Andreas Rüdig

Über die brotlose Kunst

"Brotlose Kunst wird von Künstlern gemacht, um Menschen aller Kulturen, Einkommen und Schattierungen zu erfreuen. Viele dieser sensiblen Feingeister denken, dass die Freude, die sie anderen bereiten, Lohn genug sei. Sie fertigen l’art pour l’art und nicht des Mammons wegen. Wenn sie dies über einen längeren Zeitraum machen, drohen sie mangels Einkommen zu verhungern. Man spricht dann von Brotloser Kunst," stellt die Internetenzyklopädie Stupidedia eine besondere Stilrichtung der Kunst vor. Taxifahrende Kunstkritiker? Sie sind genauso brotlose Künstler wie Zirkusartisten, Pornoaktreusen und Bühnenarbeiter  in Vollbeschäftigung. "Brotlose Kunst ist die Kunst des Bohemien," erfahre ich Stupidedia.
 
"Bereits frühzeitig, kurz nachdem der Mensch sesshaft wurde und Höhlen als seinen Lebensmittelpunkt wählte, kristallisierten sich einige Menschen durch eine besondere Gabe aus. Sie konnten Ansichten der Natur mittels Kreide, Ruß und Erdpigmentierungen erkennbar an den Höhlenwänden anbringen. Sie nahmen dadurch innerhalb ihrer Horde eine Sonderstellung ein und wurden von vielen bewundert. Doch schon der Frühmensch musste schmerzlich mit den Schattenseiten seiner Darstellungskraft leben: malte er fleißig weiter, während die anderen zur Jagd gingen, litt er Hunger. Stellte er die Strichmännchen, die seine Horde zeigten, unvorteilhaft dar, schloss man ihn aus der Gemeinschaft aus. So wurde der Homo Artemes bereits in den Kinderschuhen geprägt.

Zweckmäßig erkannte er, dass seine Fähigkeiten anders und damit besser zu nutzen seien. Als Kunsthandwerker verstand er sich auf die Herstellung skulpturaler Steinmonumente bis hin zu kunstvoll geschnitzten Messergriffen aus Hirschgeweih. Nun hatte er Tauschobjekte, die er gegen Felle oder Lebensmittel veräußern konnte. Dieser an sich herbe Rückschlag der Künstlerseele sicherte aber auf der anderen Seite den Fortbestand dieser Gattung, die sich über bildhafte Illustrationen durch Teppichknüpftechniken und Freskenmalerei bis in die Blütezeit der Renaissance rettete.

Zeitgleich mit der Entdeckung Amerikas begann eine neue Epoche. Die katholische Kirche war auf dem Zenith ihrer Macht und hatte mehr Geld durch Raubzüge, Ablasshandel, Erbschleicherei und kriegerische Eroberungen zusammengetragen, als die Päpste in Kolossalbauten, Prunkkostüme oder in Menschen zur leiblichen Luststeigerung investieren konnten. Gleichzeitig kamen sehr begnadete Kunstgenies auf den Markt. Michelangelo Bounarotti, Leonardo da Vinci, Bramante sowie Raffael sind nur die Speerspitze der illustren Gesellschaft, die, hin- und hergerissen zwischen ihren verschiedenen Auftragsgebern, welche entweder aus dem Haus der Medicis oder des Vatikans stammten, immer entscheiden mussten, für wen und für wie viel sie ihre künstlerische Leistung anbieten. So stieg einerseits ihr Bekanntheitsgrad, anderseits ihr Vermögen. Dies lockte natürlich viele Neider, deren durchschnittliches Talent sich nicht so trefflich vermarkten ließ. Doch selbst für diese weniger Begabten gab es Aufträge, die diesmal von den Stars der Branche vergeben wurden. Sie durften Leinwände grundieren, Hintergründe malen, den vielfach polysexuell orientierten Künstlern zur Seite stehen oder Gerüste bauen. Da auch für diese mindertalentierten Brosamen abfielen, gilt die Renaissance heute als fürchterlichste Zeit für die Brotlose Kunst.

Nach Ableben dieser exorbitanten Ausnahmekünstler begann die Zeit des künstlerischen Siechtums. Führende Kunsthistoriker sprechen heute offen von der Ennoyanten Epoche. Schuld daran war die Entdeckung des unkulturellen Amerikas. Die Europäer waren mehr interessiert an der kolonialen Ausbeutung der Neuen Welt als an wegweisenden neuen Kunstrichtungen. Die in der Heimat verweilenden Künstler waren wieder zweitklassig und malten heitere Schlachtszenen, Königs- und Kaufmannsportraits sowie die in ihrer Phantasie zusammengebastelte Vorstellung vom Leben in den abenteuerlich klingenden amerikanischen Gebieten. Selbst Spanien, bislang fast alleinvertretend in diesen Kolonien, verloren nach und nach ihre besetzten Gebiete und auch ihren Kunstverstand, da der einzige spanische Künstler, der es zu Bekanntheit brachte, ein Grieche war.

Dennoch war es ein iberischer Maler, der den langersehnten Beginn der Brotlosen Kunst einläutete. Francisco de Goya befreite sich davon, so zu malen, wie es sich Auftragsgeber wünschten. Er malte so, wie er es wollte und verkaufte es erstmals als Kunst. Dieser Gedanke hält sich ungebrochen bis heute und sorgt dafür, dass jede denkbare Stilrichtung möglich ist,"  gibt Stupidedia eine bitterbös-ironische Übersicht über die geschichtlichen Zusammenhänge. Heute braucht man als brotloser Künstler nicht zu hungern. Bevor man am sprichwörtlichen Hungertuch nagt, wird man ein verbeamteter Kunstprofessor. Zumindest in Deutschland. Dann braucht man sich wenigstens nicht mehr mit Galeristen, Kunsthändlern und Sammlern herumzuärgern. Diesen Eindruck kann man heute gewinnen. Wie es in früheren Zeiten lief, berichtet Stupidida: "Nach dem Aufstand der Impressionisten, die sich gegen geleckte Bilder wehrten und mit heftigem Pinselstrich Farben nach Empfindungen auf die Leinwände klatschten war der Triumphmarsch der brotlosen Künstler nicht mehr aufzuhalten. Niemand wollte die intensiv farborientierten Bilder kaufen und die Künstler hatten teilweise nicht einmal Geld, um sich neue Farben zu kaufen. Sie litten an Brotmangel, da die seinerzeitigen Bäcker als besonders hartherzig galten und ihr Pappbrot nur gegen knallharte Devisen tauschten. Die Künstler verloren vor Hunger fast ihren Verstand. Einer dieser Gattung war aus Verzweiflung bemüht, sich aus seinem abgeschnittenen Ohr eine nahrhafte Suppe zu kochen. Andere wanderten wegen der geringeren Lebenshaltungskosten in die Südsee aus. Die Brotlose Kunst war an ihrem ersten Höhepunkt angelangt. Aus dieser Zeit entstammt auch der situative Witz

Arzt zum Künstler: Sie haben noch drei Monate zu leben!
Künstler zum Arzt: Ja? Wovon denn?"

Doch oh wehe! Es besteht noch Hoffnung, sich als Künstler besonders brotlos betätigen zu können. "In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts schwappte dann aus dem unkulturellen Amerika eine neue Welle auf den europäischen Kontinent. Unter Drogeneinfluss entstanden Pop- und Op-Art, bunte und quietschige Bilder, die den Zeitgeist auszuhöhlen versuchten oder bei der zum Beispiel ein David Hockney seinen sexuellen Neigungen kunstvoll nachging, doch nichts war shocking genug, um Menschen vom Kauf dieser Werke abzuhalten. So blieb den Künstlern nur der Weg des konsequenten Rausches und einer ewig dauernden Party, bis der Körper diesem Treiben ein Ende setzte.

Seit Julian Schnabel ist ein Wertewandel bei Kunstschaffenden nachzuvollziehen. Man bekennt sich offen zu Reichtum und wusste um die Strukturen des Kunstmarktes. Sag mir, wes Galerist/in du fickst und ich sag dir, was dein Marktwert ist! wurde zum Stigma der Bildenden Kunst. Brotlose Kunst fand nur noch im Untergrund statt und fand kaum Beachtung.

Heute hat sich das Blatt aber wieder zum Guten gewendet. Führende brotlose Künstler verschönern entgeltlos Wohnblöcke, Eisenbahnen und Tunnelschächte. Es sind die selbstlosen Heroen, die mit ihrer markanten Drei-Buchstaben-Technik oder in dadaistischer Rechtschreibungsauslegung Tags an Wände sprühen und damit die Aufmerksamkeit der Hausbesitzer auf sich ziehen. Wenn der Trend so anhält, wird man in wenigen Jahren von einer neuen Brotlosen Epoche reden."

Doch nun zur künstlerischen Praxis. Daß Schriftsteller Schriften hinterherlaufen und ihnen ein Beinchen stellen, ist ja allgemein bekannt. Doch wie sieht die dazugehörige Praxis aus? "Wer schreibt, der bleibt! gilt als Sinnspruch für Menschen, denen es ein Verlangen ist, sich schriftlich mitzuteilen. Sie schreiben Gedichte, Bücher, Artikel und hoffen, dass es noch weitere Personen gibt, die sich für ihr Geschriebenes interessieren. Unaufgefordert schicken sie ihre Erstlingswerke an Verlage oder Redaktionen und hoffen, dass ihre Schreibarbeit von diesen angenommen wird. Kaum ist das Manuskript im Briefkasten, wähnen sich die frischen Autoren als wahre Nachfolger Thomas Manns und denken ernsthaft darüber nach, ihren Hauptberuf aufzugeben und nur noch als wilder Schriftsteller zu leben. Doch die Ernüchterung kommt schnell. Verlage schicken die Werke ungelesen mit einem Standard-Absagebrief zurück, Zeitungsredaktionen machen sich diese Mühe erst gar nicht. Der Traum vom Leben als freier Autor ist schnell geplatzt, der Schreiberling wendet sich wieder seinem Broterwerb zu und vergisst die Episode.

Schlimmer ist es für die, die sich damit nicht abfinden können oder die einen kleinen Anfangserfolg verbuchen können. Autoren gelten als hemmungslose Narzissten, denen nichts heiliger ist, als wahrgenommen zu werden. Ist ihr Selbstbewusstsein derart übersteigert, dass sie an nichts anderes als an ihren Erfolg glauben, oder werden sie nicht durch Absagen brüsk in ihrer Selbstüberschätzung gebremst, entscheiden sie sich dafür, die Schriftstellerei hauptberuflich zu betreiben. Da ihnen finanzstarke Aufträge fehlen, melden sie sich in ihrem Job-Center als Freischaffende arbeitslos und hoffen, die erste Zeit mit dem Geld vom Staat über die Runden zu kommen. Der Markt für die schreibende Zunft ist aber sehr eingeschränkt und die Job-Vermittler müssen meistens passen. Da andere Berufe aus ethischen Gründen nicht angenommen werden können, frieren die Mitarbeiter des Arbeitsamtes die Geldzuwendungen ein und der beschäftigungslose Schriftsteller ist nun bereit, ins Lager der brotlosen Künstler zu wechseln.

Hier angekommen, treffen sie sich in üblen Spelunken und planen verschwörerisch einmal wöchentlich (Stammtisch!) die Verbesserung ihrer Situation. Hinter vorgehaltener Hand macht ein Wort im Kreise der brotlosen Autoren die Runde: Wikipedia. Ein Internet-Forum, bei dem man ungestraft seine auf Halde erarbeiteten Artikel einbringen kann. Niemand lehnt die Schreibarbeiten ab, und immer gibt es Menschen, die sich das Werk durchlesen. Wikipedia hat sich als ideale Plattform für brotlose Autoren erwiesen, da man hier viel schreiben darf und es keinen weiteren Lohn als die Beachtung gibt," berichtet Stupidedia.  Die eigene Erfahrung lehrt mich: Es sind nicht nur Verlage, die so herzlos handeln. Insbesondere im Internet (doch nicht nur da) soll es jede Menge sogenannter Zeitungen und Zeitschriften geben, die ihre Mitarbeiter knechten und ohne Bezahlung nur für Gotteslohn arbeiten lassen. Doch weiter im Text. Blicken wir zu den Schauspielern und zu den Sängern. "Die Sucht der Schauspieler liegt in der Wahrnehmung ihrer eigenen Person. Dazu benötigen sie eine Bühne, ein Forum oder eine auf sie gerichtete Kamera, die jeweils als Medium zum Transportieren ihrer darstellerischen Fähigkeiten genutzt wird. Sie sind selten kreativ in Gestik, Mimik oder Wahl ihrer Worte, da sie gewohnt sind, das umzusetzen, was Autor, Regisseur oder Dramaturg von ihnen verlangen. Andererseits ist genau dieses exakte Abliefern eines Ergebnisses, das andere in ihren Köpfen haben, die hohe Kunst der Schauspielerei.

Der Weg hierhin ist auf verschiedene Arten, in aller Regel aber über drei Möglichkeiten, vorgegeben. Zum einen gibt es den klassischen Weg, der über eine Schauspielschule und Engagements an kleineren Provinzbühnen voranschreitet, daneben gibt es die Talent-Variante, bei denen man über Kleinkunstbühnen durch die Lande zieht, bis ein Impressario diese Gabe erkennt und entsprechend fördert, und der dritte Weg, der einfachste Einstieg ins Mimen-Metier, führt über das Fernsehen zu schnellem Ruhm.

Während die ersten beiden Spielarten durch hohe handwerkliche Kunst oder eine besondere Fähigkeit von dauerhafter Beschäftigungszeit sind und von der Brotlosen Kunst fern gehalten werden, offenbart sich bei dem Einstieg über das Medium Fernsehen ein weites Feld des Scheiterns. Casting-Shows, Daily Soaps und Sale TV, um nur einige der grauenvollen Anglizismen zu nennen, sorgen dafür, das unbedarfte und vollkommen talentfreie Menschen sich ins Licht der Öffentlichkeit drängen. Eine Steigerung findet man nur noch in den justiziellen Nachmittagssendungen oder öffentlich geführten Gesprächsrunden, die mittlerweile nicht mehr wegen der geistigen Inhalte, sondern wegen des Aussehens der Selbstdarsteller als Trash TV bezeichnet werden. Hier tummelt sich der Nachwuchs und das Zentrum der brotlosen Schauspieler.
 
Eines haben Sänger mit den Schauspielern gemein. Sie stehen gerne im Rampenlicht und damit im Mittelpunkt. Der brotlose Karriereverlauf dieses Typs ist abhängig von der Musikrichtung, die seiner Mentalität oder Stimme entspricht. Man unterscheidet zwischen Opern-, Schlager- und Rocksänger.

Opernsänger haben eine solide Gesangsausbildung genossen. Sie sprechen und singen in mehreren Sprachen und trainieren ihre Stimmbänder täglich für mehrere Stunden. Auch wenn sie nicht zu den Bekanntesten gehören und z. B. bei den Drei Pavarottis, den Ten Tonners oder den Fifty Cent Baritons mitsingen, haben sie an den Opernhäusern meist ein festes Engagement und damit ein regelmäßiges Einkommen.

Doch selbst dieser an sich krisensichere Job kam ins Wanken, nachdem viele Asiaten die klassische europäische Musik für sich entdeckten. Musikhochschulen sind heute zu zwei Drittel durch schmaläugige Schlitzohren besetzt. Die gelbe Gefahr bedient sich hierbei einfach ihres Grundcharakters. Da sie selbst keine bedeutenden Komponisten herausgebracht haben und Singen vom Blatt eine Art Kopieren darstellt, erstaunt es die Fachwelt nicht, dass sie hierbei ein großes Talent bewiesen. Sie drangen in die europäischen Opernhäuser und boten ihre Dienste weit unter Tarif an. Kein Wunder also, das die Intendanten mit Blick auf ihren chronisch knapp bei Kasse befindlichen Haushalt lieber asiatische Billiglohn-Kopiermaschinen einsetzen als teure und auch noch divenhafte Einheimische.

Den so aus dem Amt gedrängten blieb nur noch, sich mit Gesangsunterricht über Wasser zu halten und auf ein zufälliges Engagement zu hoffen.

 
Wenn sich vier Schüler vom Rockzipfel ihrer Mutter gelöst haben und der Meinung sind, sie müssen etwas mit Musik machen, gründen sie eine Rockkapelle. Klassisch besteht diese Band aus Bassist, Gitarrist, Schlagzeuger und Sänger. Allen gemein ist, dass sie keine Ahnung von Tuten und Blasen oder ihren Instrumenten haben. So schrammeln sie – hauptsächlich laut – in ihrem Probenraum und bringen es zu einem Konzert in der Aula ihrer Schule. Danach löst sich die Gruppe erfahrungsgemäß auf.

In der kurzen Zeit ihres Zusammenspiels machten sie eine auffällige Entdeckung: die Mädchen interessierten sich nur für den Sänger und wenn die anderen Musiker eines auf ihre Seite ziehen konnten, dann nur, damit diese in der Nähe des Troubardours sein konnten. So etwas beflügelt und der sogenannte Frontmann sieht sich nach anderen Bands um, in denen er seine Gesangskünste und seinen Marktwert beim anderen Geschlecht austarieren kann. Die Qualität seiner Mitmusikanten nimmt zu, ebenso die seiner Groupies. Er kann sich nichts anderes mehr vorstellen, als professionell Rockstar zu sein und schmeißt vorsorglich sein Studium oder Beruf hin. Das Leben in vollen Zügen genießen! wird zu seinem Motto, wobei damit hauptsächlich der Zug an der Haschpfeife gemeint ist.

Nach anfänglichen Erfolgen, die die Band auf ihrer Tournee durch verschiedene Kleinstädte und in entlegene Ecken deutscher Provinz führt, kommt es zu Spannungen in der Gruppe. Der ganz große Durchbruch lässt auf sich warten und das eingespielte Geld reicht kaum, um den Abtrag für die Anlage zu leisten. So löst sich auch diese Formation irgendwann auf und der Sänger lebt nur noch in seiner Erinnerung. Weil er inzwischen auf Kokain umgestiegen ist, hilft ihm dieses Pülverchen, über die schlimmste Zeit der Untätigkeit hinweg zu kommen. Sich als Star fühlnd, kommt eine normale Erwerbstätigkeit für ihn nicht in Frage. So wird er DJ in einer Diskothek, bis ein sich billiger anbietender Plattenaufleger ihm den Job streitig macht. Am Tiefpunkt seiner Karriere wird er Internet-DJ und stellt Musikprogramme für seine aus 15 bis 20 Personen bestehende Fangemeinde zusammen.

Für Sängerinnen verläuft der Weg übrigens anders. In aller Regel hat auch sie viele Anhänger, die sich ein Tête-à-tête mit ihr vorstellen können, doch sie kommt nicht zum Ausleben ihrer Phantasie, da sie meist mit Bassist oder Keyboarder der Band liiert ist. Dieser wacht eifersüchtig auf züchtigen Umgang mit den Verehrern und lässt keine weiteren Annäherungen zu.

 
Schlagerstar Roland Kaiser beim einsamen Intonieren seines Santa Maria Liedes. Wenn ein Künstler erst so abgelichtet wird, ist es mit der Karriere schnell vorbei.Ähnlich motiviert wie der Rockstar versucht auch der Sänger dieser Stilrichtung Eindruck beim anderen Geschlecht zu schinden. Der Beginn seiner Laufbahn liegt jedoch nicht in einer Rock- sondern einer Tanzkapelle. Durch bunt glitzernde Blazer mit schwarzem Revers unterscheiden sie sich schon mal äußerlich von den Affen, wie sie die ungepflegten Rocksänger zu nennen pflegen. Darüber hinaus tragen sie Fönfrisuren und sind häufig schon in jungen Jahren mit Makeup belegt. Sie wissen, dass das, was sie über Gesangskunst nicht erreichen können, nur übers Aussehen funktioniert. Hierbei erweisen sich Schlagersänger auch nicht als wählerisch. Wenn eine Dame, die wenigstens dreimal so alt und schwer ist wie er selbst, ihm durch Augenzwinkern ein unmoralisches Angebot unterbreitet, sagt er niemals Nein. Jeder Fan wird zufriedengestellt. Das ist wichtig in dieser Branche und spricht sich schnell herum.

Wenn der Sänger nach einigen Jahren des Herumtingelns durch Vereinsheime, Schützen- und Dorffeste oder Hochzeitsfeiern glaubt, er sei reif für eine Solo-Karriere, nimmt er sich einen Agenten. Dieser sucht Musiker, Texter und Plattenfirmen für ihn aus und strickt ein auf einfachsten Mustern gestricktes Lied für ihn zusammen. In seinen Texten reimt sich Liebe auf trübe, Wein auf sein, Wand auf Hand oder besonders süffisant, Herz auf Schmerz. Somit deckt sich sein Textgehalt mit dem Niveau seiner Hörerschaft. Nachdem dann noch ein schunkelartiger Tanz einstudiert wurde, wird ein Video-Trailer produziert, den der Agent an alle gängigen Fernsehanstalten sendet. Die Programm-Direktoren kennen die Sex-sells-Maxime und wenn der Junge telegen rüber kommt, wird er gesendet. Für weibliche Schlagerstars gilt ungefähr das Gleiche: selbst, wenn sie die 50 überschritten haben sollten, wird der Rock etwas kürzer, das Decolleté etwas großzügiger und das Makeup etwas dicker. Zur Not bekommen die Stützstrümpfe noch eine Naht. So ist ein Anfangserfolg garantiert.

Solange man auf der Höhe der Zeit bleibt und aktuell und begehrt ist, ist die Welt des Schlagers in Ordnung. Gradmesser für diesen Zenith ist die Regenbogenpresse, die nahezu wöchentlich interessante Fotos (die Schreibarbeiten werden nach den Fotos und frei erfunden aus dem Kopf heraus erledigt) vom Sänger haben möchte.

Der letzte Abschnitt seines Lebens findet dann in Altersheimen, vor Baumärkten oder auf Kleingartenfesten statt. Er will doch nur Freude bereiten und singt voller Inbrunst seine alten Hits. Doch spätestens, wenn er merkt, dass es keine Freude ist, sondern seine Person, die das Publikum zum Lachen bringt, versinkt er in eine nicht enden wollende Depression. Am Ende bleibt nur ein gezielter Sprung aus dem Fenster. Noch während des Falls glaubt er an einen ähnlichen Mythos um seine Person, wie er bei Marilyn Monroe oder James Dean entstanden ist. Doch schon während seines Fluges hat man ihn bereits vergessen. Aber so sind sie eben, die Sänger."

Bildende Kunst hat nichts mit der Schule und Ausbildung zu tun. Der Sprcuh "Schaffe, schaffe, Häusle baue" ist hier eher angesagt. "Wenn man es geschafft hat, sich über eine der anderen Kunstgattungen einen Namen zu machen, ist es ein Leichtes, sich auch noch Bildende Kunst als Hobby zuzulegen. Die hergestellten Werke der Schauspieler, Autoren oder sonst wie Prominenten verkaufen sich allein über den Namen des Herstellers. Wer dies begriffen hat, hat den größten Stein auf dem Weg zum berühmten Künstler beiseitegerollt. Es ist notwendig, einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen, damit man einen Namen hat und die Galeristen um einen bemüht sind. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Entweder, man experimentiert mit Exkrementen als Werkstoff oder läuft brennend durch die Einkaufszone. Hauptsache, es ist spektakulär und wird von den Medien wahrgenommen. Danach hat zumindest finanziell einen guten Start hingelegt.
Doch den echten Künstler interessiert so etwas nur selten. Es ist ihm Verlangen, Betonblöcke mit Presslufthammer in Form zu bringen, Eisenteile zusammenzuschweißen oder Essensreste auf Leinwände zu kleben. Er denkt nur an sein Werk und vergisst sich, seine Umwelt, sein Essen auf dem Herd. Er arbeitet wie besessen, wenn ihn die Muse geküsst hat und fällt in Trance. Erst wenn er aus dem Schaffensrausch erwacht, bemerkt er den Brandgeruch und nimmt Abstand zu seinem Werk. In sich gekehrt betrachtet er es, dreht es in alle Richtung und nur wenn es seine volle Zustimmung hat, setzt er seine Signatur. Danach ruft er den Pizza-Service.

Ob es sich verkaufen lässt, ist ihm in der Schaffensphase vollkommen egal, aber jetzt, da es fertig ist, muss er einen Abnehmer dafür finden. Er ruft seine Galeristen an und berichtet von der Fertigstellung. Wird es verkauft, hat er wieder für einige Monate Ruhe, wenn nicht und vor allem, wenn auch seine anderen Werke keine Käufer finden, sieht es schlecht um ihn aus. Er ist gezwungen, um nicht zu verhungern, eine Arbeit anzunehmen. Bleibt er in dieser verhaftet, rechnet man ihn zu den brotlosen Künstlern."

Sehe ich es richtig: Steckt in den Begriff "Stupidedia" das englische Wort "stupid" = blöde, dumm? Nein, das kann nicht sein. So satirisch der obige Abschnitt auch sein mag, so gut gibt er trotzdem die Realität wieder.

Auffallen um jeden Preis könnte das Motto der modernen Kunst lauten. Nicht mehr handwerkliches Können ist gefragt; Kunst ist alles, wofür ein Käufer Geld ausgibt. Schwarz gefärbte Tennisbälle, die mittels Wurfmaschinen durch den Raum geschossen werden wie drei weiße Kalksteine auf einer Holzpalette für die Warenanlieferung sind genauso Kunst. Welche bildende Kunst brotlos ist, entscheidet also der Kurator. Es sind also nicht mehr Könige oder Kardinäle, die darüber entscheiden, ob ein Künstler satt wird, sondern Kuratoren in Museen.

Ein Wort zu den Kuratoren sei hier erlaubt. "Durch die Medien geistern Berichte, die von unglaublichen Wertsteigerungen bei Kunstwerken berichten. Kein Wunder also, dass immer mehr kunstunsachverständig veranlagte Menschen Bilder oder Objekte kaufen, von denen sie sich eine Art Alterssicherung versprechen. Da nur wenige dieser Arbeiten von Künstlern stammen, die es einmal zu Bedeutung bringen, kaufen sie Brotlose Kunst.

Für diese gibt es mittlerweile einen recht gut funktionierenden Markt. Brotlose Kunst-Galerien tauchen in fast allen Städten auf und vermitteln zwischen unbedeutenden Kunstschaffenden und Käufer. Gewinner bei dieser Transaktion sind die Galeristen, die den größten Teil der Einnahme für sich behalten. Der Künstler selbst ist froh, wenn er die Materialkosten wieder raus hat und dass ein weiteres Bild von ihm über einem fremden Sofa hängt. Der Käufer freut sich über den geringen Einstandspreis und hofft, dass die Zeit jetzt für seinen Vermögenszuwachs arbeitet. So sind alle Betroffenen dieses Tausches vorerst zufrieden.

Das Sammeln brotloser Kunst befriedigt nur die Leidenschaft des Käufers. Für seine Nachkommen wäre es aber vorteilhaft, wenn er seine Sammelobjekte noch zu Lebzeiten aus der Wohnung schafft. Die Idee, seine Anhäufung in Form einer Schenkung einem Museum zu überlassen, sollte er hierbei allerdings nicht in Betracht ziehen, da diese auf diesen alten Trick nicht mehr hereinfallen.

Unter dem Oberbegriff "Freischaffende" tummeln sich alle artverwandten Berufe, wie Architekten, Fotografen, Kunstfälscher, Designer, Grafiker oder Landschafts-Gärtner, die kreativ arbeiten und jeweils von Aufträgen abhängig sind.

Sie liefern Brotlose Kunst, wenn sie ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend abliefern und es daher an Folgeaufträgen mangelt. Architekten, deren Bauwerke den ersten Schneefall nicht überstehen, mögen ja kreativ sein, kommen aber über den Beruf des technischen Zeichners nicht hinaus. Gleiches gilt für talentierte Grafiker, die unter Legasthenie leiden. Ein Kameramann, der einen Fußballspieler nicht vom anderen unterscheiden kann, wird bei einer Spiel-Übertragung die Regie zur Verzweiflung bringen, danach aber nur noch Hochzeitsgesellschaften ablichten. Der Zugang zu dieser Gattung wird aber erschwert, da es immer mehr Aufträge gibt, als Versager dafür zur Verfügung stehen. Bestes Beispiel ist der Designer-Papst Philippe Starck, der durch eine ganz und gar nicht funktionierende Zitronenpresse bekannt wurde und den man inzwischen sogar Häuser bauen lässt," berichtet Stupidedia.

Ob ich selbst ein brotloser Künstler bin? Ja, eigentlich schon. Ich mag Brötchen lieber.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.11.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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