Iris Fritzsche

Glühwürmchen

Eigentlich sind es kleine unscheinbare Käferchen, grau und farblos. Am Tage erkennen nur Eingeweihte sie, an für die meisten unbekannten Merkmalen. Auch ich würde sie sicher nicht erkennen. Abends aber erwachen sie zu einem Leben, welches davon ganz verschieden ist und doch dazu gehört. An ruhigen dunklen und verborgenen Plätzen treffen sie sich zum gemeinsamen Flug. Ihr kleiner Käferpopo leuchtet als Erkennungszeichen für die anderen, wie eine Laterne. Schön sieht das aus. Wer würde sich nicht darüber freuen  zu sehen, wie sie gemeinsam durch die Büsche fliegen, immer auf der Suche nach Futter oder einem Partner. Neulich habe ich sie auch wieder beobachtet. Wir saßen noch ein wenig im Freien, das Feuer war längst erloschen, nur die Grillen zirpten noch und hinter den Wolken versteckt, ein Hauch von Mondschein. In dieser romantischen Stimmung fingen wir an, uns alte Geschichten zu erzählen, die wir irgendwann einmal von unseren Großeltern gehört hatten. Und wie passend, einer wußte sogar eine Glühwürmchen-Geschichte.
Glühwürmchen, begann er, sind eigentlich Seelen. Ja, meine Großmutter hat mir das immer erzählt, wenn ich welche im Glas gefangen hatte, weil sie in meinem Zimmer wie eine Lampe leuchten sollten. Das taten sie aber meistens nicht. Erst als ich sie geschüttelt hatte, begann ein schwaches Glimmen. Oma schimpfte dann meist recht herzhaft und lautstark. "Kind was tust du?" rief sie, "Die armen kleinen Seelen werden ja ganz meschugge davon." Ich guckte sie an, aber ich verstand nicht. Sie setzte sich zu mir ans Bett und begann: "Jeder Mensch hat eine Seele. Diese ist unsterblich. Sie wohnt tief in uns drin. Je nach dem, was für einen Lebenswandel ein Mensch führt, ob er gut ist oder eher weniger, so stark wird die Seele. Vollbringt ein Mensch viele gute Taten, sammelt sich Freude darin, wie Honig in einem Topf. Und dieser Topf kann dann auch mit der Größe der guten Taten wachsen. So geht das ein ganzes Leben lang. Der Mensch wächst heran, wird groß und irgendwann auch alt. Weil unser Körper aber nicht so unsterblich ist, wie unsere Seele und irgendwann stirbt, fällt die Seele heraus. Nun ist der Moment gekommen, wo es sich entscheidet, was mit der Seele wird. Ist es eine gute, so verwandelt sie sich gleich in ein Glühwürmchen. Die anderen sind zu schwer und unbeweglich. Sie fallen einfach nur runter und müssen lange warten, ehe auch sie fliegen dürfen. Die guten Taten bringen das Leuchten hervor. Deshalb leuchten auch manche stärker als andere. Insgesamt aber ist jedes Glühwürmchen eine gute Seele. Man muß sie in Freiheit leben lassen, damit sie sich wieder ein ungeborenes Leben aussuchenund hinein schlüpfen können, auf das auch dieser wieder ein guterMensch werde."
          Nach diesen Worten, wurde es still in unserer Runde. Jeder sah verstohlen zu den Glühwürmchen hinüber. In mir aber reifte eine Frage heran. Es gibt nur noch sehr wenige Glühwürmchen. Sterben die guten Menschen aus?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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