Hans Witteborg

Wolfsqual

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Ich stehe am Zaun des Wolfsgeheges. Die unstillbare, romantische Sehnsucht nach der Nähe wilder Tiere trieb mich hierher. Sicherlich ist dies das Nachgeben einer Illusion, denn die Zootiere, so gefährlich wild sie uns erscheinen mögen, sind durch den überlegenden Geist des Menschen zu einer Karikatur ihrer selbst und Würde geworden. Beobachtet zu werde, dies von dem größten Feind... keine Aussicht auf Flucht oder Verteidigung, ausgeliefert als Schaustück für das Vergnügen oder die Neugier einer überlegenden Spezies.
Auch bei mir, Neugier, die tiefer gehende Gedanken gar nicht erst aufkommen lässt. Vor mir, natürlich getrennt durch Zaun und Sicherheitsbarriere, ein Wolf, der dicht am Zaun die dreißig Meter seines Gefängnisses auf und ab läuft. Gesenkten Hauptes auf und ab, auf und ab, trabt er am Zaun entlang, wie das Pendel einer Uhr, immer im gleichbleibenden Rhythmus. Er ist ein Jogger, denke ich ziemlich blöd, denn trotz meines Interesses an Tieren kann ich die menschlichen Verhaltensweisen auch im Beobachtungsstatus nicht negieren.
Gedacht und gleichzeitig geschämt. Der Bewegungsdrang eines Wolfes dient allem anderen nur nicht dem Ziel z.B. Übergewichtigkeit zu bekämpfen oder euphorische Gefühlsebenen zu erreichen.
Mich macht dieses Hin- und Hergelaufe nervös, die Gleichförmigkeit der Bewegungen ist Gift für meine Ungeduld. Ich möchte Meister Isegrimm direkt in die gelbliche Pupille schauen. Meister Isegrimm! Wieder diese vermenschlichten Bezüge aus Dichtung und Märchen, die den Wölfen durch übertriebene Gefährlichkeit und nachgesagter Blutrünstigkeit
eine beispiellose Vernichtungs-Hetze einbrachten. Ablenkungsmanöver der schändlichsten Naturfeinde, die die Erde je sah. Ich ein Sproß ihrer Art stehe da und will kenenlernen.
Das Tier läuft und läuft, hin und her. Beim Her fixiere ich den Wolf mit meinen Augen, starre unentwegt. Der Wolf verhält.. mein Blick scheint ihn zu bannen.. auch er starrt, fühlt offenbar eine Bedrohung. Die Nase kräuselt sich und ein Furcht erregender Fang gibt spitze Fangzähne
und stabile Reißzähne frei. Die Pupillen schlitzen, das ist genau der Ausdruck von Böswilligkeit... oh, menschlicher Schwachsinn! Ich war es, der provozierte, der durch Fixierung meines Blickes Angriff signalisierte. Die Drohgebärde des Wolfes: eine Abwehrreaktion unbekannter Gefahr, Gegenwehr Bereitschaft. Eine aussichtslose Situation seiner Würde beraubten Wildtieres, gefangen durch widernatürliche Drahtgehäuse, gezwungen, seinem größten Feind Tag für Tag gegenüber zu treten. Qualvolle Demütigung
einer Kreatur, deren „Verbrechen“ es war nur ihrer Bestimmung gefolgt zu sein.
Mich schaudert bei dem Gedanken selbst einmal diese Wolfsqualen erleiden zu müssen...


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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