (der Schönheit Leilas) ausmachte, jenes Stück unsterblichem Verlangens, dessen Damast dem Hintergrund seiner Arbeit nicht fortgenommen werden konnte. Und dieses war so eindeutig, so klar aus Lebensbildern hervorzurufen, dass er lange brauchte, um ihn eigen zu nennen.

Da entstanden die ersten Statuen seiner Religion. Gesichter und Körperteile füllten die Vorräume seiner Welt. Sie glichen Erlebnisse einer fernen Kindheit. Ausgedehnt im Raume waren sie sich unbeschreiblich nahe geworden. Eine innere Kraft zog sie zusammen und machte aus ihnen eine einzige Familie. Mit der Zeit war die Familie zur eigenen Lebensart, in dicht bewohnten Inseln, zu zierlichen Tieren und kleinen, undenkbaren Lebewesen von erlesener Schönheit aufgeblüht. Wunderliche Blumen entsprossen seinem Gemüte wie Früchtebäume einer neu geschaffenen Oase dessen Entstehung die Erfüllung eines verzweifelten Gebetes glich : Durch den harten Boden ausbrechend, in donnernder Gebärde, als ob es galt, allen Durstnöten der Welt ein Ende zu bereiten, stiegen Quellen aus trockener Dürre rauschend auf. Es war ein Schöpfungsmoment.

Bald sah er ein, was überall mit derselben Intensität sich ihm offenbarte, um diese Kreation möglich zu machen : Dass er vollkommen verzichten musste. Er hatte nun seine Mitte gefunden und verzichtete. Wie wollen wir ansonsten erklären, dass ihn Leilas liebende Absage nicht zugrunde gerichtet hatte ? Er empfand sie gewiss als Aufforderung, den letzten Schritt nicht mehr zu scheuen, diesen einen fast unmöglichen letzten : Die tausend Götzenbilder seines Tempels in ihre Erde zurückzurufen und jenem einen Gott ergeben zu dienen, dem Gott der erhörten Gebete.

Und da fiel uns auf, zu fragen, ob er nicht die biblischen Wunder dichterichen Empfangs vorführen könnte. Wir glaubten nicht mehr daran, weil unsere Sünden keine Sühnen mehr kannten und wie Altjungfrauen vergebens ihrer Befruchtung andachten. Trotz müssigem Alphabet rühmten wir unsere selbstgefällige Sprachignoranz : Wir verbaten jede andere Lektüre als die unserer heiligen Schriften und konnten deshalb nicht ergiebig werden. Er aber hob seine Hände zum Himmel und rezitierte : „Lies, im Namen Deines Herren, der geschaffen hat !“

 

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