Hans Pürstner

INRI 2.0 Teil 11


Nach stundenlanger Fahrt waren alle froh, endlich am Ziel angekommen zu sein. Jeder holte seinen Rucksack mit der aufgerollten Schlafmatte aus dem Kofferraum und ging zu dem kleinen Zeltdorf, das die Helfer Joshuas bereits aufgestellt hatten.

"Das sind meine zwölf Freunde, sie begleiten mich schon seit einiger Zeit und unterstützen mich bei meinen Lehrgängen. Das hier ist Mirjam aus Magdala" sagte er und nahm eine der Gestalten in den Arm, die sich erst jetzt als Frau entpuppte, "sie wird für uns kochen. Aber erwartet keine Gourmetküche, wir werden uns hier hauptsächlich von Kichererbsenmehl und Wasser ernähren. Ein bisschen Fasten schadet wohl auch keinem von euch?" beendete er augenzwinkernd seine Begrüßungsansprache.

Da sich ja alle schon vorher darauf eingestellt hatten, gab es keinen Protest außer einem leisen Raunen. Jeder bekam im großen Hauptzelt seinen Schlafplatz zugewiesen mit dem Hinweis, sich nachts so gut wie möglich zuzudecken, da es empfindlich kalt werden könnte.

Im Moment stöhnten allerdings alle über die fast unerträgliche Hitze. Die Freunde Joshuas hatten sich wohlweislich in die Burnusse der Wüstenbewohner gehüllt und trugen ägyptische Baumwollmützen um sich vor der sengenden Sonne zu schützen.

"Marc hat einen kleinen Fundus an Mützen und Burnussen", rief Joshua, dem die neidischen Blicke der Neuankömmlinge natürlich aufgefallen waren. "Ihr werdet schnell sehen, dass man damit hier wesentlich besser zurecht kommt als mit eurer westlichen Kleidung!"

Danach verabredete man sich in einer Stunde zur ersten Vorlesung, wie Joshua spöttisch bemerkte.


"Herzlich willkommen, meine Freunde!", begrüßte er noch mal die Teilnehmer mit denen man die nächsten vierzig Tage zusammenleben würde.

"Ihr habt alle sicherlich die Geschichten über mich gelesen, sonst wäret ihr heute nicht hier. Davon ist einiges wahr, anderes nicht oder zumindest aufgebauscht. Deshalb möchte ich vorweg einiges über mein bisheriges Leben erzählen.

Ich wurde vor einunddreißig Jahren auf einer Schaffarm in der Nähe von Kiryat Ata geboren. Meine Eltern sind Palästinenser und hielten sich illegal dort auf. Schon im Alter von sechs oder sieben Jahren fiel mir auf, dass wir von den Israelis wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. Nur das Besitzerehepaar der Farm war immer gut zu uns, ohne sie hätten meine Eltern mich überhaupt nicht großziehen können. Oft habe ich darüber nachgedacht, wieso Menschen einander hassen können, Menschen, die ihnen nie etwas zuleide getan haben. Einfach nur, weil ihre Haut etwas anders aussah, oder ihre Augen oder was weiß ich noch anderes.

Ich fand das einfach blöd. Später erkannte ich dann auch den Einfluss der unterschiedlichen Religionen, die Menschen dazu brachte, einander zu hassen.

Schon als kleiner Junge habe ich mir vorgenommen, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Oft musste ich einen Streit schlichten zwischen Spielkameraden von mir. Dabei passierte es öfters, dass, kaum dass ich mich einmischte, die Streithähne plötzlich friedfertig wurden, ohne dass ich überhaupt etwas getan oder gesagt hätte. Diese Fähigkeit verblüffte mich ein ums andere Mal und eines Tages sprach ich meinen Vater darauf an. Er druckste erst lange rum, aber dann erzählte er mir die ganze Wahrheit über meine Geburt.

Du bist nicht von dieser Welt, Joshua, und ich bin nicht dein leiblicher Vater, begann er seine Erzählung. Ich war ziemlich geschockt, als ich dies hörte, aber er nahm mich in den Arm und tröstete mich.

Natürlich liebe ich dich wie meinen eigenen Sohn, Joshua, und offiziell vor der Behörde bist du das ja auch. Niemand soll die Wahrheit erfahren, bevor du großjährig bist. Danach musst dun selbst entscheiden, ob du die Wahrheit für dich behältst. Danach erzählte er mir, dass ich das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung sei, etwas was ich zu der Zeit noch überhaupt nicht verstehen konnte, und dass der menschliche Samen dafür auf mysteriöse Weise in einer Kapsel aus dem Weltraum auf die Erde gekommen sei. Der Wissenschaftler, der diesen Samen dann heimlich meiner Mutter, seiner geliebten Frau Mirjam, einpflanzen ließ, sei vor einigen Monaten gestorben. Deshalb brauche er diese Geheimnis nicht länger für sich behalten.

Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Zwar verstand ich so einiges nicht an der Geschichte, aber ich hatte im Fernsehen ja schon so einiges über Außerirdische und so gesehen. So einer sollte ich also sein. Jetzt wurde mir auch so einiges klar über die manchmal seltsamen und unerklärlichen Erlebnisse die ich schon in so jungen Jahren gehabt hatte. Seltsame Träume, in denen Gestalten in weiße Gewänder gehüllt mich an meinem Bett besuchten und mir Grüße von meinem Vater überbrachten. Mein Vater war doch im Bett nebenan.

So ging sie vorüber, meine Kindheit, ich besuchte das Gymnasium in Haifa, danach die Universität, wo ich Philosophie und als Zweitstudium vergleichende Religionswissenschaften studierte.

Oft verzweifelte ich an der Besessenheit, mit der die Anhänger einer Religion sich als die Hüter der alleinigen Wahrheit verstanden und alle anderen als Ungläubige verdammten. Während des Studiums faszinierten mich die fernöstlichen Religionen wie Hinduismus und Buddhismus. Gerade die letztere praktizierte die Gewaltlosigkeit, die von den Christen meist nur gepredigt wurde, wie das Beispiel der Kreuzzüge zeigt. Und auch die Amerikaner haben noch in jüngerer Vergangenheit grausame Kriege im Namen Gottes geführt. Von den Islamisten ganz zu schweigen.

So beschloss ich, meinem alten Freund Yogi Sathya Baba zu folgen, der nach einigen Jahren in Europa wieder zurück nach Goa gegangen war. Dort habe ich jahrelang die Vorzüge des Meditierens kennen gelernt. Dabei tauchten auch des Öfteren wieder die geheimnisvollen Gestalten aus meinen Kinderträumen auf. Sie gaben mir viele Ratschläge auf den weg und ich beschloss, mein Wissen und meine Geisteshaltung an möglichst viele Menschen weiterzugeben. Dies ist auch der Grund, warum Ihr nicht wie bei ähnlichen Kursangeboten dafür Geld bezahlen müsst.

Wir werden nun in den kommenden Wochen meditieren, beten, fasten, wie auch immer ihr das nennen wollt. Aber am Ende werdet ihr mit einem völlig anderen Bewusstsein zurück in die Zivilisation fahren, und, wie ich hoffe, mit friedlichen, gewaltlosen Mitteln mein Ziel unterstützen, den Hass zwischen Juden und Arabern endlich zu besiegen."

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.04.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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