Angelika Vitanza-Lima

Der Seelenreiniger

Oh Gott, sah das mal wieder düster aus! Ebbe im Portemonnaie! Wie immer zu Beginn eines neuen Jahres. Das bisschen, das man zuvor mal grade für ein paar Tage gehabt hatte, ging drauf für das Weihnachtsfest und all die zu zahlenden Jahresbeiträge. Man konnte froh sein, wenn man diese überhaupt bezahlen konnte. So ein Jammer! An den Gänsebraten und all die anderen Leckereien, die man sich an den Festtagen gegönnt hatte, würde man die nächste Zeit noch oft denken müssen. Jetzt waren wieder Bratkartoffeln und Erbsensuppe angesagt. Was für ein Elend!

Sie saß auf dem Stuhl und spürte, wie ihre Arme immer länger wurden und der Kopf allmählich zwischen den Schultern versank. Sie spürte sogar die Falten auf ihrer Stirn wachsen. So ein Mist! Eine neue Währung gab es jetzt – den EURO. Sie hatte ihn bis jetzt noch nicht in den Händen gehabt, lohnte sich ja auch gar nicht. Sie hätte ja kaum Zeit, ihn zu begutachten, so schnell wäre er wieder weg. Verdammt! Ihr Hals wurde immer kürzer, das Gesicht umso länger. Sie spürte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Auch das noch! Der Katzenjammer hatte sie nun vollends eingeholt. Jedes Jahr das gleiche Spiel – verflucht!

Da saß sie nun – eine zusammengesunkene Gestalt mit hängenden Schultern. Plötzlich wurde sie in ihrem schönsten Selbstmitleid gestört. Der Hund forderte sein Recht, stupste sie mit der kalten Schnauze an. „Hey, Frauchen! Gib Gas, sonst brauchst du mehr als Meister Propper!“ Unwillig zog sie den Kopf aus den Schultern hervor – wie eine Schildkröte – erhob sich und trottete zur Garderobe, um ihre Jacke überzuziehen. Beinahe wäre sie in Pantoffeln auf die Straße gegangen. Na, man musste ihr die Neujahrsarmut ja nicht gleich ansehen. Zum Glück machte sie nicht gerade den Eindruck, an Unterernährung zu leiden.

Brrr – diese Kälte! Da froren einem ja die Ohren ab! Dass sie sich aber auch einen Vierbeiner hatte zulegen müssen! Missmutig ließ sie sich von ihm durch die Gegend ziehen. Wo war sie doch noch stehen geblieben? Gedanklich, meinte sie. Ach ja – das leere Portemonnaie! Sie stapften durch den Park über schneebedeckte Wege. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie ausrutschen. Das hätte ihr gerade noch gefehlt! Worüber hatte sie eigentlich gegrübelt?

Die Luft war ja herrlich! Sie konnten sich diesmal ja nicht beschweren, was das Wetter betraf. Hatten sie doch diesmal einen richtigen Winter, so mit allem Drum und Dran. Das hatte sie sich auch gewünscht. Klar, es war ganz schön kalt, aber das gehörte schließlich dazu. Die Bäume sahen wunderschön aus, mit diesem glitzernden Weiß. Das gefrorene Laub auf dem Boden glänzte wie mit Sternenstaub übersäht. Hach, tat das gut! Sie ließ den Hund von der Leine, und sogleich warf er ihr das nächste Stöckchen, das er fand, vor die Füße. Schwanzwedelnd und mit hochgestellten Ohren stand er nun erwartungsvoll vor ihr, mit geöffneter Schnauze, mit heraushängender Zunge. Ganz so, als lachte er sie an. Seine Augen leuchteten förmlich.

Er war ja wirklich ein goldiges Kerlchen! Immer und immer wieder musste sie ihm das Stöckchen werfen, und jedes Mal legte er es ihr mit sichtlicher Freude wieder vor die Füße. Als Teenager hatte sie auch einen Hund gehabt. Er war ihr bester Freund gewesen. Diese Tiere waren sehr klug, schienen in eine Menschenseele hineinschauen zu können. Sie hatte immer den Eindruck, als verstünden sie, was einen bedrückte. Sie musste lächeln. Auch dieser kleine Kerl, den sie noch nicht so lange hatte, war ihr sehr vertraut.

Sie beugte sich zu ihm hinunter und streichelte ihn, wobei sie ihn für das Apportieren lobte. Er schaute sie treuherzig an, und sie hatte das Gefühl, als wollte er ihr sagen „Na, hab’ ich es nicht gewusst? Gräm Dich nicht! Du hast gesunde Lungen, kannst diese herrliche Luft einatmen, die Natur genießen. Die kostet nichts, gehört uns allen!“ „Ja, Kleiner“, dachte sie. „Du hast vollkommen Recht! Jammern nutzt nichts. Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen. Was soll’s? Nichts gegen Bratkartoffeln und Erbsensuppe!“ Davon konnte man auch satt werden.

Beschwingten Schrittes stapfte sie mit ihrem kleinen Freund zurück nach Hause. Sie roch schon förmlich das Tässchen Tee, das sie gleich genießen würde, auf der Couch, mit ihrem Hund, der sich, auf dem Rücken liegend, wieder das Fell würde kraulen lassen. Worüber hatte sie sich doch noch den Kopf zerbrochen, bevor sie das Haus verlassen hatte? Es war ihr längst entfallen...

© Angelika Vitanza-Lima – 2002-01-12

So habe ich es an jenem Tag tatsächlich empfunden, und ich muss darüber lachen, wenn ich mich selbst so beobachte. ;-)Angelika Vitanza-Lima, Anmerkung zur Geschichte

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